Mein Frankreich: Verena Thalmann
„Mein Frankreich“ ist nicht nur Titel meines Blogs, sondern auch Programm: Ich möchte möglichst viele von euch animieren, euer Frankreich vorzustellen. Mein Frankreich – was bedeutet das für euch? Diesmal stellt Verena Thalmann ihr Frankreich vor. Über sich sagt sie:
Mein Name ist Verena Jacqueline Thalmann, Jahrgang 1958. Meine Großmutter war Französin aus Straßburg, darum mein zweiter Vorname, und mein Vater wurde in Straßburg geboren.
Er war Franzose, bis er von seinem Schweizer Vater in die Schweiz entführt wurde und dort aufwuchs. Damals musste er seinen Militärdienst in der Schweiz machen und verlor damit seinen Anspruch auf den französischen Pass.
Eigentlich konnte ich sehr lange nichts mit Frankreich anfangen. Der Grund war die Schule. In der Schweiz lernen wir – damals in der Oberstufe, heute bereits in der Mittelstufe – wir als erste Fremdsprache Französisch. Damals, in den frühen 70er-Jahren, legte unser Lehrer sehr viel Wert auf die Aussprache statt auf den Wortschatz.
Es war auch sehr wichtig, die Grammatik richtig anzuwenden, was den Unterricht furchtbar öde machte. Nach drei Jahren konnte ich fragen, wo der Bahnhof ist und bis 100 zählen.
Dann ist da noch der „Röstigraben“, die Grenze zwischen dem deutschsprachigen und dem französischen Teil der Schweiz. Die beiden Sprachgruppen verstanden sich lange nicht so gut, und oft wurde man ausgelacht wenn man mit einem schweizerdeutschen Akzent versuchte, Französisch zu sprechen. Das ist heute zum Glück besser geworden. Aber es waren alles Gründe, um nichts mit Frankreich zu tun zu haben!
Hin und wieder besuchten wir unsere Verwandten im Elsass, aber sonst hatte ich keinen Wunsch, dieses Land besser kennenzulernen. Das änderte sich mit einer Freundin, die ein Haus in Burgund hat. Ich war oft bei ihr, und lernte so das Land zu lieben. Mit meinem zweiten Mann verbrachte ich oft die Ferien in Frankreich.
Mit der Zeit kam der Wunsch nach einem eigenen Haus auf. Allerdings wussten wir nicht wo. Aber wir wussten, wo nicht. Nicht zu nahe der Schweizer Grenze. Burgund war ja etwas überlaufen mit Deutschschweizern.
Wir fingen mit der Haute-Provence an, davonn die Vogesen und später immer etwas weiter nach Westen. Irgendwann fand mein Mann ein hübsches kleines manoir in Estaing im Aveyron, das wir dann für drei oder vier Jahre immer wieder für die Ferien buchten. Mit dem Eigentümer-Paar freundeten wir uns an. Durch sie fanden wir dann auch unser Haus in der Nähe von Entraygues-sur-Truyère.
Wir haben uns einige Häuser angeschaut, aber nie war mein Herz beteiligt. Unser Wunsch war ein Steinhaus mit großem Garten (dabei haben wir nicht an unser Alter gedacht), in einem kleinen Dorf, eventuell sogar eine Mühle, am Wasser, viel Wald, hügelig.

Per Zufall sah ich ein Bild von einem Steinhaus mit Efeu bewachsen. Wir meldeten uns beim Immobilienbüro und konnten uns das Haus anschauen. Als wir auf die Maklerin warteten, saß ich auf der Treppe welche zur Kirche raufgeht, schaute auf das Haus und sagte zu meinem Mann, dass ich mir kein weiteres anschauen würde. DAS IST UNSER HAUS! Nun ja, er ist ein Kopfmensch und lachte mich aus…..
Drei Monate später, das war im Jahr 2012, haben wir den Vertrag unterschrieben. Der Garten war eine Wildnis, voll mit Bauschutt, großen Steinen etc. alles zugewachsen. Innen musste alles neu gemacht werden, da der Vorgänger Wände und mehr rausgehauen und die Steine dann in den Garten geworfen hatte.
Wir mussten noch weiter arbeiten in der Schweiz. Während dieser Zeit wurde das Haus innen renoviert. Außen noch nicht, das kommt noch. Wir fuhren drei Mal pro Jahr die 850 Kilometer, um einige Tage, Wochen hier zu verbringen und auch um den Garten etwas aufzuräumen, was noch immer andauert.
Es wird wohl nie so werden, wie ich es mir vorstellte, aber wir lassen nun einen Teil wild, und der Rest ist mehr oder weniger machbar für mich. Mein Mann gärtnert nicht so gerne.

Hier finden wir immer mal wieder Tiere, mit denen wir nie gerechnet hätten, z. B. Schlangen, Salamander, Gottesanbeterinnen und Kühe, die ihre Weide verlassen haben, um in meinem Garten zu grasen. Und Fasane, die vor den Jägern geflüchtet sind.
Ab April 2017 war es dann soweit. Die Zelte haben wir in der Schweiz abgebrochen, mein kleines Geschäft aufgelöst und sind dann nach Frankreich gezogen.
Am Anfang war es sehr schwierig, Ende 2016 wurde mein Mann krank, lag einige Tage im Spital, mein Vater lag im Spital, und ich machte mehr oder weniger alles alleine. Kaum waren wir hier, starb mein Vater. So musste ich wieder für einige Tage retour.
Meinem Mann ging es noch immer nicht so gut, er war extrem müde und konnte nicht viel machen.Wir waren auch sehr beschäftigt mit der Bürokratie, die hier wirklich gewöhnungsbedürftig ist. Ich dachte immer, die Schweizer sind Bürokraten, aber die sind harmlos.
Um das Auto anzumelden, mussten wir drei Mal nach Rodez fahren. Das sind so 60 Kilometer ein Weg. Immer verlangte man noch was anderes von uns. Unser Auto gibt es gar nicht….wir mussten einen schriftlichen Beweis erbringen, dass das Auto wirklich existiert, etc. Endlich ein kleiner Schritt vorwärts, wir bekamen unser französisches Nummernschild.
Das gleiche mit der carte vitale und dem französischen Fahrausweis. Ich denke, das alles dauerte rund sechs Monate, weil zu dieser Zeit auch noch das System umgestellt wurde. So mussten manche Papiere bis zu drei Mal neu eingereicht werden.
Als wir zum zweiten Mal nach Rodez fuhren für die Papiere, kamen wir in eine Demonstration. Uff! Wir hatten keine Ahnung, dass demonstriert wird. Wir hatten damals noch keine Zeitung abonniert und sahen uns auch keine französischen Nachrichten an – wir hätten ja eh nichts verstanden! Bis wir den Weg aus der Stadt fanden, dauerte es lange.

Im Frühjahr 2018 musste mein Mann für fünf Wochen ins Spital. Es war nicht klar, was er hatte, und so wurden viele Tests gemacht, zum Teil auch in Toulouse, wohin er verlegt worden war. Für mich war es unmöglich, diese 200 Kilometer zu fahren, da ich absolut ungern ein Auto fahre. Aber mit Hilfe von Freunden und Nachbarn schafften wir auch diese Hürde.
Mein Mann ist wieder, dank der guten medizinischen Betreuung und Medikamenten, gesund. Mit dem Gesundheitswesen haben wir wirklich gute Erfahrungen gemacht. Leider starb unser Freund kurz nachdem mein Mann wieder gesund war.
In der Zwischenzeit fand ich noch einen kleinen Job als aide à domicile für eine 99-jährige Frau. Für sie arbeitete ich 2,5 Jahre, bis sie im Juni diesen Jahres mit fast 102 Jahren starb.
Es ging für mich noch ein anderer Traum in Erfüllung. Es wohnen nun vier Katzen mit uns. Lola, unsere Diva, brachten wir aus der Schweiz mit. Dann wollten wir noch eine zweite Katze. Das ist Nemo. Mimi, unsere dritte Katze, bekamen wir von unseren Freunden mit dem manoir.
Die Katze war ihnen zugelaufen, und sie können natürlich im Hotel keine Katze wohnen lassen. So ist sie jetzt bei uns. Interessant ist, dass sie zu einem Teil eine Wildkatze ist. Einer ihrer Großväter war eine Wildkatze.

Zuletzt, also in diesem verrückten Sommer, fanden wir noch die vierte Katze. Grizzly wurde im Juli geboren…. und seine Mutter überfahren. Er schaffte es mit vier Wochen, aus seinem Versteck zu kommen und kam zu uns. Ich durfte ihn noch so knapp acht Wochen die Schoppenflasche geben. Jetzt ist er Teenager und benimmt sich auch so.
Wir wurden sehr gut in dieser Gemeinde aufgenommen. Wir sind Mitglied der Custoubis (unsere Seniorengruppe), sind in der Volkstanzgruppe, und ich singe im Chor und nähe in der couture-Gruppe. Ich mache Quilts.
All diese Sachen „zwangen“ uns schnell die Sprache zu lernen. Klar, wir machen beide viele grammatikalische Fehler und manchmal finden wird das richtige Wort nicht, aber das alles ist nur noch ein ganz kleines Problem und hin und wieder auch lustig.
Wir wurden nur einmal angemotzt, weil wir Ausländer waren und ich nicht auf Anhieb verstand, was die Dame wollte, aber sonst sind die Franzosen sehr nett, gastfreundlich und hilfsbereit.
In diesem Sommer konnten wir nicht so viel unternehmen aus den bekannten Gründen. Da mein Mann auch noch zur Risikogruppe gehört, blieben wir oft in unserem Garten.Wir verpassen auch die Narzissenblüte im Aubrac wegen dem „Hausarrest“, was mich persönlich etwas traurig machte.

Es gibt so viel Sehenswertes in diesem Teil des Aveyron an der Grenze zum Cantal. Conques ist eine Reise wert. Ebenso Estaing, wo ich den ehemaligen Präsidenten Valèry Giscard d’Estaing traf und mit ihm reden konnte, Espalion mit seinem Tauchmuseum Musée du Scaphandre, Saint Come d’Olt mit dem verdrehten Kirchturm, die kleinen Pilgerdörfer und das Aubrac, wo auch die bekannte Transhumance d’Aubrac stattfindet.
Mittlerweile habe ich auch gelernt, unser Gemüse einzuwecken. Ich verarbeite alles aus dem Garten und was ich von den großzügigen Nachbarn geschenkt bekomme. Unser Keller hat uns einige Gängen in den Super U erspart während des Lockdowns.
Wir bereuen keine Sekunde, die Schweiz verlassen zu haben. Natürlich vermissen wir unsere Kinder, Familie und Freunde. Aber wir haben Telefon, WhatsApp und anderes, um in Kontakt zu bleiben. Und wenn dieses Virus nur noch Vergangenheit ist, dann werden wir uns hier auch wieder persönlich treffen können.
Der Beitrag von Verena Jacqueline ist ein Gastartikel in einer kleinen Reihe, in der alle, die dazu Lust haben, ihre Verbundenheit zu Frankreich ausdrücken können. Ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Frankreich, Erlebnisse, Gedanken. Ihr wollt mitmachen? Dann denkt bitte daran:
• Bitte keine PDFs.
• Text: per Mail in Word, Open Office oder per Mail. Denkt daran, euch mit ein, zwei Sätzen persönlich vorzustellen.
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