Anti-Gaspi: Frankreich bekämpft Verschwendung
Stop au gaspillage: Frankreich will die Lebensmittelverschwendung bis 2025 um 50 Prozent reduzieren. In Frankreich werden bislang noch jedes Jahr zehn Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Bis zu zehn Prozent der Produktion sind zudem von herkömmlichen Vertriebsnetzen ausgeschlossen. Jeder Franzose produziert, statistisch gesehen, fast fünf Tonnen Abfall im Jahr.
Frankreich hat inzwischen verschiedene Initiativen, Projekte und Gesetze zur Bekämpfung der Abfall-Flut umgesetzt. Die Maxime heißt: anti-gaspi (=anti-gaspillage) – gegen die Verschwendung!
Gesetzliche Maßnahmen
Loi Garot
(Gesetz Nr. 2016-138 vom 11. Februar 2016)
Dieses nach dem ehemaligen Abgeordneten Guillaume Garot benannte Gesetz verbietet Supermärkten, nicht verkaufte, essbare Lebensmittel wegzuwerfen oder zu zerstören. Es verpflichtet sie, diese an Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden.
Die Supermärkte reagierten auf dieses Gesetz mit anti-gaspi-Kühltruhen und Regalen. Hinein kommen alle Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum nahezu angelaufen ist. Nur das, was dann noch übrig geblieben ist, wird gespendet.
Loi Egalim
(Gesetz Nr. 2018-938 vom 30. Oktober 2018)
Obwohl sich dieses Gesetz nicht ausschließlich auf Lebensmittelverschwendung konzentriert, befasst es sich mit verschiedenen Aspekten der Lebensmittelversorgungskette, einschließlich Maßnahmen zur Abfallreduzierung, Verbesserung der Lebensmittelkennzeichnung und Unterstützung der lokalen Lebensmittelproduktion.
Loi anti-gaspillage pour une économie circulaire
(Gesetz Nr. 2020-105 vom 10. Februar 2020)
Das französische Kreislaufwirtschaftsgesetz zielt darauf ab, Abfall in verschiedenen Sektoren zu reduzieren. Seine Ziele: weg von Einwegkunststoffen, besseres Produktrecycling und Kreislaufwirtschaft.
Zusätzlich zu diesen Gesetzen gibt es in Frankreich verschiedene Projekte und Best Practices zur Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung.
Anti-Gaspi: Vorzeigeprojekte aus Frankreich
Acheter en vrac
Im Supermarkt, in der épicerie und auf dem Markt: Unverpackt erobert auch in Frankreich den Handel.
Le Glanage
Im Mittelalter durchstreiften Ährenleser die Felder auf der Suche nach Kartoffeln oder Zwiebeln, die die Bauern zurückgelassen hatten.
In den Kriegs- und Nachkriegszeiten des 20. Jahrhunderts gingen meine Großeltern „stoppeln“ und sammelten auf den Feldern all jene Früchte ein, die bei der Ernte zurückgelassen worden waren. Diese Nachlese ist als glanage heute in Frankreich wieder en vogue – doch nicht mehr nur auf den Feldern, sondern auch auf den Märkten.
Die Nachlese ist ein staatlich geregeltes Recht, das einigen Regeln unterliegt. Es muss tagsüber und ohne Werkzeug ausgeübt werden und ist verboten, wenn das Gelände umzäunt ist. Wer auf offenem Privatgelände ernten möchte, muss vorher die Erlaubnis des Besitzers einholen.
Glanage-Gruppen in Frankreich
In ganz Frankreich gibt es inzwischen Gruppen von Freiwilligen, die nach der Ernte der Bauern die zurückgebliebenen Äpfel, Orangen, Karotten, Zwiebeln und Kartoffeln einsammeln. Zu diesen anti-gaspi-Initiativen gehört La Cueillette Solidaire aus Grasse, die sich auf die Ernte von Obstgärten spezialisiert ist.
Aux arbres, Citoyens! fordert auch eine gleichnamige Initiative aus Bischoffsheim und lädt zum Ernteklettern in heimischen Obstbäumen. Ableger dieser Glanage-Gruppe gibt es inzwischen auch im bretonischen Département Morbihan, in der südwestfranzösischen Hafenstadt La Rochelle und in Monts d’Or Val-de-Saône.
Ähnlich arbeiten auch die Glanage-Initiativen Ça glane pour vous ! in Aouste-sur-Sye, die Association ECOS aus Nantes und die inzwischen 15 Ortsgruppen des Vereins Les futurs cueilleurs.
In Paris gibt es gleich mehrere Vereine, die nach den Märkten Sammelaktivitäten durchführen. Dies ist seit 2013 bei Moissons Solidaires der Fall. Diese Freiwilligen sind auf 14 Märkten in Paris und seiner Metropolregion vertreten und sammeln unverkaufte und beschädigte Produkte bei Händlern ein.
Diese Aktion steht allen offen. Je nach Markt benötigt der Verein 6 bis 20 Personen. Ihr könnt sie jeden Sonntag auf der Place de Joinville im 19. Arrondissement von Paris oder mittwochs auf dem Markt von Vitry-sur-Seine (Val-de-Marne) finden – und, wenn ihr mögt, gleich mitmachen als Lebensmittelretter.
Pro-portion
Seit 2017 fördert Pro-portion die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung durch die Unterstützung von Projekten mit Gemeinschafts- und traditioneller Verpflegung, veranstaltet Sensibilisierungsworkshops und Schulungen, richtet Ausstellungen und öffentliche Veranstaltungen aus – und hilft seinen Vor-Ort-Analysen, die Ursachen für eine Lebensmittelverschwendung wie auch Hebel zu finden, sie zu beenden. Besonders beliebt und erfolgreich ist sein Angebot Disco Soupe.
• www.pro-portion.fr
Disco Soupe
Die Suppendisco von Pro-portion verbindet Aufklärung mit Geselligkeit und Genuss. Zu Musik werden gemeinsam aus Kochabfällen oder unverkauftem Obst und Gemüse Suppen, Salate, Fruchtsäfte oder Smoothies zubereitet, gemeinsam genossen oder kostenlos abgegeben.
• www.pro-portion.fr
La cantine anti-gaspi
Derzeit werden in Frankreich jedes Jahr drei Milliarden Mahlzeiten in der Gemeinschaftsverpflegung serviert, 540.000 Tonnen weggeworfener Lebensmittel sind noch verzehrbar. Dies bedeutet, dass jedes Jahr in der Schulverpflegung in Frankreich eine Million Mahlzeiten verloren gehen.
Abbilfe schaffen soll das Projekt La cantine anti-gaspi. Im Département Oise testet es, ob eine App, mit der Eltern das Schulessen be- und abbestellen können, eine Lösung sein könnte.
Zudem werden heute landesweit die Schüler über Lebensmittelverschwendung und deren Auswirkungen auf die Umwelt aufgeklärt. Sie lernen auch, wie sie aus überschüssigen Zutaten Mahlzeiten zubereiten können.
• https://beta.gouv.fr/startups/anti-gaspi-cantine.html
Meal Canteen
Meal Canteen nennt sich die erste anti-gaspi-App für die Gemeinschaftsverpflegung in Schulen, Heimen oder Betrieben. Seit 2016 will sie die Lebensmittelverschwendung bereits an der Quelle eindämmen.
• www.facebook.com/mealcanteen
Too good to go
Mit dieser App könnt ihr auch in Frankreich überschüssige Lebensmittel zu einem reduzierten Preis in Restaurants, Bäckereien und Supermärkten kaufen und so die Lebensmittelverschwendung reduzieren.
• www.toogoodtogo.com/fr
Zéro gâchis
Zéro-Gâchis ist die erste französische App für anti-gaspi-Einkäufe im Supermarkt. Zéro-Gâchis gehört zum Unternehmen Smartway, das sich auf Zero-Waste-Lösungen für Großunternehmen spezialisiert hat.
• https://zero-gachis.com
Save Eat
Save Eat ist eine intuitive und unterhaltsame App, mit der ihr die eingekauften Produkte in eurem Kühlschrank oder euren Schränken nicht mehr vergesst. Die 2016 von den beiden jungen Ingenieurinnenen Dorothée Bessière und Isaure Tsassis entwickelte App behält die Mindesthaltbarkeitsdaten im Auge und schlägt euch Rezepte vor.
• www.saveeat.co
Nous anti-gaspi (Wir gegen Verschwendung)
Bereits 2018 gründeten Vincent Justin und Charles Lottmann ihr Unternehmen Sozial- und Solidarwirtschaft. NOUS Anti-Gaspi arbeitet mit mehr als 900 Lieferanten zusammen und bietet in seinen 25 Lebensmittelgeschäften Produkte an, die für den Müll bestimmt waren oder es nicht in den Handel geschafft haben.
Zum Sortiment gehören Produkte, deren Mindesthaltbarkeitsdatum nahe oder überschritten ist, sowie Obst und Gemüse mit kleinen Mängeln. Derzeit sind ihre Geschäfte nur im Nordwesten von Frankreich zu finden.
• www.nousantigaspi.com
Willy anti-gaspi
Inzwischen gibt es auch den ersten anti-gaspi-Lieferdienst in Frankreich. Clément Méry und Jonathan Negrin von Willy anti-gaspi kaufen ihre Qualitätsprodukte direkt von den Marken, die aus unterschiedlichsten Gründen – kurzes Mindesthaltbarkeitsdatum, Eventverpackung oder Produktionsüberschuss – nicht verkauft wurden.
Innerhalb von maximal drei Tagen liefern sie diese Waren als einzelnes Produkt oder Präsentkorb landesweit aus, oftmals bis zu 50 Prozent günstiger.
https://willyantigaspi.fr
Anti-Gaspi-Angebote für Unternehmen
Solaal
Der Verein Solaal agiert als Vermittler und fördert Lebensmittelspenden zwischen der Agrar- und Lebensmittelbranche und Lebensmittelhilfeverbänden. Er vereint Akteure aus dem Großvertrieb, landwirtschaftlichen Branchenverbänden, Agrarsektorverbänden und Großhandelsmärkten.
• www.solaal.org
Beesk
Die Bretonen Fabien Gastou und Faustine Calvarin gründeten mit Beesk im Jahr 2018 in Rennes ein B-to-B-Unternehmen, das nicht standardmäßige Produkte und Überschussproduktionen des Handels aufkauft und unter dem üblichen Handelspreis an Gemeinschafts- und kommerzielle Catering-Dienste weiterverkauft.
• www.beesk.fr
Phenix
In Frankreich gibt es inzwischen Dutzende anti-gaspi-Startups. Phenix hilft Unternehmen, indem es Lebensmittel- und Non-Food-Überschüsse, die zur Vernichtung bestimmt sind, recycelt. Das 2014 von Jean Moreau und Baptiste Corval gegründete Unternehmen gibt unverkauften Artikeln ein zweites Leben durch Spenden an Vereine, Werbung für kurzfristige Produkte oder als Tierfutter. Partner von Phenix sind unter anderem Carrefour, Casino, Franprix, L’Oréal, Lesieur und Henkel.
Phenix war in der ersten Auswahl von Next40 vertreten und kaufte im März 2019 Graapz, um sein Angebot zu erweitern. Einige Monate später startete das Unternehmen eine eigene Anwendung, die es ermöglicht, Überschüsse von Gastronomen, Bäckereien, Caterern und Lebensmittelgeschäften zu niedrigen Preisen weiterzuverkaufen.
• www.wearephenix.com
Comerso
Auf Abfallvermeidung im Allgemeinen und im großen Stil hat sich Comerso spezialisiert. Mit Lagerräumung, Spenden an Vereine und kreislauforientierte Abfallverwertung hilft es Unternehmen wie E.Leclerc, Carrefour, Intermarché, Système U und Leader Price beim anti-gaspi-Kampf.
• www.comerso.fr
Finanzierungshilfen
MiiMOSA
MiiMOSA ist die führende europäische Crowdfunding-Plattform. Ihr Ziel ist es, den landwirtschaftlichen Wandel zu beschleunigen, um die Ernährungs-, Gesundheits-, Klima-, Umwelt- und Energieherausforderungen von morgen zu lösen.
Seit 2015 hat MiiMOSA 6.500 Projekte mit einer Gesamtsumme von 120 Millionen Euro in Frankreich und Belgien unterstützt. Im Januar 2022 initiierte Mimosa den ersten Schuldenfonds zu diesem Thema.
• Tel. 01 42 70 93 20, bonjour@miimosa.com, https://miimosa.com
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