Mein Frankreich: Axel Birgin
„Mein Frankreich“ ist nicht nur Titel meines Blogs, sondern auch Programm: Ich möchte möglichst viele von euch animieren, euer Frankreich vorzustellen. Mein Frankreich – was bedeutet das für euch?
Heute antwortet Axel Birgin. Er ist 70 Jahre alt und lebt mit seiner Frau Marie-Luise und den beiden Katzen Frida und Pastis in Karlsruhe, aber immer öfter und länger im gemeinsamen Haus bei Saint-Julien-de-Peyrolas, dicht an der Ardèche. Axel ist Fotograf, Skulpteur und Creativ-Ornithologe.
Die ersten Berührungen zur französischen Sprache hatte ich in den Ferien mit meinen Eltern am Lac de Neuchâtel in der französischen Schweiz. Dort spielte ich mit Kindern auf dem Campingplatz Fußball und es war nicht weiter von Bedeutung, dass ich kein Französisch konnte. Das Runde muss ins Eckige, diese Regel ist sprachunabhängig.
In der Schule wurde Französisch nur in einer Arbeitsgemeinschaft angeboten, was ich großzügig ablehnte. Leider. Denn später habe ich das oft bereut. Sei es um grenznah im Elsass essen zu gehen, oder auf den Segeltörns, die ich mit Freunden unternahm. Meist war der Jachtverleih in Fréjus an der Mittelmeerküste der Ausgangspunkt unserer Törns nach Korsika. Wir konnten nur Englisch, und oft war es mühsam sich zu verständigen. Immer wieder nahm ich mir vor, das mit der Sprache zu ändern.
Doch die vielen Fernreisen, die ich in den folgenden Jahren unternahm, erforderten zumeist Englisch, und so fiel das Französisch immer wieder hinten runter. Ich war reisesüchtig und Fotografie begeistert, und es entwickelte sich ein Ritual, mit Freunden um die Osterzeit einen Foto-Trip in die Provence zu machen. War doch um diese Zeit das Wetter meist viel angenehmer als in Deutschland.
Ich lernte die Sprache immer mehr zu lieben. Wenn Françoise Hardy ihr „la maison où j´ai grandi“ im Autoradio sang, wippten wir mit den Füßen im Takt, es war super schmusig, doch verstanden haben wir nichts.

Wir lernten die Reiseführer über die Provence fasst auswendig, jede Neuerscheinung wurde angeschafft, in der Hoffnung ein noch unbekanntes Highlight für einen erfolgreichen Foto-Trip zu finden. Doch wir nahmen auch eine Entwicklung im Tourismus war, welche uns nicht so gefiel. Zur Reisezeit und da gehört Ostern dazu, wurde es immer voller. Auf den bunten Wochenmärkten wurde es eng, und es wurde immer schwieriger, spontan ein Zimmer zu bekommen.
Wir suchten ein alternatives Reiseziel und wählten die Region Languedoc. Begonnen haben wir mit dem beeindruckenden Römerviadukt Pont-du-Gard. Von dort orientierten uns weiter in Richtung Westen. Wir fanden entlang des kleinen Flusses Cèze viele pittoreske Fotomotive. Als Beispiel die Cascade de soutated, Schluchten und Wasserfälle im Flusslauf der Cèze. Dicht daneben La-Roque-sur-Cèze, ein Künstlerdorf, das sich malerisch an den Felshang schmiegt.



In Goudargues fanden wir ein einfaches Hotel, welche zu unserem Portmonee passte. Von hier aus fuhren wir viele Jahre in die Region zwischen Cèze und Ardèche. Die Region ist voll von Sehenswürdigkeiten. Unter anderem die größten Tropfsteinhöhlen Europas. Die ältesten Höhlenmalereien, heute zu sehen im Nachbau der Chauvet-Höhle nahe der Kleinstadt Vallon-Pont-d’Arc.
Eines Ostern entdeckten wir auch einen der bedeutendsten und größten Brocante-Märkte Frankreichs im Örtchen Barjac. Über vierhundert Aussteller zeigen hier ihre Trödel- und Antiquitätenfunde. Vier Tage lang. Es gab Fotomotive ohne Ende. Das war so beeindruckend, dass wir uns viele Jahre darauf freuten, an Ostern wieder nach Barjac zu fahren.

Der Brocante-Markt war nur ein Höhepunkt unserer jährlichen Osterreise. Beim Bummeln mit dem Auto durch die Region fiel mir ein riesiges, sich im Wind wiegendes gelbes Rapsfeld auf, mit einer Ruine dekorativ im Hintergrund. Das Dach halb eingestürzt, die Fenster demontiert, nur die Läden hingen von der Sonne gebleicht noch schief in ihren Scharnieren. Für mich, ein Motiv der Extraklasse.
Wir kämpften uns durch Brennnesseln, die so hoch waren, dass sie auch unter den Achseln Feuer machten. Aggressive, daumendicke wilde Brombeerschlingen versuchten uns den Zutritt zum Hof des verlassenen Gemäuers zu verwehren. Es eröffnete sich uns ein Platz für Genießer.
Das Summen und Brummen der Insekten, das Keckern des Frosches, der den veralgten Brunnen im Hof bewachte, das Plätschern der Quelle und der Rotwein zum Ziegenkäse ließen mich mal wieder träumen. Wie wäre es, diesen idyllischen Fleck Erde zu erwerben, einen Übergangswohnwagen davor zu stellen und das Haus peu a peu zu restaurieren?
Auf meinen Reisen hatte ich schon oft ähnliche Träume, aber dieses Mal wollte ich einen ernsten Versuch wagen. Beim Nachbarn, einem freundlichen Schweizer, konnten wir erfahren, dass das ganze Tal zum Verkauf stand. Bei einem spontanen Besuch im Rathaus der Gemeinde (Mairie) von Saint-Paulet-de-Caisson konnte ich trotz nicht vorhandener Französischkenntnisse und der Ignoranz gegenüber meinen Englischkenntnissen in Erfahrung bringen, dass der Eigentümer, ein Advokat aus Avignon, tatsächlich verkaufsbereit war.
Den Kopf voller Träume nahmen wir Kontakt zum Eigentümer auf. Vielleicht verkauft er uns nur das Haus und ein wenig Platz drum herum. Kurzum, der Advokat war gesprächsbereit. Er teilte uns mit, dass bereits ein Interessent in der Solvenz-Prüfung der Bank sei (das ist in Südfrankreich so). Dies sei aber noch nicht endgültig entschieden, und so lange müssten wir uns gedulden. Leider hat er sich nie wieder gemeldet und eines Tages stellten wir Bauarbeiten an unserem Traum-Objekt fest. Damit war klar, wir hatten kein Glück.
Nachdem die Enttäuschung verflogen war, war uns klar, wir suchen ein passendes Objekt in dieser Region, der goldenen Pforte zur Provence. Es sollte ein altes Steinhaus sein, ein Mas. Es sollte nicht zu weit im Hinterland liegen. Um genügend Distanz zu den vielen Côtes-du-Rhône-Weinfeldern zu haben, sollte ausreichend Grund drumherum sein, denn die Weinbauern arbeiten auch am Sonntag und bringen ihre Pestizide aus.

Das Haus sollte in einem beziehbaren Zustand sein und natürlich bezahlbar. Die Infrastruktur sollte mindestens einen Bäcker und einen Metzger in erreichbarer Entfernung bieten. Über medizinische Versorgung, Apotheke, Zahnarzt und weitere, machte ich mir zu dieser Zeit keine Gedanken. Es sollte auch ein Objekt sein, welches mir die Langeweile im Rentenalter vertreiben sollte. Ich wollte eine Aufgabe haben, einen Platz, an dem ich alles tun kann, wovon ich noch träume.
Ich hatte das Glück, in meinem Leben zu jenem Zeitpunkt schon sehr viel von der Welt gesehen zu haben. Die Zeit war für mich reif für einen Ruhepol, für einen Ankerpunkt. Ich wollte die großen Abenteuer nicht mehr. Ich suchte nach einem Sehnsuchtsort. Ich war überzeugt, ihn hier in der Gegend zu finden.

Hier in Frankreich, im Land, dessen Sprache ich so gerne hörte, aber nicht verstand, sollte es sein. Ich war willens und bereit, die Sache mit der Sprache zu ändern. Ich hatte mich in die Region verliebt und war überzeugt: Hier gehöre ich hin!
Das Alles fand vor der Euro Einführung statt. Heute fast dreißig Jahre später, befindet sich „mein Frankreich“ eingerahmt im Norden von der Ardèche, im Osten von der Rhone und im Süden von der Cèze im Département Gard mit Blick über das Rhônetal hinweg bis zu Mont Ventoux.

„Mein Frankreich“, ein altes Steinhaus umgeben von viel Natur mitten in den Weinreben des Côtes du Rhône, ist zum Ankerpunkt in meinem Leben geworden. Auf dem Gelände um das Gebäude sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht. Leider viel zu oft sind auch Wildschweine dabei.
Auch selten zu sehende Insekten lassen sich fotografieren. Nashornkäfer, alienartige Haubenfangschrecken und die als Blaue Mauritius der Insekten geltende „Steirische Fanghaft“. Ab und zu findet man auch mutige Faltschirmspringer oder entdeckt den Glücksdrachen Fuchur aus der unendlichen Geschichte.




Ich wollte doch nur auch einmal einen kleinen Gastbeitrag schreiben, jetzt ist es ein ganzes Buch geworden. Es heißt „Sehnsuchtort und Ankerpunkt – Ein Haus in Südfrankreich*“ und ist auch als E-Buch* erhältlich.
Es ist nicht einfach, 30 Jahre lang gesammelte Erlebnisse und Erfahrungen unterhaltsam und kurzweilig, zwischen zwei Buchdeckel zu klemmen. Wirklich schwer ist es, alle Ereignisse und Geschichten in eine geordnete Reihenfolge zu bringen, dazu ist in dem langen Zeitraum einfach zu viel passiert.
Ein Haus, und besonders ein sehr altes Haus, bringt immer Herausforderungen mit, welche ich ja bewusst gewollt habe. Es gab sicher schon Momente, in denen ich das verflucht habe, aber bereut habe ich es bis heute noch nie. Der Zeitraum, über den ich erzähle erstreckt sich von 1994 -2022. Bezahlt habe ich das Haus damals noch mit Französischen Francs. Fünf Jahre später wurde der Euro als Zahlungsmittel eingeführt.
Ich kann gut verstehen, dass es nicht jedermanns Sache ist, sich handwerklich zu betätigen. Die Erfüllung, etwas mit eigenen Händen gestalten zu können, ist für mich ungleich höher, als Handwerker zu beauftragen – sofern man welche bekommt – und bezahlen kann.
Das Buch ist mein Versuch einer Liebeserklärung an eine Region in Südfrankreich und an ihre Bewohner, deren sympathische und entspannte Lebensart ich nicht mehr missen möchte. Heute, wenn ich mein Leben im Rückspiegel betrachte, habe ich für mich eine gute Entscheidung getroffen.

Der Beitrag von Axel Birgin ist ein Gastartikel in einer kleinen Reihe, in der alle, die dazu Lust haben, ihre Verbundenheit zu Frankreich ausdrücken können. Ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Frankreich, Erlebnisse, Gedanken. Ihr wollt mitmachen? Dann denkt bitte daran:
• Bitte keine PDFs.
• Text: per Mail in Word, Open Office oder per Mail. Denkt daran, euch mit ein, zwei Sätzen persönlich vorzustellen.
• Fotos: Bitte schickt nur eigene Bilder und jene möglichst im Querformat und immer in Originalgröße. Sendet sie gebündelt mit www.WeTransfer.com (kostenlos & top!) – oder EINZELN ! – per Mail. Bitte denkt an ein Foto von euch – als Beitragsbild muss dies ein Querformat sein.
• Ganz wichtig: Euer Beitrag darf noch nicht woanders im Netz stehen. Double content straft Google rigoros ab. Danke für euer Verständnis.
Vor der Veröffentlichung erhaltet ihr euren Beitrag zur Voransicht für etwaige Korrekturen oder Ergänzungen. Erst, wenn ihr zufrieden seid, plane ich ihn für eine Veröffentlichung ein. Merci ! Ich freue mich auf eure Beiträge! Alle bisherigen Artikel dieser Reihe findet ihr hier.
