Das bin ich, Georg Lindner. Foto: privat
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Mein Frankreich: Georg Lindner

„Mein Frankreich“ ist nicht nur Titel meines Blogs, sondern auch Programm: Ich möchte möglichst viele von euch animieren, euer Frankreich vorzustellen. Mein Frankreich – was bedeutet das für euch? Diesmal verrät es Georg Lindner.

Ich bin mittlerweile 77 Jahre alt und seit 17 Jahren verwitwet. Meine verstorbene Frau hat zusammen mit meinem Onkel und mir unser Vogelnest eingerichtet. Ja, so heißt unser Domizil in Frankreich in Erinnerung an meinen Onkel, der mit Nachnamen Vogel hieß.

Wir waren bis zu ihrem Tod dort sehr glücklich; es sollte unser Alterssitz werden. Es kam leider anders. Das Leben geht manchmal seltsame Wege, denn später, mit einer neuen Partnerin, blieb das Vogelnest wieder unser Urlaubstraum. Auch sie liebte die Insel. Zum zweiten Mal schlug das Schicksal zu. Kurz vor ihrem Tod sagte sie noch: „Ich schwimme dann zur Insel, denn dort fühle ich mich wohl.“

Ein Gruß aus der Charente-Maritime

Meine Liebe zu Frankreich entstand eigentlich schon als ca. 10-Jähriger. Das war so 1957, immer dann, wenn der Bruder meiner Mutter, der im 2. Weltkrieg in Frankreich bei Royan als Soldat gedient hat, uns zusammen mit seiner Frau, einer Französin, in unserem kleinen Dorf besucht hat. In meinen Augen waren sie beide etwas Besonderes, immer sehr schick angezogen, hatten schon ein Auto, einen Simca, und erzählten von ihren Reisen und wie schön es in Frankreich ist.

Wenn dann der Onkel zu erzählen anfing, von Tours, wo die beiden zu der Zeit noch wohnten, von den Schlössern an der Loire, von der Insel Oléron, wo die Familie seiner Frau eine Ferienwohnung besaß, aber auch vom Krieg, seine Worte waren immer: „Wir haben abends an der Gironde-Mündung heldenhaft Deutschland verteidigt und das bei so manchem Glas Rotwein, zusammen mit Franzosen am Strand der Gironde.“ Oder wie er seine Frau dann später während der Gefangenschaft als Arbeiter in einem Sägewerk kennenlernte. Ich konnte nie genug bekommen von seinen Erzählungen, und in mir wuchs die Sehnsucht: Ja, das möchte ich alles mal sehen und kennenlernen.

Es sollte aber noch mehr als 15 Jahre dauern, bis es so weit war. Mittlerweile war ich verheiratet, und wir hatten drei Kinder und besaßen einen Wohnwagen. Der Onkel kam wieder mal zu Besuch; er und seine Frau wohnten da schon auf der Insel Oléron. „Dann kommt doch einfach nach Oléron, ich besorge euch einen Campingplatz.“ Er gab uns noch einige Tipps, die Route wurde ausgearbeitet, und ein Jahr später ging es los. Freunde warnten uns: „Die Franzosen mögen die Deutschen nicht, seid vorsichtig.“ Wir ließen uns nicht beirren, fuhren mit Schwager und Schwägerin, die auch einen Wohnwagen hatten, ab Richtung Frankreich. Aachen, Belgien, Mons, dann Landstraße bis hinter Paris.

Südlich von Paris, irgendwo zwischen Meaux und Melun an der N36, wurden die Kinder unruhig, hatten Hunger, und wir suchten einen Platz zum Übernachten. Ein Schild an der Straße: Frites, Restaurant. Endlich Pause, es wurde auch Zeit. Eine etwas größere Baracke, wir kein Wort Französisch: „Können wir essen und übernachten? Zwei Caravans?“ Mit Freundlichkeit und vielen Gesten klappte es wunderbar, wir durften unsere Caravans auf einer Wiese abstellen, dann ging es zum Essen. Als Erstes kam eine Flasche Rotwein auf den Tisch, dann Saft und die Fritten für die Kinder, die Erwachsenen Steaks vom offenen Feuer.

Wir kamen uns vor wie die Könige; so freundlich wurden wir verwöhnt. Am nächsten Morgen ging es weiter. Ab Orléans Autobahn, die erste Zahlstelle, ein Ticket ziehen, vor Tours bezahlen, alles vollkommenes Neuland. Schon damals ganz großartige Picknick-Parkplätze und saubere Toiletten auf der Autobahn, die Kinder konnten toben, ohne Angst zu haben. Tours, Poitiers, Niort, Saintes, dort von der Autobahn ab, Oléron war schon ausgeschildert. Marennes, endlich kam die Insel Oléron in Sicht, noch ein letztes Mal bezahlen, die Brückenmaut, unter uns das Meer, welch eine Aussicht, alles so neu. Heute ist die lange Brücke mautfrei.

Dank des Onkels war auch der Campingplatz sehr schnell gefunden, ein Schild: „Complet“, ab zur Rezeption: „Wir haben reserviert, Herr Vogel“, und schon war alles geregelt. Wir wurden zu unserem Platz geleitet. Wieder alle sehr freundlich und hilfsbereit. Der erste Urlaub auf Oléron konnte beginnen. Es war wie im Traum. Die anderen Camper, überwiegend Franzosen, haben sofort mit angefasst, die Wohnwagen zu stellen. Wir haben uns einfach nur wohlgefühlt.

Nach dem Aufbau haben wir erst einmal eine Pause eingelegt. Da kam ein Franzose auf uns zu, mit einem Teller, darauf acht geöffnete Austern. In gebrochenem Deutsch: „Herzlich willkommen auf Oléron.“ Eine so freundliche Geste, die wir nie vergessen haben. Wir brachten nur ein mageres „Merci“ hervor. Bis heute haben wir nur sehr gute Erfahrungen gemacht.

Wie sagt man so schön: „Wie man in den Wald ruft, so schallt es zurück.“ Denn wir sind Gäste in Frankreich. Wir empfinden es einfach schön, wenn uns beim Einkaufen die Verkäuferin mit einem Lachen die richtige Aussprache vorsagt und wartet, bis wir ihr richtig antworten. Jedes Mal ein schönes Erlebnis.

Ab da sind wir regelmäßig auf unsere Insel gefahren. Ja, es wurde unsere Insel, und wir haben von dort die Region erkundet, zuallererst die wunderschöne Insel, nach unserer Meinung auch schöner und heimeliger als Île de Ré. Heute ist unser Ausgangspunkt Le Grand Village Plage, unser zweites Zuhause. Egal wie man sich fortbewegt, es gibt so viel zu entdecken. Die langen Spaziergänge mit dem Hund durch den Waldgürtel an den Atlantik oder auch zu Fuß von Saint-Trojan zum Strand von Gatseau, weiter um die Südspitze zur Grande Plage bis nach Vert Bois.

Leider haben es viele Hundebesitzer verscherzt, dass man auch in der Saison mit den Hunden an den Strand darf, weil sie einfach ihre Lieblinge ohne Rücksicht auf andere haben freilaufen lassen und Hinterlassenschaften einfach ignoriert wurden. So wurde dann, was wir zwar schade, aber als richtig empfinden, ein Hundeverbot für die Hauptsaison erlassen, was auch kontrolliert und bestraft wird. Dazu eine kleine Anmerkung: Vielleicht sollten die Kommunen, wie auch vielerorts in Deutschland, an den Zugängen zum Strand Spender für Kotbeutel aufstellen.

Etwas für die Gesundheit kann man auch mit einer Radtour machen. Überall gibt es die Möglichkeit, sich Fahrräder zu mieten, um sich in die Sättel zu schwingen und die Insel so zu erkunden, zum Beispiel nach La Cotinière mit dem Fischereihafen oder nach Chassiron, die Nordspitze der Insel mit Leuchtturm. Damals die Steilküste noch ohne Absicherung, nur ein Warnschild.

Aber auch die vielen kleinen Orte, La Brée, St. Denis, St. George oder Le Château mit der riesigen alten Festung, laden zu einem Besuch ein. Von Boyardville kann man mit dem Schiff, vorbei an dem gewaltigen Fort Boyard, zur Île d’Aix übersetzen. Dort war ja Napoleons letzter Aufenthalt, bevor er in die Verbannung nach Elba geschickt wurde.

Aix kann man sehr gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad umrunden, um dann mit dem letzten Schiff zurück nach Oléron zu fahren. Es gibt immer wieder etwas Neues zu entdecken, und jedes Jahr sieht die Insel etwas anders aus. Hat das Meer wieder etwas abgenagt von den Dünen? Oder die großen Stürme wie 1999, 2009, 2010 haben die Wälder verändert.

Ausflüge auf das Festland gehören einfach dazu. Auch so manche Tagestour wird regelmäßig eingeplant, kurze oder auch längere Touren. Zum Beispiel nach Brouage, einem kleinen Dorf im Marschland, gewachsen durch die Salzgewinnung, dann zu einer Garnisonsfestung ausgebaut. Von dort startete Champlain nach Kanada und war Mitbegründer von Quebec. Oder an der Küste entlang nach Süden Richtung Royan durch den Wald von La Coubre, in dem sich noch die alten Bunker, direkt an der Straße vom letzten Krieg, befinden.

Weiter an der Gironde-Mündung entlang. Royan, das genau wie Dresden noch unmittelbar vor Kriegsende sinnlos bombardiert und zum großen Teil zerstört wurde, da sich die Deutschen schon so gut wie ergeben hatten. In Palmyre, kurz vor Royan, ein sehr schöner, großer, weitläufiger Zoo. Weiter an der Gironde entlang, der Promenade von Royan zu den Grotten von Matata oder nach Talmont, einem kleinen, wunderschönen, idyllischen Ort mit einer alten sechseckigen Kirche direkt an der Steilküste. Es geht tief runter zur Gironde. Vom Wald von La Coubre bis Talmont immer wieder der Wechsel: felsige Steilküste und flache Buchten und viele Kiefernwälder.

Oder in die andere Richtung nach Norden, Rochefort mit dem alten Hafen und der Seilerei. Dort in einem alten Trockendock wurde ein altes Kriegsschiff, die Fregatte Hermione, mit der der Marquis de La Fayette nach Boston segelte, um die Kolonisten zu unterstützen, nach alten Bauplänen des Schwesterschiffes originalgetreu neu aufgebaut und ist sogar schon nach Amerika gesegelt und ist heute, zeitweise, wenn das Schiff in Rochefort ist, zu besichtigen. Weiter nach Norden, nach La Rochelle, eine wunderschöne alte Stadt mit einem großen Jachthafen, alt und neu.

Das große Aquarium, der alte U-Boot-Bunker, leider nicht mehr zu besichtigen. Dort wurden die Außenaufnahmen von dem Film „Das Boot“ gedreht. Wir planen heute noch immer einen ganzen Tag ein, wenn wir dorthin fahren. Dann geht es einmal in die große Markthalle mit ihren vielen Ständen mitten in der Stadt, umrahmt von wunderschönen alten Häusern. Man kann sich überhaupt nicht sattsehen. Oder wir setzen uns in eins der vielen Cafés am alten Hafen.

Aber auch ein Tagesausflug nach Cognac mit den vielen Cognac-Brennereien ist die Fahrt wert, egal ob Hennessy, Martell oder Otard und die vielen anderen. Wir haben aber eine eigene Brennerei für uns entdeckt, außerhalb ein Stück weg von Cognac: das Château de Beaulon bei Saint-Dizant-du-Gua, südwestlich von Royan, mit einem sehr schönen Park mit den Blauen Quellen, die allein schon den Besuch wert sind.

Es ist einfach eine wunderschöne Region, die uns, auch wenn wir in Deutschland sind, immer wieder träumen lässt, von Sonne, Strand und Meer. Von einem Appetit anregenden Pineau, einem guten Essen mit heimischem Wein, ganz frischen Meeresfrüchten und natürlich einem alten Cognac zum Abschluss. Oder wie der Onkel immer sagte: „Einem Pusch-Café, einen starken Kaffee dazu einen Cognac.“

Seit Corona wird viel geträumt und die vielen alten Bilder werden angesehen. Jede Möglichkeit wird genutzt, um wieder nach Oléron zu fahren, nach Möglichkeit im Frühjahr oder Herbst. Da können wir abschalten und am frühen Morgen bei langen Spaziergängen die menschenleeren Strände genießen.

Aber auch Oléron wird nicht vom Klimawandel und dem steigenden Meer verschont, gerade wie jetzt im letzten Herbst, wo große und hohe Fluten mit gleichzeitigem Sturm sehr heftig an der Insel genagt haben und man Angst bekam, wenn man gesehen hat, wie groß die Schäden an den Dünen sind und wie viele Meter das Meer geholt hat.

Die Insel Oleron, aber auch die Charente-Maritime haben einen Virus an sich, der uns infiziert hat. Einen Virus der Sehnsucht nach Strand, Meer und Freiheit. Kein Schicki-Micki, keine Hotelhochhäuser sondern viele kleine Dörfer, viel Natur und schöne Strände. Jede Jahreszeit hat ihren eigenen Reiz. 

Der Virus „Sehnsucht“ befällt uns regelmäßig wenn wir auf der Rückfahrt Richtung Deutschland sind. Solange es die Gesundheit erlaubt, heißt es, Oleron, wir kommen wieder!

Der Beitrag von Georg Lindner ist ein Gastartikel in einer kleinen Reihe, in der alle, die dazu Lust haben, ihre Verbundenheit zu Frankreich ausdrücken können. Ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Frankreich, Erlebnisse, Gedanken. Ihr wollt mitmachen? Dann denkt bitte daran: 

• Keine PDFs.

• Text: per Mail in Word, Open Office oder per Mail. Denkt daran, euch mit ein, zwei Sätzen persönlich vorzustellen.

• Fotos: Bitte schickt nur eigene Bilder und jene möglichst im Querformat und immer in Originalgröße. Sendet sie gebündelt mit www.WeTransfer.com (kostenlos & top!)  – oder EINZELN ! – per Mail. Bitte denkt an ein Foto von euch – als Beitragsbild muss dies ein Querformat sein.

• Ganz wichtig: Euer Beitrag darf noch nicht woanders im Netz stehen. Double content straft Google rigoros ab. Danke für euer Verständnis.

Vor der Veröffentlichung erhaltet ihr euren Beitrag zur Voransicht für etwaige Korrekturen oder Ergänzungen. Erst, wenn ihr zufrieden seid, plane ich ihn für eine Veröffentlichung ein. Merci !

Ich freue mich auf eure Beiträge! Alle bisherigen Artikel dieser Reihe findet ihr hier.

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