Frankreichs Spreewald: der Marais Poitevin
Landunter: So sah es im Marais Poitevin einst aus. Anfangs war das gesamte Gebiet noch vom Atlantik überflutet. Doch je mehr sich das Meer zurückzog, desto mehr machten sich die Mönche daran, den sehr fruchtbaren Boden urbar zu machen. Sie bauten Deiche, Schleusen und Kanäle und entwässerten das Mündungsgebieet der Sèvre Niortaise.
Um 1200 entstanden so die ersten landwirtschaftlichen Parzellen. Heinrich IV. unterstützte die Trockenlegung des Marais Poitevin und holte dafür Holländer hinzu. Auf fasst 100.000 Hektar erstrecken sich heute die poitevinischen Sümpfe zwischen Niort und der Küste in drei Départements –Vendée, Deux-Sèvres und Charente-Maritime – und zwei Regionen.
Naturpark und Grand Site de France
Die faszinierende Naturlandschaft mit ihren vielen Gesichtern schützt ein regionaler Naturpark. Seit 2010 gehört der Marais Poitevin auch zu den Grands Sites de France. Das sorgt in der Saison für reichlich Rummel in bekannten Orten wie Coulon.
Die Naturpark-Verwaltung propagiert zum Schutz der einzigartigen Biotope daher den Urlaub ohne Auto. Mit dem Rad, im Boot oder zu Fuß seid ihr schnell abseits des Trubels und mittendrin in einem einzigartigen Naturjuwel.

Die vielen Gesichter des Marais Poitevin
Der Marais Poitevin besteht aus drei großen Biotopen, die eng miteinander zusammenhängen: dem Meeressumpf ( marais maritime ), dem ausgetrockneten Sumpf ( marais desséché ) und der nasse Sumpf ( marais mouillé ).
Der Marais maritime
Der Marais Poitevin beginnt am Atlantik an der Bucht von Aiguillon. Aus den Fluten ragen dort Kalksteininseln auf. Sie gehörten ursprünglich zum Festland und entstanden, als der Ozean den Golfe des Pictons flutete. Dünen rahmen die Bucht ein, naturnah sind ihre Strände.
Dort, wo der Meersumpf auf den Ozean trifft, haben sich die Salzwiesen mit feinerem und gröberem Schwemmgut vermischt, das halophile Pflanzen wie Meersenf und Queller, der sich im Herbst rot färbt, erobert haben. Bei Springtiden wird diese Schorre überflutet. Mizottes nennen die Poitevins diese Zone.
Noch mehr Einblicke in die Geschichte dieser ehemaligen Meeresbucht verrät das Museum der Baie d’Augillon in Esnandes. Es präsentiert auch eine kulinarische Spezialität, die dort daheim ist – und auf Pfählen dort in den Fluten reift: die Bouchot-Muschel. Der Legende nach soll Patrice Walton das Verfahren zufällig entdeckt haben.
Zufallstreffer

Er hatte im 13. Jahrhundert Schiffbruch erlitten und versucht, seinen Hunger mit dem Fang von Vögeln zu stillen. Er rammt daher mehrere Pfähle in den Meeresboden. Und bemerkte nach einigen Tagen erstaunt, dass die Miesmuscheln sie erobert hatten.
Seine Entdeckung macht die Bucht bis heute zu einem Zuchtgebiet von Bouchot-Muscheln. Ganz ähnlich werden sie auch in der Bucht des Mont-Saint-Michel gezüchtet. Klickt hier für Infos. Das Zentrum der Muschelzucht ist der Port du Pavé in Charron. Dort könnt ihr hautnah miterleben, wie die Fischer in Plattbodenbooten ihre Muschelladung an Land bringen.
Köstliche Miesmuscheln
Wie gut Bouchot-Muscheln schmecken, könnt ihr in Esnandes bei Corine und Emmanuel Mandonin der Cabane de Manu kosten. Ihre Karte ist einfach, aber äußerst köstlich. Auch Austern und rosa Garnelen gibt es dort. Ihr Lokal befindet sich direkt an einer Stelle, die Coup de vague genannt wird. Wenn sich bei Ebbe das Meer zurück zieht, sind dort noch die Steine eines Hafens aus dem 13. Jahrhundert zu sehen.
Der Sentier Littoral lädt ein, noch ein wenig am Meer zu wandern. Er verbindet auch all jene Hütten auf Stelzen, die die Küste säumen. Es sind carrelets, mit denen seit Jahrhunderten hier gefischt wird. Mehr zu den besonderen Fischerhütten der Westküste Frankreichs erfahrt ihr hier.

An der Pointe Saint-Clément eröffnet sich das schönste Panorama über die Bucht. Über den Klippen verrät ein Orientierungstisch, welche Landschaften sich hier erstrecken. Und das sind: Watt und Salzwiesen. 30.000 Zugvögel rasten hier jedes Jahr, umgeben von Queller (salicorne), See-Astern und Strandhafer.
Der Marais desséché
Nördlich und südlich der Sèvre-Mündung erstreckt sich der marais desséché. Dort zeigt sich der einstige Sumpf als eine flache Landschaft, die riesige Getreidefelder bedecken. Dann wieder weiden Charolais-Rinder auf den weiten Weiden und setzen helle Punkte in das endlose Grün bis an den Horizont.
Dieser Teil des Marais Poitevin macht rund 70 Prozent des Parc Pégional Marais Poitevin aus. Ein dichtes Netz von Dämmen und bondes, Sperrwerken mit hydraulischen Pumpen, schützt den trockengelegten Sumpf vor Überschwemmungen und den Gezeiten.

Der Marais mouillé
32.200 Hektar groß ist der eigentliche Spreewald von Frankreich, den ein dichtes Netz von Kanälen durchzieht. Zur Befestigung der Ufer pflanzten die Mönche ab dem 10. Jahrhundert dort Erlen, Eschen und Pappeln. Schwertlilien und Seerosen blühen dort, und Äste hängen tief hinab.
Eine Entenfamilie mit Nachwuchs schwimmt vorbei. Dann taucht eine Bisamratte auf, schaut sich kurz um und verschwindet so schnell, wie sie gekommen war. Sie werden euch öfters begegnen. Fischotter hingegen sind selten. Es ist nicht ungewöhnlich, auch Hirsche hier im Wasser zu sehen. Die Ufer der Dörfer im marais mouillé sind fest in der Hand der Angler, die Plötze, Welse und Karpfen aus dem Wasser ziehen.

Hinter dem urwaldartigen Grün öffnen sich Lichtungen mit Wiesen, Weiden und Feldern. Kühe weiden dort, Kaninchen flüchten hüpfend davon, als sich ein Boot nähert. Mit flachen, plates genannten Booten fahren dort die maraîchins zu ihren Feldern.
Auf diesen kleinen, von Eschen abgegrenzten Parzellen, bauten sie auch Mogette an, das weiße Gold der Sümpfe, weiße Bohnen der Lingot-Art.
Andere transportieren in den flachen Kähnen auch das Vieh – Kühe, die mitten im Sumpf weiden. Um besser anlegen zu können , ist die Vorderseite des Bootes nicht spitz, sondern gerade.

Ebenfalls im Marais Poitevin daheim ist der Engelwurz. Die Pflanze, die bis zu zwei Meter hoch werden kann, wird zu Konfitüre, Confit und Kosmetik verarbeitet und in der Markthalle von Niort verkauft. In der Stadt vor den Toren des Marais Poitevin hat Maxime Guignard von La Belle Étoile mit der Pflanze den Gin-Cocktail L’Angélique kreiert.
Coulon & Co.: Die Dörfer des Marais
Alle Dörfer im Marais Poitevin sind erhöht angelegt und so vor Hochwasser recht gut geschützt. Als Schutz vor Insekten wurden die Fassaden der Häuser weiß gekalkt.
Das größte Dorf und touristischer Hotspot des Marais Poitevin ist Coulon. Zur Sommersaison kann es dort sehr voll werden.

An den Kaimauern des Kanals sind schwarze Ausflugsboote vertäut, mit denen ihr mit Führern in die Wunderwelt der Kanäle starten könnt. Die Touren starten nicht nur in Coulon, sondern auch an anderen Orten.
Kahntouren durch den Marais Poitevin
Lasst euch einmal von einem pigouilleur (Bootsmann), der im Poitevin-Sumpfgebiet aufgewachsen ist und das feuchte Sumpfgebiet wie seine Westentasche kennt, auf einem der flachen, typischen Boot das amphibilische Labyrinth zeigen! Mit einem pigouille, einer langen Holzstange, schiebt er dabei das Boot voran.
Arçais
Embarcadère Au Martin Pêcheur, Embarcadère Bardet-Huttiers,
Embarcadère Venise Verte Loisirs
Coulon
Drei Anleger im Zentrum von Coulon am belebten Ufer der Sèvre Niortaise: Embarcadère La Trigale, Embarcadère La Pigouille, Embarcadère Prada
La Garette
Embarcadère La Vieille Auberge, Embarcadère Venise Verte Evasion
La Grève-sur-Mignon
La Repentie du Magné
La Ronde
Embarcadère des Écluses de Bazoin
Marans
Embarcadère du Marais Poitevin, Embarcadère Marais Plaisance
Saint-Hilaire-la-Palud
Embarcadère du Camping le Lidon, Embarcadère Port de Montfaucon, Embarcadère du Parc Ornithologique
Magisches Feuer
Zu jeder geführten Kahntour gehört im Marais Poitevin ein Zaubertrick: Der Bootsführer setzt mit seiner Pigouille oder seinem Ruder das Wasser in Brand. Für diesen Trick nutzt er die Natur. Im Sumpf verlieren die Bäume und Pflanzen, die die Kanäle umgeben, im Herbst ihre Blätter.
Diese sinken auf den Grund des Wassers und werden dann langsam zersetzt. Durch den organischen Abbau unter Luftabschluss entstehen Methangase. Während dieser Zeit bildet sich eine Schlammschicht auf der verrottenden Pflanzendecke.
Nach und nach schließt der Schlamm die Methantaschen am Boden des Sumpfes ein. Sobald das Gas an die Oberfläche steigt, zückt der batelier sein Feuerzeug und, hopp, eine Flamme erscheint.
Sie fackelt am Boot entlang und erlischt dann schnell. Noch erstaunlicher ist die Vorführung bei einer Nachtfahrt, bei der sich die Farben Blau, Gelb und Orange mit dem Spiegelbild des Wassers vermischen. Ein magischer Moment!
Im eigenen Boot

Wunderschön sind auch Touren auf eigene Faust im Marais Poitevin. Kanus, Kajaks und andere Leihboote gibt es in Coulon und vielen anderen Orten am Wasser. Für Orientierung sorgen Wegweiser mit Entfernungsangaben in Kilometern und der ungefähren Paddelzeit.
Mehr als 4.000 Kilometer lang ist das Kanalnetz der conches im Marais Poitevin. Mit einer genauen Karte könntet ihr sogar von hier aus La Rochelle mit dem Kanu erreichen.
In Magné könnt ihr auch auf der Sèvre Niortaise unterwegs sein. Kanu oder Kajak müsst ihr euch dort allerdings selbst mitbringen. Es gibt keinen Verleih! Wichtig: Bei jeder Bootstour gehört Insektenschutz unbedingt mit dazu!
Der Marais Poitevin: meine Reisetipps
Ansehen
La Maison du Marais Poitevin
Im einstigen Zollhaus präsentiert das Haus des Marais Poitevin die Geschichte, Flora und Fauna der Sümpfe.
• Place de la Coutume, 79510 Coulon, Tel. 05 49 35 81 04, www.maison-marais-poitevin.fr
Aktiv
La Vélo Francette

Die 600 Kilometer lange Radroute verbindet Ouistreham an den Landungsstränden der Normandie mit La Rochelle. Sie durchquert den Marais Poitevin von Niort bis Coulon und weiter via Damvix und Bazoin bis nach Marans. 2017 wurde diese Radroute zur schönsten Frankreichs gewählt.
• www.lavelofrancette.com

Schlemmen
L’Atelier Gourmand
Modern gemütliches Restaurant mit Terrasse. Serviert wird regionale Küche – auch zum Mitnehmen!
• 2, Place de la Pechoire, 79510 Coulon, Tel. 05 49 79 68 02, www.facebook.com/Latelier-Gourmand-Coulon
Erleben und entdecken
Les Oiseaux du Marais Poitevin
Am Rand des marais mouillé liegt ein privater Vogelpark, der mehr als 80 Vogelarten – und den berühmten Poitou-Esel – vorstellt. Auch geführte Kahnfahrten starten dort. Besonders schön sind sie am Morgen oder Abend, wo sie mit einem Frühstück oder einem Apéro verbunden werden.
• Le Petit Buisson, 79210 Saint-Hilaire-la-Palud, Tel. 05 49 26 04 09, www.oiseauxmaraispoitevin.com
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Im Blog
Die einzige Stadt im Gebiet des regionalen Naturparks Marais Poitevin ist Niort. Hier habe ich die Hauptstadt des Départements Deux-Sèvres vorgestellt.
Im Buch
Mathias Enard, Das Jahresbankett der Totengräber*
Für eine Dissertation über das Leben auf dem Land im 21. Jahrhundert zieht der Pariser Anthropologe David aufs Dorf, um Sitten und Bräuche der Landbevölkerung zu beobachten. Er landet dabei im Marais Poitevin. Sein Feldtagebuch mit Erlebnissen und Begegnungen gleicht einem Wimmelbild dieser Gegend, die durch geschickte Assoziationen, Kontrapunkten und verblüffende Bezüge so lebendig vor dem geistigen Auge erwächst, als sei man mit dem Forscher dort vor Ort.
Tütensuppen und Totenkult kann wohl keiner so gut wie Enard erzählerisch verflechten, der für seinen Roman „Kompass“ mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet worden ist. Wer mag, kann den Roman hier* online bestellen.
Klaus Simon, Hilke Maunder, Secret Citys Frankreich*
Gemeinsam mit meinem geschätzten Kollegen Klaus Simon stelle ich in diesem Band 60 Orte in Frankreich vor, die echte Perlen abseits des touristischen Mainstreams sind. Le Malzieu in der Lozère, Langogne im Massif Central, aber auch Dax, das den meisten wohl nur als Kurort bekannt ist.
Mit dabei sind auch Senlis, eine filmreife Stadt im Norden von Frankreich, und viele andere tolle Destinationen. Frankreich für Kenner – und Neugierige!
Lasst euch zu neuen Entdeckungen inspirieren … oder träumt euch dorthin beim Blättern im Sessel oder am Kamin. Wer mag, kann das Lesebuch mit schönen Bildern hier* bestellen.
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Die vermutlich beste Website in Sachen Land und Leute, Geographie, Kultur, Architektur, Historie, Fauna&Flora, allgemeiner Stimmung und vieles mehr, die es bezüglich europäische Länder zu bestaunen gibt.
Korrektur: Ersetze „vermutlich“ durch „offensichtlich“.
Danke für all die Mühe.
Merci für das Lob, lieier Herb!
Prima Infoseite und Reiseblog.
Hole mir immer wieder gerne Anregungen für unseren nächsten Frankreichurlaub.
Danke, lieber Thomas – freue mich über Dein Lob. Auf der Startseite findest Du eine zoombare Karte mit allen Orten, über die ich schon etwas geschrieben habe. Viele Grüße, Hilke