Die Église Saint-Louis von Rochefort. Foto: Hilke Maunder

Rochefort: die Rivalin von La Rochelle

Rochefort: Sie war die ewige Rivalin von La Rochelle, dem großen Handelshafen der Hugenotten am Atlantik. Im Jahr 1665 war Rochefort, 40 Kilometer südlich, noch ein sehr kleines Dorf in den Sümpfen in der Nähe eines Waldes gewesen, und die Flotte von Ludwig XIV. noch unbedeutend. Doch der Sonnenkönig wollte nicht nur das Hexagon, sondern die Welt erobern. Dazu brauchte er einen Ort am Atlantik, an dem Kriegsschiffe gebaut und ausgerüstet werden konnten.

Acht Kilometer vor der Mündung der Charente, die unzählige Forts und Festungen schützten, wurde sein Finanz- und Kriegsminister Colbert (1619 – 1683) fündig und ließ im Jahr 1666 die Stadt als Marinestützpunkt für die Flotte des Sonnenkönigs anlegen. Ihre vieille forme von 1669 ist das älteste Trockendock der Welt. Seine Errichtung war im 17. Jahrhundert eine wahre technische Sensation. Die Idee, ein Schiff aus dem Wasser zu heben und so an allen Seiten bearbeiten zu können, war revolutionär. Bis dahin wurden Schiffe meist am Strand oder auf einer Slipanlage gebaut.

Die einst größte Werft der Welt

Mehr als 500 Schiffe liefen dort vom Stapel, darunter allein 300 Segler. Kriegsschiffe aller Größenordnungen wurden dort gebaut, von kleinen Fregatten bis hin zu mächtigen Linienschiffen, aber auch zivile Schiffe wie Handelsschiffe und Forschungsschiffe. Alle auf der Werft gebauten Schiffe zeigt das Musée de la Marine im Modell.

Das riesige Arsenal von Rochefort, das sich über 2,5 Kilometer lang an der Charente erstreckte, war ein hochmoderner Komplex, der aus zahlreichen Gebäuden, Werften, Lagerhäusern, Geschäften, Häfen und Schleusen bestand. Allein der Magasin aux Vivres (Lebensmittellager) hatte eine Fläche von 20.000 Quadratmetern. Auf 374 Meter brachte es die königliche Seilerei. 260 Jahre lang, von 1666 bis 1926, wurden im Arsenal von Rochefort Kriegsschiffe gebaut, repariert und ausgerüstet.

Die Fregatte Hermione

1779 lief nach nur elf Monaten Bauzeit ein schnelles, wendiges Schiff vom Stapel, das der Marquis de La Fayette nach Boston segelte, um die Amerikaner in ihrem Unabhängigkeitskampf zu unterstützen: L’Hermione. Wie diese „Fregatte der Freiheit“ einst ausgesehen hat, zeigt heute eine originalgetreue Replik. 17 Jahre lang – von 1997 bis 2014 – wurde sie mit traditionellen Techniken und Materialien nachgebaut.

Das Arsenal von Rochefort, gegründet 1666 auf Anordnung von Ludwig XIV., war einst das Herzstück der französischen Marine und ein Symbol für Macht und Prestige. Seine strategisch günstige Lage an der Charente bot Schutz, gute Verbindungen zum Atlantik und ermöglichte die Selbstversorgung. Colbert bezeichnete es als „das schönste und größte Arsenal des Ponant“, der Westküste.

Der Feuergürtel von Rochefort

Ludwigs Festungsbauer Vauban und seine Nachfolger erweiterten die Verteidigungslinie um weitere Forts und schufen so den Feuergürtel von Rochefort, die berühmte ceinture de feu.

Die Festungswerke um Rochefort bildeten einst eine unüberwindliche Barriere. Das Fort der Île Madame sicherte die Reede der gleichnamigen Insel ab. Die Forts de la Rade und Liédot bildeten gemeinsam eine Verteidigungslinie um die Insel Aix.

Das Fort Vauban kontrollierte strategisch die Flussmündung zwischen Fouras-les-Bains und Port-des-Barques. Als Wächter zwischen Fouras-les-Bains und der Insel Aix fungierte das Fort Enet. Fort Lupin schließlich schützte die lebenswichtigen königlichen Brunnen und die Werftanlagen

Die Festungen waren mit der modernsten Artillerie ihrer Zeit ausgestattet und durch ein ausgeklügeltes System von Signalen miteinander verbunden. Die Besatzungen, oft Rekruten aus der Region, lebten unter spartanischen Bedingungen in den Kasematten. Im Falle eines Angriffs hätten sie die Aufgabe gehabt, die feindlichen Schiffe abzuwehren und die Stadt zu schützen. Heute sind viele dieser Forts als historische Stätten geöffnet und bieten faszinierende Einblicke in die militärische Vergangenheit der Charente-Mündung.

In seiner Blütezeit beschäftigte das Arsenal von Rochefort Tausende von Arbeitern und war die wichtigste Säule der Wirtschaft. Die Schifffahrtskrise hatte verheerende Auswirkungen auf Rochefort und seine Einwohner. Die Arbeitslosigkeit stieg dramatisch an, viele Familien verloren ihre Existenzgrundlage. Die Stadt musste sich neu orientieren und neue Wirtschaftszweige entwickeln. Dazu gehörte der Tourismus – und die Inszenierung der Marine, ihrer Bauten und ihrer Geschichte als spannende Zeitreise für Besucher von heute.

Zum Publikumsmagneten wurde besonders die Fregatte L’Hermione, deren Rekonstruktion medial intensiv begleitet wurde. An die große maritime Vergangenheit erinnert die Corderie Royale, die königliche Seilerei aus dem Jahr 1670. Das Musée d’Art et d’Histoire im Hôtel Hèbre de Saint-Clément zeigt Völkerkundliches und Karten der alten Welt.

Am 14. Januar 1850 wurde Pierre Loti in Rochefort geboren, wo der Vater des berühmten Schriftstellers als Schiffsarzt arbeitete. Rochefort und das Meer haben Loti tief geprägt und sind immer wieder in seinen Werken aufgetaucht. Die Stadt und ihre Umgebung dienten ihm als Inspiration für seine Romane, in denen er oft seine eigenen Erlebnisse und Gefühle verarbeitet hat. Sein Geburtshaus in der Rue Pierre Loti, die heute nach ihm benannt ist, war für ihn zeitlebens ein Ort, an den er sich zurückgezogen hat.

Heute erinnert dort ein Museum an das Leben und Werke jenes Autors, der mit Le mariage de Loti* die Vorstellung von Tahiti in Europa maßgeblich prägte und zur Popularisierung der Südsee beitrug. Weitere bekannte Werke sind die Pêcheurs d’Islande* über das Leben der Islandfischer in der Bretagne und der Roman Madame Chrysanthème*, der in Japan spielt und sich mit der Begegnung eines westlichen Mannes mit der japanischen Kultur beschäftigt.

Das Musée des Commerces d’Autrefois lässt das Einkaufen zu Uromas Zeiten wieder lebendig werden und verzaubert mit dem nostalgischen Charme kleiner Geschäfte des frühen 20. Jahrhunderts.

Welch ein Kontrast zu der akkurat angelegten Planstadt Rochefort, die sich streng geometrisch im Reißbrettmuster präsentiert, geprägt von der Strenge klassizistischer Architektur. Ein Paradebeispiel ist die Place Colbert im Stadtzentrum mit ihren Cafés. Die Compagnie du PO Paris – Orléans brachte 1957 die Bahn in die Stadt, und Rochefort schenkte sich einen Prunkbau im Art déco. Ein verkehrstechnisches Unikum gibt es nur wenige Kilometer außerhalb von La Rochelle zu bestaunen: den Pont Transbordeur von Rochefort

Schauen und schweben

Sechs dieser ungewöhnlichen Passagen hatte Ferdinand Arnodin (1845–1924) einst erbaut: in Rouen (1899), Rochefort (1900), Nantes (1903), Marseille (1905), Brest (1909) und Bordeaux (1910). Doch nur eine von ihnen ist heute noch erhalten. Einzigartig wie seine Architektur ist auch die Brückenpassage.

Fahrzeuge oder Fußgänger gehen oder fahren nicht, sondern werden schwebend über den Fluss getragen. Von früh bis spät pendelt die 14,60 Meter lange und 11,60 Meter breite Gondel mit ihren großen Panoramafenstern alle 10 bis 15 Minuten zwischen Rochefort und Échillais hin und her. Ein Handzeichen genügt – schon schwebt sie heran. 4,5 Minuten dauert diese nostalgische Passage über die Charente, und jede Sekunde ist ein zauberhafter Moment. Und das seit mehr als 100 Jahren.

Noch im 19. Jahrhundert war die Fähre die einzige Möglichkeit, die Charente zu überqueren. Bei Ebbe, starker Strömung oder ungünstigen Wetterbedingungen blieb die Fähre im Hafen – ein Unding angesichts des wachsenden Verkehrs, befand das Département und suchte nach einer Brücke, die die Seeschifffahrt, und besonders die Schiffe des Arsenals von Rochefort, nicht behinderte.

1897 wurde ein Entwurf von Ferdinand Arnodin ausgewählt. Im März 1898 begannen die Bauarbeiten. 27 Monate später wurden sie abgeschlossen. Am 29. Juli 1900 folgte die feierliche Einweihung. Bis 1967 transportierte der Pont Transbordeur bei jeder Fahrt neun Autos und 50 Fußgänger in seiner Kabine.

Heute dürfen nur Fußgänger und Radfahrer hinein. Und sind dann mitten im Filmset eines Kinoklassikers. Im Sommer 1966 hatte die Fähre als Kulisse für die Eröffnungsszene von Jacques Demys Film „Les Demoiselles de Rochefort* gedient. Passend zum Film wollte Demys dazu die Stahlbrücke ganz und gar in Rosa anstreichen lassen. Doch Rochefort lehnte ab. Neun Tonnen Farbe für eine einzige Einstellung, das war dann doch zu teuer.

Die schwebende Brückenreise indes ist bis heute ein äußerst günstiges Vergnügen. Direkt neben der Brücke präsentiert die Maison du Transbordeur Hintergrund, Infos und Anekdoten zum Bau.
• Pont Transbordeur: Avenue Jacques Demy, 17000 Rochefort, Tel. 05 46 83 30 86; Maison du Transbordeur: Rue de Martrou, 17620 Echillais, Tel. 05 16 84 37 28; Bus B, F, Haltestelle Centre Commercial, dann 15 Minuten Fußweg

Rochefort: meine Reisetipps

Schlemmen und genießen

Die Märkte von Rochefort

Seit mehr als drei Jahrhunderten trifft sich Rochefort im marché couvert in der Rue Toufaire. Die Markthallen wurden bereits 1672 erbaut und beherbergten einst nicht nur Händler, sondern auch das Handelsgericht und die Börse. Samstags spielen lokale Bands auf, und inmitten der Stände mit Fischen, Krustentieren und Muscheln werden die Austern geöffnet und ein Glas Wein genossen.

Der Wochenmarkt auf der Avenue Charles de Gaulle findet dienstags, donnerstags und samstags statt und lockt mit regionalen Spezialitäten wie die berühmten Charente-Melonen oder dem würzigen Jonchée-Käse.

Erleben & unternehmen

Wellness

Jährlich fast 18.000 Kurgäste machen Rochefort zu einem bedeutenden Kurort in Frankreich. Seit 1888 sprudelt eine Thermalquelle mit einer Temperatur von 40 °C aus 816 Metern Tiefe und wird für medizinische Anwendungen und Wellness genutzt. Das Wasser ist eine der am stärksten mineralisierten Thermalwässer Frankreichs und enthält eine hohe Konzentration an Eisen, Bor, Kupfer und Lithium. Mit einem pH-Wert von 6,90 ist es nahezu isotonisch zum Blutserum, wirkt dadurch entzündungshemmend, stark heilend und schmerzlindernd. In den Thermes de Rochefort kommt es bei Unterwassermassagen, Bädern mit Luftsprudeln, Strahlduschen und Gehkorridoren, in den es spritzt und blubbert, zum Einsatz.
• 15, avenue Camille Pelletan, 17300 Rochefort, Tel. 05 46 99 08 64, www.thermes-rochefort.com; Badebtrieb: Mitte Februar bis Anfang Dezember

Théâtre de la Coupe d’Or

Das Théâtre de la Coupe d’Or ist eines der ältesten und größten italienischen Theater Frankreichs. 1766-1769 nach Plänen von Giovanni Antonio Berinzago erbaut, wurde es als 1769 als Théâtre de la Marine eröffnet, 1852 wurde es von der Stadt gekauft und 1853 nach Renovierungen wiedereröffnet. Doch erst fast 30 Jahre später – 1884 – erhielt es sein berühmtes Deckengemälde mit den „Musen von Konstantin“. Theater, Musik, Tanz und Zirkus prägen das Programm. 14 Plätze im Saal sind für Rollstuhlfahrer reserviert; für einige Vorstellungen werden Audiodeskription oder Gebärdensprache angeboten.
• 101, rue de la République, 17300 Rochefort, Tel. 05 46 82 15 15, www.theatre-coupedor.com

Radeln in Rochefort

Rochefort liegt an der Velodyssée, einem 1.200 Kilometer langen Fernradweg entlang der Atlantikküste. Die Etappen 34 und 35 erstrecken sich über 60 Kilometer zwischen Châtelaillon-Plage und Marennes-Oléron.

Zahlreiche gut ausgeschilderte Radwege laden zu Abstechern ein – beispielsweise entlang der Ufer der Charente, hin zum Jardin des Retours oder zum Begonien-Konservatorium. Die weltgrößte Sammlung birgt mehr als 2000 Arten aus drei Kontinenten und über 12000 Hybriden, die seit 1845 gezüchtet wurden.
• Conservatoire du Bégonia: 1, rue Charles Plumier, 17300 Rochefort, Tel. 05 46 82 40 30, www.ville-rochefort.fr/conservatoire-du-begonia

Hier könnt ihr schlafen

 

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Im Blog

Alle Beiträge aus dem Département Charente-Maritime vereint diese Kategorie.

Im Buch

Klaus Simon, Hilke Maunder, Secret Citys Frankreich*

Gemeinsam mit meinem geschätzten Kollegen Klaus Simon stelle ich in diesem Band 60 Orte in Frankreich vor, die echte Perlen abseits des touristischen Mainstreams sind. Le Malzieu in der Lozère, Langogne im Massif Central, aber auch Dax, das den meisten wohl nur als Kurort bekannt ist.

Mit dabei sind auch Senlis, eine filmreife Stadt im Norden von Frankreich, und viele andere tolle Destinationen. Frankreich für Kenner  – und Neugierige!

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