Mein Frankreich: Renate Dietzel
„Mein Frankreich“ ist nicht nur Titel meines Blogs, sondern auch Programm: Ich möchte möglichst viele von euch animieren, euer Frankreich vorzustellen. Mein Frankreich – was bedeutet das für euch? Diesmal stellt Renate Dietzel ihr Frankreich vor.
Mein Frankreich … ist nicht das einer bestimmten Region, einer Stadt oder eines Ortes. Es ist das Frankreich der Franzosen. Das Frankreich der kleinen Leute, der Individualisten, der „professionellen Meckerer“, der Pseudo-Rebellen, der Patrioten und der débrouille. Letzteres wird auch démerde genannt und ist ein (ungefähres) Universalwort für „zurechtkommen“.
Als ich 1966 das erste Mal nach Frankreich kam, war ich 13 Jahre alt. Unsere Schulklasse kam in einem Reisebus in unsere Partnerstadt Conflans-Sainte-Honorine, ungefähr 25 km westlich von Paris und wurde dort im Rathaus vom Bürgermeister persönlich und sehr herzlich mit Handschlag begrüßt. Danach wurden wir Kinder unseren Gastfamilien zugeteilt.
Zum nächsten Tag, ein Sonntag, hatte Madame Mazet die gesamte Familie zum Essen eingeladen – für mich, Einzelkind, ein ungewohntes Ereignis mit mindestens fünfzehn Teilnehmern! Sich vor dem Essen bei einem Apéritif zu einem Schwätzchen zu versammeln, war für mich unbekannt. Danach fuhr die Hausherrin ein 4-Gänge Menü auf, welches mit Gurken in Vinaigrette Sauce und Artischocken begann.
Ich fand das befremdlich, nahm aber von den Gurkenscheiben und dem frischen Baguette-Brot. Danach bekam jeder eine Scheibe Roastbeef mit einem Löffel Bratenfond. Ich wartete brav auf die Beilagen und war erstaunt, dass alle schon anfingen, zu essen. Mir wurde erklärt, dass es keineswegs unhöflich sei, schon mit dem Essen anzufangen, denn es sollte dem Gast die Möglichkeit geboten werden, die Qualität des dargebotenen Fleischs zu erkennen und zu genießen.
Erst nachdem alle dies getan hatten, servierte die Hausherrin das dazugehörige gemischte Gemüse. Während des Essens wurde dauernd geredet, diskutiert und verhandelt – ein Unding für mich, denn bei uns hieß es immer: am Tisch bleiben alle still. Aber hier – alle redeten durcheinander, es war ein ungewohntes Leben und Treiben um mich herum.
Als endlich jeder behauptete, er habe genug gegessen, kam Mme Mazet mit einer großen Käseplatte und einem grünen Salat dazu – und alle wählten noch mindestens drei Stückchen Käse aus und häuften sich grüne Blätter dazu auf den Teller. Die Kinder, die keinen Käse mochten, verschwanden lärmend im Garten und wurden zum Nachtisch – eine Île Flottante – wieder hereingerufen. Damals dachte ich, ich bin in einem Film, das ist alles nicht möglich.
Um 11 Uhr hatte das alles angefangen und mittlerweile war es 15 Uhr, obwohl wir zu dieser Zeit eigentlich in der Schul-Aula hätten sein sollen, zwecks Empfangs der Austauschschüler durch alle Lehrer und Eltern. Das beunruhigte niemanden. Mme Mazet sagte mir: „Das ist Frankreich, niemand kommt gern als Erster an….“
Und wirklich – als wir kurz vor 16 Uhr die alte Schule erreichten, standen viele Leute noch vor der Aula, Kinder rannten durch den Schulhof, und nach uns kamen noch andere Eltern „zu spät“. Niemand schien das zu stören, erst als alle angekommen waren, begann der Rektor mit seiner Rede.
Das waren meine ersten Impressionen in diesem Land, so unterschiedlich von dem, was ich kannte. Während dieses ersten Aufenthalts zeigte man uns Paris, Versailles und La Défense, das heutige Geschäftsviertel. Wir durften allein durch die Kaufhäuser streunen, allein mit der Métro und allein mit dem Zug zurück nach Hause fahren.
Wir lernten, immer höflich „Bonjour, Madame“ oder „Merci, Monsieur“ zu sagen. Wir lernten, mit dem Brot sparsam umzugehen, um nicht davon gleich satt zu werden. Und wir lernten, dass man zum Ende der Mahlzeit mit einem Stück Baguette den Teller auswischt.
Im Jahr darauf kam ich, um mit dem Schwimmverein meiner Partnerstadt gegen die Nachbarstadt Pontoise anzutreten, die ihr neues Schwimmbad einweihte. Ich zog mit den Brüdern meiner Korrespondentin um die Häuser und lernte meine ersten Schimpfwörter, les gros mots. Ich hatte keine Verständigungsschwierigkeiten mehr und durfte mich frei bewegen.
Dann kam 1968. Die Unruhen unter den Studenten in Paris waren der Anlass, dass der Schüleraustausch auf Eis gelegt wurde, im selben Jahr wechselte ich auf’s Gymnasium in einer anderen Stadt. Gleich im Frühjahr war eine Fahrt in deren Partnerstadt Neuilly geplant, eine noble Vorstadt westlich von Paris. Ich war natürlich dabei, und es wurde mein schönster Paris-Aufenthalt.
Weil ich schon „Frankreich-erfahren“ war, wurde ich keiner Familie mit einer Korrespondentin zugeteilt, sondern bei Marie-Noëlle, Studentin, 19 Jahre, in der riesigen Wohnung in einem schicken Altbau im Haussmann-Stil untergebracht. Sie holte mich ab und erklärte mir auf dem Weg, dass ihre Mutter vor zwei Jahren gestorben und ihr Vater als Uni-Professor in Rennes/Bretagne beschäftigt sei – es sei also selten eine „elterliche Autorität“ anwesend.
Der Schlüssel zur Wohnungstür befand sich unter der Fußmatte, und musste immer dorthin zurückgelegt werden, weil noch ein paar Kommilitonen auch dort wohnten. Eigentlich war es ein ständiges Kommen und Gehen. Die Wohnung war, für meine Begriffe, riesengroß, mindestens 10 Zimmer mit 15 m Flur… Ab diesem Moment war ich praktisch „vogelfrei“. Ich brauchte noch nicht mal die Bescheinigung meiner Eltern mit deren Einverständnis, abends nach 22 Uhr ausgehen zu dürfen.
Eines Abends holten uns zwei Freundinnen mit einem Fiat 500 ab, sie wollten ins Kino im Quartier Latin, dem Pariser Studentenviertel… nur leider verpassten wir die 18-Uhr-Vorstellung. Also quer durch die Stadt und rauf auf den Montmartre. Dort ließen wir uns in einem kleinen Bistro nieder.
Am Nachbartisch saß eine Gruppe diskutierender Männer, die Witze erzählten. Natürlich haben wir mitgelacht, dann mitgetrunken, zum Schluss ziemlich gewagte Lieder mitgesungen und dadurch die nächste Film-Vorstellung auch noch verpasst. Schließlich, endlich und sehr belustigt kurvten wir dann vom Montmartre wieder hinunter ins Studentenviertel. Mangels Parkplatz in der Nähe mussten wir das kleine Auto ein paar Straßen weiter stehen lassen.
Als wir um ein Uhr nachts aus dem Kino kamen, war für Mädels unter 21 eigentlich Sperrstunde. Da es damals von Zeit zu Zeit doch noch zu einigen Unruhen kam, machte die Polizei noch häufige Runden – prompt wurden wir auf dem Weg zu unserem Gefährt aufgegriffen und mussten in den „Hühnerkäfig“ ( poulailler , wie man die Polizeiwagen nannte) einsteigen. Marie-Noëlle zischte mir noch zu: „Sag Du bloß keinen Ton, hörst Du. Du verstehst kein Wort!“
Ich hielt mich dran und amüsierte mich köstlich, wie die drei Studentinnen den flics erklärten, dass ich aus Deutschland käme, kein Wort Französisch verstünde und sie mich unbedingt zu meinen Eltern wieder heimbringen müssten, sonst gäbe es Ärger mit der Botschaft. Ich weiß nicht, ob die zwei Polizisten ihr glaubten, aber sie geleiteten uns noch bis zum kleinen Fiat 500 und warteten, bis wir wirklich abfuhren.
An diesen denkwürdigen, wunderschönen Abend in Paris erinnere ich mich immer wieder gerne. Wir Mädchen konnten um die Häuser ziehen und mussten keine Angst haben. Die Menschen waren fröhlich und alle hatten Spaß, ohne Vorurteile.
Nach diesem Aufenthalt trat Frankreich ein bisschen in den Hintergrund, bis 1977. Mit einer Gruppe Freunden in den französischen Alpen, lernte ich auf der Skipiste meinen späteren Mann kennen.
Wir schrieben uns eine Zeit lang und im Februar 1979 holte er mich in sein Land, das ich so liebte. Damals wurde ich gleich auf den aktuellen Stand der französischen Lebensart gebracht – mit einem Augenzwinkern meinte mein Zukünftiger: „Hier ist Frankreich – und Regeln sind dazu da, umgangen zu werden…“
Wir zogen in ein großes Mietshaus im wohlhabenden Saint-Germain-en-Laye westlich von Paris. Es kam einem HLM („Habitation à loyer modéré“ – Behausung mit geminderter Miete) gleich. Diese Wohnungen wurden aber den Angestellten zugewiesen, deren Firmen in eine Art Förderungsfond einzahlten, der 1 % Patronal genannt wird.
Unsere Nachbarn kamen aus allen Bevölkerungsschichten, und ziemlich schnell freundeten wir uns mit Heinz, einem Deutschen und seiner französischen Frau Claudette an.
Claudette erzählte uns von ihrer ersten Erfahrung mit Deutschland: „Dort wird abends gepicknickt und nachts schläft man mit den Füßen nach draußen.“ Sie, die „Bio“-Französin aus der schönen Stadt Angers, fand es kurios, abends nur eine kalte Brotzeit zu essen und im Bett nur eine locker aufliegende Daunendecke zu haben, anstelle eines großen Lakens, das in französischen Betten rundherum unter die Matratze gestopft wird.
Die Sonntage verbrachten wir oft mit Françoise und Jean-Pierre. Er, aus dem Südwesten, höherer Beamter bei der Post, sie, aus der Normandie, Mutter von drei Kindern, immer zu einem Scherz aufgelegt… An einem feuchten Nachmittag nach drei Regentagen fanden wir bei einem Spaziergang am Seine-Ufer hunderte von grauen Schnecken, “ petit gris “ – eine Delikatesse!
Françoise kehrte am selben Abend mit einem Eimer an die Stelle zurück und sammelte auf, was sie erwischen konnte. Lebende Schnecken müssen zwei bis drei Tage ohne Futter bleiben, bevor sie gekocht werden, damit ihr Darm leer ist, wenn sie verzehrt werden. Unsere Françoise deckte ihren Eimer mit einem Tuch zu, legte ein großes Gummiband darum und stellte den Eimer in den Keller.
Sie hatte aber nicht mit der Kraft einer entschlossenen Schnecke gerechnet, die der festen Überzeugung ist, dass sich ihr Leben eher außerhalb eines Eimers abspielen sollte. Am Sonntag darauf gab es bei Françoise “ petit gris“ als Vorspeise und dazu die herrliche, mit großen Gesten untermalte Geschichte, wie sie zwei Tage vorher im Keller sämtliche Schnecken von den Wänden und der Decke klauben musste.
Viele Wochenenden verbrachten wir an der nordfranzösischen Kanalküste, bei den Eltern meines Mannes. Mein Schwiegervater war dort Jagdaufseher in einem weitläufigen Privatgelände, wo er seinen großen Gemüsegarten und seine Hühner pflegte. An einem Samstag im Juni war immer „Hähnchentag“, d.h. es wurden die jungen, ungefähr sieben Monate alten Hühnchen geschlachtet und „am Fließband“ verarbeitet. Alle halfen dabei.
Im Garten tauchte meine Schwiegermutter die toten Tiere in einen enormen Topf mit kochendem Wasser und konnte so die Federn mühelos abstreifen. Die Kinder trugen dann die nackten Hühnchen eins nach dem andern in die Küche. Dort wurden sie von meiner Schwägerin über einem Feuer des Gasherdes „abgeflammt“, um die kleinen zarten Härchen zu entfernen. Danach wurden sie von mir mit einem sauberen Tuch abgerieben.
Waren sie alle so vorbereitet und abgekühlt, nahm sie meine Schwiegermutter aus. Herzen und Leber wurden später zu Terrinen verarbeitet, die Eingeweide bekamen die Jagdhunde, und meine Schwägerin und ich je fünf Hähnchen zum mit-nach-Hause-nehmen und einfrieren. Dieser Schwiegermama verdanke ich die besten Tipps und Tricks für Küche und Kochen.
Unsern geliebten Skiurlaub in La Plagne nahmen wir uns jedes Jahr, und an jedem letzten Abend gingen wir zu zweit ein Käsefondue essen. Der Restaurantbesitzer kannte uns seit einigen Jahren. Am Ende eines dieser Abende, es war ungewöhnlich ruhig im Lokal, kam er zu einem Schwätzchen an unseren Tisch.
Wir erzählten uns gegenseitig ein bisschen von unseren Leben, und schließlich meinte der Chef: „Weil ihr bei mir ja schon fast Stammgäste seid, zeig ich Euch heute mal, wie man ein Fondue RICHTIG isst!“ Er verschwand drei Minuten in der Küche und kehrte mit einer Flasche Schnaps und geschälten Knoblauchzehen zurück.
Er behauptete, dass die Ureinwohner von Savoyen ihr Fondue immer so gegessen hätten: Zuerst das Brotstückchen mit Knoblauch abreiben, dann in den Schnaps und dann erst in den flüssigen Käse tauchen. Dabei ist es natürlich unwesentlich, dass die Käsemasse im Tiegel schon mit Weißwein zubereitet wurde und auch ein Gläschen Schnaps enthält…. An diesem Abend gestaltete sich unser Heimweg in die Ferienwohnung, obwohl unterirdisch durch einen Gang, etwas schwierig für uns.
Irgendwann lernte ich meine spätere beste Freundin kennen. Unsere Töchter gingen in dieselbe Klasse in der Grundschule. Christine war Bretonin mit Leib und Seele. Sie war eine quirlige, leidenschaftliche Person, überschwänglich und direkt. Ich höre sie heute noch mit Nachdruck sagen: „…Hah, les Bretons – ATTENTION! Mais alors, ATTENTION !“.
Wenn ich sie in der Bretagne besuchte, musste ich mir alle Geschäfte ansehen, in denen sie gewöhnlich einkaufen ging. Die kleine Metzgerei in Ferel, wo es die gute Leberpastete gab, die Bäckerei in Nivillac, die das schmackhafteste Brot backte, der Verkaufsraum des lokalen Fischers und Miesmuschelzüchters am Hafen von Tréhiguier, die kleine Crêperie in Le Pouliguen, die so tolle crêpes servierten. Und das „Mini-Ramschgeschäft“ in La Baule, wo wir immer irgendetwas Unnützes mit hinausnahmen.
Und natürlich musste ich auch zum Dorffest in Ménéac, wo sie geboren war, kommen und Crêpe-Saucisse (crêpe mit einer darin eingewickelten Bratwurst) essen. Überall stellte sie mich ihren Bekannten vor als „meine deutsche Freundin, auf die ich so stolz bin, dass sie meine Freundin ist“.
Zu dieser Zeit wohnten wir im Zentrum, in einem Dorf oberhalb von Saint-Étienne, westlich von Lyon. Hier, auf 1100 m Höhe im Pilat-Gebirge, in einem Hochtal mit wunderschönen Wäldern, war die Welt noch in Ordnung. Unser Haus war ein ehemaliges Weberhaus, wie sie zum Anfang des Jahrhunderts durch die Seidenindustrie überall in der Gegend von Lyon zu finden waren.
Auf einer Seite befand sich der Wohnbereich, wo der Weber und seine Familie wohnten, auf der anderen Seite stand der Webstuhl, der zwei Etagen hoch war. Die ganze Familie musste damals bei der Arbeit mithelfen. Auf der Höhe der zweiten Etage gab es eine Galerie, um das Werkzeug von oben bis unten warten zu können.
Früher schliefen die Weberkinder oben auf dieser Galerie, weil es dort warm war. In unserem Haus gab es natürlich den Webstuhl nicht mehr, denn eine Zimmerdecke wurde eingezogen um eine zweite Etage zu schaffen. Aber der wunderschöne Fußboden aus Birnbaumholz war erhalten worden und ich hatte große Freude daran.
Eine kurze Zeitlang wohnten wir bei Bordeaux in einem winzigen Dorf mitten in den Weingärten. Naujan-et-Postiac ist so klein, dass es dort noch nicht mal ein Bistro gibt. Meine Tochter kam dort in die Schule, wo drei verschiedene Klassen in einem Raum unterrichtet wurden. Es gab einfach nicht genug Kinder, um drei separate Klassen zu bilden.
Wir und noch eine andere Familie wurden dort als „die Pariser“ bekannt, weil wir „aus der Hauptstadt zugereist“ waren. Trotzdem kam ich ein bisschen mit den Menschen dort ins Gespräch und erfuhr, dass die Einwohner der Stadt Bordeaux selbst gar nicht so beliebt waren. Sie wurden die „Hochnäsigen“ genannt und ich erfuhr, dass „die immer noch höher als ihr eigener Arsch furzen“ wollten. Wir fanden das lustig, aber es war ohne Witz ernst gemeint.
Während zwei Monaten fand ich Beschäftigung auf dem Weingut Château Cantenac bei Frau Roskam. Sie war damals die einzige Frau unter den Winzern von Saint-Émilion, resolut und mit modernen Ansichten. Bei ihr konnte ich viel Interessantes über den Wein und die Kelterei lernen.
Nach dieser Zeit verschlug es mich in die Provence. Es ist das Licht, was dieses Land so unvergleichlich macht und ihm diese kräftigen Farben verleiht – kein Wunder, dass hier so viele Maler so viele wunderschöne Werke geschaffen haben. Die Farben der Provence sind gelb wie die Sonne, grün wie die Oliven und tiefblau wie der Himmel.
Die Menschen dort sind anders, vielleicht weil das Wetter es so gut mit ihnen meint, vielleicht weil sie ihre Traditionen nicht aufgeben. Ihre Lebenseinstellung ist leichter, unbeschwerter, auch heute noch. In Nizza lebt mein bester Freund Serge. Er leidet unter einer Erbkrankheit und ist Teil eines Forschungsprogramms.
Es könnte passieren, dass dieses Programm keine Förderungsgelder mehr erhält und für ihn dann die Medikamentenquelle versiegt. Trotzdem genießt er sein Leben als pensionierter Musiker und freut sich über meine Besuche. In Gassin treffe ich jedes Jahr meine Pfälzer Freunde, die dort für ihren Urlaub ein Häuschen mieten.
In Sainte-Maxime lernte ich meine englische Freundin Vanessa kennen, die ganzjährig in der Anlage wohnt, wo ich die winzige Ferienwohnung mit Meerblick von Gérard miete.
Er ist „professioneller“ Boule-Spieler und man trifft ihn auf allen Wettbewerben an der Côte d’Azur. In Saint-Antonin kaufe ich Lavendelhonig bei Kornelia und ihrem Mann, dem Imker, und in Le Flayosquet hole ich mir gern mal einen Liter „authentisches“ (= geschöpftes) Olivenöl aus der mittelalterlichen Ölmühle, die dort zwei junge Leute wieder in Betrieb genommen haben.
Ich liebe die Dörfer mit den von riesigen Platanen beschatteten Plätzen, wo man sich auf eine Bank setzen kann und mit den anderen Rentnern ins Gespräch kommt. Und eigentlich würde ich gerne in dem Dorf wohnen, das Allemagne-en-Provence heißt. Immer wieder kehre ich in diese Gegend zurück, besuche Freunde und Bekannte.
Meine letzte, vielleicht vorletzte Station ist das Elsass. Diesem eigenwilligen Landstrich verdanke ich es, mit 57 Jahren noch einige Male feste Arbeit gefunden zu haben. Am Anfang sagte mir ein Vorgesetzter: „Wir sind hier im Elsass, hier gibt es Regeln und die müssen respektiert werden.“
Ja, das ist der deutsche Einfluss und gleichzeitig der große Unterschied zu dem, was die Elsässer „das innere Frankreich“ nennen.
Denn Elsässer sehen sich nicht als Franzosen. Sie sind Elsässer, und das Elsass ist „das schönste Land der Welt“. Obwohl ich damit nicht so gut zurechtkomme, muss ich sie doch für ihr Traditionsbewusstsein bewundern. Ich hatte immer den Eindruck, als sei es hier stärker als anderswo in Frankreich, so ähnlich wie in der Bretagne.
Die Alteingesessenen sind Familienmenschen. Sie unternehmen viel innerhalb der Familie, sie hängen immer zusammen und besuchen sich andauernd gegenseitig. Auf dem Wochenmarkt wird Elsässisch gesprochen. “ Unseri Sproch „, wie sie es nennen, ist ein alemannischer Dialekt und für Deutschsprachige fast verständlich. Als wir hierher kamen, stellte meine Tochter fest: „Eigentlich ist es nur schlecht gesprochenes Deutsch.“
Mit Erzählungen dieser Art könnte ich noch seitenweise fortfahren. Geschichten aus Zentralfrankreich, dem Pilat-Gebirge bei Saint-Étienne, mit dem unglaublichen Pilzbestand. Aus dem Département der Ardèche, damals bei deutschen Hippies sehr beliebt. Aus der Normandie, wo heute noch Reste an die Landung der Amerikaner im 2.Weltkrieg erinnern. Aus der Gegend von Grenoble, wo es die beste Walnuss-Tarte zu kaufen gibt.
Schöne und weniger schöne Augenblicke, lustige und weniger lustige Ereignisse. Mein Pass wurde vom Konsulat in Straßburg ausgestellt, aber mein Herz spricht Französisch.
Der Beitrag von Renate Dietzel ist ein Gastartikel in einer kleinen Reihe, in der alle, die dazu Lust haben, ihre Verbundenheit zu Frankreich ausdrücken können. Ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Frankreich, Erlebnisse, Gedanken. Ihr wollt mitmachen? Dann denkt bitte daran:
• Keine PDFs.
• Text: per Mail in Word, Open Office oder per Mail. Denkt daran, euch mit ein, zwei Sätzen persönlich vorzustellen.
• Fotos: Bitte schickt nur eigene Bilder und jene möglichst im Querformat und immer in Originalgröße. Sendet sie gebündelt mit www.WeTransfer.com (kostenlos & top!) – oder EINZELN ! – per Mail. Bitte denkt an ein Foto von euch – als Beitragsbild muss dies ein Querformat sein.
• Ganz wichtig: Euer Beitrag darf noch nicht woanders im Netz stehen. Double content straft Google rigoros ab. Danke für euer Verständnis.
Vor der Veröffentlichung erhaltet ihr euren Beitrag zur Voransicht für etwaige Korrekturen oder Ergänzungen. Erst, wenn ihr zufrieden seid, plane ich ihn für eine Veröffentlichung ein. Merci !
Ich freue mich auf eure Beiträge! Alle bisherigen Artikel dieser Reihe findet ihr hier.
Mit Liebe zu Frankreich geschrieben! Super!
Vieles habe ich ähnlich empfunden. Ich lebe seit 55 Jahren in Frankreich, immer
am gleichen Ort. Durch unseren jährlichen Urlaub habe ich viele Regionen kennen gelernt. Die Bretagne ist ein leichter Favorit.
Auch in den meisten Skigebiete der französischen Alpen waren wir.
Ich fühle mich sehr wohl hier und habe ganz tolle Nachbarn.
Ach wie schön, ein weiterer Artikel der zum Träumen anregt. Ja, die Bretonen … ein Zitat aus einem Film mit Commisaire Duval sagt alles, da wird er nämlich begrüßt mit “ Aus Paris? Aha, ein Franzose also …“. Das fasziniert mich so an der Bretagne, diese Ursprünglichkeit und dieses auf Tradition und eine sehr eigenständige Prägung und Kultur gegründete Selbstbewusstsein.
Merci bien für einige schöne französische Momente im aktuell viel zu deutschen Alltag
Sylvie
Ein wunderbarer Beitrag, diese Dame beschreibt ein Frankreich voller Liebe und Dankbarkeit, und dies ohne dir Regierung zu kritisieren! Im Übrigen sieht sie auch noch sehr Hübsch aus.
es sollte „ohne die Regierung…….“ und „auch noch sehr hübsch……..“ lauten
Frau Dietzel, hat einen excellenten Beitrag geschrieben, war sehr spannend zu lesen, da kann man die Dame nun wirlich besser kennenlernen! Hoffentlich schreibt sie noch mehr solche schönen Geschichten. Natürlich ist der Blog ein sehr gute und hilfreiche Einrichtung. Besten dank auch an Hilke.
So long
Horatio
es sollte „der Blog eine sehr gute….“ und Besten Dank…….“ lauten
Sehr interessanter Artikel , der uns auf amüsante Weise quer durch Frankreich führt, und dies aus dem Blickwinkel einer Insiderin. Ich habe mich beim Lesen des Textes an eine Kollegin unserer früheren Partnerschule in Cahors erinnert. Diese war mit einem Angestellten in höherer Position verheiratet und musste deshalb nach jeder Beförderung umziehen und sich damit auch eine neue Stelle als Lehrerin suchen, was nicht immer einfach war. Auch sie hat auf diese Weise ganz Frankreich und die unterschiedliche regionale Mentalität kennengelernt.