Sonntagssport Jagd
Volkssport Jagd: Jetzt kläffen sie wieder, die Hunde. Kaum sind die Sonnenstrahlen über dem Karstgrat der Chaîne de Lesquerde geklettert, erfüllt ihr Bellen das Tal des Agly. Kein leises Knurren, sondern wütendes, bluthungriges Gebell. Den GPS-Sender um den Hals, strolchen sie durch die Garrigue und spüren zwischen Zistrose, Mastix und Rosmarin die Fährten von Wildschwein, Steinbock und Hase auf.
Aus dem kniehohen, grünbraunen Gestrüpp, das in der winterlichen Kühle seinen Duft verloren hat, leuchtet es hier und da knallig in Orange. Ab und an bewegen sich die Figuren in der Ferne. Gehen vom Hang hinunter ins Tal. Kommen sich näher, bilden eine Kette. Die Hunde rasen voraus.
Sonntag im Süden von Frankreich. Die Männer jagen: Sanglier. Wildschwein. Überall auf dem Land. Und besonders wütend dort, wo Weingärten die steinigen Schieferböden bedecken. Elektrozäune umgeben die wertvollsten Lagen. „Nützt alles nichts“, erzählt Biowinzer Bastien Baillet.
„Ein fetter Eber schmeisst sich auf den Zaun und erdet sie so. Dann rennt die Herde in meine Felder und frisst sie leer. Grenache und Shiraz mögen sie besonders gern.“ Bastien ist aus ethischen Gründen kein Jäger.
Doch er kann die Wut der anderen Winzer verstehen. Und auch, warum sie im Fenouillèdes nur eines mittwochs und sonntags jagen: Sanglier. Wildschein. Dafür meldet sich so manch einer auch gerne krank. Wie ein Mann aus unserem Dorf. Und das seit drei Jahren….

Das Volk knallt
Jagd ist anders in Frankreich. Zu Jagen ist ein Gewohnheitsrecht, das jedem Bürger zusteht. Und Jagdfreunde gibt es häufiger als Fußballfans. Fünf Millionen Franzosen haben die Prüfung zum Jagdschein abgelegt. 1,2 Millionen von ihnen sind aktive Jäger. Damit hält Frankreich den Europarekord – vor Spanien (989.000) und Italien (700.000).
Jeder zwölfte Franzose ist ein Waidmann. Und der bleibt ganz unter sich: Männer stellen 97,8 Prozent der Jäger.Überraschend viele junge Männer sind darunter. Modisch durchgestylt mit Realtree-Hosen und Jacken. Mal knallbunt als Camouflage in Orange, dann tiefgrün getarnt mit Nato-Flecktarn.
Das Gewehr geschultert, den Flachmann gefüllt. Alkohol bei der Jagd: Offiziell wird erst danach getrunken. Doch Gegner der Jagd klagen an. Auch den Suff vor dem Schuss. 250 Millionen Patronen werden jährlich verballert bei der Jagd. Und noch immer ist – außer in Feuchtgebieten, wo es seit 2006 verboten ist – auch Blei in der Munition.
Gejagt wird nicht nur auf freier Flur, sondern Jahrhunderte lang auch auf privatem Grund. Schuld daran war ein Graf. Comte Mirabeau hatte während der Französischen Revolution durchgesetzt, dass jeder jagen durfte, der Land besaß. Das Privileg des Adels war gebrochen, die Jagd demokratisiert. Das Volk knallt.

Zwangsbejagung adé
Einflussreichster Verfechter der ballernden Bodentruppen ist Thierry Coste, politischer Sprecher des französischen Jägerverbandes. Er hält engen Kontakt zum Präsidenten, unabhängig von der Partei. Und kämpft für den Erhalt und die Ausweitung angestammter Rechte bei den Jägern.
Jene mussten eine Schlappe hinnehmen, als Regisseur Luc Besson sich ihnen entgegenstellte und ein Ende der Zwangsbejagung auf seinem Grundstück forderte.
Bereits 1999 hatte die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei einem anderen Streitfall aus Frankreich entschieden: Niemand kann gezwungen werden, durch den Besitz von Grund und Boden automatisch Mitglied von kommunalen Jagdgenossenschaften zu werden und die Jagd auf seinem Land zu dulden.
Was für ein Affront für Frankreichs Jäger-Lobby! 2012 bestätigte das höchste europäische Gericht die Entscheidung. Und zwang Deutschland, seine Jagdgesetze ebenfalls zu ändern in Bezug auf die Zwangsbejagung.

Land der Jagd-Rekorde
Kein Land Europas hat längere Jagdzeiten als Frankreich. Fast sieben Monate allein dauert die Jagd auf Vögel. 25 bis 30 Millionen Vögel fallen jährlich von Frankreichs Himmel. Rund 25 Vogelarten, die auf der Roten Listen der IUCN stehen, dürfen dort noch gejagt werden – auch die weltweit bedrohte Turteltaube.
Nirgendwo in Europa werden so viele Arten gejagt wie im Hexagon. 90 Säugetierarten sind es, 64 verschiedene Vögel. Auf Großwild entfallen 31 Prozent der gejagten Tiere, auf sitzendes Niederwild 32 Prozent. Die Abschussquoten legt alljährlich die Office de la Biodiversité als oberste Naturschutz- und Jagdbehörde Frankreichs nach einer Zählung der Anzahl der Tiere jeder dieser Arten fest.
Gejagt wird nicht nur mit Flinte, sondern auch ganz traditionell. Mal mit Bogen, im Baskenland mit Netzen. Weit verbreitet sind auch die Lockvogeljagd und die Frettchenjagd. Beagle stöbern Kaninchen in ihrem Bau auf. Bei der chasse à courre, der Parforcejagd, jagen 70 bissige Hunde im Wald den Hirsch.

Vogeljagd weiter eingeschränkt
Am 6. Mai 2024 schränkte der französische Staatsrat das seit langem geforderte Ende unter eine sehr umgestrittene traditionelle Jagd-Praxis. auf Vögel ein. Mit Netzen (pantes) oder Käfigen (matoles) Vögel, und besonders Lerchen, zu fangen und dann zu töten, könne nicht mehr länger mit einer Achtung der Tradition gerechtfertigt werden.
Der Conseil de l’État hatte in den vergangenen Jahren bereits andere althergebrachte Jagdmethoden auf Vögel verboten und, trotz des Protestes der Jagdverbände, Rahmenverordnungen aus dem Jahr 1989 aufgehoben, die beispielsweise die Vogeljagd mit Leim gestatteten.
Falsch getroffen
Gejagt wird mittwochs und sonntags, in der Jagdsaison auch an allen Wochentagen. Am 26. Juli 2000 verbot Dominique Noynet die Jagd am Mittwoch – eine Bestimmung, die Roselyne Bachelot als Umweltministerin im Kabinett Raffarin 2003 wieder aufhob.
Heute legen die Départements über ihren Präfekten die Tage ohne Jagd frei fest, sind dazu nicht verpflichtet. Besonders die Sonntagsjagd ist in die Kritik geraten. Der Grund: die Jagdunfälle. Vier Kilometer weit können die Gewehrkugeln fliegen. Und nicht immer treffen sie ein Tier. Oder einen Baumstamm.
1999 trafen Frankreichs Jäger beim Danebenzielen 232 Menschen. 39 der Verletzten starben. 2017 hatte sich die Zahl fast halbiert – 143 Verletzte, 18 Tote. Seitdem sind die Zahlen nahezu konstant. Und ist die Jagd eines der letzen großen Vergnügen auf dem Land.

Immer wieder sonntags
Wer sonntags wandert, geht ein Wagnis ein. Immer mehr Franzosen tragen daher fluoreszierende Westen, um gesehen zu werden. Oder verzichten auf den traditionellen Ausflug ins Grüne mit den Freunden oder der Familie. Immer mehr Gemeinden haben Verordnungen erlassen, die das Sonntagswandern im Wald verbieten.
Alain Perea, Abgeordneter der LREM im Departement Aude, verstieg sich sogar in seiner Jagdliebe soweit, dass er vorschlug, das Mountainbiken während der Jagdsaison zu untersagen. Wen wundert es da, dass bereits mehr als 730 Vereine und Verbände Mitglied sind im Collectif pour le dimanche sans chasse, dem Verband für ein Verbot der Sonntagsjagd?
La chasse est primordial. Sans elle, il n’aura pas d’agriculture ici.
(Die Jagd ist das Wichtigste. Ohne sie gäbe es bei uns keine Landwirtschaft)Bürgermeister Jacques Bayona, Saint-Paul-de-Fenouillet
Im Januar 2023 stand die Jagd auf der Agenda der Regierung. Zu einem Jagdverbot an Sonntag konnte sie sich nicht durchringen. Verboten wurde einzig, dass Jäger alkoholisiert oder unter Drogen auf die Pirsch gehen dürfen. Zudem ist eine App geplant, die Wanderer und anderere Ausflüger darüber informiert, wo und wie wieder einmal gejagt wird.
Umdenken bei den Jägern
Doch im Dezember 2024 sorgte der Verband der Jäger des Departements Haut-Rhin für Schlagzeilen. Er hatte damals eine Petition gestartet, um gegen die Abschussquoten zu protestieren, die ihnen vom Staat für Hirsche auferlegt werden. Sie gefährden, so die Jäger im Oberelsass, die Arten zugunsten eines zerstörerischen Modells der Agroforstwirtschaft.
Am 6. Dezember 2024 starteten die daher eine Petition „für die biologische Vielfalt und die Erhaltung der wildlebenden Tiere“, und erklären darin, das die wild lebenden Tiere in Gefahr seien.
Wir alle stellen fest, dass die große Tierwelt notorisch abnimmt. Wir verurteilen den täglichen Druck, immer mehr zu schießen, und distanzieren uns von Praktiken, die auf die Ausrottung großer Tiere abzielen. Wir weigern uns, die Totengräber all dieser Tiere zu sein. Angesichts des Klimawandels, der sich auf die Umwelt auswirkt, können die Tiere nicht ewig der Sündenbock und die Anpassungsvariable bleiben.
26.000 Unterschriften hatten die Jäger innerhalb weniger Tage gewonnen. Doch der Staat blieb hart. Unter dem Druck der FNSEA und der Forstwirtschaft, die den Auerhirschen vorwerfen, den Wald zu zerstören und das Gras der Herden zu fressen, ließ der Präfekt die Jagdvorgaben für den Winter 2024/25 unverändert: 2000 Hirsche, 350 Gämsen, 165 Damhirsche und 10.000 Rehe sollen getötet werden. Wenn diese Mindestzahl für Hirsche, Gämsen und Damhirsche nicht erreicht ist, werden 1500 Euro Strafe pro nicht erlegtem Tier fällig. Jagd in Frankreich: ein Staatsangelegenheit.
Jagd in Frankreich: die Infos
Jagdmuseen
Musée de la Chasse
Das Schlossmuseum von Gien an der Loire beherbergt eine internationale Sammlung zur Jagd und Tierkunst. Gezeigt werden Gemälde, Keramiken, Wandteppiche, Jagdtrophäen sowie Accessoires wie Jagdknöpfe
• 1, place du Château, 45500 Gien, Tel. 02 38 67 69 69, www.chateaumuseegien.fr
Musée de la chasse
In einem eleganten Stadtpalais, das Mansart 1651 entwarf für den französischen Schatzmeister François de Guénégaud 2, zeigt das Musée de la Chasse et de la Nature heute die Sammlung des jagdbegeisterten Industriellen François Sommer: Waffen und Trophäen, Tierstudien von François Desportes und Jagdszenen von Pieter Bruegel d. Ä., Peter Paul Rubens, Jean Siméon Chardin und Jean-Baptiste Oudry.
• 62, rue des Archives, 75003 Paris, www.chassenature.org
Musée de la Vénérie
In den an das nordfranzösische Senlis angrenzenden Wäldern von Chantilly, Halatte und Ermenonville wurde Jahrhunderte lang mit der vénérie die Hetzjagd ausgeübt. In der Kapelle des ehemaligen Klosters des Hôpital de la Charité dokumentiert dieses Museum die Geschichte und Praxis dieser Jagdform.
• Place du Parvis Notre- Dame, 60300 Senlis, Tel. 03 44 29 49 93, https://musees.ville-senlis.fr
Jagdurlaub in Frankreich
Ihr wollt in Frankreich jagen? Ohne private Jagdeinladung ist dies nur über Jagdvermittler möglich. Wo Drückjagden auf Schwarzwild, Gams- und Blattjagden stattfinden, verrät die Fachzeitschrift Jäger in dieser Übersicht. Billig ist so ein Urlaub nicht. Vier Tage kosten ab 1.500 Euro ohne die Kosten für Versicherung und Jagdpapiere.
Für die Jagd in Frankreich braucht ihr eine kostenpflichtige Jagdlizenz für drei, neun oder 365 Tage, einen gültigen Jagdschein und den europäischen Waffenschein, um hier zu jagen.
Emmanuel Macron hat als eine seine ersten Amtshandlungen im August 2018 die Jahresgebühr für die nationale Jagdlizenz von 400 auf 200 Euro halbiert. Daraufhin stiegen die Anträge auf Jagdscheine exorbitant.
Korsika, Südfrankreich, Bretagne: Das sind die großen Jagdgebiete, in den kommerzielle Anbieter Jagderlebnisse für Urlauber anbieten. In den französischen Alpen werden vor allem Gämse gejagt, in den Pyrenäen Muffelwild. In den Weinbergen der Provence werden Drückjagden auf Schwarzwild veranstaltet.
Auf Korsika stehen auf dem 2.500 Hektar großen Anwesen Domaine de Murtoli neben Saujagden auch Fasanen- und Rothuhntreiben auf dem Programm. Die seltene Pirsch auf den reifen Bock wird u.a. in Tarn-et-Garonne angeboten.
Ich persönlich verstehe Jagd als Hege und Pflege und landschaftspflegerische Aufgabe und distanziere mich ausdrücklich von Jagd als Urlaubsspaß. In Frankreich steht der Jagdtourismus unter strenger Kontrolle.
Politikum Jagd: die Akteure
OFB / Office de la Biodiversité (bis 31.12.2019: ONCFS – Office national de la chasse et de la faune sauvage)
Die oberste Naturschutz- und Jagdbehörde Frankreichs, https://ofb.gouv.fr
Contra
AVA France
Nationales Anti-Jagd-Kollektiv mit regionalen Gruppen und Verbänden. AVA steht für Abolissons la Vénerie Aujourd’hui (Schaffen wir die Jagd jetzt ab); https://ava-france.org
Faune Sauvage
Französischer Verein für Wildschutz, www.faunesauvage.fr
Rassemblement pour une France sans Chasse (RAC)
www.facebook.com/FranceSansChasseRAC

Pro
FNC – Fédération nationale des chasseurs
Französischer Jagdverband, https://www.chasseurdefrance.com
Le Mouvement de la ruralité (LMR)
Die Jäger- und Fischer-Partei, die sich bis 2019 noch CPNT – Chasse Pêche Nature Tradition nannte, tritt seit 2012 bei Wahlen gemeinsam mit der UMP auf und erreicht so mehr als acht Prozent der Stimmen.
• auf Facebook zu finden
ACCA (Association communale de chasse agréée)
Die Association communale de chasse agréées (ACCA) sind lokale Zusammenschlüsse von Jägern und Grundeigentümern auf Gemeindeebene gegründet werden. Ihr Ziel ist es, eine gute Jagdverwaltung in den Departements zu gewährleisten.
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