v.l.: Guido Sierp und Charlotte Schwarz-Sierp. Foto: privat

Mein Frankreich: Charlotte Schwarz-Sierp und Guido Sierp

Mein Frankreich ist nicht nur Titel meines Blogs, sondern auch Programm: Ich möchte möglichst viele von euch animieren, euer Frankreich vorzustellen. Mein Frankreich – was bedeutet das für euch?

Heute antworten Charlotte Schwarz-Sierp und Guido Sierp. Sie wohnen in Bonn und einen großen Teil des Jahres inzwischen auch in Le Racou bei Argelès-sur-Mer.


An der staatlichen Kunstakademie Düsseldorf habe ich, Charlotte, freie Malerei, Kunstwissenschaft und künstlerisches Lehramt studiert. Einen großen Teil meiner beruflichen Tätigkeit habe ich als Kunstlehrerin im Gymnasium verbracht. Parallel dazu habe ich meine künstlerische Tätigkeit inklusive regelmäßiger Ausstellungen verfolgt und tue das weiterhin. Guido, mein Mann, arbeitete in verschiedenen Behörden.

Seit gut 10 Jahren sind wir beide im sogenannten Ruhestand. Bevor wir uns kennenlernten, war in meinen ausgedehnten Semesterferien zumeist Griechenland mein Sehnsuchtsziel. Dort habe ich regelmäßig viele Wochen in den dortigen Ateliers der Kunstakademie verbracht. Aber dazwischen war Frankreich das weitere Ziel meiner Träume. Hier Paris mit seinen Museen und Ausstellungen, aber auch die Bretagne, und besonders gerne die Provence, die ich zunächst kreuz und quer mit alten Autos bereiste. Nachdem ich meinen Mann kennengelernt habe, auch 1978 sogar mit dem Fahrrad.

Es war im Jahr 1984, unsere zweite Tochter wurde im Februar geboren und es gab so etwas, was sich Mutterschaftsurlaub nannte. Das heißt: nach dem gesetzlichen Mutterschutz weitere vier Monate Arbeitsbefreiung, ausgestattet mit einem kleinen Taschengeld. Dies versetzte uns in die traumhafte Lage, einmal außerhalb der Schulferien in den Süden zu reisen. Denn ich war mittlerweile fest als Lehrerin am Gymnasium gelandet.

Da wir den Eindruck hatten, die Provence ausführlich abgegrast zu haben und uns die Region südlich von Aigues-Mortes noch wie ein weißer Fleck auf der Landkarte erschien, begaben wir uns Ende April 1984 mit einem Säugling, einem knapp zweijährigen Wickelkind und einem Steilwandzelt auf die Reise in den Süden.

Die erste Erfahrung: Es ist auch Ende April oft doch noch nicht so warm, wie erwartet. Die zweite Erfahrung: viele der netteren kleineren Campingplätze waren um diese Zeit an der Küste südlich der Camargue noch nicht geöffnet. Die großen Campingplätze waren  – trotz Vorsaison – erstaunlich teuer und wenig charmant. Die dritte Erfahrung: Die Küste mit ihren teils riesigen Sommerstationen, gesichtslosen Ferienburgen und flachem Hinterland enttäuschte uns.

So erinnerte ich mich, dass ich 1972 mal auf einer Reise nach Südspanien durch den kleinen Ort Collioure nahe der spanischen Grenze gefahren war und dieser mir sehr gut gefallen hatte. Auch erinnerte ich mich an die Berichte einer Kollegin, die von traumhaften Campingplätzen dort berichtet hatte. So fuhren wir also weiter, als wir ursprünglich beabsichtigt hatten.

Schon weit vor Collioure grüßten verheißungsvoll die Berge, allen voran, der tief verschneite Canigó. Da der Hafen von Argelès-sur-Mer noch nicht gebaut war, führte uns die Straße nach Collioure an den kleinen Weiler Le Racou, wo wir ausstiegen und ein Paradies entdeckten. Kleine Häuschen direkt auf den Strand gebaut, dahinter eine kleine Dorfstraße, die als Sackgasse endete und zwei Minihotels aufwies, die noch geschlossen hatten. Dahinter zwei etwas größere Appartementhäuser und Weinberge, darin versteckt ein kleines Jugendstilhäuschen.

Hier wollten wir bleiben! Eines der Häuschen in der ersten Reihe zum Meer wurde gerade gestrichen und auf unsere Frage, ob es zu mieten sei, antwortete uns der vermeintliche Handwerker, wir sollten seine Frau in dem Appartementhaus fragen, sie sei Concierge dort und auch Verwalterin dieses Häuschens.

Es klappte, und wir mieteten für den Rest unserer Ferien dort den Luxus von zwei Schlafzimmern, einer Küche, Bad, Wohnzimmer und einer Terrasse direkt auf dem Strand mit unverstellter Sicht auf das Meer für weniger Geld, als wir für die Campingplätze ausgeben mussten.

Dieser Traum begleitete uns und unsere heranwachsenden Kinder zehn Jahre. Es war ideal mit zwei Kleinkindern, die das Meer lieben und respektieren lernten, die abends auf dem dann leeren Strand mit den französischen Kindern unbefangen bezüglich irgendwelcher Sprachbarrieren spielten…

Nach ein paar Jahren begann ich, mit den Kindern auch schon mal in den Osterferien dorthin zu reisen. Guido konnte damals noch mit dem Nachtzug von Straßburg nach Argelès-sur-Mer recht bequem nachkommen. In dieser Jahreszeit waren die Strandhäuschen noch zu kalt und feucht. Wir mieteten eine Wohnung in dem dahinter liegenden Appartementhaus und lernten den unvergleichlichen Charme dieser Gegend im frühen Frühling kennen. Die unendlichen Wander-Möglichkeiten, die Osterfeste mit den üppigen Menüs und den Sardanatänzen am späten Nachmittag in Ceret, die Mimosen-Blüte, wenn Ostern früh im Jahr war….

Der Blick von Le Racou aufs Mittelmeer. Foto: Charlotte Schwarz-Sierp
Der Blick von Le Racou aufs Mittelmeer. Foto: Charlotte Schwarz-Sierp

Nach neun Jahren im Strandhäuschen, in denen die Mietpreise ständig stiegen, fingen wir an, uns nach einer eigenen Unterkunft umzuschauen. Kurzfristig war die Provence im Gespräch, aber wir merkten immer wieder, dass unser Herz im Roussillon, und dort speziell in Le Racou,  verloren gegangen war.

Im August 1995 war es dann soweit. Am vorletzten Ferientag berichtete unsere Concierge, dass die oberste Wohnung in dem Appartementhaus, zu der auch noch eine große Terrasse gehörte, zu verkaufen sei. Wir schlichen einmal drum herum und trafen uns dann am letzten Ferientag mit den Verkäufern, die extra aus Toulouse angereist kamen. Danach mussten wir noch die Prüfung der Nachbarin aus der gegenüberliegenden Wohnung bestehen.

Die Dame beäugte uns kritisch, ob wir wohl ins Haus und speziell zu ihnen als Nachbarn passen. Offensichtlich hatten wir die Prüfung bestanden, später wurden wir Freunde. Am Nachmittag wurde der Kauf per Handschlag vereinbart und in den Herbstferien per Notar besiegelt.

In die Weihnachtsferien fuhren wir mit einem Tannenbaum auf dem Dach und mehreren Eimern Wandfarbe im Kofferraum hinunter und begannen mit den ersten Renovierungsarbeiten. Im Laufe der Jahre war immer wieder etwas zu verbessern, zu verschönern, neue Fliesen zu legen, eine modernere Küche einzubauen … Aber das Wunderbare war immer wieder: Egal, wo wir uns in der Wohnung aufhalten, wir sehen das Meer vor uns, und zwar von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.

Die große Terrasse, die über dem Meer zu schweben scheint, der Sonnenuntergangsbalkon neben dem Schlafzimmer, die Möwen, die schon mal das Croissant vom Frühstückstisch stehlen, wenn man nicht aufpasst. All dies ist für uns seit jetzt fast 30 Jahren ein nicht versiegender Kraftquell.

In diesen Jahren haben wir natürlich nicht nur aufs Meer gestarrt, sondern das Land drumherum mit all seinen unglaublichen kleinen und großen, liebenswerten und bewunderungswürdigen Kunstdenkmälern, kulturellen Eigenheiten, Menschen und Traditionen, katalanischer Kultur, Küche und Sprache erkundet.

Wir haben die neige catalane in den Pyrenäen kennengelernt, sind wunderbar Ski gefahren in Font-Romeu, sind auf den Carlit und fast auch auf den Canigó gestiegen. Die Albères und die Corbières sind geliebte Wanderziele.

Seit gut 10 Jahren sind wir jetzt im Ruhestand und genießen dieses Ambiente jetzt mehr oder weniger viele Monate im Jahr. Und, so unglaublich es klingt, auch nach fast 40 Jahren entdecken wir immer noch Neues in der Region. Nicht zuletzt auch Dank Dir, liebe Hilke. Gerade vorgestern die wunderbare Wanderung zum Ermitage von Cases de Pène.

Neben immer wieder beglückenden Wanderungen helfen uns unsere E-Bikes inzwischen die doch teilweise beträchtlichen Steigungen der Umgebung mit Genuss auch per Velo zu überwinden. Hier erfreut uns besonders, dass das Radwegenetz immer weiter ausgebaut wird. Zudem kann man auch auf den vielen asphaltierten landwirtschaftlichen Wegen fast ohne Autoverkehr die zahlreichen schönen Winzerdörfer der Roussillon-Ebene erreichen.

Auch wenn sich in den Jahren so manches verändert hat … Häuser sind gebaut worden, ein Jacht-Hafen ist entstanden, die Dürre der letzten 18 Monate hat ein erschreckendes Ausmaß angenommen: Die Region und das kleine Eckchen, wie es im Katalanischen heißt, El Racó, bleibt noch ein kleines, privates Paradies, besonders in den 9 Monaten, in denen keine Saison stattfindet.

Unsere ältere Tochter hat das jetzt, als Mutter von zwei kleinen Kindern, wieder entdeckt. So geht der Bezug zu diesem Fleckchen Erde in die nächste Generation, und wir sind nicht die einzigen Bewohner, denen dies so passiert.

So bleibt der familiäre Charakter hier erhalten. Ein Phänomen, welches wir vor 40 Jahren gespürt haben, uns aber damals noch nicht erklären konnten.

Wir hoffen, dass die Region die klimabedingten Probleme der aktuell bedrohlichen Dürre bewältigen kann und wird. Der Verlust für dieses so fruchtbare Land, in dem bis zu drei Ernten Edelgemüse eingefahren und herrliches Obst und inzwischen auch wieder Oliven geerntet werden, wäre nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell fatal.


Der Beitrag von Charlotte Schwarz-Sierp und Guido Sierp ist ein Gastartikel in einer Reihe, in der alle, die dazu Lust haben, ihre Verbundenheit zu Frankreich ausdrücken können. Ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Frankreich, Erlebnisse, Gedanken. Ihr wollt mitmachen? Dann denkt bitte daran: 

• Keine PDFs.

• Text: per Mail in Word, Open Office oder per Mail. Denkt daran, euch mit ein, zwei Sätzen persönlich vorzustellen.

• Fotos: Bitte schickt nur eigene Bilder und jene möglichst im Querformat und immer in Originalgröße. Sendet sie gebündelt mit www.WeTransfer.com (kostenlos & top!)  – oder EINZELN ! – per Mail. Bitte denkt an ein Foto von euch – als Beitragsbild muss dies ein Querformat sein.

• Ganz wichtig: Euer Beitrag darf noch nicht woanders im Netz stehen. Double content straft Google rigoros ab. Danke für euer Verständnis.

Vor der Veröffentlichung erhaltet ihr euren Beitrag zur Voransicht für etwaige Korrekturen oder Ergänzungen. Erst, wenn ihr zufrieden seid, plane ich ihn für eine Veröffentlichung ein. Merci !

Ich freue mich auf eure Beiträge! Alle bisherigen Artikel dieser Reihe findet ihr hier.

 

3 Kommentare

  1. Ein wahrhaft toller Bericht und das Erlebte von Charlotte Schwarz-Sierp und Guido Sierp kann ich so gut nachvollziehen. Wir sind von dieser Landschaft mit den freundlichen Menschen begeistert. Kennengelernt haben wir die Gegend auf einer Frankreich-Rundreise auf Empfehlung einer Schulfreundin meiner Frau, die in Deutschland französisch unterrichtet und sehr oft dort war. Unsere Erkundungstouren haben wir von dem Campingplatz Le Brasilia aus unternommen. Die nächste Tour steht im Frühjahr an.

  2. Ein sehr schöner Artikel, der mich wieder an unsere Zeit im Roussillion und speziell in Collioure erinnert hat. Wir waren recht häufig dort und haben die Zeit in den Sommerferien immer sehr genossen. Leider ist es nie zu einem Immobilienerwerb dort gekommen.

  3. Ein wunderbarer Bericht, der dieses einzigartige Fleckchen Erde treffend beschreibt!
    Wir haben seit 1995 ein Haus in Ste.Marie la Mer,
    kennen le Racou gut und waren auch jedesmal begeistert, dort am Strand zu sein.
    Auch all die anderen beschriebenen Örtlichkeiten
    haben wir schon erkundet.
    Das Roussillon ist und bleibt für uns auch eine beglückende zweite Heimat.

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