
Schon von weitem sah ich sie, die hohen Türme der Abteikirche Saint-Jean-des-Vignes von Soissons im Herzen der Picardie. Zwischen Wolkenbergen von Zinn bis Grau leuchteten ihre filigranen gotischen Spitzen schlanke 75 Meater hoch im Sonnenlicht. Meinen Parkplatz fand ich an einem kleinen Bach, dessen Namen ein Schmunzeln aufs Gesicht zauberte: la crise, die Krise.

Der Boulevard der Bauern-Villen
Ein breiter Boulevard, gesäumt von Gründerzeitvillen, schirmte wie ein schützender Ring den Sakralbau ab. Hier und da lugte er zwischen viktorianischen Wintergärten, Baumveteranen und alten Giebeln auf.
„Am Boulevard Jeanne d’Arc hatten sie einst die reichen Getreidebauern der Region als Alterssitz errichtet. Die Jungen erbten die Höfe, aufs Altersteil ging’s, schick und stattlich, in die Stadt. Das ist bis heute so.“

Doch in die alten Villen, die weniger Komfort, aber mehr Stil haben, will heute niemand mehr. Und so werden Villa um Villa dem Erdboden gleich gemacht; muss der verspielte Backstein kantigem Beton weichen.
„Nur wenige der Privatbauten stehen unter Denkmalschutz. Dann muss wenigstens die Fassade erhalten bleiben“, erklärt mir ergänzend eine dynamische Fünfzigjährige, die rechts vom Eingang der einstigen Abtei eine Ausstellung des städtischen Museums betreut.

Die Schlacht um Soissons
Sie erzählt von einer noch größeren Zerstörung: dem Ersten Weltkrieg (1914-18). Zweimal hatten deutsche Truppen die Stadt am Südufer der Aisne besetzt. Soissons war nach dem Sieg Chlodwigs über den römischen Feldherrn Syagrius im Jahr 486 die erste Hauptstadt des Frankenreichs gerwessen.
In der Grande Guerre 14-18 zerstöre Artilleriefeuer von beiden Seiten Soissons zu 80 Prozent. Kaum ein Monument führt die Schrecken von Kriegen so vor Augen wie die leeren Fensteraugen der Westtürme der Abtei von Saint-Jean des Vignes. Und die Leere, die toten Steine ringsum. Die Ausstellung erzählt von den Kämpfen der Westfront.
Doch eine Ruine ist die Abteikirche Saint-Jean-des-Vignes bereits seit der Französischen Revolution. Schon damals wurde das Kloster aufgelöst, als Steinbruch genutzt. Und als Kaserne. Eine Explosion im Munitionslager zerstörte die Klosterkirche.


Architektonischer Kontrapunkt
Spannend zu sehen ist, wie Soissons sich seit 1918 wieder definiert und entwickelt hat. Und das könnt ihr bereits gegenüber der Abteikirche sehen. Nur wenige Schritte entfernt, setzt die Cité de la Musique et de la Danse seit 2015 architektonisch einen Kontrapunkt. Das Ausbildungszentrum samt Bühne ist das letzte Werk des Architekten Henri Gaudin.
Der gebürtige Pariser, der in La Rochelle aufwuchs, hat eine Vielzahl von öffentlichen Kultureinrichten entworfen. Dazu gehören die Cité de la Musique et de Danse in Straßburg, die Konservatoriums- und Medienbibliothek in Vincennes und das Grand Théâtre in Lorient.
Auch Universitätsgebäude in Douai, Amiens und Lyon sowie das Charlety-Stadion in Paris wurden nach seinen Entwürfen gebaut. Heute arbeitet auch sein Sohn Bruno als Architekt in seinem Atelier Gaudin in Soissons.

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