Foto und Montage: Hilke Maunder

Frankreich und die DDR

1963 schloss Westdeutschland den Élysée-Vertrag mit Frankreich. Noch im gleichen Jahr folgte die Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerkes (DFJW). Die deutsch-französischen Beziehungen des zweiten deutschen Staates hingegen wurden gerne vernachlässigt. Zwar sind die ostdeutsch-französischen Beziehungen nicht mit den westdeutsch-französischen zu vergleichen, doch auch dort gab es sie.

Größtes Vehikel war seit 1955 die Hallstein-Doktrin. Die außenpolitische Maxime der BRD sah bis 1969 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR als „unfreundlicher Akt“ gegenüber der BRD an. Ziel war die außenpolitische Isolierung der DDR.

J’aime tellement l’Allemagne que je suis ravi qu’il y en ait deux. Ich liebe Deutschland so sehr, dass ich mich freue, dass es zwei davon gibt.

François Mauriac (1885-1970). Le Temps d’un regard (1978),

Umso mehr warb die DDR besonders im Rahmen ihrer auswärtigen Kulturpolitik um Anerkennung. Bereits ab 1949 gab es inoffizielle Beziehungen Ostdeutschlands zu Frankreich, ab 1973 ganz offiziell.

Frankreich: Vorbild & Sehnsucht

Die DDR-Regierung war seit der Staatsgründung sehr interessiert am Kulturkontakt mit Frankreich. Frankreich – das war das Land der Französischen Revolution, der Pariser Kommune, die Heimat der Résistance, einer Anti-Atomkraftbewegung mit Joliot Curie, mit starken Gewerkschaften, Zeitungen wie L’Humanité und das Land einer starken kommunistischen Partei (PCF), die mit 43.000 Anhängern (2021) noch immer die mitgliederstärkste kommunistische Partei Westeuropas ist.

Frankreich, das war in den Augen der damaligen DDR auch ein Land der Literatur. Molière, Émile Zola, Honoré de Balzac, Paul Éluard, Louis Aragon, Robert Merle, Michel Tournier: Das waren französische Schriftsteller, die auch in der DDR ein hohes Ansehen genossen und gelesen werden durften.

Reiseliteratur wie Rolf Schneiders „Von Paris nach Frankreich“ diente damals als Ersatz für persönliche und sinnliche Begegnungen. Das Fernweh und die Reiselust fanden in ihr ein Ventil.

Das Frankreichbild der DDR prägte auch der legendäre französische Humor. Komödien mit Louis de Funès brachten das Land zum Lachen. In der Musik ließ Georges Moustaki vom Süden träumen. In der Malerei stillte vor allem die Kunst des Impressionismus die Sehnsucht.

Ambivalentes Frankreich-Bild

In einem Staat, der die Reisefreiheit massiv einschränkte, fungierte Frankreich als Land der Sehnsüchte, Träume und als Projektionsfläche für Ideale. Das offizielle Frankreichbild der DDR setzte sich aus widersprüchlichen Komponenten zusammen.

Frankreich war zwar ein kapitalistischer Staat, doch zugleich ein Land mit revolutionären und republikanischen Traditionen. Mit dieser ambivalenten Einschätzung nahm Frankreich im Vergleich zu den anderen kapitalistischen Staaten, insbesondere zu den USA und der Bundesrepublik, eine Sonderrolle ein.

In Abgrenzung zur BRD positionierte sich die DDR als Vertreterin eines friedlichen Deutschlands, das aus der Vergangenheit seine Lehren gezogen hatte. In der BRD, so die Argumentation Ostdeutschlands, würden noch die alten Kräfte wirken. Jene hätten dafür gesorgt, dass Deutschland innerhalb von 70 Jahren dreimal Krieg gegen Frankreich geführt hatte. Die alten Feindbilder Frankreichs gegenüber Deutschland – sie könnten nur für die BRD gelten, nicht aber für die DDR, hieß es aus dem Osten.

Liberalere Zeiten

1969 rückte die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt von der Hallstein-Doktrin ab und beendete die rigide DDR-Politik Konrad Adenauers. Der Grundlagenvertrag 1972  über die Beziehungen zwischen der BRD und der DDR beendete den Alleinvertretungsanspruch der BRD. Auch Paris zeigte sich nun gegenüber Ostdeutschland flexibler.

Am 20. Januar 1970 unterzeichneten das Amt für Außenwirtschaftsbeziehungen der DDR und der Conseil Français du Commerce Extérieur einen Vertrag über den Austausch von Waren. Von 1970 bis 1974 machte er die DDR zum zweitwichtigsten Handelspartner Frankreichs im Ostblock. Obgleich sich das Warenvolumen bis 1979 verdoppelte, stellte der Handel mit der DDR im gleichen Jahr nur 0,24 % des französischen Außenhandels dar.

1974 schickte die DDR ihren ersten Botschafter nach Frankreich. Es war Dr. Ernst Scholz, ein Widerstandskämpfer und Deutsch-Franzose, der aktiv an der Résistance teilgenommen hatte und Moderator beim Radio Berlin gewesen war.

Frankreich entsandte Bertrand Guillier de Chalvron (1911-1990) als ersten Botschafter nach Berlin „bei der DDR“. Chalvron war im Krieg ebenfalls Mitglied der Résistance gewessen, im Mai 1944 von der Gestapo verhaftet, zum Tode verurteilt und in das Lager Buchenwald deportiert worden. Nach dem Krieg war der Gaullist politischer Berater der französischen Militärregierung in Berlin (1955 – 1962) gewesen.

1988 machte Erich Honecker, Generalsekretär der SED und Staatsratsvorsitzender, den ersten Staatsbesuch in Paris. Honecker war 1935 aus dem Saarland nach Frankreich geflüchtet und kannte das Land aus eigenen Reisen, was François Mitterrand und Jacques Chirac in ihren Reden immer wieder betonten. Honecker liebte französische Autos.

Ab 1978 fuhr er einen Citroën CX. Citroën-Generaldirektor Raymond Ravenel hatte diese Limousine nicht nur ihm, sondern auch Günter Mittag, ZK-Sekretär der SED, geschenkt – im Vorfeld zum 8. Juli 1978. Damals unterzeichneten der französische Autohersteller und die DDR ihren Vertrag über ein ostdeutsch-französisches Gelenkwellenwerk in Mosel bei Zwickau.

Sein Vorgänger als Vorsitzender des Staatsrates der DDR, Walter Ulbricht, hatte 1933 bis 1938 in Paris gelebt und von 1925 bis 1934 mit der Französin Rose Michel verheiratet gewesen war. 1931 wurde ihre gemeinsame Tochter geboren.

Das Kulturabkommen

Während der Regierungszeit von Valéry Giscard d’Estaing unterzeichneten der französische Botschafter Henry Bayle  und Oskar Fischer, damals Außenminister der DDR, am 16. Juni 1980 ein Kulturabkommen. Sein Artikel 17 sah die Einrichtung von zwei Zentren in Paris und Berlin vor. Noch am selben Tag wurden die Details über die Rechtsstellung und die Arbeitsweise der beiden Einrichtungen fixiert.

In der Präambel des Abkommens wird die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) als Schirmherrin genannt. Doch zwischen dem Inkrafttreten des Abkommens (6. Oktober 1981) und der Eröffnung der beiden Zentren vergingen noch mehr als zwei Jahre. Der Knackpunkt bei der Umsetzung war der freie Zugang für DDR-Bürger zu westlichen Medien, die im Französischen Zentrum in Ost-Berlin verfügbar waren.

Zwei Kulturzentren

Das Kulturzentrum (KUZ) in Paris wurde Ende 1983 eröffnet. Es war das einzige Kulturzentrum, das direkt dem Außenministerium der DDR unterstellt war. Die anderen Zentren wurden von der Liga für Völkerfreundschaft verwaltet.

Das Gegenstück, ein französisches Kulturzentrum in Berlin, eröffnete im Januar 1984 am Boulevard Unter den Linden. In Paris wie in Ost-Berlin war die Lage prestigeträchtig. In Paris fiel die Wahl auf ein Gebäude am Boulevard Saint-Germain 117 nahe der Metrostation Odéon. Es befand sich damit im Herzen des Viertels der Studenten und Intellektuellen.

Das Gebäude, das die DDR dort mietete, hatte 1879 kein Geringerer als Charles Garnier errichtet. Zur Einweihung am 12. Dezember 1983 kamen der DDR-Außenminister Oskar Fischer, der französischen Außenminister Claude Cheysson und Politikern jeglicher Couleur.

Kulturtransfer

Einen kulturellen Austausch zwischen beiden Staaten gab es jedoch auch schon in vorangegangenen Jahrzehnten. Bereits den 1950er-Jahren gaben ostdeutsche Theater erste Gastspiele.

Theater

Wichtigster französischer Partner im Schauspiel war das Pariser Théâtre des Nations, zentrale Figur der Dramatiker Bertolt Brecht. 1954 zeigte das Berliner Ensemble „Mutter Courage und ihre Kinder“ in Paris und löste damit eine Brecht-Welle in Frankreich aus. 1955 gastierte das Pariser Théâtre National Populaire in der DDR. Zwei Jahre später reiste das Deutsche Theater aus Berlin zu den internationalen Theaterfestspielen in Paris.

1958/ 1959 folgten Gastspiele von den Städtischen Bühnen Leipzig, der Komischen Oper Berlin und des Leipziger Gewandhausorchesters in Frankreich. 1960 zeichnete das Théatre des Nations das Berliner Ensemble für „Die Mutter“ von Maxim Gorki als beste Aufführung der Spielzeit mit dem ersten Preis aus.

Kino & Fernsehen

1955 durfte die DEFA Deutsche Film AG dank Kontakten zu unifrance erstmals mit einer Beobachterdelegation beim Filmfestival in Cannes teilnehmen. Dies war sonst nur Staaten gestattet, zu denen Frankreich offizielle Beziehungen führte.

1956 konnte die DEFA „Der Teufelskreis“ und „Zar und Zimmermann“ außerhalb des Festivals in Cannes zeigen. Drei Jahre später, 1959, erhielt Konrad Wolfs Film „Sterne den Prix spécial du jury der Internationalen Filmfestspiele. Möglich wurde die Auszeichnung in Cannes jedoch nur, weil die ostdeutsche Koproduktion im Wettbewerb offiziell als bulgarischer Wettbewerbsbeitrag lief. 1971 veranstalteten Paris, Lille und Lyon die erste Filmwoche der DDR.

Politisches Ziel der Kulturpolitik der DDR war nicht der kulturelle Austausch, sondern der Beweis der Überlegenheit der DDR bei den kulturellen Leistungen. Damit sollte auch in der Kultur der „feindlichen Propaganda der BRD“ entgegengewirkt werden. Kunst und Kultur dienten dem Klassenkampf.

Frankreich-Filmabend am Donnerstag

Anfang der Anfang der 1970er-Jahre begann unter Honecker eine sanfte kulturpolitische Liberalisierung. Der Empfang westlicher Rundfunk- und Fernsehsender war nicht mehr länger ein krimineller Akt, Unterhaltung und Breitenkultur nicht mehr verpönt.

Nun konnten in der DDR auch berühmte französische Stars wie Gilbert Bécaud, Mireille Mathieu, Séverine und Danyel Gérard in Unterhaltungsshows wie „Ein Kessel Buntes“ auftreten. Filme mit Louis de Funès begeisterten das DDR-Publikum. Jeden Donnerstag zeigte das DDR-Fernsehen Kinoklassiker mit Jean Gabin, Lino Ventura, Jean-Louis Trintignant oder Simone Signoret. Bei Bedarf – sprich, wenn sie ideologisch nicht ins Bild passten – wurden die Filme passend geschnitten.

Wie sehr die DDR Frankreich als Westpartner für seine politische Selbstdarstellung instrumentalisierte, zeigte sich in den 1960er-Jahren auch bei der Einführung des Farbfernsehens. Die DDR entschied sich für das französische Farbfilmsystem SECAM IIIb. Westdeutschland hingegen setzte auf das PAL-System.

1952 war in der DDR die „Frau des Bäckers“ von Marcel Pagnol als einer der ersten französischen Kinofilme in ostdeutschen Kinos zu sehen. Dennoch blieb der filmische Kulturtransfer gering. Zwischen 1952-1970 wurden nur 21 Spielfilme und 130 Kurzfilme aus der DDR in Frankreich gezeigt.

Rundfunk und Presse

Radio Berlin International (RBI) begann 1954 mit Ausstrahlung von Sendungen in französischer Sprache. Der staatliche Auslandsrundfunk der DDR wurde damit zum offiziellen Regierungssprachrohr im Rahmen der Anerkennungspolitik. Ab 1961  strahlte er u.a. einmal wöchentlich die Serie „Das Deutschland der Résistance“ aus.

Der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst (ADN) und Agence France Presse unterhielten seit 1956 vertragliche Beziehungen und tauschten ab 1965 Nachrichten und Fotos aus. 1971 folgte die Einrichtung von Korrespondentenbüros in Ost-Berlin und Paris. Von 1973 bis 1985 war Gerhard Leo Korrespondent des Neuen Deutschlands in Paris.

Bereits 1967 konnte Willy Ronis, einer der damals bekanntesten Fotografen Frankreichs, die  DDR bereisen. Wie Ronis, 2009 verstorben, den Alltag in diesem unbekannten Teil Deutschlands erlebte, war 2021 in der Espace Richaud von Versailles bei der Ausstellung „Willy Ronis en RDA, La vie avant tout (Zuerst das Leben! Willy Ronis in der DDR. 1960-67)“ zu sehen

Literatur

In Frankreich stieß die zeitgenössische Literatur auf großes Interesse. Zu den bekanntesten DDR-Autoren gehörten in den 1950er-Jahren Anna Seghers und Bruno Apitz. Sein Roman „Nackt unter Wölfen“ war damals das meist gelesene DDR-Werk in Frankreich.

Linksintellektuelle wie Louis Aragon förderten mit dem Verlag Éditeurs français réunis ab 1949 den literarischen Austausch. Christa Wolf war die DDR-Autorin der 1960er-Jahre, Wolfgang Biermann der bekannteste Literaturexport der 1970er-Jahre, Heiner Müller der 1980er/90er-Jahre.

Städtepartnerschaften

Auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene gab es durchaus Begegnungen, wenngleich sie nur einem geringen Teil der DDR-Bürgerinnen und Bürger zu Gute kamen. 1958 wurde in Frankreich die EFA Échanges Franco-Allemands gegründet. Mitglieder des Parti Communiste Français (PCF) dominierten den Verein. Ab 1959 gab die EFA mit Rencontres franco-allemandes eine eigene Zeitschrift heraus.

Ziel der EFA war es, die Anerkennung der DDR als zweiten deutschen Staat voranzutreiben und den westdeutschen Alleinvertretungsanspruch zu unterwandern. Dazu unterstützte sie die Gründung von Städtepartnerschaften.

Westdeutschland hatte 1950 die erste Städtepartnerschaft zwischen Ludwigsburg und Montbéliard geschlossen. Viele weitere folgten, insbesondere nach der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages 1963.

Aber auch Ostdeutschland trieb Städtepartnerschaften über den Eisernen Vorhang hinweg voran. In Frankreich wurden sie von der FMVJ Fédération mondiale des villes jumelées, der 1962 gegründeten Deufra Deutsch-Frannzösischen Gesellschaft und der EFA gefördert und finanziell unterstützt. 1957 wurde in der DDR der deutsche Städte- und Gemeindetag gegründet. Dieser nahm 1958 erste Kontakte mit Vertreterinnen und Vertretern französischer Städte auf. 1959 schlossen Cottbus und Montreuil die erste ostdeutsch-französische Partnerschaft.

Noch im selben Jahr schlossen auch die Bürgermeister von Saint-Denis, Argenteuil, Vierzon und des 20. Arrondissements von Paris „freundschaftliche Beziehungen“ zu den Städten Gera, Dessau, Bitterfeld sowie zum Ost-Berliner Stadtbezirk Lichtenberg. Interessiert an Partnerschaft waren in Frankreich vor allem kommunistisch und sozialistisch regierte Städte in Frankreich und aus dem „roten“ Pariser Ring.

1960 folgten Freiberg – Gentilly, Rostock – Dunkerque, Gotha – Romilly-sur-Seine und Suhl – Bègles. 1961 verschwisterten sich Quedlinburg–Aulonye-Aymeries sowie Mühlhausen – Tourcoing. 1963 folgten Brandenburg – Ivry-sur-Seine, Stralsund – Boulogne-sur-Mer sowie Eisenhüttenstadt – Drancy. Meißen – Vitry-sur-Seine  sowie Glashütte – Bobigny beschlossen 1964 ihre Partnerschaft.

Wismar – Calais 1966, Chemnitz – Arras 1967, Gernrode – Bachant 1969, Görlitz – Amiens 1971, Potsdam – Bobigny 1974, Halle – Grenoble 1976, Frankfurt (Oder) – Nîmes 1976, Nordhausen – Charleville-Mézières 1978, Leipzig –Lyon 1981, Weimar – Blois 1981: Immer mehr ostdeutsche Orte fanden Partner in Frankreich.

Nicht alle Partnerschaften wurden von französischer Seite anerkannt. Einige blieben reine Städtefreundschaften. Die französische Regierung nahm nur offizielle Partnerschaften in ihre Statistiken auf. Der Deutsche Städte- und Gemeindetag der DDR und die EFA listeten auch inoffizielle Kontakte. Im Jahr 1978 unterhielten laut den Akten im Bundesarchiv für Staatssicherheit 173 Städte und Gemeinden der DDR Partnerschaften mit französischen Städten und Gemeinden.

Frankreich spielte mit Abstand die wichtigste Rolle bei Partnerschaften mit dem Westen. Andere westliche Länder sind eher die Ausnahme. Potsdam pflegte zu DDR-Zeiten gleich zu zwei Städten in Frankreich Beziehungen. Seit 1965 bestanden enge freundschaftliche Beziehungen nach Rouen. In den 1970er-Jahren entstanden Beziehungen zum roten Pariser Vorort Bobigny, der seit 1964 bereits mit Glashütte verpartnert war.

Die Partnerschaft mit Potsdam wurde 1974 von Brunhilde Hanke und Georges Valbon offiziell unterzeichnet. Noch im selben Jahr reiste Brunhilde Hanke gemeinsam mit den Bürgermeistern aus Gera, Eisenhüttenstadt, Rudolstadt und Oranienburg nach Frankreich – ihre erste und einzige Frankreichreise.

Pro Jahr kamen zwei bis drei Delegationen aus Bobigny – Lehrer, Ärzte, Kommunalpolitiker, Vertretern aus den Bereich Kultur, Sport und Jugendarbeit – nach Potsdam. Betriebe wie die DEFA öffneten dort ihre Ferienlager für Kinder aus Bobigny und Rouen, sodass jedes Jahr mindestens zehn Kinder aus beiden Städten ihre Ferien in der DDR verbringen konnten. Nach der Wiedervereinigung jedoch flachten die Beziehungen zwischen Potsdam und Bobigny ab.

In den Unterlagen des Stadtarchivs Potsdam heißt es hierzu:

„Angesichts der Tatsache, dass Bobigny und Potsdam in ihrer Struktur sehr unterschiedlich sind, gibt es kaum andere Ansatzpunkte für über den Jugendbereich hinausgehende Zusammenarbeit. Bobigny ist eine der Satellitenstädte im Großraum von Paris und ist auch unter touristischen Gesichtspunkten wenig attraktiv für die Bevölkerung von Potsdam.“

Akte BR3777, Stadtarchiv Potsdam, S. 29

Bobigny als Pariser Vorort mit seinen alltäglichen Problemen war nicht mehr interessant für Potsdam. Nach der Jahrtausendwende endete die Verschwisterung mit Bobigny. 2016 unterzeichnete Potsdam einen Städtepartnerschaftsvertrag mit Versailles. Die Partnerschaft Cottbus-Montreuil hingegen ist bis heute immer noch sehr aktiv.

Jugendarbeit

Von besonderer Bedeutung war die Jugendarbeit. 1950 organisierte die SED in Berlin ein Deutschlandtreffen der Jugend in Berlin mit französischen Teilnehmern. Bei den III. Weltfestspielen der Jugend und Studenten für den Frieden in Ost-Berlin nahmen 1951 Delegationen aus mehr als 100 Ländern nahmen teil – und auch aus Frankreich.

1961 verbrachten 580 französische Kinder im Rahmen von Städtepartnerschaften ihre Ferien in der DDR. Im gleichen Jahr nahmen 150 französische Oberschüler, 30 Sprachlehrer und 30 Germanisten an Sprachkursen in der DDR teil. Verlockend waren für sie insbesondere die niedrigen Preise im Vergleich zur BRD.

1963 unterzeichneten die SED und der PCF eine Arbeitsvereinbarung, die u.a. sogenannte Freundschaftszüge französischer Kinder und Jugendlicher in die DDR vorsah. Jedes Jahr boten sie Platz für 200-500 Kinder aus Frankreich. Organisiert wurden sie von Loisirs et vacances de la jeunesse (LVJ). Diese Freundschaftszüge blieben bis zum Ende der DDR erhalten.

Auch die ostdeutschen Kinderferienlager, an denen junge Franzosen teilnahmen, spielten eine wichtige Rolle. Bis 1972 hatte die EFA für rund 2040 Kinder und 1909 Jugendliche Ferienreisen in die DDR organisiert.

Zudem öffneten DDR-Betriebe ihre Ferienlager für Kinder aus den Partnerstädten. Betreut wurden diese Ferienlager häufig von Französischlehrerinnen und Lehrern oder Studierenden, die auch als Dolmetscher eingesetzt wurden. Diese Begegnungen boten oft die einzige Möglichkeit, Kontakte nach Frankreich aufzubauen.

Die Reisen waren jedoch von einer groβen Asymmetrie gekennzeichnet. Aus Frankreich reisten viel mehr Gäste in die DDR als Bürger der DDR Frankreich besuchen durften. 1977 war das Verhältnis 1065 zu 83, 1983 sogar 1631 zu 457.

Frankreich und die DDR: Infos, Tipps und Adressen

Uni Potsdam

An der Universität Potsdam setzt sich die Doktorandin Anne Pirwitz intensiv mit den ostdeutsch-französischen Beziehungen auseinander. Ihre Unterlagen und Vorträge bilden die wertvolle Basis dieses Beitrags, den ich mit eigenen Recherchen und weiteren Quellen erweitert habe.

Ihr Studienprojekt „Frankreich und die DDR – Zivilgesellschaft und Kulturtransfer“ erhielt unter anderem Förderung vom Deutsch-Französischen Bürgerfonds, der Universität Potsdam und von der Stadt Potsdam.

www.uni-potsdam.de/de/romanistik-ploetner/frankreich-und-die-ddr

Université Bordeaux Montaigne

Zehn Studierende der Universität Potsdam und 15 Studierende der Université Bordeaux Montaigne haben 2021/2022 die ostdeutsch-französischen Beziehungen erforscht. Ihre Ergebnisse sind u.a. eingeflossen in diese Beiträge zum ostdeutsch-französischen Verhältnis: www.u-bordeaux-montaigne.fr/fr/actualites.html#nav

Université de Lorraine

An der UFR Arts, Lettres et Langues von Metz, die zur Université de Lorraine gehört, hat Ulrich Pfeil intensiv die ostdeutsch-französischen Beziehungen studiert. Besonders lesenswert ist sein Beitrag Die DDR als Zankapfel in Forschung und Politik: Französische Blicke auf den zweiten deutschen Staat.

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Frau Prof. Dr. Dorothee Röseberg gehört zu den Koryphäen der wissenschaftlichen Forschung zum Thema. Nach ihrer Promotion über die französische Jugendbewegung und Jugendpolitik der FKP verfasste sie 1991 ihre Habilitation zur „Funktionsgeschichte französischer Literatur in der Bildungsgeschichte französischer Eliten“.  Seit 1997 ist Röseberg  Professorin für Romanistische Landes- und Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt Frankreich an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

2015 wurde die Wissenschaftlerin für ihre besonderen Leistungen in den deutsch-französischen Beziehungen vom französischen Staat mit den Palmes Académiques geehrt, einer hohen Auszeichnung für hervorragende Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Hochschullehrer*innen.

Mehr erfahren

www.youtube.com/watch?v=lqIBUqIUOj8

www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-9279

https://books.openedition.org/psn/5990?lang=de

https://halshs.archives-ouvertes.fr/halshs-01162689/document

www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/318887/die-beziehungen-zwischen-frankreich-und-der-ddr

http://cle.ens-lyon.fr/allemand/civilisation/die-beziehungen-zwischen-der-ddr-und-frankreich-in-den-70er-und-80er-jahren-zwischen-herabsetzung-und-idealisierung

Weiterlesen


Willy Ronis (1910 – 2009) gehört neben Sabine Weiss, Henri Cartier-Bresson, Robert Doisneau zu den Vertretern der Schule des fotografischen Humanismus. 1967 erhält der Pariser Fotograf vom Verein Échanges franco-allemands den Auftrag für eine Bildreportage in der DDR. Die EFA will damit die Anerkennung der DDR durch Frankreich vorantreiben.

Der Humanist mit dem Herzen, das bekennend links schlägt (le cœur bat à gauche) dokumentiert dort einen modernen Sozialismus im Dienst des Volkes. Probleme des Systems erkennt und übergeht er. Doch erst 55 Jahre nach ihrer Entstehung und 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung werden seine Aufnahmen erstmals veröffentlicht.

Ich lege Wert darauf, in meinen Fotografien den Charakter der Menschen festzuhalten, ihre Gestik und Haltung zu erfassen, im Interesse des Lebens.

Das Katalogbuch anlässlich der Ausstellung „Willy Ronis en RDA, La vie avant tout“ , die anschließend durch Deutschland mit dem Titel: „Zuerst das Leben. Willy Ronis in der DDR“ tourte, könnt ihr hier* online bestellen.

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16 Kommentare

  1. Chère Hilke, Du hast wieder sooo viele Informationen zusammengetragen: grandios!
    Die Bundesrepublik mit ihrem Alleinvertretungsanspruch: BRD im Gegensatz zur „sogenannten“ DDR – alleine die Benutzung der Abkürzung BRD war amtlich verboten.
    Offiziell – und auch dabei spielten unsere Medien alle mit – war die DDR ja ausser im Ostblock vollkommen isoliert: Mit entsprechenden Antennen sahen wir allerdings dank der Nachrichten im DDR-Fernsehen, dass die Wahrheit eine ganz andere war. Wer da alles in Schönefeld landete und wohin abhob…
    Antennen aus der Zeit – inzwischen total verwittert – stehen hier noch manche.
    Eine Schote dazu aus meiner HH-Zeit (1962-65): Der ASTA hatte einen Vortrag angekündigt mit einem Titel, in dem DDR stand. Der Vortrag wurde – auf wessen hanseatische Weisung auch immer – verboten, weil zwar der ganze Titel in Gänsefüssen stand, aber darin die DDR ohne. Die Jungs vom ASTA sausten mit Farbe und Pinsel los und malten die Tütelchen auf die Plakate. Der Vortrag blieb verboten. Begründung: Die nachgemalten DDR_Tütelchen seien im Vergleich zum übrigen Schriftbild zu klein ausgeführt worden…
    Wir hörten auf der Schleswiger Freiheit (1961/62) allabendlich den Deutschen Freiheitssender 904, um zu erfahren, ob uns mal wieder etwa so eine kleine verträumte Nachtübung oder ähnliches bevorstand: An einem Sonnabend hatte unser Kp-Chef auf dem Kasernensportplatz einen Kameraden mit den falschen dünnen Socken in den Turnschuhen erwischt, ihn darob zusammengefaltet und ihm den Wochenendurlaub gestrichen. Das kam prompt selbigen Abends mit genauer Einheit, allen Namen und Dienstgraden (incl. schmückender Beiwörter) im DDR-Sender.
    Wir hofften immer nur, dass unsere Seite auch so gut informiert war…

    1. Hallo Hanns, was für Eindrücke. Und für alle Mitleser kurz eine Erklärung: Der AStA ist die Abkürzung für „Allgemeiner Studierendenausschuss“, damals hieß er allerdings noch „Allgemeiner Studentenausschuss“. Bises, Hilke

  2. Liebe Hilke, Du überfällst mich wieder, mit Deiner kolossalen Recherchieren-Arbeit… Chapeau jeune Dame !!! Encore !! Merci infiniment ! Bisous !

  3. Liebe Hilke,
    vielen Dank für die umfassende Darstellung. Was die Filme betrifft, so wurde – glaube ich – auch in der frühen DDR zusammen mit Franzosen gedreht. Dazu gab es mal im Filmmuseum in Potsdam etwas. Aber es ist schon über 10 Jahre her, dass ich mir das angesehen habe.
    In so einem Ferienlager mit französischen Kindern war ich Anfang der 1980er Jahre in der DDR auch mal Betreuerin. Ich hab noch Bilder, das wäre eigentlich witzig, mal zu erfahren, was aus denen geworden ist. Die Kinder waren erst eine Woche in Berlin und danach in einem der großen Ferienlager im Berliner Umland.

    Auch von den Partnerschaften der Städte habe ich etwas mitbekommen. Mitte der 1980er Jahre war ich auch mal dabei als hier in Magdeburg Franzosen zu Besuch waren. Leider ist diese Partnerschaft nach der Wende nicht vertieft worden. Dafür haben wir nun seit über 10 Jahren Le Havre als Partnerstadt und das läuft gar nicht so schlecht.

  4. Hallo,
    ich haben 1990 meinen Schulabschluss in der DDR gemacht. An meiner Schule gab es zum Beispiel nur Französisch als 2. Fremdsprache neben Russisch – kein Englisch oder Spanisch. Und ja Louis de Funès Filme wurden bei uns im Kino gezeigt.
    Grüße von einem Großen Provence Fan Jeannette

  5. Auch ich zählte damals zu den rund acht Millionen Deutschen und Franzosen, die von dem Austauschprogramm – dank Konrad Adenauer und Charles De Gaulle – vom „Deutsch Französisches Jugendwerk“ profitiert haben. 1965 hatte ich gerade meine Lehre beendet und die erste Anstellung brachte damals natürlich kein großes Gehalt. An Luxus-Urlaub war nicht zu denken. Und nachdem mein erster ‚alleiniger‘ Urlaub an der Nordsee mit 12 Tagen Regen ‚ins Wasser fiel‘,dachte ich dann nur noch an SONNE.
    Meine Freunde waren meist Italien- oder Mallorca-Fans, was mir nicht so behagte. Also blätterte ich einige spezielle Jugendreisen-Prospekte wie „DFJW“ durch und suchte mir eben
    die Côte d’Azur aus. „Wenn schon, denn schon“. Keine Ahnung wo genau dieser Ort ‚PIN DE GALLE‘ / Le Pradet war, klang aber gut…jedenfalls in der Nähe von Toulon.
    Wenn ich heute meine französischen Freunde frage, ob sie den Ort kennen, grins, niemand kennt dieses Nest. Ich aber fand’s herrlich, ein rustikales Ferienzentrum mit Zelten… und ich hatte ein 10-Mann-Zelt ganz für mich alleine, weil es schon nicht mehr Hochsaison war.
    Das Schlangestehen mittags und abends bei der Essensausgabe im offenen, aber überdachten Holzschuppen und das ’sich Waschen und Zähneputzen‘ draußen im Freien schockte mich weniger, als dieses verdammte glitschige Klopapier, dieses Pergamentblättchen… das kannte ich nun wirklich nicht. Ein echter Kulturschock. Zum Glück gab es im Dorf-Laden richtige Klo-Rollen.

    Das Gute an der Reise war, dass man sich schon im Zug kennenlernte, alles junge Leute in meinem Alter und meistens der gleiche Zielort. So konnte ich dann – wir waren immer mit 6 im Abteil – schon die ersten Freundschaften knüpfen und wir blieben auch dann während des ganzen Urlaubs zusammen und machten Exkursionen von Toulon bis Monaco.

    Diese Nachtzugfahrt – in der oberen Etage – war auch für mich ganz neu… viel schlafen konnte ich dabei nicht. Auf jeden Fall waren diese 14 sonnigen Tage (bis auf zwei heftige Sturmtage im September, wo mein großes Zelt fast wegflog), ein tolles Erlebnis. So buchte ich denn Jahr um Jahr – dank Adenauer und De Gaulle, ein neues Ferienziel an der Côte d’Azur. Von Sanary 1966 u. 67 (wo ich sogar in Bandol dem Picasso begegnete), Mandelieu (genauso rustikal), dann Cap d’Ail, vor Monaco (toll, all die vielen fast 300 Stufen runter zum Plage Mala) und dann 3 x Saint Aygulf…
    Das Schlimmste an den Reisen war eigentlich immer dieses schreckliche Umsteigen in Ventimiglia, Papiere beim Zoll vorzeigen, Treppen runter, Treppen rauf mit dem schweren Koffer, der damals noch keine Rollen hatte. Und so hatte ich dann mein „Côte d’Azur-Fieber“ auf meinen Mann übertragen, und wir siedelten uns 1981 mit Papagei Balgo und unserem Hab und Gut in Antibes an.
    Nach vielen guten wie auch schlechten Erlebnissen, Mann und Papagei sind nicht mehr da, und ich bin nach 40 Jahren Dank „DFJW“ immer noch „Am Platz an der Sonne“ … und am Meer (Und das Tollste daran, mein jahrelanges Asthma ist seitdem verschwunden …bis jetzt..).

  6. Das Frankreichbild der DDR prägte auch der legendäre französischer Humor. Komödien mit Louis de Funès brachten das Land zum Lachen….

    Der Louis war ja auch in der BRD der Top-Star damals.. und meine franz. Lieblingsfilme waren (in sch/w)
    „CLOCHEMERLE“. So stellte ich mir damals die Franzosen vor ;-)))
    Konnten die DDR-ler die auch sehen ?

    1. Lieber Herr Wadel, Bericht gibt es sicherlich, denke ich – es kommen nur leider erst jetzt die Unterlagen sukzessive frei, in denen man stöbern und recherchieren kann. An der Uni Potsdam ist Annie Pirwitz sehr engagiert – im Infokasten ist sie erwähnt. Vielleicht kontaktieren Sie sich einfach mal, wenn Sie das Thema interessiert? Viele Grüße, Hilke Maunder

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