Das Schloss von Eu. Foto: Hilke Maunder
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Eu: die kleine Königsstadt

Im Norden der Normandie versteckt sich im Tal der Bresle eine beschauliche Kleinstadt mit grandiosen Bauten, die Geschichte geschrieben haben. Alles begann mit einer Burg, die im 11. Jahrhundert als normannisches Bollwerk gegen die nahe Picardie errichtet wurde. Kaum fertiggestellt, schrieb die Burg Weltgeschichte.

Auf dem einstigen Burgwall grasen heute Schafe. Foto: Hilke Maunder
Auf dem einstigen Burgwall grasen heute Schafe. Foto: Hilke Maunder

Die Hochzeit des Wikingers

Im Jahr 1050 heiraten dort Wilhelm der Eroberer und Mathilde von Flandern. Wilhelm II. stammte aus einem Wikingergeschlecht und war ab 1035 Herzog der Normandie. 1066 eroberte er England, wurde in Westminster zum König gekrönt und regierte England bis 1087. Sein Sohn Heinrich I. führte die Regentschaft weiter. Im Jahr 1135 starb er an vergiftetem Neunauge.

Vor der Kirche erinnert ein Gedenkstein an die Hochzeit Wilhelm des Eroberers. Foto: Hilke Maunder
Vor der Kirche erinnert ein Gedenkstein an die Hochzeit Wilhelm des Eroberers. Foto: Hilke Maunder

Der älteste Sohn von Matilda, der Tochter Heinrichs I., übernahm 1150 das Herzogtum Normandie. Und beauftragte Laurence O’Toole als seinen kirchlichen Botschafter.

Das Grab von O’Toole

Doch auch O’Toole verstarb unter mysteriösen Umständen. Der Geistliche ruht seitdem in der Krypta der Collégiale Notre-Dame von Eu. Wie der einstige Erzbischof von Dublin haben auch die Grafen von Eu liegend dort ihre letzte Ruhestätte gefunden.

Die Reliquie von Laurence O'Toole. Foto: Hilke Maunder
Die Reliquie von Laurence O’Toole. Foto: Hilke Maunder

In der Stiftskirche ist auch die Reliquie des Heiligen Laurence O’Toole (Lorcán Ua Tuathail) ausgestellt. Die silberne Büste enthält den Schädel des Heiligen.

Noch ein Blick auf die Reliquie von Laurence O'Toole. Foto: Hilke Maunder
Noch ein Blick auf die Reliquie von Laurence O’Toole. Foto: Hilke Maunder

50 Jahre später verbrachte die französische Nationalheldin Jeanne d’Arc eine Nacht in Gefangenschaft in Eu, bevor sie nach Rouen überführt wurde.

Das Grab von Laurence O'Toole (frz. Laurent). Foto: Hilke Maunder
Das Grab von Laurence O’Toole (frz. Laurent). Foto: Hilke Maunder

Das Lieblingsschloss von Louis-Philippe

1475 ließ König Ludwig XI. die Burg von Eu schleifen. Auf den Grundmauern ließ genau 100 Jahre später Johannes von Burgund ein Landschloss errichten, das ausgebaut und erweitert wurde – und zum Lieblingsschloss von Louis-Philippe I. (1773 – 1850) aufstieg.

1843 und 1845 empfing der französische Bürgerkönig dort die britische Königin Victoria. Ab 1890 lebte die exilierte Thronerbin von Brasilien, Isabella von Braganza-d’Orléans, mit ihrem Mann Gaston d’Orléans, Graf von Eu, bis zu ihrem Tod im Schloss.

Das Schloss von Eu gehört heute zum Kreis der 245 <em>maisons illustres</em> von führenden Persönlichkeiten in Politik, Wirtschaft, Kultur und Kunst. Foto: Hilke Maunder
Das Schloss von Eu gehört heute zum Kreis der 245 maisons illustres von führenden Persönlichkeiten in Politik, Wirtschaft, Kultur und Kunst. Foto: Hilke Maunder

Turbulente Zeiten

Am 11. November 1902 bracht ein Feuer im Schloss aus. Es zerstörte einen Großteil des Zentralbaus und den gesamten Südflügel. Drei Jahre später ließen Gaston d’Orléans und dessen Sohn Pedro de Alcántara d’Orléans das Château d’Eu wieder aufbauen. Doch auch dann endete die turbulente Geschichte nicht.

Die Reiterstatue von Prinz Ferdinand, Herzog von Orléans und ältester Sohn von König King Louis-Philippe und Königin Marie Amélie. Die Statue fertigte Carlo Marochetti. Foto: Hilke Maunder
Die Reiterstatue von Prinz Ferdinand, Herzog von Orléans und ältester Sohn von König King Louis-Philippe und Königin Marie Amélie. Die Statue fertigte Carlo Marochetti. Foto: Hilke Maunder

Nach mehreren Besitzerwechseln übernahm schließlich die Stadt Eu den prunkvollen Backstein-Palais mit seiner 90 Meter langen Fassade und den Steinpilastern, die sie schmücken. Im Südflügel residiert seitdem das Rathaus, im Nordflügel das Schlossmuseum.

Der Schlosspark von Eu. Foto: Hilke Maunder
Der Schlosspark von Eu. Foto: Hilke Maunder

Bühne für Natur und Kultur

Ein Traum in Rot und Gold ist das Schlosstheater aus der Zeit von Louis-Philippe. Als Théâtre municipal du Château-scène conventionné unterhält es mit einem breit gefächerten Programm. Neben Schauspiel und Comedy gehören auch Konzerte, Kino und Ausstellungen zum Repertoire.

Im Rosengarten des Schlosses. Foto: Hilke Maunder
Im Rosengarten des Schlosses. Foto: Hilke Maunder

Der kleine Schlosspark ist eine idyllische Oase mit Wasserspielen und Statuen inmitten von blühenden Blumenbeeten. Im Sommer blühen Tausende Rosen im historischen Rosengarten.

Das berühmte Zitat

Die Stiftskirche Notre-Dame-et-Saint-Laurent von Eu. Foto: Hilke Maunder
Die Stiftskirche Notre-Dame-et-Saint-Laurent von Eu. Foto: Hilke Maunder

Direkt gegenüber vom Schloss erhebt sich die Stiftskirche Notre-Dame-et-Saint-Laurent. Der ursprünglich gotische Bau wurde im 15. und 16. Jahrhundert umfangreich umgebaut. Staunend soll der Architekt Viollet-le-Duc, der in den Jahren 1860-70 die Wände des Kirchenschiffs, die Seitenfassaden und die Strebepfeiler restaurierte, ausgerufen haben:

Ich habe Größeres gesehen, ich habe Höheres gesehen, aber ich habe nie etwas Schöneres gesehen.

Hinein geht es durch ein Hauptportal mit drei Türen. Die mittlere Tür schmückt ein schöner, von Marmorsäulen getragener Bogen.

Schnitzkunst in Holz und Stein

Das Innere der Stiftskirche von Eu. Foto: Hilke Maunder
Das Innere der Stiftskirche von Eu. Foto: Hilke Maunder

Hell und licht ist das Innere. Strahlend leuchtet an der Nordwand die Fensterrosette. Die Kanzel wie die Orgel prunken mit kunstvollen Holzschnitzereien. Gegenüber der Kanzlei tragen Karyatiden einen mit Volants verzierten Baldachin.

Eindruckvolle Schnitzkunst schmückt die Stiftskirche Notre-Dame. Foto: Hilke Maunder
Eindrucksvolle Schnitzkunst schmückt die Stiftskirche Notre-Dame. Foto: Hilke Maunder
Detail des Baldachins. Foto: Hilke Maunder
Detail des Baldachins. Foto: Hilke Maunder

Der Kreuzweg

Die Wände schmückt ein Kreuzweg, der zu den Kapellen des Chores führt.

Schnitzereien in Holz und Stein schmücken den Kreuzweg. Foto: Hilke Maunder
Schnitzereien in Holz und Stein schmücken den Kreuzweg. Foto: Hilke Maunder
Detail einer Steinmetzarbeit am Kreuzweg. Foto: Hilke Maunder
Detail einer Steinmetzarbeit am Kreuzweg. Foto: Hilke Maunder
Votivtafeln schmücken die Wand neben dem Beichtstuhl der Stiftskirche. Foto: Hilke Maunder
Votivtafeln schmücken die Wand neben dem Beichtstuhl der Stiftskirche. Foto: Hilke Maunder

Nur wenig Schritte weiter ist ein Lichtschalter angebracht. Ein Klick, und der Weg erhellt sich. Stufen führen hinab.

Die Grablege der Grafen

Sie leiten hin zu einer großen Krypta aus dem 12. Jahrhundert. Liegende Marmorfiguren schmücken die Gräber der Familie Artois.

Die Krypta der Stiftskirche Notre-Dame. Foto: Hilke Maunder
Die Krypta der Stiftskirche Notre-Dame. Foto: Hilke Maunder
Die Krypta ist Grablege der Herrscher des Artois. Foto: Hilke Maunder
Die Krypta ist Grablege der Herrscher des Artois. Foto: Hilke Maunder
Der frühe Kindstod war einst viel verbreiteter als heute. Foto: Hilke Maunder
Der frühe Kindstod war einst viel verbreiteter als heute. Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Die Kapelle der Jesuiten

1580 ließ Henri de Guise das Jesuitenkolleg von Eu errichten. Als der Graf acht Jahre später in Blois ermordet wurde, geriet der Bau ins Stocken. Seine Gattin Catherine de Clèves sorgte dafür, dass der Bau dennoch fertiggestellt wurde.

Naturstein und Ziegel prägen die Architektur der Jesuitenkapelle. Foto: Hilke Maunder
Naturstein und Ziegel prägen die Architektur der Jesuitenkapelle. Foto: Hilke Maunder

1613 ließ sie eine Kapelle hinzufügen. Sie war Ignatius von Loyola, dem Gründer der Jesuiten, gewidmet. Ihre Architektur kombiniert wunderschön Ziegel und Naturstein.

Welch ein Rahmen für die Ausstellungen aktueller Kunst! Foto: Hilke Maunder
Welch ein Rahmen für die Ausstellungen aktueller Kunst! Foto: Hilke Maunder

Heute säkularisiert, fungiert die Kapelle aus Ausstellungshalle: Kunst von heute zwischen zwei prächtigen Kenotaphen von Katharina von Kleve und ihres Gatten Henri de Guise.

Der Kenograph von Henri de Guise. Foto: Hilke Maunder
Der Kenograph von Henri de Guise. Foto: Hilke Maunder

Himmlische Aussichten

Auf einem Hügel am Stadtrand erhebt sich die neogotische Chapelle Saint-Laurent. Sie wurde im 19. Jahrhundert zu Ehren des heiligen Lawrence O’Toole aus Ziegeln und Naturstein erbaut.

Aus 80 Metern Höhe eröffnet sie herrliche Ausblicke auf die Städte Eu, Le Tréport und Mers-les-Bains und das Tal der Bresle bis zur Mündung. An den Ufern der Bresle werden 80 Prozent der französischen Parfümflaschen produziert. Wie dies einst und heute erfolgt(e), verrät das Musée du Verre.

Typisch für die Fassaden nahe der Alabasterküste ist die Verwendungen von Feuerstein neben Backstein und Naturstein. Foto: Hilke Maunder
Typisch für die Fassaden nahe der Alabasterküste ist die Verwendung von Feuerstein neben Backstein und Naturstein. Foto: Hilke Maunder

Eu: meine Reisetipps

Schlemmen und genießen

Wochenmarkt

Freitags gastiert ein bunter Wochenmarkt auf der Place Guillaume le Conquérant.

Die Rue de la Grande Mademoiselle erinnert mit ihrem Namen an Marie Louise d’Orléans, Herzogin von Montpensier. Sie wurde la Grande Mademoiselle genannt.

Schlafen

Hôtel-Restaurant Maine

Im Belle-Époque-Speisesaal wird beste Fischküche serviert. In den Zimmern flirten Nostalgie und Zeitgeist.
• 20, Avenue de la gare, Tel. 02 35 86 16 64, www.facebook.com

Noch mehr Betten*
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Die Fassaden in Eu überraschen mit Vielfalt. Foto: Hilke Maunder
Die Fassaden in Eu überraschen mit Vielfalt. Foto: Hilke Maunder

In der Nähe

Bois l’Abbé

Der große Buchenwald von Eu bedeckt auf 9.300 Hektar eine Hochebene zwischen den Tälern der Flüsse Bresle und Yères. Dort werden seit 1965 die Überreste der galloromanischen Siedlung Bois l’Abbé mit Tempel, Theater und Häusern freigelegt. Jeden Sommer gibt ein Archäologie-Camp die Gelegenheit, mit auszugraben.
•  Service Municipal d’Archéologie, Tel. 02 33 50 23 24, archeo.eu@wanadoo.fr

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Gleich mehrere Muster von Fachwerk schmücken diese Fassade von Eu. Foto: Hilke Maunder
Gleich mehrere Muster von Fachwerk schmücken diese Fassade von Eu. Foto: Hilke Maunder

Weiterlesen

Im Blog

Zur Normandie gibt es unzählige Beiträge im Blog. Stöbert hier im Blog.

Im Buch

Glücksorte in der Normandie*

Steile Klippen und weite Sandstrände, bizarre Felslandschaften und verwunschene Wälder, romantische Fachwerkstädtchen und moderne Architektur – die Normandie hat unzählige Glücksorte zu bieten.

Gemeinsam mit meiner Freundin Barbara Kettl-Römer stelle ich sie euch in diesem Taschenbuch vor. Wir verraten, wo die schönste Strandbar an der Seine liegt, für welche Brioches es sich lohnt, ins Tal der Saire zu fahren, und wo noch echter Camembert aus Rohmilch hergestellt wird.

Unser Gemeinschaftswerk stellt euch insgesamt 80 einzigartige Orte vor, die oftmals abseits der eingetretenen Pfade liegen. Wer mag, kann es hier* bestellen.

Hilke Maunder_Normandie_Abseits

Normandie: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade*

Die Netflix-Serie „Lupin“ hat die Normandie zu einem touristischen Hotspot gemacht. Garantiert keine Massen triffst Sz bei meinen 50 Tipps. Sie sind allesamt insolite, wie die Franzosen sagen – ursprünglich, authentisch und wunderschön.

Die Landpartie durch die andere Normandie beginnt im steten Auf und Ab der Vélomaritime, führt zu den Leinenfeldern der Vallée du Dun, zu zottigen Bisons und tief hinein ins Bauernland des Pays de Bray, Heimat des ältesten Käses der Normandie.

Im Tal der Seine schmücken Irisblüten auf hellem Reet die Giebel alter chaumières, und Störche brüten im Marais Vernier. Von den Höhen vom Perche geht es hin zur Normannischen Schweiz und bis zur Mündung des Couesnan an der Grenze zur Bretagne. Hier* kannst Du den handlichen Führer bestellen.

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