La Baguette: So gelingt Frankreichs Welterbe-Brot!
Die Kunst des knusprigen Glücks: Warum das Baguette Weltkulturerbe wurde – und wie es auch euch perfekt gelingt!
Morgens um sechs ist die Welt noch in Ordnung. Der Duft von frisch gebackenem Brot durchzieht die Straßen der Städte und Dörfer Frankreichs. In den Bäckereien türmen sich goldbraune Stangen auf, perfekt geformt und noch warm. Einen Tag beginnen ohne eine tartine, ein Stück frischer Baguette mit hausgemachter Konfitüre, zum Morgenkaffee? Undenkbar! Täglich wandern sechs Milliarden dieser knusprigen Kunstwerke über die Ladentheken – 100 Stück pro Kopf und Jahr. Weder in Kontinentalfrankreich noch in den französischen Überseegebieten möchte man darauf verzichten. Es ist die beliebteste Brotsorte im ganzen Land.
Seit dem 29. November 2022 ist diese Leidenschaft offiziell: Die UNESCO erklärte das französische Baguette zum Weltkulturerbe. Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, war ein gezielter Rettungsversuch.
Die französischen Bäckerinnung Confédération Nationale de la Boulangerie et Boulangerie-Pâtisserie Française mit ihren 96 Départementsverbänden hatte sich seit Jahren dafür starkgemacht. Unterstützung gab es von Roselyne Bachelot, von Juli 2020 bis Mai 2022 französische Kulturministerin. In enger Zusammenarbeit mit ihrem Kollegen Julien Denormandie, von Juli 2020 bis Mai 2022 Minister für Landwirtschaft und Ernährung im Kabinett Castex, soll dieser Rückgang gestoppt und das Handwerk aufgewertet werden.
Kampagnen sollten das Volk sensibilisieren, nicht länger billige, industriell hergestellte Baguettes zu kaufen, sondern wieder lokal vor Ort echtes handwerkliches Stangenweißbrot.

Das Sterben der Dorfbäcker
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. 1970 versorgte eine boulangerie versorgte 790 Einwohner, heute muss eine für 2.000 Menschen reichen. Von einst 55.000 kleinen Bäckereien blieben nur 33.000 übrig. Besonders auf dem Land verschwinden die traditionellen boulangeries – und mit ihnen ein Stück französische Seele.
Die Gefahr kommt von zwei Seiten: Supermärkte verkaufen industriell gefertigte Baguettes zu Dumpingpreisen, während junge Menschen andere Berufswege wählen. In aller Herrgottsfrühe morgens das Brot zu backen. Non merci, denken immer mehr von ihnen. Die Supermarktkette Leclerc sorgte 2022 für Empörung, als sie Baguettes monatelang für 29 Cent das Stück verschleuderte – ein Schlag ins Gesicht aller Handwerksbäcker.

Einfach gut
Der Ursprung der Ikone geht auf die langen Brote des 17. Jahrhunderts zurück. Doch erst im 20. Jahrhundert wurde es richtig populär. Die Zusammensetzung des berühmten Brotes ist äußerst einfach.
Es besteht nur aus vier Zutaten: Wasser, Mehl, Salz, Hefe oder Sauerteig. Seine Herstellung indes ist eine wahre Kunst. Es wird den ganzen Tag über in kleinen Chargen gebacken und seine Rezeptur variiert je nach Temperatur und Feuchtigkeit. Und so gibt es im Land so viele verschiedene Baguettes, wie es Bäcker gibt.
Jedes Jahr verkaufen Frankreichs Bäcker rund sechs Milliarden Baguettes – rund 100 Stück pro Kopf! Seit 1963 legt ein Weißbrot-Gesetz fest, wie eine traditionelle Baguette gefertigt werden muss. Ein richtiger Bäcker muss die knusprige Stange mit weichem Innenleben stets selbst herstellen: 250 Gramm schwer und bien cuite, schön knusprig. Aufgebackene Teiglinge sind tabu. Wer sich traditionelle Bäckerei nennen will, muss alles selbst herstellen.
Vielfalt in der Tradition
Das klassische Baguette hat längst Gesellschaft bekommen. Die hauchzarte ficelle, die rustikale campagnarde, die weizenährenförmige épi – jede Region, jeder Bäcker prägt eigene Varianten. Vollkorn, Dinkel, Körner oder Kleie sorgen für Vielfalt im Teig, Füllungen mit Nuss, Feige oder Olive bereichern das Sortiment. Die Tradition bleibt lebendig, indem sie sich wandelt.
Das beste Baguette des Landes
Der Meister der besten Baguette kürt alljährlich seit 2013 bei einem nationalen Wettbewerb. Nur Bäcker und Bäckerinnen, die bereits auf Départements- und Regionalebene gewonnen haben, dürfen an dem prestigeträchtigen Wettbacken der Confédération Nationale de la Boulangerie et Boulangerie-Pâtisserie Française teilnehmen.
Der zWettbewerb ist traditionell Teil der Fête du Pain , die Frankreich um den 16. Mai herum feiert, dem Tag des heiligen Honoré, des Schutzpatrons der Bäcker. Er verläuft in zwei Etappen. An den ersten beiden Tagen finden die Qualifikationen statt. Alle Kandidaten treten gegeneinander an. An jedem Tag wählt die Jury die jeweils sechs besten Baguette-Bäcker und Bäckerinnen aus.
Am dritten Tag steigt das Finale. Dann kämpfen die sechs Besten aus Tag 1 und 2 um den Titel, das Preisgeld … und den prestigeträchtigsten Auftrag des Landes. Denn der frisch gekürte Gewinner darf ein Jahr lang den Élysée-Palast und damit den amtierenden Präsidenten beliefern.
Für die Qualifikation müssen 20, für das Finale 40 traditionelle französische Baguettes hergestellt werden, die den Anforderungen des Artikels 2 des Dekrets Nr. 93-1074 vom 13. September 1993 entsprechen.
Diese Baguettes werden mit Zutaten hergestellt, die der Verband ohne Angaben der Marken zur Verfügung stellt. Die Verwendung von Zusatzstoffen und Verbesserungsmitteln ist verboten. Die Baguettes müssen 50 cm lang sein (Toleranz + 5 %) und nach dem Backen 250 g wiegen (Toleranz + 5 %). Der Salzgehalt darf 18 g pro Kilogramm Mehl nicht überschreiten. Jedes Baguette, das diese Kriterien erfüllt, erhält für die Bewertung eine Banderole mit dem Namen des Kandidaten.
Die Jury besteht aus Profis, Journalisten und sechs Amateuren. Bei einer Blindverkostung bewerten sie Geschmack, Geruch, Aussehen, Krume und Kruste. Null bis vier Punkte dürfen sie vergeben.

La vraie baguette: das Grundrezept
Alle französischen Bäcker lernen bei ihrer Ausbildung dieses Rezept. Danach beginnen sie zu experimentieren, verändern die Garzeit, das Kneten und/oder den Wasseranteil, wählen andere Mehle und spielen mit der Backzeit und -temperatur.
Ein perfektes Baguette zu backen, gelingt vielleicht nicht gleich auf Anhieb. Aber schon dieses Probieren, Kosten, Riechen und Genießen ist Teil des Spaßes, den das Baguette-Backen mit sich bringt. Bonne chance !
Reguläre Baguettes enthalten heute Zusatzstoffe. Nur Baguettes de Tradition sind davon frei.
Baguette de tradition
Zutaten
• 1000 g Mehl T 65 (wer es in Deutschland nicht erhält, notfalls Mehl vom Typ 550 nehmen)
• 680 g Wasser
• 18 g Salz (1,8 %)
• 10 g Hefe
fakultativ: 100 g pâte fermentée (fermentierter alter Teig)
Zubereitung
Wichtig bei der Baguette-Herstellung sind die perfekten Temperaturen für die Teiggare. Ist der Ort, an dem ihr backt, 20 Grad Celsius warm, sollte das Wasser, das ihr beifügt, rund 17 Grad warm sein.
Teig ansetzen
• Mehl und lauwarmes Wasser vermengen. Mit dem Knethaken die Zutaten vermischen und fünf Minuten lang auf Stufe zwei kneten. Bitte nicht Wasser hinzufügen, wenn es zunächst recht schwer geht. Zu viel Wasser im Teig führt dazu, dass der Teig zu schnell geht – und beim Backen dann flach wie eine Flunder bleibt.
• Bei Raumtemperatur das Mehl-Wasser-Gemisch mindestens 20 Minuten abgedeckt ruhen lassen.
• Die Hefe fein zerkrümeln, mit dem Salz mischen und gemeinsam, falls vorhanden, mit der pâte fermentée zum Vorteig geben. Mindestens drei Minuten auf Stufe eins, dann noch weitere vier bis fünf Minuten auf Stufe zwei kneten.
• Wer mit der Hand den Teig knetet, sollte ihn mindestens zehn Minuten lang gut durchwalken, gerne auch länger. Der Teig sollte geschmeidig sein und nicht mehr an den Händen kleben, sondern gut abgebunden haben.
Teigruhe
• Den Teig zwei Stunden lang bei Zimmertemperatur abgedeckt ruhen lassen.
• Dabei nach 30 Minuten den Teig auf einer leicht bemehlten Arbeitsfläche auseinanderziehen und wie einen Brief falten, den ihr in einen länglichen Umschlag stecken wollt.
• Den Teil ruhen lassen und nach 30 Minuten erneut falten.
• Den Teil danach zur Kugel formen und abgedeckt noch weite 60 Minuten ruhen und gehen lassen.
Teig teilen
Ihr wollt das nächste Mal mit der pâte fermentée backen? Dann nehmt jetzt rund 100 Gramm vom Teig ab und legt ihn in ein Schraubglas, das noch Platz zu Wachsen lässt. Den Deckel nur ganz leicht zuschrauben. Das Glas in den Kühlschrank stellen. Wer die Teigmutter nicht innerhalb einer Woche nutzt, muss sie füttern und nach sechs bis sieben Tagen etwas Wasser und Mehl unterkneten.
In Form bringen
Beim Formen der Baguettes ist es wichtig, dass der Teig nicht zu viel Gas verliert.
• Den Teig vorsichtig flach ausrollen. Das obere Drittel zur Mitte falten und die Enden mit den Fingerspitzen an den Kanten festdrücken. Zweimal wiederholen.
• Diese Teigstange nun zum Baguette rollen.
• Die Baguettestangen ein wenig mit Mehl bestäuben und auf ein bemehltes Küchentuch legen. Zwischen den einzelnen Stangen den Stoff zur Abgrenzung etwas hochziehen.
• Die Baguette-Rohlinge mit einem Tuch abdecken und vor Zugluft schützen. Bei der Teiggare dürfen sie 60 Minuten nicht gestört werden (nein, auch nicht nachgucken und das Tuch kurz anheben!).
Ab in den Ofen
• Den Backofen auf rund 240 Grad Celsius Ober-/Unterhitze vorheizen. Auf keinen Fall Umluft verwenden – das killt jedes Baguette. Je heißer der Ofen, desto krosser die Kruste.
• Das Backblech mit Mehl bestäuben – ihr braucht dann kein Backpapier! Mit einem scharfen Messer schwungvoll knapp einen Zentimeter tief mit etwas Abstand schräg oder längs einschneiden, pro Brot rund vier bis sechs Mal.
• Die Baguettes in den Ofen schieben und die ersten fünf Minuten bei 240 Grad Celsius backen, dann die Temperatur auf 220 Grad Celsius senken. Knusprig goldbraun backen. Ob das Brot durchgebacken ist, verrät der Klopftest. Wenn ihr mit dem Fingerknöchel auf die Unterseite klopft, muss es hohl klingen. Achtung: Die Temperaturangaben sind Zirka-Werte, jeder Ofen arbeitet anders – blickt immer mal wieder auf die Kruste. Sobald sie goldbraun ist, ist meist auch das Innere gar.
• Das fertig gebackene Baguette auf einem Gitterrost auskühlen und abdampfen lassen. Bon appétit !
Le Pani Vending: Baguette rund um die Uhr
Nicht geht über ein gutes Baguette. Besonders, wenn es frisch und knusprig aus dem Ofen kommt. Doch was, wenn die Bäckerei geschlossen ist? Jean-Louis Hechthat 2013 die Lösung gefunden: einen Baguette-Automaten.
Pani Vending taufter der damals 57-jährige Bäcker aus dem Departement Moselle seine Erfindung. Drinnen birgt er Baguettes, die nur vorgegart werden, bevor sie in den Automaten kommen. Dort können bis zu 120 Baguette-Rohlinge bis zu 24 Stunden lagern. Sobald der Kunde gezahlt hat, werden sie frisch im Automaten gebacken. 55.000 Euro kostet das Gerät. Inzwischen steht es nicht nur an vielen Orten in Frankreich, sondern selbst in Russland.
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