Côte des Sables: Bretagne wie im Bilderbuch
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Côte des Sables: Naturschönheit!

Ich freue mich immer über Gastbeiträge. Diesmal stellt Elke Burkart ihren kaum bekannten Lieblingswinkel im nördlichen Finistère vor: die Côte des Sables.

„Eine urchige Naturschönheit“, schwärmt die Schweizer Lektorin, die 2013 ihren ersten Roman veröffentlicht hat: Mistraltage*.


Ein flach abfallender, einsamer Traumstrand, feinster weißer Sand, dazwischen große, abgeschliffene Fels­brocken, Dünengras-Büschel, dunkelgrüne Kiefern, eine sanfte Brandung… Mit dieser wunderbaren Aussicht zu logieren, weckt Begehrlichkeiten. Wer dächte in solch traumhafter Umgebung nicht daran, sich vergnügt in das Türkisblau der Fluten zu stürzen.

Doch der Bretagne an und für sich und vor allem ihrer Nordküste eilt nicht gerade der Ruf einer „Sonnenstube“ voraus. Das einzig beständige ihres Wetters ist sein konstanter Wechsel. Wer also wochenlanges Badevergnügen sucht, der sollte nicht in den Norden der Bretagne reisen. Dafür finden hier all jene, die wunderschöne Küstenstreifen abseits der Touristenströme schätzen, sowie Ruhe und Authentizität genau das, was sie suchen.

Urlaub, „les pieds dans l’eau“

Auch wenn ich den Südosten dieses Landes allen anderen Teilen vorziehe, so zieht es mich mit meiner Familie im Sommer jeweils in den Norden – wir mögen’s weniger heiß und weniger voll. Ans Meer reisen wir trotzdem gern. So nahmen wir dieses Mal den weiten Weg in die Bretagne unter die Räder. Fuhren in den äussersten Zipfel des Hexagons – weiter weg von meinem geliebten Südosten geht gar nicht! Ich bin also gespannt.

Ich gebe es zu, in der Nähe von Plouescat bin ich vor allem des schönen Ferienhauses und seiner einzigartigen Lage direkt am Meer (les pieds dans l’eau – die Füsse im Wasser) wegen gelandet. Vom Sofa aus das Auf und Ab der Gezeiten zu beobachten oder den Sonnenuntergang im Meer um 22 Uhr – und das Ende Juli – da kann auch eine Schlechtwetterfront die gute Laune nicht trüben. Im Notfall tun es Tee und ein gutes Buch – Entspannung pur.

Ein weißer Fleck auf der touristischen Landkarte

Die Orte in der näheren Umgebung findet man, mit Ausnahme einer kurzen Beschreibung von Roscoff, in keinem Reiseführer. Dieser Teil der Bretagne, die Côte de Léon, scheint ein weisser Fleck auf der touristischen Karte zu sein, eine Sperrzone für Fremde, ein der Landwirtschaft vorbehaltenes Gebiet.

Hier gedeiht nämlich sehr viel und sehr lange – es ist das größte Gemüseanbaugebiet Frankreichs – der „goldene Gürtel“. Wegen des Golfstromeinflusses sind die Winter mild und es kann bereits früh und noch bis spät im Jahr geerntet werden.

Die unter dem Namen Prince de Bretagne organisierten Genossenschaften beliefern den Rest des Landes zum Beispiel mit der Mehrheit der gewünschten Artischocken und des Blumenkohls sowie Zwiebeln mit AOC-Label.

Schwierige Zeiten am „Ende der Welt“

Côte des Sables: Fest für die LebensretterVom Tourismus allein könne man hier nicht leben, klärt mich eine freundliche Familie am Jubiläumsfest der „Sauveteurs en Mer“, der Seerettung aus Plouescat auf. Er biete lediglich die Möglichkeit eines finanziellen Zustupfs. Das Wetter im nördlichen Teil des Finistère sei daran schuld, da es mit seiner Launenhaftigkeit einen grossen Teil der Touristen vergraule.

Und so hätten die jungen Erwachsenen immer weniger berufliche Aussichten im westlichsten Westen Frankreichs und zögen meist fort, oft über den Atlantik in den Französisch sprechenden Teil Kanadas. Mit Blick auf ihre jugendlichen Töchter meint die Mutter, sie rate ihnen, jenen Beruf zu wählen, der sie interessiert – unabhängig davon, ob für dessen Ausübung wegziehen müssen.

Sie können ja später zurückkehren, meint sie augenzwinkernd. Dies würden viele Bretonen so halten. Wie auch der Nachbar unseres Ferienhauses, der, nun im Ruhestand, wieder in seine Heimat gezogen ist. „Ici, on est en forme“ – hier ist man gesund, meint er stolz, mit Blick in das regnerische Grau, während er auf das frische Baguette im Dépot de Pain wartet.

Bretonisch in Gefahr

Mit der Aussicht auf den sehr wahrscheinlichen späteren Wegzug ist für die hiesige Jugend das Erlernen der bretonischen Sprache wenig motivierend. Ihren Grosseltern wurde es als Schülern noch verboten, Bretonisch zu sprechen. Auf die Finger sei denjenigen geschlagen worden, die es zu sprechen wagten. Die bretonische Sprache galt als minderwertig. Paris wollte die Gleichheit – auch durch eine Sprache für ein Land. Dialekte und andere Sprachen wie das Bretonische waren verpönt und wurden verboten.

Côte des Sables: Dorfalltag

So tut sich die Region schwer darin, zu ihrer ursprünglichen Sprache, einer keltischen, dem Gälischen sehr ähnlichen, zurückzufinden. Es mangle an bretonisch sprechenden Lehrpersonen, vor allem für die älteren Schüler. Meine Vermutung, dass die ursprüngliche Sprache der Bretonen heute vor allem von jenen kultiviert werde, die auch die „alten“ Berufe wie Fischfang oder Landwirtschaft ausüben, sei falsch, meinte die Dame aus Plouescat. Es seien vielmehr Intellektuelle, welche die alte Sprache am Leben erhalten. Oftmals werde sie auch von den zurückgekehrten, älteren Bretonen wieder neu erlernt.

Côte des Sables: durch die Dünen ans Meer

Auch wenn ich ganz froh war, mich in meinem Urlaub problemlos auf französisch verständigen zu können und mich nicht an einem Ort wiederzufinden, an dem ich kein einziges Wort verstehe oder mich einer den Einheimischen fremden Sprache bedienen müsste – ich würde das Aussterben dieser Sprache sehr bedauern. Denn Sprache ist immer auch Kultur, ist Identität, ist Eigenständigkeit, ist Vielfalt. Die Welt würde ärmer…

Meer, Wind, Wandern, Radeln

Was wir in unserem Urlaub unternommen haben – in Ermangelung des Badewetters? Natürlich den lokalen Volkssport, „Peche à pied“ – Fischfang zu Fuß, Strandangeln, bei Ebbe. Hier erweist sich der feine Sand als sehr vorteilhaft, bleiben die Füße und Kleider doch sauber und sind im klaren Wasser Schollen auszumachen, die vortrefflich getarnt im Sand liegen.

Ein bei Ebbe riesiger, nahezu menschenleerer Sandstrand eignet sich außerdem ausgezeichnet fürs Steigenlassen eines Lenkdrachens. Wind weht fast immer ausreichend stark. Freunde der Megalith-Kultur kommen in diesem Landstrich der bizarren Felsanhäufungen mit Menhiren oder Dolmen ebenfalls auf ihre Kosten.

Genauso wie Küstenwanderer, die nicht nur auf den Jakobswegen, sondern es beispielsweise auf der Grande Randonnée 34 den Zöllnern von anno dazumal gleichtun und die bretonische Küste entlangwandernd die fantastischen Ausblicke übers Meer genießen können. An der Nordküste des Finistère finden sich außerdem unzählige Leuchttürme. Inseln sind für uns Binnensee-Piraten immer ein Vergnügen, vor allem, wenn wir sie, mit Wind in den Haaren, per Fahrrad erkunden können.

So sind wir kreuz und quer über die Île de Batz geradelt sowie auf der prominentesten Insel: Der Île d’Ouessant, die westlichste Insel Frankreichs. Danach kommt lange nichts. Und dann Amerika. Nächsten Sommer also wieder ab in die Bretagne? So weit mag ich gerade gar nicht denken. Immer, wenn die Sonne wieder tiefer steht, das Licht wärmer, die Früchte reif und die Temperaturen angenehm werden, zieht es mich in den Südosten Frankreichs. Das liegt mir einfach näher – auch in Kilometer – und bereitet mich bestens vor auf die dunkle, kalte Jahreszeit.

Côte des Sables: ein paar Tipps

Wanderung in den Dünen von Keremma

In den 5 Kilometer langen und 500 bis 1000 Meter breiten Dünen von Keremma finden sich zahlreiche Wege, sollte man nicht am Sandstrand entlang wandern – oder reiten – wollen. Die Bretagne hat zahlreiche Dünen, jene von Keremma ist jedoch die größte. Naturliebhaber kommen hier auf ihre Kosten, denn zwischen den Gräsern und Orchideen nisten Gänse- und Reiherarten, und wer frühmorgens oder abends unterwegs ist, wird vielleicht eines der vielen Kaninchen sehen, von denen die zahlreichen Löcher in den Dünen zeugen.

Im „Maison des Dunes“ – einem kleinen Informationszentrum samt Museum – kann sich der Besucher über die Entstehung und das Ökosystem von Dünen sehr anschaulich informieren. Und im Hof einen leckeren Kouign Amann, den bretonischen Butterkuchen, mit Vanilleeis und Sahne zum Kaffee genießen.

Roscoff

Wie erwähnt, findet man Roscoff in den Reiseführern. Die schmucke Stadt mutet sehr touristisch an, lohnt dennoch einen Ausflug. Hier gibt es zahlreiche Crêperien sowie eine Filiale der Maison Georges Larnicol. Ob er wirklich einer der besten Frankreichs ist, wie es groß angeschrieben steht („Un des Meilleurs Ouvriers de France. Pâtissier-Confiseur“), sei dahingestellt, doch es sieht wunderbar aus und duftet…!

Die Boutique in Roscoff ist herrlich und bietet z.B. verschiedene Variationen des Kouign Amann, des nahrhaften bretonischen Butterkuchens, in „Probiergröße“ als Kouingettes – eine gute Möglichkeit einer Annäherung. Außerdem herrlichen Caramel au beurre salé, die leckere Karamell-Crème mit gesalzener Butter hergestellt (Salz aus der Guérande).

Côte des Sables: Köstliches beim Bäcker

Plouescat

Die uralten Markthallen von Plouescat stehen – wie gewohnt – im Zentrum des kleinen, lebendigen Städtchens. Darum herum einladende Cafés, Crêperien, Metzgerei/Traîteur, Bäckereien. Außerhalb des Ortes stößt man auf Dolmen, Menhire und Wegkreuze als stille Zeugen der Vergangenheit. Einen erholsamen Ausflug wert!

Sonntagsmarkt in Kerfissien (Gemeinde Cléder)

Im Sommer findet jeden Sonntag Vormittag ein kleiner Markt am Hafen von Kerfissien statt. Einige Obst- und Gemüsehändler, Kunsthandwerker, Fischstände mit Schalentieren. Doch die meisten Menschen werden von den Feinkostständen angezogen, die vor Ort Hähnchen braten oder einen Eintopf mit Kartoffeln, Speck und Würsten. Auch die verschiedenen Pasteten (z.B. mit den berühmten Zwiebeln aus Roscoff) lassen das Wasser im Mund zusammenlaufen und wir freuen uns, dass wir nicht in einem Hotel, sondern in einem Ferienhaus logieren, um uns hier nach Herzenslust zu versorgen. Die Schlagen sind lang – das Sonntagsessen trotzdem schnell auf dem Tisch.

Île de Batz

Sie ist klein, die Île de Batz. Gerade mal rund drei Quadratkilometer groß. Doch sie ist malerisch. Und wer lange Überfahrten mit dem Schiff nicht gut verträgt, der schafft die nicht einmal halbstündige Reise in der Regel locker. Dafür lohnt der Ausblick vom Leuchtturm oder der Besuch des botanischen Gartens. Nach der Fahrt vorbei an den Gemüsefeldern mit sandigem Boden, darf bei Badewetter an einem der Sandstrände verweilt werden, bevor die Überfahrt zurück nach Roscoff ansteht.

Dorffeste der Region

Beim aufmerksamen Bummel durch die Orte oder am schwarzen Brett des Supermarktes findet man Plakate oder selbstgeschriebene Hinweistafeln für die im Sommer zahlreich stattfindenden Dorffeste. Diese bieten eine besondere Gelegenheit, Land und Leute authentisch zu erleben, wirklich einzutauchen und teilzunehmen. Wer er wagt, wird erkennen, dass die Bretonen alles andere als abweisend oder kühl sind.

Noch selten haben wir es, wie in Morlaix, erlebt, dass wir von Einheimischen auf schöne Häuser aufmerksam gemacht worden sind und einen Teil der Geschichte des Ortes oder der Bauwerke erzählt bekommen haben. Das Gespräch mit einer Familie am Jubiläumsfest der Seerettung in Plouescat hat bestimmt zwei Stunden gedauert und war keine Sekunde langweilig oder oberflächlich. Für Menschen mit offenen Augen und Herzen bietet sich hier ein Zugang, der Reisen zum Erleben werden lässt.


Der Beitrag von Elke Burkart ist ein Gastartikel in einer kleinen Reihe, in der alle, die dazu Lust haben, ihre Verbundenheit zu Frankreich ausdrücken können. Ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Frankreich, Erlebnisse, Gedanken.

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