Der Eingang zur Metrostation Sentier. Foto: Hilke Maunder
|

Le Sentier in Paris: die Metamorphose

Rue d’Aboukir, du Caire, du Nil. Schon die Straßennamen wecken Fernweh –  und die Erinnerung Napoleons Ägyptische Expedition (1798 – 1801). Versteckt zwischen dem Boulevard Sébastopol und der Rue Réaumur, bilden die Straßen das Quartier du Sentier.

Im Mittelalter galt es als so gefährlich, dass sich selbst die Polizei nicht hineintraute. Später wurde das Viertel zum Zentrum der Billigschneider aus Fernost.

Heute ist Le Sentier im 2. Arrondissement von Paris ein Synonym für Trendiness und Innovation. Schicke Boutiquen, hippe Cafés und avantgardistische Kunstgalerien prägen das Bild des Viertels. Die Straßen sind belebt, und die Atmosphäre ist kosmopolitisch und kreativ. Viele Nebenstraßen sind verkehrsberuhigt.

Blumenkübel haben hier und da die Gehwege im Sentier erobert und zaubern eine geradezu dörfliche Atmosphäre ins Großstadtgetriebe. Enge Gassen, alte Gebäude und kleine Werkstätten prägen die Architektur von Le Sentier. Viele der Gebäude stammen aus dem 19. Jahrhundert und sind im typisch Pariser Haussmann-Stil erbaut – mit symmetrischen Fassaden, dekorativen Balkonen und großen Fenstern.

Pionier: Rue Montorgueil

Vorreiter der Gentrifizierung war die Rue Montorgueil, heute eine kleine Fußgängerzone mit Feinkostläden, gut sortierten Gemüsehändlern, Szenecafés und Restaurants. Hier findet ihr in Haus Nr. 51 auch die älteste Konditorei der Stadt: Stohrer.

Als Ludwig XV. die Tochter des polnischen Königs Stanislas Leszczynski heiratete, brachte diese den begnadeten polnischen Konditor ihres Vaters mit: Nicolas Stohrer, gebürtig aus Wissembourg im Elsass.

Hier wurde die berühmte Baba au Rhum erfunden, ein Dessert, das sogar Marie Antoinette zu schätzen wusste. Weitere Klassiker, die ihm zugeschrieben werden, sind die Réligieuse, die Tarte Chiboust und die Puits d’amour. Heute interpretiert Chef-Pâtissier Jeff Cagnes die klassischen Rezepte mit veränderten Zutaten aufs Köstliche neu. Das opulente Interieur der Pâtisserie gestaltete ein Schüler des berühmten Malers Paul Baudry, der auch für das Dekor des Opéra Garnier verantwortlich war.

Wie branché das Schneiderviertel als Silicon Sentier heute ist, zeigte auch das Engagement von David Lynch. In der Rue Montmartre eröffnete er 2011 seinen privaten Club Le Silencio. Hinein kamen nur Gäste mit Klubkarte. Covid-19 brachte 2020 die Schließung.

Angesagt: die Rue du Nil

Als echte Konkurrenz zur Rue Montorgueil hat sich die Rue du Nil etabliert. Dort haben die Schulfreunde Alexandre Drouard und Samuel Nahon mit Terroirs d’Avenir einen One-Stop-Schlemmer-Point mit drei Geschäften unter einem Dach gegründet:  Schlachter, Fischhändler und Gemüsehöker.

Alle drei arbeiten direkt mit den Bauern der Region und anderen örtlichen Produzenten zusammen und beliefern inzwischen 45 Restaurants wie das Septime oder Le Meurice im Luxushotel Dorchester.

Gregory Marchand durchlief die Küchen von Jamie Oliver, kam aus New York nach Paris, machte die Quebec-Kanadierin Caroline Loiseleux zur Sommelière und eröffnete 2009 sein Lokal Frenchie in der Rue du Nil Nr. 5. Bereits im Eröffnungsjahr zum „Besten Koch des Jahres 2009“ vom Guide du Fooding erwählt, wurde Frenchie rasch so erfolgreich, dass Gregory mit seiner Frau 2011 die Bar à Vin eröffnete. Dort schenkt Aurélien Massé zu Tapas und ein, zwei kleinen Gerichten exzellente Weine aus.

Koffein-Träume

Und jetzt ein Koffeinkick? Was Hippolyte Courti seit Sommer 2013 in seinem L’Arbre à café in der 10, rue du Nil, aus der Arabica zaubert, lässt träumen.

Jede Bohne ist ein Hauch Fernweh, sonnengetrocknet in Tamil Nadu, in der brasilianischen Halbwüste von l’Espirito Santo gezogen. Oder ist zubereitet aus der Bourbon Pointu-Laurina, der braunen Grand Cru-Bohne des Piton des Neiges auf La Réunion.

Die Oase von Aboukir

2013 schraubte Patrick Blanc auf eine Fassade der Rue d’Aboukir ein 25 Meter hohes Trägersystem, befestigte daran 7600 Pflanzen aus 237 Arten, darunter, Moose, Farne und blühende Pflanzen, und schuf die erste große grüne Wand von Paris: die Oase von Aboukir. Ein automatisiertes Bewässerungssystem sorgt dafür, dass die Pflanzen ohne manuelles Gießen ausreichend Wasser erhalten.

Das Projekt, das damals viele für eine verrückte Spinnerei abtaten, hat heute längst bewiesen, wie gut es der Stadt tut. Die grüne Wand verbessert das lokale Klima, filtert die Luft, vermeidet Hitzeinseln und bietet Lebensraum für Insekten.

Heute ist der vertikale Garten nicht nur ein Hingucker im Stadtbild des Sentier-Viertels, sondern auch eine der berühmtesten best practices, die Kunst, Natur und nachhaltiger Stadtplanung verschmelzen. Und dies macht der mur blanc im Wandel der Jahreszeiten so schön, dass er zum Instagram-Hotspot aufstieg.

Stylisch schlummern

Stark ist auch das Design des Hôtel Edgar, ein Retrotraum in Türkis mit Holz und Marmor. Einst barg das Gemäuer an der 31, Rue d’Alexandrie eine Schneiderwerkstatt.

Heute sind zwölf Fantasien von Persönlichkeiten und Künstlern hier zu finden. Wer Hunger hat, speist bei Xavier Thiery frisch gefangenen Fisch auf der Terrasse.

Huhn, Lachs und Rind, oder ganz vegetarisch eine fette Scheibe Mozzarella, kommen auf die Gourmet-Burger von Blend in der Rue d’Argout.

Wie gut, dass es inzwischen auch zwei tolle Spas im Sentier-Viertel gibt– den funktionell gestylten, weiß-modernen Hamman Paris in der 23, Rue des Jeûneurs und das orientalisch-romantische Spa der Sultane de Saba in der 8, rue Bachaumont.

Kult: diese Bäckerei in der Rue d'Aboukir. Foto: Hilke Maunder
Kult: diese Bäckerei in der Rue d’Aboukir. Foto: Hilke Maunder

Weiterlesen

Im Blog

Alle Beiträge zu Paris vereint diese Kategorie.

Im Buch

Hilke Maunder, Baedeker „Paris“*

Baedeker Paris 2018Meinen Baedeker „Paris“*  gibt es seit 4. Oktober 2023 in der komplett aktualisierten und mittlerweile 20. Auflage!

„Tango unter freiem Himmel: Die Stadt der Liebe: Der neue Reiseführer ‚Paris‘ zeigt – neben Sehenswürdigkeiten – besondere Orte für Höhenflüge, romantische Momente wie ‚Tango unter freiem Himmel‘ und unvergessliche Dinners. Dazu gibt’s viele Kulturtipps…“  schrieb die Hamburger Morgenpost über meinen Paris-Führer.

Zu den Fakten, unterhaltsamer präsentiert, gibt es jetzt auch Anekdoten und Ungewöhnliches, was ihr nur im Baedeker findet. Und natürlich ganz besondere Augenblicke und Erlebnisse, die euren Paris-Aufenthalt einzigartig und unvergesslich machen. Wer mag, kann meinen Paris-Reiseführer hier* bestellen.

 * Durch den Kauf über den Partner-Link, den ein Sternchen markiert, kannst Du diesen Blog unterstützen und werbefrei halten. Für Dich entstehen keine Mehrkosten. Ganz herzlichen Dank – merci !

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert