
Julio Cortázar beschrieb sie als „falsche Himmel aus Stuck und schmutzigen Oberlichtern“, Louis Aragon nannte sie „Menschenaquarien“ und „große Glassärge“, und Walter Benjamin verstand sie als „Fantasmorgien eines utopischen Ziels“: die Passagen von Paris.
Shopping ganz nostalgisch
Die Französische Revolution und die beginnende Industrialisierung veränderte das Einkaufsverhalten der Pariser. Während das Volk auf die Barrikaden ging, entstanden Ende des 18. Jahrhunderts die ersten überdachten Ladenstraßen, und besonders zwischen 1800 und 1860.
Es war die Zeit, als in den schmalen, oftmals noch ungepflasterten Straßen Lärm, Schmutz und Gestank immer mehr überhand nahmen und als sich dank der Erfindung des Eisenträgers lange Glasdächer mit Oberlicht konstruieren ließen.
Es war auch die Zeit, in der clevere Spekulanten erkannten, welche wirtschaftlichen Vorteile Einkaufspassagen in der Nähe des Palais Royal bieten konnten, wo Handel und Amüsement schon vorher geblüht hatten. Es war die Zeit, als der Typ des flanierenden Müßiggängers aufkam.
Staunende Dichter
In den Passagen war er vor dem Dreck und dem Krach der Gosse sowie den Unbilden der Natur. Seine Bewegungen, schrieb Walter Benjamin in seinem Passagen-Werk , wurden vom Tempo einer Schnecke bestimmt.
Auch Heinrich Heine spazierte »mit dem Kopf im Nacken und der Brille auf der Nase« erstaunt unter der ersten Gasbeleuchtung durch die Seine-Metropole. Weit mehr als 100 Einkaufsmeilen mit Restaurants und Teesalons führten ein glanzvolles Dasein im 1., 2, und 9. Arrondissement.

Untergang und Renaissance
Der Niedergang der Passagen begann schlagartig. Und war mit einem Namen verbunden: Baron Haussmann. Der Präfekt von Paris ließ ab 1853 Boulevards mit verbreitertem Trottoir und elektrischem Licht anlegen, an denen die ersten großen Warenhäuser standen.
Die überdachten Prachtstraßen verkamen zu bloßen Durchgängen, zu Abkürzungen zwischen den Boulevards, zu düsteren und schmutzigen Orten mit Dealern und Dirnen. Erst seit den 1990er-Jahren erleben besonders die 16 sorgsam restaurierten Passagen eine prachtvolle Renaissance.
Die schönsten Passagen von Paris
Galerie Vivienne
Zu den meistbesuchten und schönsten Passagen gehört die 176 Meter lange und nur drei Meter breite Galerie Vivienne, die F.-J. Delannoy 1823 hinter der Bibliothek Richelieu ganz in der Nähe vom Palais Royal gelegen.
Hinein führen drei Eingänge: 6, rue Vivienne; 4, rue des Petits-Champs und 5, rue de la Banque. Ihren Boden schmückt farbige Mosaike mit geometrischen Mustern. Sanft fällt das Licht durch das Glasdach.
Dort findet ihr mit der Librairie Jousseaume eine Buchhandlung, die sich vor allem auf Titel des 18.-20 Jahrhunderts spezialisiert hat, aber auch Reiseliteratur und Werke der schönsten Künste verkauft. Jousseaume ist der Nachfolger der ältesten Buchhandlung von Paris, der Librairie Petit-Siroux (1826).
Zur genussvollen Auszeit laden das Bistrot Vivienne, das Restaurant Le Bougainville und die alteingesessenen Weinhändlerfamilie Lucien Legrand Filles et Fils, die seit am langen Holztisch vor dem Geschäft und drinnen an der hufeisenförmigen Bar nicht nur Weine zu degustieren anbietet, sondern auch köstliche Kleinigkeiten serviert.
• www.galerie-vivienne.com

Galerie Colbert
Nur wenige Schritte von der Galerie Vivienne entfernt und zeitgleich erbaut, eröffnete 1826 die Konkurrentin: die Galerie Colbert. Auch sie ist ein architektonisches Meisterwerke mit Mosaikböden im klassizistischen Stil, Flachreliefs in Holz, Spitzbögen im Empire-Stil und einem Glasdach mit mächtiger Kuppel.
Doch es gibt einen riesigen Unterschied: Diese Pariser Passage birgt kein einziges Geschäft. Als Eigentum der Nationalbibliothek widmet sie sich ausschließlich der Kultur!
Ihr findet dort das Nationale Institut für Kunstgeschichte INHA und das Nationale Institut für Kulturerbe INP. Und, ganz am Eingang, die Art-Nouveau-Brasserie Le Grand Colbert – sie wird oft in Filmen gezeigt!
Vielleicht erkennt ihr sie als Drehort von Monsieur Claude und seine Töchter (Qu’est-ce qu’on a fait au Bon Dieu ?), einer Komödie von Philippe de Chauveron mit Christian Clavier und Chantal Lauby aus dem Jahr 2018?
Galerie Véro-Dodat
Als kürzeste Verbindung zwischen dem Louvre und den Pariser Hallen entstand diese Kleinod zwischen der 19, rue Jean-Jacques Rousseau und 2, rue Bouloi. im neoklassizistischen Stil. Bis heute ist ihr Dekor trotz der Renovierung von 1997 nahezu originalgetreu erhalten.
Ihren Boden schmücken geometrisch verlegte schwarze und weiße Marmorfliesen. Ein Palmettenfries trennt die Holztäfelungen und Spiegel der Wände von der Decke ab. auf der sich Glasflächen mit Gemälden abwechseln, die Landschaften zeigen.
Das passende Ambiente, dachte sich Christian Louboutin, und verkauft dort seine weltberühmten Schuhe mit der knallroten Sohle. Andere Geschäfte wechselnd hier schnell, doch die Küche ist beständig.
Im äußerlich schlichten Restaurant Véro-Dodat kommt grundsolide Küche aus Frankreichs Regionen auf den Teller – vom Gratin de poire et jambon à la fourne d’Ambert tiède aus der Auvergne bis zum Givet de porcelet mijoté au vin de Cahors.
• http://passagesetgaleries.fr/galerie-vero-dodat

Passage du Grand-Cerf
So hoch und luftig ist keine andere Passage von Paris: Mit 12 Metern ichter Höhe hält die dreistöckige, 100 Meter lange und 10 Meter breite Passage du Grand zwischen der 10, rue Dussoubs und 145, rue Saint-Denis seit 1825 den Stadtrekord.
Hier findet ihr neben Strickwaren vor allem Kunsthandwerk: Kunsthandwerk-Geschäfte: Schmuck, Möbel und Design. Schräg gegenüber vom Ausgang in der Rue Saint-Denis könnt ihr überdacht weiter bummeln: Dort beginnt die Passage Bourg-l’Abbé.

• http://passagesetgaleries.fr/passage-grand-cerf
Passage Jouffroy
In der Passage am Boulevard Montmartre 10-12 betrieben die Brüder Segas in Nr. 34 mehr als drei Jahrzehnte das weltweit einzige Fachgeschäft für Spazierstöcke. Ihr einzigartiges Sortiment ist aufgegangen in der Galerie Fayet.
Cannes Fayet ist der letzte Hersteller, der in Frankreich noch Stöcke herstellt. Er gehört heute zu Frankreichs Unternehmen des lebenden Kulturerbes.
Im Schaufenster stehen, als Blumenbund dekoriert, Wanderstöcke für 100 Euro. Im ersten Stock ruhen die Kostbarkeiten: spanische Fabrikate mit Schildplatt und Silberknauf für 8000 Euro, einen Faltstock aus Ebenholz für 14.000 Euro.
Das gegenüberliegende Spielwarengeschäft Pain d’Epices ist ein Paradies für handgefertigte Puppen, Teddybären, Blechspielzeug und andere Traditionsspielwaren. Hier findet ihr auch einen riesigen Paddington Bear, von dem es weltweit nur 300 Exemplare gibt.
Am Ende der Galerie versteckt sich das 1847 eröffnete Hôtel Chopin mit 36 winzigen Zimmern voller Charme. Am Boulevard-Eingang der Passage lockt das Wachsfigurenkabinett Musée Grévin.
• http://passagesetgaleries.fr/passage-jouffroy
Passage des Panoramas

Bereits 1799 eröffnet wurde die Passage de Panoramas, die damit zu den ältesten Pariser Passagen gehört. Sie schließt sich südlich der Passage Jouffroy am Boulevard Montmartre an.
Sie ist nicht zurecht gemacht und auf schick restauriert, sondern besitzt einen notdürftig geflicktem Marmorboden und noch viel authentisches, unverändertes Flair. Schaut euch einmal ihre beiden Rotunden an, die Panoramen von Paris, Rom, Jerusalem und Toulon schmücken!
Auf 133 Metern Länge findet ihr dort vor allem Spezialgeschäfte von Sammlern von Briefmarken, Münzen, historischen Postkarten und Autogrammen. Adel und Prominenz ließen sich gerne im Luxuskontor der Graveursfamilie Stern von 1840 Visitenkarten und Familien-Todesanzeigen drucken.
Philippe Starck verwandelte die alte Druckerei für die Alajmo-Brüder und Gianni Frasi, in der vierten Generation Kaffeeröster aus Verona, in das stylische Caffè Stern. Für noch mehr Genussmomente sorgen der Chocolatier François Marquis und das nostalgische Bistrot des Panoramas mit rot-weiß karierten Tischdecken. Die Passage erscheint euch vertraut? Emile Zola hat sie in seinem Roman Nana beschrieben!
• http://passagesetgaleries.fr/passage-des-panoramas
Passage de Choiseul

Drei Eingänge – 23, rue Saint-Augustin; 40, rue des Petits Champs und 40, rue Dalayrac – führen hinein in die 2013 rundum erneuerte Passage des Opernviertels.
Antoine Tavernier hatte für ihren Bau 1827 im Auftrag der Bank Mallet vier hôtels particuliers abreißen lassen, um die 200 m lange Ladengasse anlegen zu lassen. Die Pläne für den Durchgang hatte zuvor einer der berühmtesten Pariser Architekten jener Zeit entworfen: François Mazois.

Heute findet ihr dort vor allem trendorientierte Geschäfte – vom Bio-Burger bis zur Zen Bar. Dort knabbern kleine Fische die alte Hornhaut an den Füßen ab!
Zu den Traditionsgeschäften, die dem schnellen Wandel im Zeitgeist trotzen, gehört Lavrut. Die 1922 gegründete Papeterie gehört zu den besten Pariser Adressen für edle Papier und Schreibbedarf. 2019 eröffnet sich gleich vier neue Standbeine in Paris. Stöbert einmal im Stammhaus und entdeckt die Vielfalt von Papier!
• http://passagesetgaleries.fr/passage-des-panoramas

Noch mehr tolle Passagen in Paris!
Galerie de la Madeleine
Zwei prächtige Karyatiden von Klagman rahmen den Haupteingang der Passage ein. Das Glasdach ist in Paneele unterteilt, die auf eleganten Strebebögen ruhen. 53 Meter lang und vier Meter breit, verbindet sie seit 1845 im 8. Arrondissement die Place de la Madeleine mit der Rue Boissy d’Anglas.
•http://passagesetgaleries.fr/galerie-de-madeleine
Passage du Bourg-l’Abbé
Die Passage du Bourg l’Abbé wurde 1828 zwischen der Passage du Grand Cerf und der Passage de l’Ancre erbaut und mündete ursprünglich in die gleichnamige Straße. Doch beim Durchbruch des Boulevard de Sébastopol und der Schaffung der Rue du Palestro verlor sie mehrere Meter – und ist seitdem 47 Meter lang und 43 Meter breit.
•http://passagesetgaleries.fr/passage-bourg-labbe
Passage Brady
Pakistan und Indien prägen diese Passage, die ein Kaufmann namens Brady 1828 im 10. Arrondissement erbauen ließ. Auch sie ist heute nur noch ein 216 Meter langes und dreieinhalb Meter breites Rumpfstück. Bein Durchbruch des Boulevard de Strasbourg verlor sie ihren mittleren Teil – und damit auch ihre Rotunde, die einst als elegantes Gelenk die leichte Schieflage ihres Verlaufs kompensierte.
Ab 1831 war die Passage Brady ein Secondhand-Basar mit vielen Händlern. Auch Lesekabinette und sogar Bäder barg sie einst. Seit den 1970er-Jahren ist sie fest in der Hand indischer und pakistanischer Händler, und auch ein indisches Restaurant findet ihr hier.
• http://passagesetgaleries.fr/passage-brady
Auch hier könnt ihr in Passagen bummeln!
Passage du Caire
• http://passagesetgaleries.fr/passage-du-caire
Passage des Princes
• http://passagesetgaleries.fr/passage-des-princes
Passage du Ponçeau
• http://passagesetgaleries.fr/passage-du-ponceau
Passage du Prado
• http://passagesetgaleries.fr/passage-du-prado
Passage Puteaux
• http://passagesetgaleries.fr/passage-puteaux
Passage Vendôme
• http://passagesetgaleries.fr/passage-vendome
Passage Verdeau
• http://passagesetgaleries.fr/passage-verdeau
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Meinen Baedeker „Paris“* gibt es ab 15. Oktober 2023 in der überarbeiteten 20. Auflage!
„Tango unter freiem Himmel: Die Stadt der Liebe: Der neue Reiseführer ‚Paris‘ zeigt – neben Sehenswürdigkeiten – besondere Orte für Höhenflüge, romantische Momente wie ‚Tango unter freiem Himmel‘ und unvergessliche Dinners. Dazu gibt’s viele Kulturtipps…“ schrieb die Hamburger Morgenpost über meinen Paris-Führer.
Zu den Fakten, unterhaltsamer präsentiert, gibt es jetzt auch Anekdoten und Ungewöhnliches, was ihr nur im Baedeker findet. Und natürlich ganz besondere Augenblicke und Erlebnisse, die euren Paris-Aufenthalt einzigartig und unvergesslich machen. Wer mag, kann meinen Paris-Reiseführer hier* bestellen.
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Galerie Vivienne: in der traditionsreichen Buchhandlung ein wunderbares Buch über Colette gefunden und danach in der Nachbarschaft unvergeßlich gut gegessen! Tolle Tipps! Danke! Von der Galerie aus sind es nur kurze Wege zu vielen interessanten Pariser Sehenswürdigkeiten!
Lieber Herr Dr. Traub,
Colette… das wäre auch mal ein schönes Thema, zumal es in ihrem Geburtsort Saint-Sauveur-en-Puisaye zur Literatin ein eigenes Museum gibt: http://musee-colette.com/.
Beste Grüße, Hilke Maunder