Das Stadtschloss von Weimar. Foto: Gert Lange/weimar GmbH

So viel Frankreich steckt in … Weimar

Erst Jena, dann Weimar, schließlich Erfurt: So sieht die Hitliste der 505 Franzosen aus, die in Thüringen leben – 280 Franzosen und 225 Französinnen. 21 Prozent haben in Weimar ihr Zuhause, und damit fast genauso viele, die zu Goethes Zeiten in Weimar ein- und ausgingen.

Das „klassische Weimar“ und „Herz der deutschen Kultur“ war damals jedoch kein Hort der Idylle, sondern wurde wie Frankreich von Unruhen erschüttert. In den ‚heißen‘ Jahren der Französischen Revolution 1792/93 erlebte das Herzogtum Studentenunruhen, einen Aufstand von Textilarbeitern, Spitzelwesen und Repressionen.

Bürger, die gelegentlich Revolutionskokarden trugen, stellten vehemente Forderungen an Herzog Carl August. Professoren und Schriftsteller wurden eingeschüchtert, die Autonomie der Universität Jena ausgehöhlt.

Goethe – ein Spitzel?

In seinem Buch „Goethes Weimar und die Französische Revolution“ stellt der US-amerikanische Germanist W. Daniel Wilson daher die These auf: „Teile des einfachen Volkes sahen die französischen Truppen, die Eisenach zu besetzen drohten, nicht als Eroberer, sondern als Befreier von der absolutistischen Herrschaft des Herzogs an.“

Auf der anderen Seite standen, so Wilson, viele Bürger, die zum Krieg gegen Frankreich mit freiwilligen Spenden beitrugen. Bereits 1999 hatte Wilson behauptet, dass Goethe im Dienst des Herzogs Carl August gegen die Tendenzen der Französischen Revolution agierte und sich als Spitzel betätigt habe.

Ob’s stimmt oder nicht, ist seitdem ein Streitthema der Wissenschaft. Seit Jahren durchforstet sie dazu den Wust an Dokumenten Thüringischen Hauptstaatsarchiv in Weimar.

Feldzug gegen Frankreich

Tatsache ist, dass Goethe die Kanonade von Valmy* hautnah erlebt hat. Auf Bitten seines Landesvaters und Jugendfreundes, Herzog Karl August von Sachsen-Weimar, hatte der Geheimrat 1792 an einem Feldzug deutscher und österreichischer Monarchen gegen das jakobinische Frankreich teilgenommen.

30 Jahre später hielt er seine Erinnerungen im autobiografischen Bericht  Campagne in Frankreich 1792* fest. Ein geflügeltes Wort wurde der Ausspruch, den Goethe nach der nicht durchgefochtenen Schlacht von Valmy im Kreis einiger Offiziere den Ausspruch getan haben soll:

„Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.“
J.W. von Goethe

100 Jahren später bestätigte General Foch, Frankreichs Heerführer im Ersten Weltkrieg,  Goethes Aussage zu Valmy mit diesen Worten: „Die Kriege der Könige waren damit zu Ende gegangen, die Kriege der Völker begannen.“

Weimar: Dichter und Denker im Goethe-Nationalmuseum. Foto: Maik Schuck/Thüringen Tourismus
Weimar: Dichter und Denker im Goethe-Nationalmuseum. Foto: Maik Schuck/Thüringen Tourismus

Schiller: Ehrenbürger Frankreichs

Während Goethe das revolutionäre Treiben im Nachbarland ablehnte, war ein zweiter Dichter in Weimar völlig begeistert: Friedrich Schiller. Nach der erfolgreichen Uraufführung von „Die Räuber“ hatte der Schwabe fliehen müssen und in Thüringen Asyl gefunden. Dort war er 1788 auch Goethe begegnet.

Im Jahre 1792 wurde Schiller Ehrenbürger der französischen Republik. Ursache war wohl eher Schillers Ruf als Rebell als sein tatsächliches Wirken. 1792 waren Schillers „Räuber“ in einer der Revolution angepassten Version erfolgreich aufgeführt worden. Monsieur „Gillé“, wie sein Name lautschriftlich übersetzt wurde, sei fortschrittlicher Gesinnung, lobten die Zeitungen.

Der Straßburger Abgeordnete Philipp Jakob Rühl schlug ihn daher der Assemblée Nationale als Ehrenbürger vor. Schiller nahm an – und besaß mit der Ehrenbürgerschaft automatisch auch die französische Staatsbürgerschaft.

Da die doppelte Staatsbürgerschaft auch für seine Nachfahren galt, ließ sich Schiller eine beglaubigte Kopie nach Weimar schicken. Falls etwa

„eines meiner Kinder sich in Frankreich niederlassen und dieses Bürgerrecht reklamieren wollte.“
Quelle: Lehmann, siehe Buchtipp

Deutsch-Französischer Kultur-Gipfel

Im frankophilen Weimar, wo ein Kulturzentrum „Mon Ami“  heißt und sich der Vorläufer des Kunstfestes Weimar „Pélérinages“ nannte, stand 1997 die Kultur auch im Mittelpunkt des 70. Deutsch-Französisches Gipfeltreffen.

Eine gemeinsame Erklärung hielt die Eckpunkt der kulturellen Zusammenarbeit fest. Gerhard Schröder und Jacques Chirac unterzeichneten in Weimar auch ein Abkommen, das die  Schaffung einer Deutsch-Französischen Universität vorsah.

Zwei Jahre später wurde die Deutsch-Französische Hochschule (DFH) offiziell gegründet. Von Saarbrücken aus koordiniert sie seitdem die deutsch-französischen Hochschulbeziehungen.

6500 Studierende in beiden Ländern nutzen derzeit die 180 bi- und trinationalen Studiengänge an  194 Hochschulen in Deutschland und Frankreich.

Der lange Weg nach Blois

Bereits 1981 unterzeichneten die Bürgermeister Franz Kirchner und Pierre Sudreau eine Freundschaftserklärung zwischen Weimar und Blois. Doch sollte es noch 14 Jahre dauern, bis Oberbürgermeister Dr. Volkmar Germer und Jack Lang den Vertrag zur gemeinsamen Städtepartnerschaft unterzeichnet.

Jack Lang? Ja, genau: Der Superminister für Bildung und Kultur der Jahre 1992/93 war damals noch Bürgermeister der Loire-Stadt.

Praktikanten – und Schüleraustausche, Konzertreisen, gegenseitige Besuche und Feste haben seitdem die deutsch-franzö-sischen Beziehungen mit Leben gefüllt. Rund ein Jahr nach der Unterzeichnung fuhren im September 1996  540 Weimarer nach Blois, um die Partnerstadt kennenzulernen.

Zum 20. Jubiläums der Association Blois-Weimar, das  am 28. Mai 2011 in Blois gefeiert wurde, hat Tina Schiefelbein, eine Dokumentation der Partnerschaft zwischen Blois und Weimar erstellt.

Alte Briefwechsel und Telefonnotizen dokumentieren den Weg, den beide Städte auf dem Weg zur Jumelage nehmen mussten, und berichten über das Entstehen der beiden Partnerschaftsvereine – der Deutsch-Französischen Gesellschaft Weimar e.V. und der Association Blois-Weimar. Die Chronik endet mit einem sehr persönlichen Nachwort.

Die Geschichte der Partnerschaft zwischen Blois und Weimar ist teilweise auch zu meiner persönlichen Geschichte geworden. Mein erster Kontakt mit Blois fand über einen Schüleraustausch im Jahr 1996 statt. Danach folgte im Jahr 1998 nach dem Abitur ein Job d’été in Blois.

Durch diese Aufenthalte habe ich meine Interesse für Frankreich und die französische Sprache vertieft. Im Jahr 2002/2003 absolvierte ich dann ein Auslandsstudium in Grenoble. Wie es der Zufall wollte, wurde ich nach dem Studium im März 2007 bei der Stadtverwaltung Weimar als Referentin für Protokoll und Städtepartnerschaften angestellt und bin seitdem unter anderem für die Städtepartnerschaft mit Blois verantwortlich.

So wie Tanja Schiefelbein haben zahlreiche anderer Weimarer Freunde in Frankreich gefunden. Die Städtepartnerschaft hat ihr Leben verändert. Und Franzosen neugierig auf Weimar gemacht. 12.000 von ihnen besuchen jedes Jahr die Stadt an der Ilm. Und darunter sind fast jedes Jahr an die Hundert aus Blois.

Frankreich auf dem Teller

Die beiden beliebtesten französischen Restaurants indes sind fest in der Hand von Bretonen. Ins  Kirms-Krackow-Haus mit seinem historischen Gesellschaftsgarten zog La Tarte, das Bistrot, Garten-Café und Vinothek vereint.

Seine bretonische Küchenchefin Elisabeth Leroy-Maaß serviert dort drinnen und draußen klassische französische und bretonische Gerichte. Im Sommer bespielt die Wilde Bühne Weimar den Hof. Zum  Theaterspiel serviert La Tarte dann Sommerküche mit französischen Grillspezialitäten und Salaten.

Tief verwurzelt in der Bretagne ist auch die Crêperie du Palais im Wittumspalast mit ihren herzhaften Galettes und süßen Crêpes. Im Sommer stellt Susann Rietschel ein paar rot-weiße Bistrotstühle und runde Tische auf den Gehweg. Im Herbst wärmt euch die provenzalische Kürbissuppe durch. Ausgeschenkt wird der Cidre Kerné aus dem Pays Bigouden.

Weimar & Frankreich: Was für Verbindungen!

Bauhaus-Universität Weimar

Wie unterscheiden sich Medienkulturen in Europa? Welches Wissen über Europa produzieren bzw. verleugnen Medien? Das sind Fragen, die das Studienprogramm „Europäische Medienkultur“ aufgreift. Antworten gibt das Doppelstudium an zwei Hochschulen: der Bauhaus-Universität Weimar und der Université Lumière Lyon 2. Nach sechs Semestern endet es mit zwei Anschlüssen: dem deutschen Bachelor of Arts und der französische Licence Information-Communication.
• www.uni-weimar.de

Deutsch-Französische Gesellschaft Weimar e.V.

Als Gesellschaft DDR-Frankreich gründete sich die heutige DFG im Herbst 1990 in Weimar – als „eine für alle Bürger offene, pluralistische Gesellschaft, die unabhängig von politischen Parteien und Organisationen sowie von weltanschaulichen und sozialen Standpunkten ist. Die Gesellschaft setzt sich für Vertrauen, Kennenlernen, Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen den Bürgern beider Länder und die Förderung vielfältiger direkter Kontakte ein.“

Mit Austauschen von Schülern und Praktikanten, gegenseitigen Besuche von Chören und Orchestern, Konzerten von deutschen und französischen Musikern in der jeweiligen Partnerstadt und Vorträgen hat die DFG ihrem Gründungsziel seitdem Leben verliehen.
• www.dfg-weimar-thuer.de

Hochschule für Musik Franz Liszt

Das einstige Fürrstenhaus von Weimar dient heute als Hauptgebäude der Hochschule für Musik. Foto: Alexander Burzik (Pressebild der Hochschule)
Das Hauptgebäude der Hochschule für Musik. Foto: Pressebild der Hochschule/Alexander Burzik

1872 als erste Orchesterschule Deutschlands gegründet, kooperiert die renommierte Musikhochschule heute mit 99 Partnerunis. Fünf davon befinden sich in Frankreich: das Conservatoire National Supérieur de Musique de Lyon, der Pôle supérieur d’enseignement artistique Paris Boulogne-Billancourt, die Haute école des arts du Rhin,Académie supérieure de musique des Strasbourg, die
Université Evry Val d’Essonne und das Institut supérieur des arts Toulouse (isdaT), département spectacle vivant.
• www.hfm-weimar.de

Humboldt-Gymnasium

Das Humboldt-Gymnasium war 2011 das erste Gymnasium in Thüringen, das das Abibac bot. Heute könnt ihr diesen Doppelabschluss auch an jeweils einer Schule in Erfurt und Jena den Abschluss ablegen. Schüleraustausche mit dem Lycée Felix Faure in Beauvais in der Picardie begleiten den bilingualen Zweig.

Zweite Partnerschule in Frankreich ist das picardische Collège Condorcet in Bresles, das die 7. Klassen mit Französisch als erster Fremdsprache bei Austauschen empfängt. Thüringen und die Picardie sind seit 1994 Regionalpartner. 2009 ging das Gymnasium die Partnerschaft mit den beiden Schulen ein.
https://humboldt-weimar.de

Kinderhaus Weimar

Mit ihrer Partnerorganisation UGOP in Paris/ Frankreich führt die Weimarer Kita seit 2014 einen regelmäßigen Austausch durch. Beim Projekt „Superstar“ erleben die Kinder Land, Sprache, Kultur und Menschen, bauen Vorurteile ab und schließen Freundschaften. Tanz, Theater, Musical, Ökologie und Sprachworkshops sind Themen der jährlichen Begegnungen.
http://kinderhaus-weimar.de

Weimarer Dreieck e.V.

Deutschland, Polen und Frankreich arbeiten seit 1991 im Weimarer Dreieck eng zusammen. Die drei Länder decken ein weites Spektrum von Einstellungen, Traditionen und Politikansätzen ab. Sie spiegeln die Vielfalt der EU im Kleinen wider.
Ihre Interaktion will Vorbild sein, wie Länder mit unterschiedlicher Geschichte gemeinsam Zukunft gestalten und Frieden sichern können.

Dazu treffen sich die Außen- und Europaminister der drei Länder  regelmäßig, beraten aktuelle politische Themen und geben so Impulse für die Außen- und Europapolitik.
• www.weimarer-dreieck.org

Weiterlesen

Im Blog

Wie viel Frankreich steckt in Deutschland? Das verrät euch meine Blogparade. Alle Beiträge könnt ihr hier nachlesen.

Im Buch

Johannes Lehmann, Unser armer Schiller*

Johannes Lehmann: Unser armer Schiller

Was wurde am Leben Schillers bisher vertuscht, verändert oder idealisiert, beschönigt und übertüncht? Eine ganze Menge, sagt der Journalist Johannes Lehmann, der 2011 nach einem bewegten Leben verstorben ist. Seine Schiller-Biografie ist sein letztes Werk.

Es zeigt nicht den Nationaldichter, sondern den Menschen Schiller. Zugleich räumt Lehmann mit dem Mythos auf, dass Schiller und Goethe beste Freunde waren.

Ihr Verhältnis war alles andere als spannungsfrei. Nicht zuletzt auch dadurch, dass Goethe mit Schillers Ehefrau ein Verhältnis begann.Wer mag, kann die  Biografie hier* online bestellen.


Johann Wolfgang Goethe, Die Kanonade von Valmy*

J.W. von Goethe: Die Kanonade von Valmy.
J.W. von Goethe: Die Kanonade von Valmy.

Mit der Kanonade von Valmy wandelte sich der Krieg zu grauenvollen Materialschlachten. Mehr als 42.000 Soldaten starben innerhalb weniger Tage an Goethes Frontabschnitt.

Das Blutbad der Kanonade von Valmy veranlasste König Friedrich Wilhelm II von Preußen 1795 die Pépinière als Militärärztliche Bildungsanstalt zu gründen.

Wer Goethe nur als feingeistigen Dichter aus dem Deutschunterricht kennt, erlebt hier den Kriegsberichterstatter.

Packend und authentisch beschreibt er auf 60 Seiten den Feldzug der Royalisten gegen das französische Revolutionsheer. Wer mag, kann das Buch hier* online bestellen.

Johann Wolfgang Goethe, Campagne in Frankreich 1792*

Johann Wolfgang Goethe: Campagne in Frankreich 1792Als Hofenberg-Sonderausgabe erschien im Jahr 2016 die „Campagne in Frankreich 1792″, die Goethe 1820-22 aufgeschrieben und in „Aus meinem Leben“ bei Cotta 1822 herausgegeben hatte.

Die Neuausgabe ergänzt eine Biographie des Autors.

Als Textgrundlage wählte Karl-Maria Guth die Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, die mein Großonkel Erich Trunz 1948 textkritisch durchgesehen hatte. Wer mag, kann das Buch hier* online bestellen.

Hilke Maunder, So viel Frankreich steckt in Deutschland

Frankreich in Deutschland

Hamburg war einst Hauptstadt eines Départements von Napoleons Kaiserreich. Duisburg bot dem königlichen Musketier d’Artagnan ein Dach über dem Kopf. Dortmund war für ein paar Wochen der Wohnort, an dem der französische Austauschschüler Emmanuel Macron die Deutschen in natura erlebte. Göttingen ist die Stadt, aus der der Soundtrack der deutsch-französischen Versöhnung stammt. Überall steckt so viel Frankreich in Deutschland.

In 26 Berichten von Erkundungen vor Ort beschreibe ich in meinem ersten E-Buch die unzähligen Spuren, die unser französischer Nachbar im Laufe der ereignisreichen, gemeinsamen Geschichte in Deutschland hinterlassen hat. 2021 ist die 2. Auflage erschienen!

E-Book: ISBN 9783752 665604 (14,99 Euro)
Print: ISBN 9783944299235 (25,50 Euro), zu bestellen u.a. hier*.

* Durch den Kauf über den Partner-Link, den ein Sternchen markiert, kannst Du unabhängigen Journalismus unterstützen. Für Dich entstehen keine Mehrkosten. Herzlichen Dank – merci !

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert