Schlechter Ruf? Spannend: Saint-Gaudens!
Die Nähe zu den Pyrenäen, die Nähe zu den Atlantikstränden, zu Spanien und Andorra, weder Dorf noch Großstadt. Damit punktet Saint-Gaudens. Doch es wird auch viel geschimpft. Dreckig sei es dort, überall gäbe es Alkoholiker und Drogenabhängige, Hundekot läge herum, und die gesamte Innenstadt sei tot.
Und das Schlimmste: Eine hässliche Zellstofffabrik verschandele den Pyrenäenblick. Letzteres stimmt. Wer hatte nur diese Idee? Nördlich der Stadt gebaut, wäre das tolle Panorama erhalten geblieben.
Jetzt stören Dampfwolken der Kühltürme und ein Koloss aus Metall den Blick. An manchen Tagen stinken die Abgase geradezu bestialisch. Völlig überrascht war ich jedoch, als ich den Wagen abstellte und die so arg beschimpfte Stadt mir einmal anschaute.
Es stimmt: Auch in Saint-Gaudens verdecken in einigen wenigen Straßenzügen der Innenstadt gemalte Vitrinen die leeren Läden, sind die Schaufenster mitunter mit Pappen oder Gittern verriegelt, die Auslagen behelfsweise mit Bildern oder Deko geschmückt. Doch dreckig oder voller Alkoholiker und Drogenabhängiger war das Zentrum nicht.
Sondern: Belebt vom morgendlichen Markttreiben am Sonnabend im Schatten der romanischen Pfarrkirche, die gemeinsam mit dem Collegiale Saint-Pierre et Saint-Gaudens Station auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela steht und vor mehr als 900 Jahren errichtet wurde: 40 Meter lang, 21 Meter breit und bis zu 16 Meter hoch. Beeindruckend!
Wie der Kreuzgang, der 1987 in minutiöser Handarbeit wieder aufgebaut wurde mit Fundstücken aus Museen und Sammlungen. Die Kapitelle konnten sogar als Originale wieder eingebaut werden.
Ebenso die eindrucksvolle Orgel von Cavaillé-Coll und die drei Tapisserien aus Aubusson, der Gobelin- und Teppichhauptstadt Frankreichs im Limousin.
Vor der Pfarrkirche wird Markt gehalten. Mal ist es ein gewöhnlicher Wochenmarkt, mal ein Biomarkt mit lokalen Produzenten.
Dann trifft man sich, klönt an den Ständen, trinkt in den Terrassencafés ringsum erst den Café, dann das erste Gläschen Wein, schaut dem Treiben zu und verbringt so entspannt den Tag bis zum Mittagsmahl.
Die Chapelle Saint-Jacques an der Avenue Maréchal Foch birgt heute ein Zentrum für zeitgenössische Kunst, das jährlich mehrere Ausstellungen auf seinen 200 Quadratmetern zeigt: Pflichttermine für die Kinder der örtlichen Schulen und Kindergärten!
An das berühmte französische Porzellan Bleu de Valentine, das in Saint-Gaudens von 1832 bis 1878 hergestellt wurde, erinnern das Musée de Céramique in einem prachtvollen Stadtpalais. Architektonisch besonders interessant sind die Straßen Rue Victor Hugo, Rue des Fossées und die Rue des Remparts.
Und lest auch mal die alten Straßenschilder. Auch in der alten Hauptstadt des Comminges tragen die Straßen und Plätze vertraute Namen: Foch, Joffre und Gallieni. In vielen französischen Städtchen sind ihnen Straßen gewidmet.
Doch hier sind sie daheim. Die drei Generäle der Grande Guerre, wie die Franzosen den Ersten Weltkrieg (1914 – 1918 nennen), stammen aus den Pyrenäen. 1923 schuf der Paul Ducuing, Bildhauer aus Lannemezan mit ihren Gesichtern das Mahnmal für die Toten des Krieges.
Saint-Gaudens: meine Reisetipps
Shopping
Viele Vitrinen der Innenstadt sind leider (noch) leer oder verrammelt. In anderen Straßen der Innenstadt, besonders rund um den Wochenmarkt, herrscht jedoch reges Treiben.
Und Zuversicht. Denn immer mehr Läden öffnen wieder. 200 sind es bereits. Das Parken auf den mehr als 1000 Plätzen ist kostenlos. Warum also in ein großes centre commercial gehen? Voilà ein paar gute Adressen.
Crémerie du Comminges
Ein Schlaraffenland für alle, die Käse lieben: vom Cantalet, dem sieben Kilogramm „leichten“ Bruder des sonst mehr als 40 Kilogramm schweren Cantal, bis zum würzigen Bethmale, der ganz in der Nähe im gleichnamigen Tal seine Heimat in den Bergen hat.
• 1, place Route Nationale Jean Jaurès, 31800 Saint-Gaudens, Tel. 05 81 57 96 17, www.facebook.com
Marché du Terroir
jeden Sonnabendvormittag; Ziegenkäse und Lammfleisch von Myriam Aray, Biogemüse, hausgemachter Honig – je nach Saison all die Köstlichkeiten von lokalen, und wirklich lokalen, Erzeugern.
La Brûlerie Saint-Gaudinoise
Arabica, Robusta oder Kaffee-Raritäten aus Südamerika und Afrika? Seit 1973 werden sie bei der Brûlerie frisch geröstet. Inzwischen komplementieren Tee und lokale Spezialitäten der Rösterei das Angebot.
• 6, rue Mathé, 31800 Saint-Gaudens, Tel. 05 61 89 33 61, http://bruleriesaintgaudinoise.com
LE 5 PI R – le 5πR
Wie gut Fast Food sein kann, beweist dieser Imbiss mit frischer, abwechslungsreicher wie schneller Küche.
• 5, place Jean Jaurès, 31800 Saint-Gaudens, Tel. 05 61 89 54 76, www.facebook.com
Schlafen & schlemmen
Cusine et Santé
Bereits 1979 gründete René Lévy, der direkt bei Georges Ohsawa gelernt hat, sein makrobiotisches Hotel. Seit 2010 führt Lévys Schüler Daniel Salens das Lebenswerk fort – ganz im Einklang mit dem einfachen, geselligen Geist, der seit mehr als 40 Jahren das Haus prägt.
• Pont de Valentine, 31800 Saint-Gaudens, Tel. 05 61 89 75 14, www.cuisine-et-sante.com
La Maison de l’Esplanade
Fünf stilvolle Gästezimmer im Herzen von Saint-Gaudens (einige mit Kamin!), eine große Terrasse mit Pyrenäenblick fürs Frühstück oder zum Ausspannen, keine Ortstaxe: Was will man mehr?
• 8, place du Mas Saint-Pierre, 31800 Saint-Gaudens, Tel. 05 61 89 15 90, www.maisonlesplanade.fr
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Annette Meiser, Midi-Pyrénées*
Annette Meiser, die u.a. die erste müllfreie Schule Deutschlands mitbegründete, hat in Midi-Pyrénées ihre Wahlheimat. Dort lebt und arbeitet sie seit vielen Jahren und bietet erdgeschichtliche und kulturhistorische Wanderreisen an.
Ihre Expertise hat sie auf 432 Seiten zwischen die Buchdeckel eines Reiseführers gepackt. Ihr erstes Buch stellt eine Ecke Frankreichs ausführlich vor, die in klassischen Südfrankreich-Führern stets zu kurz kommt.
Für mich ist es der beste Reiseführer auf Deutsch für alle, die individuell unterwegs sind – sehr gut gefallen mir die eingestreuten, oftmals überraschenden oder kaum bekannten Infos. Wie zum einzigen Dorf Frankreichs, das sich in zwei Départements befindet: Saint-Santin liegt genau auf der Grenze von Aveyron und Cantal. Wer mag, kann den Band hier* direkt online bestellen.
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Okzitanien ist die Quintessenz des Südens Frankreichs. Es in den Höhen der Cevennen, endet im Süden am Mittelmeer – und präsentiert sich zwischen Rhône und Adour als eine Region, die selbstbewusst ihre Kultur, Sprache und Küche pflegt.
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