Mein Frankreich: Kerstin Gorges
„Mein Frankreich“ ist nicht nur Titel meines Blogs, sondern auch Programm: Ich möchte möglichst viele von euch animieren, euer Frankreich vorzustellen. Viele haben bereits an dieser Reihe mitgewirkt. Diesmal stellt Kerstin Gorges ihr Frankreich vor.
Über sich schreibt sie:
Ich bin 54 Jahre alt, in Deutschland geboren und in der Nähe der französischen Grenze aufgewachsen, lebe und arbeite ich seit 1987 in der Schweiz und reise seit Jahrzehnten durch Frankreich. Im Jahr 2016, ich hatte gerade meinen 50. Geburtstag gefeiert, erfüllte ich mir meinen langgehegten Traum und ging endlich ernsthaft das Projekt Hauskauf an. Seit 2017 sind mein Lebenspartner und ich stolze Besitzer eines schönen Landhauses im Périgord Noir und fühlen uns dort wie zuhause.
Seit ich mich erinnern kann, gehört Frankreich zu meinem Leben. Schon als Kinder wurden meine Schwestern und ich in den Sommerferien immer zu Freunden meiner Eltern nach Lothringen geschickt und verbrachten herrliche Wochen mit Marie-Louise und Marcel.
Die beiden lebten eigentlich in Metz, doch sie besaßen auch ein wunderschönes altes Landhaus in einem kleinen Dorf, in dem die Zeit offensichtlich stillgestanden war. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Naturstraße, die durchs Dorf führte und auch an das alte Waschhaus, das damals noch in Betrieb war.

Auch die kleine Bäckerei im Ort ist mir noch in lebhafter Erinnerung: Dort konnte man immer so kleine eingepackte Schokoladentruffes kaufen. Wenn man sie auspackte, stand auf dem Papier entweder gagné oder perdu. Falls man gewonnen hatte, durfte man sich noch eine truffe aussuchen…
In den Wochen, die wir in diesem kleinen Dorf verbringen durften, vermittelten uns Marie-Louise und Marcel nicht nur die französische Sprache, sondern auch viel von der französischen Lebensart.
Sie hatten viele Freunde, die sie regelmäßig sonntags einluden, und so wurde während des ganzen Nachmittags gegessen, getrunken und gesungen. Auch wenn ich damals nur ein paar Brocken Französisch sprach und entsprechend wenig verstand, fand ich diese Sonntagnachmittage immer besonders schön.
Natürlich wählte ich in der Schule als zweite Fremdsprache Französisch. So durfte ich mit fünfzehn Jahren im Rahmen eines Austauschprogrammes ein paar Wochen bei einer Gastfamilie im Burgund verbringen.
Das war mein erster Frankreichaufenthalt außerhalb Lothringens, und ich war fasziniert von allem, was ich sah und erlebte. Vor allem der Ausflug nach Paris ist mir noch sehr lebendig in Erinnerung.
Ich saugte alles, was wir besichtigten, in mich auf und fotografierte wie eine Wilde: Den Eiffelturm, das Musée de Louvre, den Arc de Triomphe, den Obelisken, den Invalidendom und natürlich Montmartre mit der Kirche Sacré Cœur.
Und genau dort, in seiner Seitenstraße in der Nähe der Place du Tertre, hatte ich ein Erlebnis, das ich nie vergessen habe. Ich stand vor einem Souvenirshop und betrachtete die Postkarten, als ich hinter mir Schritte und ein fröhliches Pfeifen hörte.
Neugierig drehte ich mich um und beobachtete lächelnd den jungen Mann, der die Straße hinunter schlenderte. Als er mich bemerkte, strahlte er mich an, kam schnurstracks auf mich zu und küsste mich ungeniert auf beide Wangen, bevor er laut pfeifend weiterlief.
Das Gefühl, dass mich damals in diesem Augenblick durchströmt hatte, kann ich nicht in Worte fassen.

Aber wenn ich an diesen Moment zurückdenke, fühlt es sich immer noch unglaublich schön an. Damals wurde mir in diesen paar Sekunden bewusst, dass Frankreich mein Sehnsuchtsort war und seine Bewohner für mich immer etwas Besonderes darstellen würden.
Nach dem Abitur begann ich meine Ausbildung zur Krankenschwester. Frankreich rückte erst einmal in den Hintergrund. Nach meiner Ausbildung zog es mich jedoch in die Schweiz, wo ich zwar im deutschsprachigen Teil lebte und arbeitete, aber zwangsläufig immer wieder mit Französisch sprechenden Schweizern in Kontakt kam.
Ich absolvierte deshalb in meiner Freizeit zur Auffrischung wieder Französischkurse und reiste mit damaligen Mitbewohnerin immer wieder nach Frankreich. So lernte wir die Normandie kennen, verliebten uns in die Bretagne, reisten die Atlantikküste entlang bis Arcachon und dann weiter ins Katharerland, waren auch an der Côte d’Azur, genauer gesagt, in Nizza, was uns auch sehr gut gefiel.
Als ich meinen Lebenspartner kennenlernte, führte uns unsere erste gemeinsame Reise auch nach Frankreich, genauer gesagt nach Korsika. Aber auch die Hausbootferien auf dem Canal du Midi ein Jahr später superromantisch und wunderschön.
Als dann ein guter Freund von uns ein Haus in der Provence kaufte und es uns als Feriendomizil anbot, verbrachten wir fast zehn Jahre lang wenigstens einmal im Jahr unseren Urlaub in der Nähe des Pont du Gard.

Doch irgendwann wollte ich doch nochmals andere Regionen von Frankreich bereisen und überzeugte meinen Liebsten davon, mit mir zusammen in die Normandie, zur Île de Ré und in der Bretagne unseren Urlaub zu verbringen.
Besonders die Bretagne, die ich ja bereits von den Reisen mit meiner Freundin kannte, hatte es uns beiden angetan. Und tatsächlich dachten wir dort zum ersten Mal ernsthaft daran ein Haus zu kaufen.
Doch schließlich siegte die Vernunft über unsere Schwärmerei. Die Bretagne war schlichtweg zu weit weg und zu schlecht zu erreichen, um ein Ferienhaus auch wirklich ausgiebig nutzen zu können.
Vor etwa zehn Jahren entdeckten wir dann das Bordelais und mieteten ein Ferienhaus in der Nähe vom schönen Dorf Saint-Émilion. Mit unseren Vermietern, einem Paar in unserem Alter, freundeten wir uns rasch an und verbrachten mit ihnen zusammen wunderschöne Abende.
Sei es beim Barbecue im Garten, bei einem Konzert in der base sous-marine in Bordeaux, bei der großen Silvesterparty mit Freunden von ihnen oder einfach nur bei einem spontanen apéro bei ihnen auf der Terrasse.

Wir fühlten uns dort zuhause und so wundert es nicht, dass bei uns der Wunsch nach einem eigenen Ferienhaus wieder erwachte.
Diesmal war es allerdings weniger die Entfernung, die uns schlussendlich von einem Kauf abhielt, sondern die Immobilienpreise sorgten für ein schmerzhaftes Erwachen aus dem schönen Traum.
Mit unserem Budget hätten wir in dieser Gegend nur eine Bauruine kaufen können. Und der Gedanke, jahrelang unsere Ferien auf einer Baustelle verbringen zu müssen, hielt uns schließlich davon ab, eine Immobilie zu erwerben.
Der Zufall wollte es, dass wir vor etwa vier Jahren an einem Wine & Dine-Abend bei uns in der Schweiz einen französischen Winzer aus Bergerac kennenlernen durften.
Seiner Einladung, ihn einmal auf seinem Weingut zu besuchen, folgten wir spontan anlässlich unserer nächsten Reise ins Bordelais.

Was wir dann erlebten war ein sprichwörtlicher coup de foudre. Wir waren sofort verliebt in die wunderschöne Landschaft des Périgord, ihre unglaublich gute Gastronomie und vor allem ihre gastfreundlichen Bewohner.
Es war also nicht verwunderlich, dass wir unsere nächsten Ferien im Périgord Noir in der Nähe von Sarlat-la-Canéda verbrachten, um die Umgebung noch besser kennenzulernen. Dort fassten wir bereits nach wenigen Tagen den Entschluss, verschiedene Makler zu kontaktieren und uns Häuser anzuschauen.
Seit 2017 sind wir nun stolze Besitzer eines Ferienhauses im schönen Périgord Noir. Diese wunderschöne Gegend im Tal der Dordogne und der Vézère mit den ausgedehnten Wäldern, den vielen Burgen und Schlössern, den Steinzeithöhlen mit den fantastischen Höhlenmalereien und nicht zuletzt seinen kulinarischen Erzeugnissen ist für uns mittlerweile wirklich zur Heimat geworden, und wir freuen uns auf jede Reise dorthin.
Die letzten drei Jahre waren sehr aufregend. Mit mit unseren Erlebnissen könnten wir mittlerweile Bücher füllen. Der ganze Prozess des Hauskaufs von den ersten Preisverhandlungen über den compromis de vente bis zur Schlüsselübergabe alleine wäre schon ein Kapitel wert.

Aber erst nach unserem Einzug wurde es dann richtig spannend.Wir lernten unsere Nachbarn kennen, die allesamt hier geboren und aufgewachsen sind.
Dank ihrer Hilfsbereitschaft und Unterstützung konnten wir schnell die ersten Sanierungs- und Umbauarbeiten in Angriff nehmen.
Sie waren es auch, die im Winter bei Minustemperaturen in unserem Haus die Heizung anstellten, damit die Wasserleitungen nicht einfroren oder im Frühjahr, wenn wir nicht da waren, unseren Rasen mähten, wenn die Natur explodierte und alles zu überwachsen drohte.
Mittlerweile sind sie zu guten Freunden geworden, mit denen wir uns regelmäßig treffen, um ein feines Glas Wein zu trinken und es uns kulinarisch gut gehen zu lassen. Sogar zur Hochzeit eines Sohnes sowie zur Taufe des ersten Enkels wurden wir eingeladen und sofort im Kreise der ganzen Familie aufgenommen.
Auch mit unserer Maklerin, die uns damals das Haus vermittelt hatte, und ihrem Lebenspartner verbindet uns mittlerweile eine schöne Freundschaft. Und so manch ein gemeinsam verbrachte weinseliger Abend hat mit Musik und Tanz bis in die frühen Morgenstunden gedauert.
Es gab natürlich auch Schockmomente in den letzten Jahren. Zum Beispiel, als unsere hauseigene Klärgrube, die fosse septique, überzulaufen drohte, weil sie jahrelang nicht mehr geleert worden ist und wir erst einmal auf allen Vieren den Garten absuchen mussten, um die Klärgrube zu finden.
Oder die Termiteninvasion in der Gartenlaube, die dazu führte, dass wir das komplette Laubendach erneuern mussten. Seitdem lagern wir unseren Holzvorrat für den Kamin weiter weg vom Haus. Oder das Reh, das über unseren Zaun springen wollte, aber stattdessen leider nur dagegen sprang und sich das Genick brach.
Die Diskussion über notwendige Maßnahmen, die wir deswegen mit unseren Nachbarn führten, reichte vom Ausnehmen des Kadavers mithilfe eines Youtube-Videos bis zur Kontaktaufnahme mit der mairie zur Entsorgung. Die mairie hatte schließlich gewonnen und den örtlichen Jagdverein beauftragt, das arme Reh abzuholen.

Kasimir, unser junger Kater, kommt natürlich immer mit uns, wenn wir nach Frankreich reisen. Wir haben ihn 2018 bekommen, als er gerade einmal 14 Wochen alt war. Schon fünf Wochen später reiste er zum ersten Mal mit ins Périgord. Er fühlt sich hier genauso zu Hause wie wir.
Oft werden wir gefragt, wie denn die Reise mit Kasimir verläuft, vor allem, da wir doch in der Regel mehr als acht Stunden unterwegs sind. Das funktioniert aber problemlos. Kasimir hat keine Probleme mit seiner Transportbox und verbringt die Reise in der Regel schlafend. Natürlich ohne irgendwelche Sedativa, wohlgemerkt.
Kaum kommen wir bei unserem Haus an, springt er sofort in den Garten, inspiziert alles und kommt dann rein, um zu fressen und sein Geschäft in seiner Katzentoilette zu erledigen.
Mittlerweile ist es eher ein Problem, ihn wieder einzufangen, wenn wir abreisen wollen. So kam es auch schon vor, dass wir ihn fünf Stunden lang suchten, ehe wir abfahren konnten…
Wir waren letzten Februar im Périgord, als die ersten beunruhigenden Coronanachrichten durch die Presse geisterten. Mitte März, kurz nach unserer Rückkehr in die Schweiz, erfolgte dann auch schon der Lockdown.
Unseren Plan, von April bis Mitte Juni zehn Wochen im Périgord zu verbringen, mussten wir aufgrund der geschlossenen Grenzen notgedrungen und schweren Herzens aufgeben.
Gott sei Dank kümmerten sich in dieser Zeit unsere Freunde und Nachbarn um unser Haus und den Garten im Périgord, so dass wir uns wenigstens diesbezüglich keine Sorgen machten mussten.
Kaum aber waren die Grenzen im Juni wieder geöffnet, gab es für uns kein Halten mehr, und wir reisten überglücklich in unsere Wahlheimat.
Auch jetzt aktuell sind wir wieder hier und setzen neue Projekte um. Das neue Bad ist gerade fertig geworden, der Pizza- und Brotbackofen in der Gartenlaube soll fertiggestellt und eingeweiht werden.
Für das neue Gartenlagerhäuschen muss eine Betonplatte gegossen werden, und, und, und. Aber für uns ist das keine Arbeit, sondern es macht großen Spaß.
Denn hier haben wir Zeit und Muse und vor allem keinen Terminstress, all diese Dinge in Angriff zu nehmen. Und zwischendrin liegen auch immer mal wieder Ausflüge, Wanderungen oder Velotouren drin.
Dass wir nach unserer Rückreise in die Schweiz höchstwahrscheinlich in Quarantäne müssen, da die Schweiz die ganze Region als Risikogebiet taxiert hat, hat uns nicht von dieser Reise abgehalten.
So hoffen wir auch, dass die Grenzen weiterhin offen bleiben und wir dann spätestens an Weihnachten wieder in unser geliebtes Périgord reisen können.
Der Beitrag von Kerstin Gorges ist ein Gastartikel in einer kleinen Reihe, in der alle, die dazu Lust haben, ihre Verbundenheit zu Frankreich ausdrücken können. Ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Frankreich, Erlebnisse, Gedanken. Ihr wollt mitmachen? Dann denkt bitte daran:
• Keine PDFs.
• Text: per Mail in Word, Open Office oder per Mail. Denkt daran, euch mit ein, zwei Sätzen persönlich vorzustellen.
• Fotos: Bitte schickt nur eigene Bilder und jene möglichst im Querformat und immer in Originalgröße. Sendet sie gebündelt mit www.WeTransfer.com (kostenlos & top!) – oder EINZELN ! – per Mail. Bitte denkt an ein Foto von euch – als Beitragsbild muss dies ein Querformat sein.
• Ganz wichtig: Euer Beitrag darf noch nicht woanders im Netz stehen. Double content straft Google rigoros ab. Danke für euer Verständnis.
Vor der Veröffentlichung erhaltet ihr euren Beitrag zur Voransicht für etwaige Korrekturen oder Ergänzungen. Erst, wenn ihr zufrieden seid, plane ich ihn für eine Veröffentlichung ein. Merci !
Ich freue mich auf eure Beiträge! Alle bisherigen Artikel dieser Reihe findet ihr hier.
