Maiglöckchen: das traditionelle Präsent zum 1. Mai. Foto: Hilke Maunder
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Der 1. Mai und das Maiglöckchen

In Frankreich werden am 1. Mai überall kleine weiße Blüten verkauft und verschenkt. Woher kommt dieser Brauch? Warum sind die Franzosen so vernarrt in das Maiglöckchen? Und wo wird die Blume im großen Stil angebaut? Erfahrt hier mehr über diese bezaubernde Tradition!

Alljährlich am 1. Mai in Frankreich die gleiche Szenerie: Überall verkaufen Kinder und Erwachsene in großen Körben und Schalen weiß blühende Maiglöckchen, das kleine Gebinde für einen Euro. Die kleinen Maiglöckchen-Sträuße mit dem betörenden Duft werden in Frankreich traditionell als porte-bonheur, Glücksbringer, einem geliebten Menschen geschenkt.

Mai-Brauch seit der Antike

Als Liebesgruß war das Maiglöckchen schon in den antiken Legenden beliebt. Apollo soll mit Maiglöckchen zu Füßen seiner Musen einen weichen Teppich bereitet haben.

Das bis zu 30 Zentimeter hohe Maiglöckchen stammt ursprünglich aus Japan. Seine kleinen, weißen, stark duftenden Glocken-Blüten sind in Trauben. Im Mittelalter kam die exotische Blüte nach Europa. Damals befestigten die Männer Maiglöckchen über die Tür der Angebeteten.

Als der erst zehnjährige Karl IX. 1560 während einer Reise in die Drôme einen Maiglöckchenstrauß verschenkte, war der Brauch hoffähig geworden – und der bis dato inkognito gesandte Liebesgruß ein gesellschaftlich anerkannter Glücksbringer. Rasch verbreitete sich der königliche Brauch im Volk.

Maiglöckchen-Verkauf in Dinan. Foto: Hilke Maunder
Dieser Junge bessert sich mit Maiglöckchenverkauf in Dinan sein Taschengeld auf. Foto: Hilke Maunder

Von Pétain missbraucht

Auch zahlreiche Menschen, die am 1. Mai beim Tag der Arbeit die vielen Demonstrationen besuchen, tragen den Frühlingsgruß im Knopfloch. Dieser Brauch geht auf Maréchal Philippe Pétain zurück.

Während des Zweiten Weltkriegs hatte der Chef des Vichy-Regimes im Jahr 1941 das Maiglöckchen mit dem Tag der Arbeit verbunden – bis dahin war die églantine rouge, das rote Heideröslein, das Symbol des Arbeiterkampfes am 1. Mai gewesen. Doch bereits in den 1920er- und 1930er-Jahren wurden Maiglöckchen mit rotem Band gelegentlich als alternatives Symbol zur roten Nelke von linken und gewerkschaftlichen Kreisen getragen wurden.

Pétain und sein Regime nutzten dies, um das Maiglöckchen als ein Symbol der nationalen Einheit und der Rückkehr zu traditionellen französischen Werten zu etablieren: das Maiglöckchen, instrumentalisiert für politische Propaganda. Das Anliegen scheiterte. Das Verschenken des Frühlingssymbols blieb eine Geste der Freundschaft und Liebe.

Symbol der Sinnlichkeit

Der Duft der Maiglöckchen ist für Franzosen der Inbegriff von Weiblichkeit, Sinnlichkeit und Erotik. Mit seiner intensiven Süße und einem frischen, blumigen Charakter, fügt er sich perfekt in viele Parfums ein.

Dior lässt sein Diorissimo* nach Maiglöckchen duften. Yves Rocher hat für seinen sinnlichen Duft Muguet en Fleurs* ebenfalls den Duft seiner Blüten in den Flakon gepackt. Bei Guerlain findet ihr die betörenden Duftnoten von Maiglöckchen in Aqua Allegria*.

Selbst in sanften Herrendüften findet ihr die Extrakte der zierlichen weißen Blüten. Beliebt sind vor allem Kombination mit Sandelholz oder Ylang Ylang.

Mugueter … oh là là !

Der Brauch sorgte sogar dafür, dass ein neues Verb Eingang in die französische Sprache fand: mugueter – verführen, den Hof machen (muguet = Maiglöckchen). Seit 1. Mai 1947 ist der 1. Mai in Frankreich ein offizieller Feiertag. Und wird die Blüte auch gerne bei den Demonstrationen zum Tag der Arbeit ins Knopfloch gesteckt.

Zog man einst selbst hinaus in die Natur, um den Liebesgruß zu pflücken, brachte der neue bezahlte Urlaubstag den Wandel: Die ersten Händler kamen auf. Zunächst in Nantes, dann in ganz Frankreich.  Denn bis heute ist nur an diesem Tag – der Fête du Muguet – das Pflücken der Frühlingspflanze legal und unbesteuert.

Bonheur pour tous

Es gelten jedoch einige Regeln. Verkauft werden darf nur, was wild im Garten oder Wald selbst gepflückt wurde. Tische oder Stände sind tabu. Daher tragen die Verkäufer meist Körbe oder Schalen. Und wehe, sie wagen sich zu nahe an die Geschäfte von Floristen. Dann droht Ärger.

So stehen Kinder und Senioren, Frauen und Männer an den Plätzen, schlendern durch Straßen und Gassen und freuen sich, wenn ihr sagt: „Un brin de muguet ! “ Oder gar einen pot de muguets kauft, einen kleinen Topf. Denn der Maiglöckchenverkauf bessert auch kleine Einkommen auf. Und bringt so auch den Verkäufern plein de bonheur, ganz viel Glück.

Das Maiglöckchen-Fest

Seit 1906 gibt es auch ein eigenes Fest zu Ehren des Maiglöckchens in Frankreich: die Fête du Muguet von Rambouillet im Département Yvelines. Damals hatten die Feierlichkeiten noch nicht das Ausmaß, das sie heute haben – und erst 1911 wurde die erste Maiglöckchen-Königin gekrönt.

Damals verkehrten anlässlich dieses Volksfestes sogar Sonderzüge zwischen der Hauptstadt und Rambouillet. Wahrzeichen des Festes ist ein riesiges Maiglöckchen, das die Stadt im Jardin du roi de Rome aufstellt, dem letzten Überrest eines einst viel größeren Gartens auf der Rückseite des Westpavillons vom Palast des Königs von Rom. Hier und da sind Besucher zu sehen, die die extra für das Fest in Grün und Weiß gekleidet haben!

Die Hochburgen

Längst werden die weiß-grünen Blumen im großen Stil für den 1. Mai. angebaut. Bis heute ist Nantes die Hochburg. Dreiviertel aller muguets für den Handel werden dort gezüchtet und geerntet. Bei Temperaturen von zwei bis drei Grad Celsius warten die Frühlingsboten in Kühlhäusern auf ihren Ehrentag. Warum aber Nantes?

Das liegt nicht am Klima oder Boden, sondern an einer Innovation. Die dortigen Bauern erfanden die chassises, aufgeständerte Glasrahmen, die dank des Sonnenlichts Wärme erzeugten und das Wachstum von Gemüse beschleunigten. Auf diese Weise wurden sie zu großen Karottenproduzenten, bevor andere Kulturen folgten: Melonen, Feldsalat (mâche de Nantes) – und Maiglöckchen.

Ein zweites wichtiges Anbaugebiet für Maiglöckchen findet ihr bei Bordeaux und im Département Var. Dort befindet sich der französische Marktführer für Maiglöckchen in Töpfen. Fast eine Million Töpfe liefert er für den 1. Mai aus. Gemeinsam produziert das Trio alljährlich rund 90 Millionen muguets – und damit mehr als genug für jeden Franzosen!

Giftiger Glücksbringer

Doch Achtung: Maiglöckchen sind hochgiftig! Die Pflanze gehört zu der Familie der Spargelgewächse und ist nicht nur am Stängel, sondern auch an der Blüte toxisch. Ihre kleinen, weißen Kelche können schwere Kreislaufprobleme auslösen, wenn ihr sie berührt, und die Berührung mit dem Pflanzensaft kann sogar zum Tod führen. Daher gilt auch bei dieser Blüte: bewundern, aber nicht anfassen!

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