Luberon: In den Ockerbrüchen von Roussillon. Foto: Hilke Maunder
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Luberon: im Ocker-Rausch

Mit ihren warmen Erdtönen, lebendigen Farben und faszinierenden geologischen Formationen breiten sie sich wie gemalte Teppiche der Natur aus roten, orangefarbenen und gelben Nuancen am Wanderweg aus: die Ockerbrüche der Provence. Die farbenfrohen Klippen nördlich von Apt mit seinem berühmten Markt bestehen zu 80 bis 90 Prozent aus Sand und zu 10 bis 20 Prozent aus Ocker. Dieser sehr feine Ockeranteil ist eine Mischung aus weißem Ton, Kaolinit sowie Eisenhydroxid und -oxid, die dem Ocker seine vielen Farben verleihen.

Entstanden sind die farbigen Felsen im Regionalen Naturpark Luberon vor rund 230 Millionen Jahren, als ein riesiges Meer die heutige Provence bedeckte. Die Schalen seiner Muscheln und Schnecken und andere Sedimente sammelten sich am Grund des Wassers und bildeten die weißen Kalksteine, aus denen später der Mont Ventoux, das Luberon-Massiv, die Montagne Sainte Victoire und die Calanques entstanden. Tektonische Bewegungen sorgten dafür, dass sich das Meer zurückzog.

Das Klima war damals tropisch-feucht und sorgte dafür, dass die in jener Zeit entstandenen Grünsande massiv verwitterten. Zum Namensgeber dieser vom Meer gebildeten Sandsteine wurden ihre zahlreichen, abgerundeten grünlichen Körner, sogenannte Glaukonien.

Sintflutartige Regenfälle veränderten den Grünsand, und das Wasser löste die im Sand eingeschlossenen Bestandteile auf. Die Glaukonien setzten das Eisen frei, wodurch Goethit zum Vorschein kam. Die immer weiter fortschreitende Auslaugung der Eisenoxide bildete dann die Schichten des weißen Kaolinits. Das Land wurde farbig.

Die Ocker-Felsen des Luberon bei Roussillon. Foto: Hilke Maunder
Die Ocker-Felsen des Luberon bei Roussillon. Foto: Hilke Maunder

Rustrel: Das Colorado der Provence

Über rund 25 Kilometer erstreckt sich das Ocker-Massiv des Luberon nördlich von Apt zwischen den Gemeinden Gignac, Rustrel, Villars, Gargas und Roussillon. Als „Colorado der Provence“ wurden  die Ockerbrüche von Rustrel weltberühmt. Seit der Antike werden in den farbigen Steinbrüchen des Luberon im Südosten des Départements Vaucluse Pigmente für Naturfarben gebrochen. In 20 Tönen inszeniert der Fels ein Feuerwerk der Farben, das erwandert werden darf!

Nur die Sonne muss scheinen. Denn nur dann entfaltet die Wunderwelt aus Fels ihren Zauber und leuchtet sagenhaft intensiv und fast schon ein wenig unwirklich und surreal in Rot-, Orange-, Gelb-, Braun- und Violetttönen. Kiefern und Olivenbäume krallen sich mit ihren Wurzeln in den Stein.

Rosmarin, Thymian und Lavendel verströmen in der Hitze des Sommers ihre betörenden Düfte. Bei schönem Wetter sind die Ockerbrüche von Rustrel ein berauschendes Gesamtkunstwerk aus Farben und Texturen, das alle Sinne betört. Ein bedeckter Himmel zerstört diese Magie.

Europas Ocker-Zentrum

Luberon: In den Ockerbrüchen von Roussillon. Foto: Hilke Maunder
In den Ockerbrüchen von Roussillon. Foto: Hilke Maunder

Die Geschichte der Ockerbrüche von Rustrel geht bis ins 18. Jahrhundert zurück, als das Mineral erstmals entdeckt wurde. Es besteht aus feinen Ton- und Eisenoxidpartikeln, die je nach Gehalt und Oxidationsgrad die Farbe des Ockers verändern. Die Entdeckung des Ockers machte das Bauerndorf, in dem damals nur wenige hundert Einwohner lebten, zum Zentrum der Ockerproduktion in Europa. Um 1900 waren die Pigmente so sehr gefragt, dass gleich mehrere neue Steinbrüche eröffnet wurden, um den steigenden Bedarf zu denken.

Nach dem Zweiten Weltkrieg führten stärkeres Umweltbewusstsein und Konkurrenz von synthetischen Pigmenten dazu, dass die Ockerindustrie der Region allmählich an Bedeutung verlor. Viele der Ockerbrüche wurden in den 1960er- und 1970er-Jahren stillgelegt. Sie hinterließen eine Landschaft mit beeindruckenden Felsen und Farben: geschaffen von jenen 50 Millionen Tonnen Ocker, die in und um Rustrel abgebaut wurden.

In solchen Töpfen könnt ihr Ocker in vielen Farben in den Ocker-Dörfern des Luberons kaufen, Foto: Hilke Maunder
In solchen Töpfen könnt ihr Ocker in vielen Farben in den Ocker-Dörfern des Luberons kaufen, Foto: Hilke Maunder

Gargas: Die Ockerstollen der Mine de Bruoux

Weltweit einzigartig sind die Ocker-Stollen der Mine de Bruoux. Bis zu 15 Meter hoch, mal spitz, gewölbt oder im Halbkreis sind die Galerien im einstigen Ocker-Werk, das sich heute auf einem 650 Meter langen Parcours entdecken lässt.

Ende des 19. Jahrhunderts erlebte die Ockerproduktion in Gargas ein enormes Wachstum, da die Qualität des in den Stollen gewonnenen gelben Ockers viel höher war als bei den anderen Standorten. Immer tief grub sich die Mine in die Felsen. Zwischen 1880 und 1950 entstand so ein 40 Kilometer langes Netzwerk an Galerien, in denen Kumpels im Licht ihrer Karbidlampe mit einer Spitzhacke die wertvollen Farbpigmente aus den Klippen schlugen. Heute ist in Gargas der letzte Ockersteinbruch Europas aktiv. Die Société des Ocres de France gewinn dort Ocker nun im Tagebau – und macht damit jährlich mehr als eine Million Euro Umsatz.

Der natürliche Ocker aus Gargas wird vor allem von Künstlern und im Kunsthandwerk verwendet, denn er ist besonders lichtecht und wetterfest. Natürlicher Ocker hat eine hohe Beständigkeit gegenüber UV-Strahlung und Witterungseinflüssen, was bedeutet, dass er im Laufe der Zeit seine Farbe und Qualität beibehält.

Synthetischer Ocker hingegen ist deutlich billliger in der Herstellung – und bietet eine viel größere Palette an Farbtönen. Er wird künstlich wdurch chemische Prozesse hergestellt, bei denen mineralische Rohstoffe wie Ton oder Eisenoxid mit verschiedenen Chemikalien behandelt werden.

Roussillon: Ocker … blutrot

Das Ockerörtchen Roussillon im Luberon gehört zu den schönsten Dörfern Frankreichs - das sorgt besonders im Sommer für Andrang. Foto: Hilke Maunder
Das Ockerörtchen Roussillon im Luberon gehört zu den schönsten Dörfern Frankreichs – das sorgt besonders im Sommer für Andrang. Foto: Hilke Maunder

Als eines der schönsten Dörfer Frankreichs thront weiter westlich Roussillon auf einem Grat aus Ocker. Eine Legende verrät, warum die Felsen hier so besonders rot sind:

Raymond d’Avignon, Herr von Roussillon, verließ seine Frau Sermonde für die Jagd und ließ sie zu lange in der Gesellschaft des Troubadours Guillaume de Cabestan verweilen. Als der Fürst von ihrem Unglück erfuhr, tötete er den Liebhaber, riss ihm das Herz heraus und bewirtete Sermonde damit, bevor er ihr die Natur der Speise verriet. Die Schöne war verzweifelt und stürzte sich von den Klippen. Deshalb sind die Klippen von Roussillon seitdem blutfarben…

Mit ihren Fassaden in warmen Erdtönen spiegelt die Architektur von Roussillon seine Geschichte und sein Terroir hinreißend schön wider – und lockt zur Saison alljährlich 120.000 Besucher an, die die romanische Pfarrkirche Saint-Michel mit ihrer klassizistischen Taufkapelle besichtigen, Glockenturm und Rathaus bewundern und in den Geschäften allerorten Ocker finden, mal ganz natürlich in Erdtönen, aber auch ganz wild gefärbt von Türkis bis Pink.

Nicht typisch rot wie sonst in Roussillon, sondern hell mit grünen Akzenten ist ein Haus an der Ausfallstraße von Roussillon, in dem gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ein weltberühmter irischer Dramatiker auf der Flucht vor den Nazis untergekommen war: Samuel Beckett. Kein Hinweis im Stadtplan, kein Schild am Haus erinnert an den Autor von „Warten auf Godot“, der seine Zuflucht auch literarisch im Theaterstück verewigt hat.

Zwei Jahre lang versteckte sich Beckett als Mitglied der Résistance mit Suzanne Deschevaux-Dumesnil. Für ein paar Francs, ein bescheidenes Mittagsmahl und ein sonntägliches Huhn arbeitete er bei Berthe Bonnelly im Weinberg, deren Mann die Nazis ins Lager gesteckt hatten. Von 1942 bis zur Ankunft der Amerikaner im Jahr 1944 lebte Beckett in Roussillon, das ihren berühmten Exilbürger seit 1999 alljährlich im Juli zwei Wochen lang immerhin mit einem Beckett-Festival ehrt.

Besonder schön leuchten die Ocker-Felsen, wenn die Sonne bereits tief steht. Foto: Hilke Maunder
Besonder schön leuchten die Ocker-Felsen im Luberon, wenn die Sonne bereits tief steht. Foto: Hilke Maunder

Zeitreise in der Usine Mathieu

Doch zurück zum Ocker. Nur wenig außerhalb von Roussillon blättert das Heimatmuseum Ôkhra in der früheren Usine Mathieu die große Geschichte des Ockerabbaus auf. Ihr Gründer Émile Mathieu stammte aus einer Familie von Ockerproduzenten und war in Rustrel aufgewachsen. 1921 nahm sein Ockerwerk seinen Betrieb auf und stieg zu einem der bedeutendsten Unternehmen der Branche auf. Bis 1963 produzierte die Usine Mathieu  jährlich etwa tausend Tonnen Ockerpigmente.

Wie, verraten Tafeln mit technischen Schemata, historische Fotos und die O-Töne des ehemaligen Vorarbeiters der Mathieu-Fabrik, Elie Icard. Doch Ôkhra ist nicht nur ein Hort der Erinnerung, sondern auch ein Ort vieler Aktivitäten. Das ganze Jahr hindurch laden Workshops ein, selbst einmal Naturfarben aus Ocker herzustellen, neue kreative und dekorative Techniken kennenzulernen – und natürlich auch, eigene Werke mit Ocker zu malen!

Luberon: In den Ockerbrüchen von Roussillon. Foto: Hilke Maunder
Von Goldgelb bis Tiefrot: die Farben der Ockerbrüche von Roussillon. Foto: Hilke Maunder

Die Ocker-Brüche des Luberon: meine Reise-Infos

Hinkommen

Vom Bahnhof in Apt fährt der Bus (Linie 916) nach Rustrel, die Linie 917 nach Roussillon. Die Mine de Bruoux ist nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.

Schlemmen und genießen

Ocria Brasserie Artisanale

Fanny und Nicolas Marichal sind ein bierbegeistertes Paar. Nicolas lernte am IFBM Institut Français des Boissons, de la Brasserie et de la Malterie das Handwerk des Brauens, Fanny kümmert sich um das Kaufmännische. Seit 2018 stellen sie gemeinsam handwerklich Bio-Biere her.

Mittwochs findet ihr sie auf dem Markt in Rustrel, Freitag und  Samstags laden sie von März bis November ab 18 Uhr in der Brasserie zum Apér’Ocria. Bei diesem etwas anderen Apéro könnt ihr das gesamte Sortiment an Bieren entdecken, Bio-Wein und handwerklich hergestellte Fruchtsäfte genießen und dazu Wurstwaren, lokale Käsesorten und Schnecken beim Knabbern kosten.
3, ZA, La Bastide Neuve, 84400 Rustrel, Tel. mobil 06 77 36 56 97, www.brasserie-ocria.fr

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Das Grün der Bäume und die Farben der Felsen: eine sagenhafte Symphonie der Natur! Foto: Hilke Maunder
Das Grün der Bäume und die Farben der Felsen: eine sagenhafte Symphonie der Natur! Foto: Hilke Maunder

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18 Kommentare

  1. Das mit dem Hund kann ich nur bestätigen. Unser von Natur aus beiger Hund sah nach dem Spaziergang durch die Ockerfelsen wochenlang wie ein Fuchs aus. Wir verbringen seit mehr als 40 Jahren ein paar Wochen im Frühling und im Herbst in der Provence. Unser Ausgangspunkt ist seit Jahren Beaumes-de-venise. Unsere Traumlandschaft!

  2. Hallo Hilke,
    ich war inzwischen vier Mal mehrere Wochen im Louberon. Man sollte sich mittendrin in einem der vielen schönen Orte einmieten und Ausflüge in alle Himmelsrichtungen unternehmen. Es gibt noch Dörfer, die ohne Touristen zu erleben sind. Die Landschaft ist wunderschön, die Zikaden, der Lavendel und das gute Essen setzen dem Ganzen noch das i-Tüpfelchen drauf. Die Einheimischen sind sehr nett, wobei ich diese Erfahrung außerhalb der Großstädte überall gemacht habe, auch wenn man den provencalischen Akzent als mittelmäßiger Französisch Sprechender etwas schlecht versteht.
    Frankreich ist mein bevorzugtes Reiseziel, auch aus dem Grund, weil die Leute einfach noch Höflichkeit kennen und stets grüßen. Sogar in Geschäften wird man noch aufmerksam bedient, was leider bei uns nur noch äußerst selten der Fall ist.
    Ich hoffe bald wieder in Richtung Südfrankreich unterwegs sein zu können.
    Danke für Deine vielen Infos!
    Viele Grüße
    Dagmar

    1. Liebe Dagmar, danke für Deine wunderschönen Eindrücke, die sofort wieder die Reiselust wecken! Ich drücke Dir die Daumen, dass Du bald wieder unterwegs sein kannst Richtung Frankreichs Süden!
      Herzliche Grüße! Hilke

  3. Ganz prima wieder, liebe Hilke! Danke!
    Sehr lesenswert dazu von Laurence Wylie “ Village in the Vaucluse“ – nur noch antiquarisch, besser die letzte 3. englische Auflage als die deutsche Übersetzung.
    Das Peyrane seines Buches ist unverkennbar das Ockerdorf Roussillon.

  4. Dank zahlreicher Aufenthalte in der Provence kennen wir alle Ockerbrüche und können nur bestätigen, dass sich die Besuche absolut lohnen. Nur sein Schuhwerk sollte man mit Bedacht wählen, denn bei trockenem Wetter sitzt der feine Staub so fest, dass man die Schuhe sehr schlecht oder gar nicht mehr sauber bekommt und bei feuchtem Wetter besteht erhebliche Rutschgefahr. Deswegen hat man in Roussillon auch zahlreiche Holzstege angelegt.

      1. Dafür im Hochsommer vor und nach der Sahara des Colorado im beschatteten sandigen Bachbett lange zu wandern, reife Pflaumen vom Strauch am Ufer zu verspeisen – unvergessen…

    1. …auch helle Hunde färben sich ein – kein Scherz! Bei Regenwetter wie vor vier Tagen haftet die Farbe besonders gut,und der bislang weiße Hund ist nun partiell orange.

  5. Liebe Hilke, gerade fahre ich zum letzten Mal mit dem TGV von Avignon nach Köln, um meinen deutschen Haushalt endgültig aufzulösen…und mein Herz hat einen Hüpfer gemacht, als ich den tollen Bericht über meine neue Heimat gelesen habe! Ich wohne nun direkt am Ôkhra-Museum und darf hier hoffentlich alt werden; etwas besseres hätte mir im Leben nicht passieren können! Ich bewundere deine gründliche Recherche sowie die fundierte Darstellung und empfinde bei all deinen Berichten großes Lesevergnügen. Danke!!!

    1. Liebe Monika, das ist ja ein Zufall! Ich wünsche Dir eine wundervolle Zeit in Deiner neuen Heimat! Und freue mich, wenn Du gelegentlich den einen oder anderen Tipp als Kommentar bei diesem Beitrag hinterlässt. Merci! Tout de bien für Dich in Frankreich! Hilke

    2. Hallo Monika,
      ich beneide Dich, ein Leben in Roussillon könnte ich mir auch vorstellen. Am schönsten war es dort bei Nacht, als alle Touristen weg waren. Viel Glück!
      Viele Grüße
      Dagmar

      1. Hallo Dagmar, Frankreich ist mein Beruf – ich arbeite dort als Korrespondentin und blogge privat nach Feierabend. Ich würde ja gerne dort mal Urlaub machen. Lach! Ein tolles Land!!

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