Das Mémorial des Reporters oder Reporters Memorial in Bayeux ehrt alle gefallenen oder ermordeten Journalisten der Welt. Foto: Hilke Maunder

Mémorial des Réporters: ermordete Presse

Das Mémorial des Réporters im normannischen Bayeux ist ein weltweit einzigartiges Mahnmal der Pressefreiheit. Seit 2006 gedenkt es all jenen Kollegen, die in der Ausübung ihres Berufs getötet wurden. Alljährlich im Oktober wird eine weitere Jahresstele aufgestellt – neue Namen, neue Morde, noch mehr Opfer.

58 Namen. 2023 war ein Jahr, das tiefe Wunden in die Pressefreiheit schnitt. 58 neue Namen, sauber eingraviert in den weißen Marmor des Mémorial des Réporters in Bayeux. 58 Namen, die Zeugnis geben für all die Gefahren, denen Journalisten weltweit ausgesetzt sind.

Unter diesen Namen finden sich jene von palästinensischen Journalisten, die im Gazastreifen von der israelischen Armee getötet wurden, ebenso wie die von Reportern im Libanon, darunter der Fotograf Issam Abdallah, der am 13. Oktober 2023 in einem Angriff starb.

Auch in Mexiko forderte die Gewalt ihren Tribut: Im Juli 2023 wurde der 59-jährige Lokaljournalist Luis Martín Sánchez, der für die renommierte mexikanische Tageszeitung La Jornada berichtete, brutal ermordet. Sánchez verschwand am 5. Juli 2023 aus seinem Haus in Tepic, der Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaates Nayarit. Bei seinem Körper wurden zwei Kartons mit handgeschriebenen Botschaften gefunden. Eine lautete: „Du kannst schreiben, was du willst, aber lass die Familie in Ruhe.“

Jedes Jahr im Oktober, wenn in Bayeux der Prix Bayeux-Calvados des correspondants de guerre verliehen wird, kommen dessen Organisatoren, Vertreter der Partnerorganisation Reporter sans Frontières (RSF, Reporter ohne Grenze), Angehörige und Freunde der Opfer zusammen, um die neuen Namen auf den Stelen des Mémorial des Réporters zu enthüllen, um innezuhalten, zu trauern und all jener Journalisten zu gedenken, die bei der Ausübung ihres Berufs getötet wurden.

58 Namen, festgehalten auf der jüngsten Stele des Mémorial des Réporters. Sie reihen sich ein in die lange Liste all jener Journalisten, Fotografen, Kameraleuten und Tontechnikern, die seit 1944 bei der Ausübung ihres Berufs getötet wurden, als sie über die Schrecken des Krieges, die Verheerungen von Naturkatastrophen oder die Gräueltaten totalitärer Regime informierten.

Der Mémorial des reporters, auch Reporters‘ Memorial genannt, ist Teil eines größeren Gedenkkomplexes, der das Engagement für Pressefreiheit und die Gefahren, denen Journalisten weltweit ausgesetzt sind, würdigt. Die Gedenkstätte am Boulevard Fabian Ware liegt in einem stillen Winkel von Bayeux, gleich neben dem britischen Militärfriedhof und den Landungsstränden der Normandie, auf denen neben D-Day-Soldaten auch Dutzende Journalisten anwesend waren.

Zwischen weißen Rosen, niedrigem Buchsbaum und Bodendeckern, die hier und da weiß knospen, schlängelt sich der Weg des Mémorial des Réporters hinein in ein kleines Gehölz und wieder retour, vorbei an mannshohen, schlichten Stelen aus Stein. In seinem Marmor sind in schlichtem, doch eindrucksvollem Design die Namen von Journalisten, Fotografen, Kameraleuten und Tontechnikern eingraviert.

Sie alle starben, während sie die Welt mit ihren Berichten, Bildern und Stimmen informierten. Das Mahnmal wächst jedes Jahr – eine unaufhörliche Erinnerung daran, dass die Pressefreiheit mit dem höchsten Preis bezahlt werden kann.

Die Idee eines Denkmals zur Erinnerung an Kriegsreporter entstand 1994 beim Prix Bayeux-Calvados des correspondants de guerre, der anlässlich des 50. Jahrestags der Landung in der Normandie ins Leben gerufen wurde. Die Stadt Bayeux als Organisatorin des Friedenspreises übernahm gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen die Anlage und Gestaltung der Gedenkstätte. Den Entwurf dazu lieferte der Landschaftsarchitekten Samuel Craquelin, der am Stadtrand von Bayeux einen Raum schuf, der gleichzeitig Gedenkort und Mahnung ist.

Am 7. Oktober 2006 wurde das Mémorial des Reporters als erstes seiner Art weltweit eingeweiht. Seine weißen Steinstelen kontrastieren mit der umgebenden grünen Landschaft und stehen als Symbole für die Unschuld und den Mut derer, die ihr Leben für die Wahrheit riskierten. Wie stumme Wächter bewahren sie Erinnerungen derer, die hier verewigt sind. Die Stelen werden seit 1944 jährlich aktualisiert. Fast 2.000 Namen waren zur Eröffnung schon auf den Stelen des Denkmals verzeichnet. Und jährlich werden es mehr.

Zu den bekanntesten Namen des Mémorial des Reporters gehören Robert Capa, der im Alter von 40 Jahren am 25. Mai 1954 in Thái Bình im Norden Vietnams auf eine Landmine trat, die explodierte und ihn zerriss. Eines seiner letzten Fotos zeigt die Straße von Nam Định nach in Thái Bình, Capa hatte vorab erklärt, er sei mit Kriegsfotografie fertig – und nahm dann doch den Auftrag des Life-Magazins an, der ihm sein Leben kosten sollte.

Auf der Stele von 2012 sind, unter anderem, die Namen von Marie Colvin und Rémi Ochlik eingraviert. Marie Colvin war eine amerikanische Kriegskorrespondentin für die britische Zeitung The Sunday Times. Sie starb am 22. Februar 2012 in Homs, Syrien, im Alter von 56 Jahren bei einem gezielten Bombenangriff auf ein Medienzentrum getötet. Ebenfalls dort befand sich damals der 28-jährige französische Fotojournalist Rémi Ochlik. Auch er wurde getötet. Beide Journalisten berichteten über den syrischen Bürgerkrieg und die humanitäre Krise in der belagerten Stadt Homs. Ihr Tod erregte weltweit Aufmerksamkeit und unterstrich die Gefahren, denen Journalisten in Konfliktgebieten ausgesetzt sind.

Besonders eindrucksvoll ist die Stele von 2015 im Mémorial des Reporters. Sie trägt die Namen der Opfer des Anschlags auf Charlie Hebdo: Jean Cabut, Elsa Cayat, Stéphane Charbonnier, Philippe Honoré, Bernard Maris, Mustapha Ourrad, Bernard Verlhac und Georges Wolinski.

Diese Namen sind nicht nur in den Stein der Stele graviert, sondern auch in das kollektive Gedächtnis der Welt. Damals endete nach den Anschlägen vom Januar 2015 auch eine Demonstration in Bayeux, an der etwa 10 000 Menschen teilnahmen. Bei der Einweihung der Stele waren 2015 auch Mitglieder von Charlie Hebdo anwesend sind, darunter der Karikaturist Riss.

Vietnam, Kambodscha, Irak, Libyen, Syrien, Somalia, Thailand, Zentralafrikanische, Republik, Mexiko, Indien, Iran, Burkina Faso, Afghanistan – Toten von Krisen und Konflikten, für viele weit weg. Doch dann: 2015, Paris. 2021: Amsterdam.

Am 6. Juli 2021 wurde der Kriminalreporter Peter R. de Vries in Amsterdam nach dem Verlassen einer RTL-Boulevard-Sendung von mehreren Schüssen getroffen, darunter ein Kopfschuss. Am 15. Juli 2021 erlag De Vries im Krankenhaus seinen Verletzungen. In den 2010er-Jahren hat er sich auf die Mocro Mafia konzentriert und Nabil Bakkali verteidigt, den Hauptbelastungszeugen gegen Ridouan Taghi, den 2019 gefassten Anführer dieses mächtigen Drogenkartells in Europa.

Als der Bruder von Nabil Bakkali auf offener Straße ermordet und der Anwalt des Zeugen Derk Wiersum ebenfalls erschossen wurde, hatte Peter R. de Vries erklärt, auch er stünde auf Ridouan Taghis Abschussliste … Im Juni 2024 wurden drei Männer für seine Ermordung verurteilt. Der Schütze und der Fahrer erhielten je 28 Jahre Haft.

Ein besonders bewegender Teil des Mémorial des Reporters ist das 2016 hinzugefügte Denkmal für vermisste Reporter, deren Leichen nie gefunden wurden. Es wurde auf Initiative der Stiftung Reporters Missing in Action errichtet und erinnert seitdem am Eingang der Gedenkstätte an all jene Journalisten, die spurlos verschwanden und deren Schicksal bis heute ungewiss ist.

Das Mémorial des Reporters erinnert daran, dass Journalismus kein Beruf wie jeder andere ist. Es ist ein Beruf, der oft unter extremen Bedingungen ausgeübt wird und dessen Preis mitunter das Leben selbst ist. Es ist ein Ort, der zeigt, wie fragil die Freiheit ist, über die wir oft so selbstverständlich verfügen. Das Mémorial des Reporters ist ein Ort der Stille, des Gedenkens, aber auch der Mahnung.

Die Geschichten derer, die hier verewigt sind, endeten abrupt – doch ihre Stimmen, eingefangen in den Buchstaben des Marmors, hallen weiter und rufen dazu auf, die Pressefreiheit zu verteidigen. Und so wird auch jedes Jahr während der Woche des Prix de Bayeux wieder die nächste Jahresstele aufgestellt.

Hintergrund: der Prix de Bayeux

Der Prix Bayeux Calvados-Normandie des correspondants de guerre, auch bekannt als Prix de Bayeux, ist eine bedeutende Auszeichnung für Kriegsberichterstatter und gehört zu den wichtigsten Journalistenpreisen der Welt. Der Preis wurde 1994 im Rahmen des 50. Jahrestages der Normandie-Landung ins Leben gerufen und wird jährlich in Bayeux, einer der ersten befreiten Städte Frankreichs, in vier Medienkategorien verliehen: Schriftpresse, Radio, Fernsehen und Fotografie.
www.prixbayeux.org

<em>Se vouloir libre c'est aussi vouloir les autres libres</em> (  sich selbst frei zu wollen bedeutet auch, andere frei haben zu wollen), zitiert das  Mémorial des Reporters mit dieser Inschrift die französische Schriftstellerin Simone de Beauvoir. Foto: Hilke Maunder
Se vouloir libre c’est aussi vouloir les autres libres – Für sich selbst Freiheit zu wollen, bedeutet auch, den Menschen um uns herum Freiheit zu gewähren, zitiert das Mémorial des Reporters mit dieser Inschrift die französische Schriftstellerin Simone de Beauvoir. Foto: Hilke Maunder

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