
“Die Architektur“, soll Oscar Ribeiro Almeida de Niemeyer Soares einmal gesagt haben, „besteht aus Traum, Phantasie, Kurven und leeren Räumen.“ Mehr als 600 Mal gab er in 75 Schaffensjahren seiner Vision Form. Im Dezember 2012 verschied Niemeyer im hohen Alter von 105 Jahren aus dem Leben.
Vor allem durch seine Bauten für die Stadt Brasilia war der Avantgarde-Architekt berühmt geworden. Aals kühne Ikone der Moderne hatte er sie in in den Regenwald gepflanzt. Doch auch in Frankreich hat Niemeyer gewirkt.

1907 wurde er in Rio de Janeiro geboren. 1936 traf der junge Architekt dort den französisch-schweizerischen Architekten Le Corbusier, der sein Vorbild wurde.
1964 beendete der Militärputsch jäh die Karriere des Brasilia-Bauers. “Als kommunistischer Architekt sei sein Platz in Moskau”, lassen ihm die neuen Machthaber ausrichten. Niemeyer flieht nach Frankreich. André Malraux, Kultusminister unter Charles de Gaulle, holte ihn stattdessen nach Frankreich.

Von Brasilia nach Paris
Paris wurde neue Heimat, Europa seine Spielwiese. Sein Büro eröffnete er an der Prachtmeile von Paris, der Avenue des Champs-Elysées. Le Havre hat er “Joghurtbecher” hinterlassen: den großen und kleinen Vulkan im Herzen der Hafenstadt an der Seine-Mündung.
Zuletzt recht heruntergekommen, ein trister Platz für Skater und Drogendealer, entschloss sich die Stadt im Juli 2010 zur Sanierung der Espace Oscar Niemeyer auf der Place Gambetta.

Und Niemeyer, schon hoch betagt, gab fünf Jahre vor seinem Tod dem damaligen (und jetzt auch wieder heutigem) Bürgermeister Édouard Philippe die Genehmigung, sein bekanntestes Bauwerk in Frankreich zu verändern und heutigen Bedürfnissen anzupassen. Le Volcan, 1982 als Haus der Kulturen in Le Havre eröffnet, wurde millionenschwer saniert.
Die Sanierung verfolgte mehrere Ziele. Sie wollte vor allem dem Hauptwerk der klassischen Moderne in der Architektur, das seit 2005 zum Welterbe gehört, wieder den Glanz von einst verleihen. Zusätzlich sollte eine neues Kulturangebot den Platz im Stadtzentrum neu beleben. Der große Saal der Scène Nationale sollte modernisiert werden und Bücherfreunde neues Angebot erhalten.
Mehr als 40 Millionen Euro nahm Le Havre dafür in die Hand. Allein acht Millionen Euro stellte die Stadt für die neue Mediathek bereit. Den Zuschlag für das ambitionierte Projekt erhielten Deshoulières Jeanneau Architectes (Grand Volcan), Sogno Architecture (Mediathek im Petit Volcan) und die Groupe SLH als dritter Partner.
Der Große Vulkan

Der Grand Volcan, den außen die Großskulptur einer geöffneten Hand schmückt, birgt im Innern die Bühne der Scène Nationale. Er erhielt im Innern ein neues Foyer, Mobiliar in warmem Holz und erstmals seit der Einweihung auch eine neue Bühnentechnik.

Zur Spielzeit 2014/15 nahm Scène National ihre modernisierte Spielstätte in Betrieb. An ihrer wunderschöne Bar finden seitdem auch Live-Konzerte, Poetry-Slams, Kabarett und andere Veranstaltungen statt.

Der Kleine Vulkan
In den Petit Volcan zog die Mediathek von Le Havre ein. Dort gibt es seitdem nicht nur einen wirklich beeindruckenden Bestand an Fachliteratur, Belletristik, Zeitschriften und Zeitungen für alle Alters- und Zielgruppen.

Sondern auch: Arbeits- und Ruheräume, Hörmuscheln für Audiomedien, Film- und Fernsehzimmer, iPod- und iPad-Zugänge, ein topschnelles WLAN. Und einen Bücherei-Ausleihschein von Sartre als Hingucker.


Doch besonders das hervorragend interpretierte und revitalisierte Architekturerbe Niemeyers ließ mich staunen. Modern und mutig. Und Beton, der gemütlich und warm wirkte, geradezu kuschelig.

Wie passend zur Poesie en Béton, wie Auguste Perret seine Wiederaufbau-Architektur genannt hatte, die 2005 Le Havre sein erstes Welterbe schenkte – das quartier Perret.

Oscar Niemeyer: die Spuren
Parti Communiste Française
• 2, place Colonial Fabien, 75019 Paris
Bourse du Travail
• 1, place de Libération, 93000 Bobigny
Ex-Hauptsitz von L’Humanité
• 32, rue Jean-Jaurès, 93200 Saint-Denis
Le Volcan
• Avenue Lucien Corbeau, 76600 Le Havre
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