Briefe aus Saint-Paul: der Kreisel
Einen Kreisel! Nun haben auch wir einen solchen erhalten. Bekrönt mit einer alten Weinpresse, signalisiert er an der Départementstraße D 117 den Ortseingang von Saint-Paul-de-Fenouillet. Und zwingt, drastisch den Fuß vom Gas zu nehmen. Das ist gewollt – und sorgt dafür, dass immerhin jeder Neunte das Tempo-30-Limit beim Passieren des Ortes auf den ersten Metern einhält.
Nummer 30.001 ist unser Kreisel laut Statistik. Eine Zahl, die Frankreich zum Weltmeister macht. Kein Land hat mehr Kreisverkehre. Fast die Hälfte aller Kreisverkehre der Welt befinden sich im Hexagon.
Eine Pariser Weltneuheit
Und damit dort, wo der Kreisverkehr einst erfunden wurde. 1906 realisierte der Pariser Stadtplaner Eugène Hénard an der Place de l’Étoile im Jahr 1906 den ersten Kreisverkehr der Welt.
Zwölf Straßen münden dort in den Platz. Ihre Namen erinnern an berühmte Männer des Empire. Den einfassenden Kranz aus zwölf markanten Gebäuden schuf ein französischer Architekt mit deutschen Wurzeln, Jakob Ignaz Hittorff.
Um den Verkehrsstrom zu regeln, kam Hénard auf eine einfache wie brillante Idee. Alle Fahrzeuge sollten gezwungen werden, in nur eine Richtung zu fahren. So sollte der Verkehr flüssig fließen und das Risiko für Fahrer und Fußgänger gesenkt werden. Die Idee bewies sich als gut: Schon im ersten Jahr sank die Zahl der Autounfälle um 40 Prozent.
Vorfahrt wie einst
Seit 1970 trägt der verkehrsumtoste Sternplatz den Namen des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle. Als einer der letzten Kreisel Frankreichs hat er die damalige „Straßenverkehrsordnung“ beibehalten. Auch in Dijon gibt es mit der Place du Président Wilson einen solchen Kreisel.
Nur dort haben die in die Kreuzung einfahrenden Autos, die von der rechten Seite der anderen Fahrer kommen, Vorfahrt. Im restlichen Land indes haben die Fahrzeuge im Kreisel Vorfahrt. Auf Youtube zeigt ein timelapse, wie der Verkehr dort fließt. Oder steht.
Als zweiter Kreisel im Land entstand der Kreisverkehr an der Place de la Nation. Heute sind es mehr als 30.000 Kreisel, und jedes Jahr kommen 500 und 800 Kreisel hinzu. Inoffiziell ist längst von mehr als 50.000 Kreisverkehren der Rede. Doch wer nun glaubt, die meisten von ihnen seien in Paris zu finden, irrt.
Die Kreisel-Champions
Spitzenreiter der Départements mit den meisten Kreiseln ist die Vendée mit 1547 rond points. Dort gibt es 2,77 Kreisverkehre pro 1000 Einwohner. Nahezu jede Straßenecke ist dort ein Kreisel. An zweiter Stelle folgt das Département Loire-Atlantique vor Maine-et-Loire. Ebenfalls unter den Top Ten zu finden sind die Départements Pyrénées-Orientales, Landes, Haute-Garonne, Île-et-Vilaine und Morbihan.
Teure Selbstdarstellung
Mühlen, Amphoren, Karren und reizvolle Gehölze schmücken die Kreisverkehre. Dann ragt ein riesiger Maulwurf aus einem Erdklumpen heraus, weist ein Sessellift-Teilstück mit seinem Dreisitzer auf einen Unternehmenssitz hin, lässt eine Strandhütte, aus der Möwen entfliehen, von Urlaub träumen oder tummeln sich Märchenfiguren und Wichtel auf den giratoires. In Marseille erhebt sich am rond-point von Pierre Guerre ein Daumen des Bildhauers César.
Die Selbstdarstellung des Ortes inmitten des brausenden Verkehrs lassen sich die Kommunen mitunter einiges kosten. Den Kosten-Rekord hält eine Sonnenuhr von Perpignan im Département Pyrénées-Orientales.
30 Meter hoch ragte der 30 Meter lange Pfeil der größten vertikalen Sonnenuhr Europas ab 2013 in den Himmel. Hier stellt der Lokalsender France Bleu das Kunstwerk vor.
Solart 2 hatte ihr Künstler Marc-André 2 Figueres (MA2F,) sein Werk genannt. 298.000 Euro hatte die Communauté d’agglomération Perpignan Méditerranée für das Wahrzeichen hingeblättert.
Am 19. Januar 2019 besprühten die Gelbwesten die Mega-Uhr, legten Autoreifen um den Sockel und steckten sie in Brand. Durch die Hitze geschwächt, drohte die Skulptur einzustürzen.
Die Nadel von Richier in Elne wurde abgebaut. Der cadran solaire, bei der Einweihung als neuartige Verbindung von zeitgenössischer Kunst und wissenschaftlicher Forschung gefeiert, ist nun für das Recycling bestimmt.
Der französische Bund der Steuerzahler hat sogar einen Preis für den schlechtesten Kreisel ausgelobt, den Prix du Pire Rond-Point de France
Kreisel nehmen à la française
Franzosen sind echte Könner beim Kreiseln. Mit wachem Auge erblicken sie ihre Lücke, schießen blitzschnell auf diesen Platz, fahren innen und blinken links, solange sie kreisen, bringen sich auf Spur zur Ausfahrt, blinken rechts und sausen weiter. Wer ihnen zuschaut, hat auch als Neuling schnell den richtigen Dreh beim Kreisel raus.
Und falls der Sog der kreiselnden Autos einen zu weit nach innen gespült hat und man keine Chance zum „Ausbruch“ sieht, hilft ebenfalls ein Blick auf die Franzosen: Seitenscheibe runterkurbeln, Arme raus und Zeichen geben, in dem der Arm mehr oder weniger hektisch gehoben und gesenkt wird … und, falls alles nichts hilft, ein Finger-Signal für Nachdruck sorgt. Nach und nach schiebt sich so das eigene Gefährt nach außen. Ob die passende Ausfahrt oder die erstbeste genommen wird, ist den lädierten Nerven dann auch nicht mehr wichtig …
Alle Briefe aus Saint-Paul findet ihr hier.
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Merci, liebe Hilke, für den informativen Artikel.
Ich habe erst diesen Sommer von zwei Leuten die gleichen Erlebnisse gehört die ich auch hatte: Erste Fahrt nach Frankreich bzw. Paris. Jung, also war der Führerschein noch frisch.
Und dann am Arc de Triomphe gelandet. Man wird ruckzuck immer weiter nach innen gespült vom Strom der kreisenden Autos. Nach unzähligen Umrundungen dann der Ausbruch: „Kurbel die Seitenscheibe runter und halte den Arm raus, das machen die alle so.“ Nach und nach schiebt sich das Auto nach außen. Ob wir die passende Ausfahrt oder die erstbeste genommen habe weiß ich nicht mehr. Wir waren alle völlig mit den Nerven runter.
Aber genau so habe ich es auch von anderen erzählt bekommen.
Der einzige Kreisel in dem Rechts vor links gilt ist das aber nicht, ich kenne einige kleine wo das auch so ist. Keine Haltestreifen und „Vorfahrt Achten“-Schilder gleich Rechts vor Links.
Frank
Lieber Frank, ich denke, am Sternplatz haben schon viele von uns geschwitzt beim Kreiseln… puuh! Und ja, in Dijon habe ich letzten Monat auch so ein Relikt entdeckt – die Place Wilson. Bises, Hilke
Bonjour Hilke,
wie interessant, vielen Dank für den Artikel. Wieder etwas gelernt:-)
Bonne journée und liebe Grüße aus dem Périgord
Karin