Die Tour Saint-Jean in Avignon. Foto: Hilke Maunder

Auf den Spuren der Päpste in der Provence

Wie ein Rhombus liegt es im unteren Rhônetal: das Land der Päpste in der Provence. Mehr als hundert Jahre machten sie Avignon und sein Umland zum Mittelpunkt des Christentums. Nicht mehr Rom, sondern Avignon regierte ab 1309 die Glaubenswelt.

Hinter seiner 4,5 km langen Stadtmauer, die bis heute die Altstadt fast vollständig umschließt, residierten sieben Päpste und die beiden Gegenpäpste Clemens VIII. (1378 – 1394) und Benedikt XIII (1394 – 1423).

Eine Festung der Glaubens-Macht: der Papstpalast von Avignon. Foto: Hilke Maunder
Eine Festung der Glaubens-Macht: der Papstpalast von Avignon. Foto: Hilke Maunder

Epizentrum des Christentums

Erst mit dem Konzil von Konstanz und der Absetzung bzw. Abdankung dreier Päpste wurde die Spaltung der Kirche beendet und der Italiener Oddo di Colonna als Papst Martin V. von allen als oberster Hirte der Gläubigen anerkannt.

Avignon als Epizentrum des Christentums hatte 1417 ausgedient. Die Herrschaft als Landbesitzer in Frankreich indes endete für die Päpste erst mit der Französischen Revolution. 1791 entschieden sich die Bewohner des Comtat Venaissin in einem Volksentscheid für den Anschluss an Frankreich.

Die Place du Palais mit dem Musée du Petit Palais. Foto: Hilke Maunder
Die Place du Palais mit dem Musée du Petit Palais. Foto: Hilke Maunder

Vom Kirchenstaat zum Département

Die Päpste reagierten empört, hatten sie doch das Plebiszit nicht autorisiert, und forderten selbst noch auf dem Wiener Kongress 1815 die Wiederherstellung des französischen Kirchenstaates. Doch da waren das Comtat Venaissin und die Gebiete von Avignon und Orange längst in das 1793 gegründete Département Vaucluse aufgegangen.

Was die römische Antike und die Päpste  zwischen den Ausläufern des Mont Ventoux, dem Hochplateau  der Vaucluse und dem breiten Urstromtal der Rhône, den Wein- und Lavendelfeldern, weiten Wäldern und klaren Wasserläufen hinterlassen haben, gehört heute zum UNESCO-Welterbe.

Das Hôtel des Monnaies auf der Place du Palais. Foto: Hilke Maunder
Das Hôtel des Monnaies auf der Place du Palais. Foto: Hilke Maunder

Die Hauptstadt der Päpste

Vom kostenlosen Großparkplatz auf der Île de la Barthelasse, einer 700 Hektar großen Flussinsel in der Rhône, pendeln kostenlose Shuttlebusse zur Porte de l’Oulle. Hinter dem betriebsamen Einfallstor zur Altstadt öffnet sich die Place Crillon mit zahlreichen Straßencafés im Schatten der Ancienne Comédie d’Avignon, die 1732 als erste Bühne der Stadt errichtet worden war – vorher hatte es in Avignon keinen eigenen Theaterbau gegeben.

Warum auch? Theater funktioniert auch open-air. Wie gut, beweist Avignon alljährlich in den drei letzten Juliwochen, wenn sich die Altstadt innerhalb des Mauerrings in eine einzige farbenfrohe Freilichtbühne verwandelt.

Eine 4,5 km lange Stadtmauer umschließt bis heute fast vollständig die Altstadt von Avignon. Foto: Hilke Maunder
Eine 4,5 km lange Stadtmauer umschließt bis heute fast vollständig die Altstadt von Avignon. Foto: Hilke Maunder

Neben den „In“-Aufführungen des Festival d’Avignon im Palais des Papes, im Karmeliterkloster und anderen Spielorten gibt es Hunderte „Off“-Aufführungen. Private, häufig noch unbekannte Theatergruppen aus Europa und Übersee hoffen so auf gute Kritiken und den Durchbruch ins Theatergeschäft.

Eine Stadt als Bühne

Straßentheater, frech, provokativ oder absurd, schräge Happenings, Clownerien oder Ein-Mann-Shows. Jeder hat dann seinen Auftritt. Gespielt wird rund um die Uhr, auf Plätzen und Straßen, in Hinterhöfen, in Parks, Cafés und an den Ufern der Rhône.

Avignon. Foto: Hilke Maunder
Für den Apéro trifft man sich auf den Plätzen von Avignon. Und mit etwas Glück treten dann auch Straßenkünstler auf. Foto: Hilke Maunder

Volksnah vor dem Couvent des Cordeliers in der Rue de Teinturiers, avantgardistisch-elitär im Theatercafé Tache d`Encre. Auf der Bühne des Théâtre du Chien Qui Fume zeigt das Ensemble des „rauchenden Hundes“ mittags Crue et Nue, nachts Yanne a marre.

Die Place des Carmes, benannt nach einem Karmeliterinnen-Kloster, von dem nur ein kleiner Kreuzgang übrig blieb, ist das Zentrum des Quartier Balance, des früheren Zigeunerviertels. Sonnabends gastiert der Blumenmarkt, sonntags lockt brocante, Trödel, leider teuer.

Das Théâtre du Centre findet ihr in der Rue Louis Pasteur. Foto: Hilke Maunder
Das Théâtre du Centre findet ihr in der Rue Louis Pasteur. Foto: Hilke Maunder

Festivalsfieber vor grandioser Kulisse

Während des Festivals wird auch dieser Platz zur Bühne. Die anderen Monate ist der Cloître des Carmes Bühne für Tanz, Theater und Konzerte. Ausgelassen tobt der Festivaltrubel auch auf der Place de l’Horloge. Eine Tiefgarage schluckt die Autos, ein nostalgisches Karussell dreht seine Runden. Alt und jung schlecken Eis.

Und schlendern durch eine schmale Gasse vorbei am Hôtel des Papes zur schönsten Kulisse der Stadt: der Place du Palais des Papes. Abweisend, eher einer Festung ähnlich, erhebt sich der riesige Komplex des Papstpalastes hinter der Bühne.

Der Innenhof des Palais des Papes von Avignon. Foto: Hilke Maunder
Der Innenhof des Palais des Papes von Avignon. Foto: Hilke Maunder

Der Palast der Päpste

Eine Burg mit Türmen und Zinnen, winzigen Fenstern: militärisch-streng der Palais Vieux, kühler Prunk beim Palais Neuf. Flammen zerstörten fast die gesamte Inneneinrichtung, die sich nicht an christlicher Askese, sondern höfischer Prachtentfaltung orientierte.

Ungeheuer prunkvoll erhalten ist jedoch die benachbarte Kathedrale mit Wand- und Deckenmalereien, korinthischen Kapitellen, gedrehten Säulen und einer vergoldeten Madonna, die auf dem Turm im Sonnenlicht funkelt.

Avignon: Avignon: So seht ihr die Stadt von der berühmten Brücke! Foto: Hilke Maunder
Seit Jahr(zehnt)en sitzt dieser Mann an der Rampe zum Domberg und musiziert. Foto: Hilke Maunder

Zwischen Papstpalast und Place de l’Horloge eröffnete 2017 im Palais Calvet de la Palun, zuletzt herrschaftliches Domizil der Banque de France, das Carré du Palais als Schaufenster der Côtes-du-Rhône-Weine.

Ihr könnt dort eine Weinschule besuchen, die Tropfen an der Weinbar verkosten, bei kulinarischen Workshops die Harmonie von Wein und Speisen entdecken – und, falls ihr zu tief ins Glas geschaut hab, auch gleich hier übernachten. Denn zum Komplex gehören auch sechs Suiten, nobel wie die Weine.

Eine Brücke in 3 D

Sur le pont d'Avignon, on y danse... : die berühmte Brücke gehört heute zum Welterbe. Foto: Hilke Maunder
Sur le pont d’Avignon, l’on y danse… : die berühmte Brücke gehört heute zum Welterbe. Foto: Hilke Maunder

Nördlich an die Kathedrale schiebt sich der Kalkkegel des Rocher des Doms als Aussichtskanzel an das Ufer der Rhône. Aus der Höhe gelingt es besser, sich den Pont Saint-Bénézet mit seinen 22 Bögen vorzustellen, die einst die Rhône überspannten.

Seit 2016 verrät auch eine 3-D-Rekonstruktion in der Ausstellung Le Pont retrouvé auf der berühmten Brücke, wie sie um 1550 ausgesehen hat. Heute sind von der einst 900 Meter langen Passage nur noch vier Bögen und eine Kapelle, die dem Heiligen Nicolas gewidmet ist, erhalten.

Die Bogenbrücke Pont Saint-Bénézet ist das Wahrzeichen von Avignon. Foto: Hilke Maunder
Die Bogenbrücke Pont Saint-Bénézet ist das Wahrzeichen von Avignon. Foto: Hilke Maunder

Die Freizeit-Insel

Auf der berühmten Brücke, heute nur noch ein Rumpf mit kleiner Kapelle, wurde übrigens nie sur le pont getanzt. Das tat man auf der Île de la Barthelasse.

Heute genießen dort Einheimische und Urlauber im Restaurant Le Bercail bei provenzalischer Küche oder Holzofenpizza im letzten Sonnenlicht den Blick auf den Fluss und die Skyline der Stadt.

Und auf die berühmte Brücke, die Avignon mit dem 1293 gegründeten Städtchen Villeneuve-lès-Avignon im Heiligen Römischen Reich verband.

In der Doppelkapelle des Pont Sant-Bénézet ist oben Nikolaus von Myra, unten der heilige Bénézet geweiht. Foto: Hilke Maunder
Die Doppelkapelle des Pont Saint-Bénézet ist oben Nikolaus von Myra, unten dem heiligen Bénézet geweiht. Foto: Hilke Maunder

Später verband sie die Papststadt mit dem Königreich Frankreich   – die französische Krone ante portas vor der Kurie. Die Kardinäle, die in Avignon keinen Wohnsitz fanden, störte das wenig. Sie errichteten in kürzester Zeit 15 livrées, prachtvolle Residenzen.

Und nach diesem „Pflichtprogramm“? Lasst euch treiben! Bummelt durch Kopfsteingassen, die stattliche Patrizierhäuser säumen. Stöbert in Boutiquen, genießt das Flair dieser lebendigen wie alten Stadt. Und entdeckt die Kreativen von Avignon.

Die untere Kapelle der Pont Saint-Bénézet. Foto: Hilke Maunder
Die untere Kapelle des Pont Saint-Bénézet. Foto: Hilke Maunder

Kunst von alt bis Avantgarde

Aktuelle und alte Kunst: Die vielen Museen von Avignon sind voll davon! Die Sammlung von Yves Lambert, der Avignon 559 zeitgenössische Kunstwerke vermachte, ist dank des Zusammenschlusses von zwei 300 Jahre alten Stadtpalästen seit 2016 auf doppelter Fläche zu sehen.

Das Hôtel de Caumont zeigt aktuelle Ausstellungen. Auditorium, Empfangssaal und Project Room  dienen als Event-Fläche. Die Dauerausstellung der Collection Lambert im Hôtel de Montfaucon lädt zur Zeitreise von den Sechzigern bis heute.

Avignon, Collection Lambert. Foto: Hilke Maunder
Die Collection Lambert. Foto: Hilke Maunder

Zu den Schätzen des Pariser Avantgarde-Galeristen gehören Arbeiten von Robert Ryman, Cy Twombly, Nan Goldin oder Bruce Nauman. Jean-Michel Basquiat und Julian Schnabel stehen für die Achtziger.

Die 2000er-Jahre werden von Künstlern wie  Douglas Gordon, Louis Jammes und Idriss Kahn dokumentiert. Beide Palais sind für mich zudem eine wunderschöne Verbindung zwischen alter Architektur und moderner Kunst!

In der Altstadt von Avignon. Foto: Hilke Maunder
In der Altstadt von Avignon. Foto: Hilke Maunder

Shopping-Vielfalt

Wir laufen durch die kleine, ruhige Grünanlage Square Agricol Perdiguier am Temple Saint-Martial – und stehen dann plötzlich, etwas verdutzt, wieder im Trubel der Rue de la République. Das Shopping auf der betriebsamen Einkaufsmeile von Avignon zwischen Bahnhof und Rathaus dominieren Filialen landesweiter Ketten.

Die Kreativen von Avignon: Mistinguett. Foto: Hilke Maunder
Die Kreativen von Avignon: Mistinguett. Foto: Hilke Maunder

Kleine, individuelle Geschäfte, hippe Boutiquen und alteingesessene Fachgeschäfte wie Mouret, wo seit 1860 le tout Avignon seine Hüte kauft, findet ihr eher in den Altstadtgassen.

Die Rue de la Bonneterie bringt euch direkt zu den Markthallen von Avignon. Trinkt dort doch einmal einen Kaffee oder Wein… und stimmt euch so ein aufs nächste  Ziel in der Provence der Päpste!

Verkäuferin in der Markthalle von Avignon mit Banon-Käse. Foto: Hilke Maunder
Verkäuferin in der Markthalle von Avignon mit Banon-Käse. Foto: Hilke Maunder

Die Weine der Päpste

1316 wurde ein kränklicher Mann von den Kardinälen als Nachfolger von Papst Clemens V. gewählt, die insgeheim auf eine kurze Amtszeit des 70-Jährigen hofften.

Als Sommerresidenz wählte der neue Papst Johannes XXII. ein kleines Örtchen auf halbem Wege nach Orange, knapp 20 Kilometer nördlich von Avignon: Châteauneuf-du-Pape.

Châteauneuf-du-Pape: Ruine des Schlosses der Päpste von Avignon. Foto: Hilke Maunder
Châteauneuf-du-Pape: Ruine des Schlosses der Päpste von Avignon. Foto: Hilke Maunder

1313 begannen die Bauarbeiten an seinem Schloss. 1350 folgte die Anlage des päpstlichen Weinbergs. Dessen Wein allerdings konnte er nicht mehr genießen. Nach 18 Jahren im Amt verschied er 1345 mit 89 Jahren. Das Schloss wurde in den Religionskriegen des 16. Jahrhundert zerstört, der Wein weltberühmt.

Pastelfarbene Fensterläden und Feldstein: die Farben des Südens in der Altstadt von Châtaeuneuf-du-Pape. Foto: Hilke Maunder
Pastellfarbene Fensterläden und Feldstein: die Farben des Südens in der Altstadt von Châtaeuneuf-du-Pape. Foto: Hilke Maunder

Mit päpstlichem Wappen

Auf kalkhaltigen Kiesböden ragen auf 3100 ha seine meist nur kniehohen Weinstöcke von Erzeugern wie Château de Beaucastel, Château La Nerthe, Domaine du Vieux Télégraphe und Domaine du Pégau auf, deren Cuvées Kultstatus unter Weinkennern besitzen.

Abgefüllt werden ihre AOC-Weine in Flaschen, die bis heute an die päpstliche Weinbautradition erinnern: mit den gekreuzten Schlüsseln Petri und der Tiara, der Papstkrone aus drei Kronen.

Châteauneuf-du-Pape: Flaschenparade auf der Fassade. Foto: Hilke Maunder
Châteauneuf-du-Pape: Flaschenparade – selbst auf der Fassade. Foto: Hilke Maunder

Offene Keller in alten Gassen

Auf der Place de Portail, die im Volksmund nur Place de la Fontaine genannt wird, verrät eine Übersichtskarte, welche 22 Winzer ihre Keller für Degustationen geöffnet haben – im Örtchen selbst sind allerorten Weinkästen und Demoflaschen als Hinweise zur Weinprobe an Hauswände, Treppen und Mauern genagelt.

Weinverkauf in der Altstadt von Châteauneuf-du-Pape. Foto: Hilke Maunder
Weinverkauf in der Altstadt von Châteauneuf-du-Pape. Foto: Hilke Maunder

Papst Johannes XXII. war es auch, der 1317 das Gebiet rund um Valréas kaufte und unter die Autorität des Heilligen Stuhls stellte. Noch heute ist Valréas die Hauptstadt der Enclave des Papes.

Der Trüffelmarkt von Richerenches. Foto: Hilke Maunder
Der Trüffelmarkt von Richerenches. Foto: Hilke Maunder

Charmante Dörfer

Drei Kommunen gehören ihr an. In Richerenches werden von November bis März auf einem großen Trüffelmarkt die Diamanten der Welt für teures Geld verkauft.

Visan ist ein typisches Winzerdorf. Und auch Grillon mit seinem mittelalterlichen bourg auf einem Hügel ist ebenfalls ein Einsprengsel im Département Drôme.

Enclave des Papes: Weinberg bei Visan. Foto: Hilke Maunder
Enclave des Papes: Weinberg bei Visan. Foto: Hilke Maunder

Der Garten der Päpste

Mit dem Comtat Venaissin besaßen die Päpste nicht nur ein landschaftlich sehr abwechslungsreiches, sondern auch sehr fruchtbares Hinterland – einen Garten Eden, in dem Trauben, Aprikosen, Kirschen und Erdbeeren gediehen, Oliven zu erstklassigem Öl gepresst und Lavendel auf den Hochebenen am Mont Ventoux geerntet wurde.

Bis heute macht die Vielfalt der Erzeugnisse die großen Wochenmärkte von Carpentras und Vaison-la-Romaine zu den wohl schönsten Märkten der Provence.

Der Safran der Päpste

Mit der Ankunft der Päpste im 14. Jahrhundert wurde der Safran (Crocus sativus) im Vaucluse eingeführt und am Fuße des Mont Ventoux intensiv angebaut. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte war der Vaucluse der größte Safranerzeuger Frankreichs; in Carpentras gab es im 17. Jahrhundert mehr als 160 Safranbauern.

Der schwierige Anbau dieses wertvollen Gewürzes verschwand im Laufe des 19. Jahrhunderts.  Ein halbes Dutzend Erzeuger halten im Vaucluse den Safran-Anbau lebendig.

Zu ihnen gehören Marie und François Pillet in den Dents des Mirailles, die 2004  damit begannen,  auf 200 bis 300 Quadratmeter kleinen, von Trockenmauern eingefassten Parzellen in Südlage ihre Krokusse anzubauen. Heute ist ihr Safranhof einer der größten Betriebe seiner Art in Frankreich. Um ein Kilo Safran zu erhalten, müssen die feinen Stengel aus 150.000 Blüten herausgezupft werden!

Zeitreisen in Vaison-la-Romaine

Am Brunnenplatz der alten Bourg von Vaison-la-Romaine findet ihr ein charmantes Hotel. Foto: Hilke Maunder
Am Brunnenplatz des alten bourg von Vaison-la-Romaine findet ihr ein charmantes Hotel. Foto: Hilke Maunder

Wer durch den Haut-Bourg von Vaison-la-Romaine bummelt, wird mit großen Schwarz-Weiß-Fotografien, die auf den Natursteinwänden der mittelalterlichen Wohnhäuser hängen, mit einem weniger bekannten Aspekt des avignonischen Papsttums bekannt gemacht: den Juden des Comtat.

Bereits 1307 hat König Philipp der Schöne erstmals die Juden aus Frankreich gejagt. Als die ersten großen Pestepidemien in Europa ausbrachen, wurden die Juden als Sündenböcke verfolgt und zu Tausenden getötet, da sie angeblich die Brunnen vergiftet hätten.

Ende des 15. Jahrhunderts vertrieb sie Karl VIII. aus der Provence und nur noch das Comtat Venaissin stand ihnen damals offen. Aber auch dort war die Toleranz relativ.

Die Burgruine der Bourg von Vaison-la-Romaine. Foto: Hilke Maunder
Die Ruine der Burg von Vaison-la-Romaine. Foto: Hilke Maunder

Die Juden des Comtat

Papst Clemens VI. stellte sich mit einer Bulle hinter die Juden. Warum die Päpste die Templer verfolgten, aber Toleranz bei den Juden zeigten? Sie waren eine tragende Stütze der päpstlichen Wirtschaftspolitik.

Die gewährte Religionsfreiheit auf dem Territorium der Päpste ließ große jüdische Gemeinden in Avignon, Cavaillon, Carpentras  und Isle‐sur‐la‐Sorgue entstehen. Nur in diesen vier Städte wurden ihre Gemeinden toleriert.

Das Leben in den carrières

Sie wurden zwar aufgenommen, doch das Leben der damaligen Juden war nicht gerade beschaulich. Zunächst wurde ihnen die Pflicht auferlegt, ein Abzeichen zu tragen. Anfang des 17. Jahrhunderts wurden sie gezwungen, in sogenannten carrières zu wohnen, dem provenzalischen Äquivalent der italienischen ghetti, die an jedem Ende durch Ketten und später durch Türen abschlossen waren.

Vaison la Romaine: Fotos zieren die Feldsteinwände der alten Bourg. Foto: Hilke Maunder
Schwarzweiß-Fotos zieren die Feldsteinwände des alten bourg von Vaison-la-Romaine. Foto: Hilke Maunder

Die Synagoge: der Lebensmittelpunkt

Ihre zugewiesenen Wohngebiete durften sie nur tagsüber verlassen. In den carrières war die  Synagoge der Lebensmittelpunkt,  Gotteshaus, Versammlungsraum für die baylons (Gemeindeverwalter) und  Schule, wenn der Rabbiner Unterricht hielt.

Per Verordnung wurden den Juden alle gewerblichen Tätigkeiten außer dem Handel mit Gebrauchtkleidung, Trödelläden und Geldverleih verboten. Doch die Abschottung machte auch jene Tätigkeiten fast unmöglich. Die Juden verarmten.

Erst beim Anschluss des Comtat Venaissin an Frankreich 1791 wurde auch den Juden in Frankreich der Bürgerstatus gewährt. Viele Juden verließen die carrières und kehrten Frankreich den Rücken. Erst die Zuwanderung von Juden aus Nordafrika sorgte für eine Erneuerung der jüdischen Gemeinde.

Frankreichs älteste Synagoge

Die Synagoge von Cavaillon ist die älteste Synagoge des Landes – und erhebt sich, von außen sehr unauffällig, am Hauptplatz des einstigen Judenviertels, der Place Maurice Charretier. Ihre  zwei übereinander gesetzten Räume verbindet eine Außentreppe.

In dem den Männern vorbehaltenen oberen Raum befindet sich die Empore, wo der Zelebrant aus der Thora las. Im unteren Raum, dem Versammlungsraum der Frauen, erinnern der marmorne Knettisch und der Kuppelofen daran, dass dort das ungesäuerte Brot zubereitet und gebacken wurde.

Blau und gelb verzierte Täfelungen aus grauem Holz, in kräftigem Rosa gestrichene verputzte Wände, Motive mit Muscheln, Voluten, Blumen oder Musikinstrumenten sowie das Blattgold, das die wichtigen Pole der Liturgie (Empore und Tabernakel) unterstreicht,  greifen in ihrer Ästhetik die für die Provence geliebte Dekoration  eines Salons in einem Stadtpalais auf.

Seit den 1960er-Jahren beherbergt der untere Saal die Sammlungen des Jüdischen Museums des Comtat Venaissan zum Leben in der carrière. Erhalten sind auch die rituellen Bäder, die jedes Jahr im September beim Tag des offenen Denkmals besichtigt werden können.

Von der Burgruine eröffnen sich weite Blicke auf Vaison-la-Romaine. Foto: Hilke Maunder
Von der Burgruine eröffnen sich weite Blicke auf Vaison-la-Romaine. Foto: Hilke Maunder

Die Provence der Päpste: meine Reisetipps

Schlemmen & genießen

Agape

Sehr angesagt ist derzeit das Restaurant Agape im Faucon-Viertel. Im Sommer ist gegrillte Dorade der Hauptgang des Abendmenüs, im Winter krosses Schwein vom Mont-Ventoux.
• 21, place des Corps Saints, 8400 Avignon, Tel. 04 90 85 04 06, www.restaurant-agape-avignon.com

Le Goût du Jour

Traditionelle französische Hausmannskost interpretiert Richard Corre modern, frisch und leicht.
• 20, rue Saint-Étienne, 8400 Avignon, Tel. 04 32 76 32 16, www.legoutdujour84.com

Le Bercail

Eines der wenigen Restaurants, wo ihr in Avignon mit Blick auf die päpstliche Stadt direkt an der Rhône speisen könnt.
• rue des Cannotiers, Île de la Barthelasse, 8400 Avignon, Tel. 04 90 82 20 22 162, www.restaurant-lebercail.fr

Le Bercail auf der Île de la Barthélasse. Foto: Hilke Maunder
Le Bercail auf der Île de la Barthélasse. Foto: Hilke Maunder

Maison Ripert

Im nostalgischen Dekor der einstigen Patisserie begeistert Cedric Preud’homme mit moderner Bistroküche.
• 28, rue Bonneterie, 8400 Avignon, Tel. 04 90 27 37 97, www.facebook.com/maisonripert

Shopping

Les Halles

An der Fassade eine grüne Wand, drinnen ein Schlaraffenland der Genüsse. In der Markthalle von Avignon bieten 40 Händler regionale Erzeugnisse an: Papalines aus Schokolade, Zucker und Oreganolikör, Kutteln und Würste, Oliven, Trüffel, Gemüse und Kräuter. Wie sie verarbeitet werden, zeigen Hobby- und Profiköche in der Petite Cuisine des Halles samstags um elf Uhr (außer August).
• Place Pie, 8400 Avignon, avignon-leshalles.com, Di. – Fr. 6 – 13.30 , Sa./So 6 – 14 Uhr

In der Markthalle von Avignon findet ihr auch die lokale Spezialität "caillettes". Foto: Hilke Maunder
In der Markthalle von Avignon findet ihr auch die lokale Spezialität caillettes. Foto: Hilke Maunder

Kreative Mitbringsel

Einen guten Überblick über die Design- und Kunstszene von Avignon bietet das Online-Portal Les Fabricateurs, deren Mitglieder auch beim jährlichen Festival Parcours des Arts im Oktober teilnehmen. Ein Faltblatt, beim Office de Tourisme erhältlich, lädt ein, die Künstler auf einem Spaziergang zu entdecken.

Übernachten

Hôtel de l’Horloge*

Topzentral gelegenes Dreisternehaus, das internationale Gäste – vor allem Engländer – anlockt. Gefrühstückt wird bei üppigem Büffet im Nebengebäude.
• 1, Rue Félicien David, 84000 Avignon, Tel. 04 90 16 42 00, www.hotel-avignon-horloge.com

Cloître Saint-Louis*

Erst Jesuitenseminar, später Armeehospital und Altersheim, heute Kulturzentrum und Viersternehotel: Der Cloître Saint-Louis hat wechselvolle Zeiten erlebt. Seine 85 Hotelzimmer befinden sich sowohl im alten Kloster wie im Neubau von Jean Nouvel.
• 20, rue du Portail Boquie, 8400 Avignon, Tel. 04 90 27 55 55, www.cloitre-saint-louis.com

Hôtel Médiéval*

Eine monumentale Treppe führt im Altstadthotel zu den 35 nostalgisch-komfortablen Zimmern.
• 15, rue Petite Saunerie, 8400 Avignon, Tel. 04 90 86 11 06, www.restaurant-lebercail.com

Hôtel Saint-George*

800 Meter außerhalb der Altstadt punktet das Hôtel Saint-George mit modernen sauberen Zimmer, gutem Frühstück und privatem Parkplatz.
• 12, Traverse de l’Etoile, 8400 Avignon, Tel. 04 90 88 54 34, www.hotel-saint-george.com

***

Ferme de Palumiane*

Drei Ferienwohnungen und mehrere Gästezimmer auf einem ehemaligen Weingut, das immer noch Rebenland umgibt. Für Entspannung sorgt ein Wellnessbereich mit Sauna, Whirlpool und Schwimmbad; wer nicht kochen möchte, kann eine table d’hôte, ein gemeinsames Essen mit den Gastgebern Christelle und Stéphane buchen – und im Winter an einem Trüffelwochenende teilnehmen.
• 600, Chemin de Château Vert, 84820 Visan, Tel. 04 90 41 94 51

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Im Blog

Ein Wochenende in Avignon

Euren Reiseplan für ein wunderschönes Wochenende oder drei erlebnisreiche Tage in Avignon gibt es hier!

Im Buch

Zur Einstimmung: DuMont Bildatlas Provence*

DuMont Bildatlas Provence 2021In meinem DuMont-Bildatlas „Provence“* stelle ich in sechs Kapiteln zwischen Arles und Sisteron die vielen Facetten der Provence vor. Ihr erfahrt etwas vom jungen Flair zu Füßen des Malerberges, vom Weltstadttrubel an der Malerküste, dem weißen Gold aus der Pfanne oder einer Bergwelt voller Falten.

Neben Aktivtipps, Hintergrund und Themenseiten gibt es in der Edition 2021 zwei neue Rubriken. “Ja, natürlich” präsentiert zahlreiche Tipps für nachhaltige Erlebnisse und Momente. In “Urlaub erinnern” stelle ich Andenken, Eindrücke und Erinnerungen vor, mit denen der Urlaub daheim noch weiter lebendig bleibt. Hinzu kommen Serviceseiten mit allen Infos, persönlichen Tipps und großer Reisekarte. Wer mag, kann den Band hier* direkt bestellen.

Das Südfrankreich-Reise-Kochbuch: Le Midi*

Die poule au pot ist eine der 80 echten, authentischen Speisen, die ich bei meiner kulinarischen Landpartie durch den Süden von Frankreich entdeckt habe. Zwischen Arcachon, Hendaye und Menton schaute ich den Köchen dort in die Töpfe, besuchte Bauern, kleine Manufakturen, Winzer und andere lokale Erzeuger.

Gemeinsam mit dem Fotografen Thomas Müller reiste ich wochenlang durch meine Wahlheimat und machte mich auf die Suche nach den besten Rezepten und typischsten Spezialitäten der südfranzösischen Küche. Vereint sind sie auf den 224 Seiten meines Reise-Kochbuchs Le Midi.

Ihr findet darin 80 Rezepte von der Vorspeise bis zum Dessert, Produzentenportaits, Hintergrund zu Wein und Craftbeer, Themenspecials zu Transhumanz und Meer – und viele Tipps, Genuss à la Midi vor Ort zu erleben. Wer mag, kann meine 80 Sehnsuchtsrezepte aus Südfrankreich hier* online bestellen.

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Châteauneuf-du-Pape, Épicerie. Foto: Hilke Maunder
Auf dem Weg zur Burg von Châteauneuf-du-Pape kommt ihr an dieser épicerie vorbei. Foto: Hilke Maunder

2 Kommentare

  1. Hej Hilke,
    wieder so informativ mit gelungenen Fotos! Danke!
    In der Synagogenbäckerei in Carpentras fiel mir – vor einem halben Jahrhundert – ein kostbar brokatbekleidetes Gefäß auf, das lt. angehängter französischer Info als Musikinstrument bei Lesung aus dem Buche Esther diente. Und dann: In Norddeutschland als „Rummelpott“ (sic!) in Gebrauch…
    In meinen Kindertagen ein leerer Marmeladeneimer aus dem Kolonialwarenladen an der Ecke, überspannt mit einer frischen Schweinsblase vom Schlachter, ein kleiner Ast zum Rummeln und den Rummelpottliedern gingen wir am Altjahrsabend auf Heischetour…
    Bei meinem nächsten Besuch war die Synagoge wegen Renovierung geschlossen: Ob der Sessel für den Propheten Elias wieder auf halber Höhe an der Wand?

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