Jenseits der Grande Place im flandrischen Barock erhebt sich der Belfried der Place des Héros. Foto: Hilke Maunder
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Wiedersehen mit Arras

Bienvenue in Arras, der Hauptstadt des Artois. Seine Wurzeln reichen bis in die Römerzeit zurück. Nemetacum hieß damals die befestigte Burg, in der Caesar im Jahr 51 v. Chr. seine Soldaten überwintern ließ.

Erst spät wurde Arras französisch. Von 1493 bis 1659 gehörte die Stadt zu den spanischen Niederlanden – und damit zu Spanien. Und so war es auch der spanische König Philipp II., der per Edikt die zulässigen Baumaterialien festlegte: Stein und Ziegel.

166 Jahre lang spanisch

Als Schutz vor Feuchtigkeit ruhen die Häuser von Arras meist auf einem Sattel aus Kalkstein. Stufengiebel und Volutengiebel zeugen vom flämischen Einfluss. An den Plätzen wurden die hohen Stadthäuser giebelständig gebaut. So konnten die Händler vom Haus aus das Geschehen überblicken.

Mit dem Pyrenäenvertrag kam Arras 1659 zu Frankreich. Jetzt wurde Frankreich stilbildend. Der französische Einfluss ist im quartier Meaulens zu sehen mit seinen Stadthäusern im Stil des französischen Klassizismus. Fensterläden und Mansardendächer verbreiten dort typisch französisches Flair – besonders an der achteckigen Place Victor Hugo, auf der am 1. Mai immer ein wunderschöner Blumenmarkt stattfindet.

Heute gehört die Stadt für mich zu den schönsten Orten von Hauts-de-France. Trotz seiner Geschichte und seinen vielen territorialen Auseinandersetzungen.

Zwischen den Giebelhäusern der Grande Place lugt der Belfried von der Place des Héros hervor. Foto: Hilke Maunder
Zwischen den Giebelhäusern der Grand‘ Place lugt der Belfried von der Place des Héros hervor. Foto: Hilke Maunder

Der Flug nach Arras

Während des Ersten Weltkriegs lag die Stadt dicht an der Front und wurde stark zerstört. Während des Zweiten Weltkriegs war sie von den deutschen Truppen besetzt. Und doch ist es Arras gelungen, nach allen Zerstörungen sein historisches Erbe nahezu originalgetreu wiederaufzubauen.

Während der deutschen Besatzung spielt auch ein Roman, der Schuld war am Schlenker auf dem Weg gen Süden: Flug nach Arras* von Antoine de Saint-Exupéry.

Der Autor des Kleinen Prinzen* (Le Petit Prince*) flog ab Herbst 1939 Aufklärungseinsätze bei der Staffel 2/33. Im Mai 1940 war er auch in Nordfrankreich aktiv, um eine Offensive der Engländer und Franzosen zu begleiten.

In seinem 1942 im US-Exil entstandenen Roman erarbeitete er seine Impressionen aus dem Feldzug, komprimierte sie auf einen einzigen Einsatz – und rief die Politik auf den Plan.

Arras:. Unter den Fensterbänken schmücken Steinschnitzereien die Fenster der flämischen Bürgerhäuser an der Grande Place. Foto: Hilke Maunder
Unter den Fensterbänken schmücken Steinschnitzereien die Fenster der flämischen Bürgerhäuser an der Grand‘ Place. Foto: Hilke Maunder

Viele Deutungen

Staatspräsident Charles de Gaulle ließ es im damals französischen Nordafrika verbieten. Im deutsch besetzten Frankreich war das Buch für kurze Zeit erlaubt.

Ebenso unterschiedlich sind die Interpretationen des Werkes. Ruft es eindeutig zur Fortsetzung des Kampfes auf – oder ist die Erzählung ein Aufschrei der Resignation? Ein Protest gegen die Entfremdung des Menschen?

Der nur noch Werkzeug ist, gedrillt zum Gehorchen, nicht mehr selbstbestimmt und Herr seiner Taten?

Arras; Die Place des Héros mit ihrem berühmten Belfried. Foto: Hilke Maunder
Die Place des Héros mit ihrem berühmten Belfried. Foto: Hilke Maunder

Eine wiedergeborene Stadt

Fast 80 Jahre nach Kriegsende ist das Buch aktuell wie einst. Die Narben des Krieges indes sind längst verheilt. Heute präsentiert sich die nordfranzösische Stadt als historische Bilderbuch-Idylle. Hunderte Fassaden im flämischen Barock leuchten in der Sonne. Für alle galt ein rigoroser Gesamtplan. Und doch gleicht keine Fassade der anderen.

Als Vorlage für die Baufluchtlinie diente das älteste Haus von Arras, die 1467 erbaute Maison de l’Arbre d’Or (Haus des goldenen Baumes).

Die Plätze von Arras

Besonders beeindruckend ist das Stadtensemble um die beiden riesigen Hauptplätze Grand‘ Place und Place des Héros, die heute zum UNESCO-Welterbe gehören.

Beide Plätze verbindet die  Rue de la Taillerie, eine malerische Straße mit Kopfsteinpflaster und ebenfalls vielen Häusern im flämischen Barockstil. Unter den Plätzen erstreckt sich das Labyrinth der Boves, einem Tunnelsystem auf zwei bis drei Etagen.

Arras: Die Place des Héros mit ihrem berühmten Belfried. Foto: Hilke Maunder
An der Place des Héros. Foto: Hilke Maunder

Die Place des Héros

Der Heldenplatz von Arras ist die gute Stube der Stadt: ein Rechteck mit Arkaden statt Bäumen und stattlichen Bürgerhäusern wie die Maison de Coches und dem Uhrtum des einstigen Hôtel de ville im Nordwesten.

Kaum zu glauben, dass das Rathaus ein Werk des Wiederaufbaus ist. 1914 wurde es im Stil der Spätgotik nach alten Vorlagen errichtet.

Zur Aussichtskanzel im 75 Meter hohen Belfried, der den 2011 neu gepflasterten Platz überragt, saust ein Lift empor. Nur die letzten Etagen sind auf einer recht steilen Wendeltreppe zu meistern.

123 Meter ist der Platz groß und 61 Meter breit – und damit nur halb so groß wie die Grand‘ Place. Daher hieß sie einst auch la petite place d’Arras. Den Namen Heldenplatz erhielt die Freifläche erst 1944 – zu Ehren der Widerstandskämpfer, die während des Zweiten Weltkriegs in Arras hingerichtet wurden.

Arras, Place des Héros, Belfried. Foto: Hilke Maunder
Betrachtet einmal genauer das Dach des Belfrieds – ist es nicht ungeheuer kunstvoll gestaltet? Foto: Hilke Maunder
Arras: Place des Héros, Belfried. Foto Hilke Maunder
Detail des Belfrieds an der Place des Héros von Arras. Foto: Hilke Maunder

Die Grand Place

Fast doppelt so groß wie der Heldenplatz ist die 184 Meter lang und 96 Meter breite Grand‘ Place mit ihren 17.664 Quadratmetern, die ebenfalls Stadtpalais im flämischen Barock mit Arkaden und Voluptengiebel schmücken.

Mit diesem Dekor gehört der große Platz zu den schönsten Stadtplätzen Frankreichs (der noch schöner wäre ohne parkende Fahrzeuge).

Mit etwas Glück erhebt sich dort die Grande Roue d’Arras auf ihrem Pflaster und lädt zur aussichtsreichen Fahrt im Riesenrad.

Richtig romantisch wird es in Arras im Winter, wenn der nostalgische Marché de Noël mit 60 Hütten vor den flämischen Fassaden der Grand‘ Place Weihnachtszauber verbreitet.

Die Grande Place von Arras ist gesäumt von Giebelhäusern im flämischen Barock. Foto: Hilke Maunder
Die Grand‘ Place von Arras ist gesäumt von Giebelhäusern im flämischen Barock. Foto: Hilke Maunder

Die Kathedrale von Arras

Welchen Einfluss die Kirche in Arras im 18. Jahrhundert besaß, spiegelt die cathédrale Notre-Dame-et-Saint-Vaast. Geradezu blendend weiß ist ihr Glanz im Innern, streng gegliedert ihre neoklassizistische Fassade mit hohen Säulen und korinthischen Kapitellen.

1733 begann ihr Bau. Die Wirren der Französischen Revolution brachten ihn zum Erliegen. Erst nachdem auf dem Wiener Kongress 1815 die Neuordnung Europas beschlossen und wieder Ruhe und Stabilität eingekehrt waren, wurde sie 1833 fertiggestellt.

Die Arazzi von Arras

Arras war Jahrhunderte lang für seine Bildteppiche berühmt. Im Italienischen heißen Gobelins bis heute arazzi, d. h. aus Arras. Die Tradition der Teppichherstellung in Arras geht zurück bis ins Mittelalter, als die Stadt ein wichtiger Handelsplatz für Textilien war.

Ihre große Blüte erlebten die Bildteppiche von Arras jedoch erst im Barock. Damals ließen König Louis XIV. und seine Gemahlin Marie-Thérèse zahlreiche Bildteppiche in Auftrag geben, um ihre Paläste zu schmücken, und prompt ahmten andere gekrönte Häupter diesen Trend nach. Die arazzi wurden Statussymbol – und Zeichen von Reichtum und Prestige.

Sehr detailliert und kunstvoll zeigen sie biblische Szenen, mythologische Figuren oder allegorische Motive. Berühmt wurden die „Teppiche der fünf Sinne“, die zwischen 1530 und 1540 in Arras entstanden.

Die Dame mit dem Einhorn

Die Dame mit dem Einhorn. Foto: Hilke Maunder
Die Dame mit dem Einhorn. Foto: Hilke Maunder

Als Zyklus der Dame mit dem Einhorn (la dame et la licorne) wurden sie weltberühmt – und sind heute im Mittelaltermuseum von Paris im Hôtel de Cluny zu bewundern.

Fünf der sechs Teppiche stellen die fünf menschlichen Sinne dar: Geschmack, Berührung, Sehen, Hören und Riechen. Der sechste ist Ausdruck des Verlangens, symbolisiert im kraftvollen Horn des Einhorns…

Die arazzi von Arras sind heute in Museen und Sammlungen auf der ganzen Welt zu sehen. Einige von ihnen birgt auch das Musée des Beaux-Arts von Arras in der ehemaligen Abtei Saint-Vaast. Auch der Louvre in Paris, das Victoria and Albert Museum in London und das Metropolitan Museum of Art in New York besitzen einige Bildteppiche aus Arras.

Die Schlacht von Arras

Die Place des Armes der Zitadelle. Foto: Hilke Maunder
Die Place des Armes der Zitadelle. Foto: Hilke Maunder

Am Ostermontag, dem 9. April 1917, war den Kanadiern im Ersten Weltkrieg der Durchbruch auf dem Vimy-Rücken gelungen.  Um die Soldaten so nahe wie möglich an die deutschen Linien zu bringen, hatten neuseeländische Tunnelbauer die mittelalterlichen Kreidesteinbrüche von Arras in unterirdische Kasernen verwandelt – wie, verrät die Gedenkstätte im Wellington-Steinbruch.

Als Bollwerk gegen die spanischen Niederlande wurde die Zitadelle von Arras 1668-1672 angelegt. Im Volksmund heißt sie die schöne Nutzlose (la belle inutile), wurde sie doch niemals angegriffen.

Le Mur des Fusillés: Die Mauer der Erschossenen erinnert an 218 junge Männer, die die Wehrmacht von 1941 - 1944 im Graben der Zitadelle erschoss.. Foto: Hilke Maunder
Le Mur des Fusillés: Die Mauer der Erschossenen erinnert an 218 junge Männer, die die Wehrmacht von 1941 bis 1944 im Graben der Zitadelle erschoss. Foto: Hilke Maunder

Im Sommer erobert das Main Square Festival die Festung. Dann lassen große Namen der internationalen Musikszene den Backstein beben und beweisen die jugendliche Dynamik der flämischen Barockstadt.

Am Ufer der Scarpe

Genug vom städtischen Sightseeing? Dann bummelt doch einmal am Ufer der Scarpe! Der Fluss entspringt im Dörfchen Tincques in der Nähe von Lens und mündet nach 94 Kilometern in die Schelde. Zweidrittel seines Laufs wurden für die Binnenschifffahrt kanalisiert, und bis heute sind an seinen Ufern Lastkähne und Hausboote vertäut.

An ihren Ufern eröffnete 2009 die Cité Nature als unterhaltsames Naturkundezentrum, das einlädt, spielerisch die Themen Umwelt, Natur und Nachhaltigkeit kennenzulernen. Zum Komplex gehören die 4,5 Hektar großen Jardins du Val de Scarpe.

Die Militärkirche der Zitadelle von Arras. Foto: Hilke Maunder
Die Militärkirche der Zitadelle von Arras. Foto: Hilke Maunder

Arras: meine Reisetipps

Schlemmen und genießen

Le Bouchot

Mit geöffnetem Maul hängt der Hai unter der Holzdecke dieser rustikalen Brasserie und verrät: Hier gibt es grundsolide Meeresküche.
3, Rue Chanzy, 62000 Arras, Tel. 03 21 51 67 51, www.facebook.com/lebouchotarras

Hier könnt ihr schlafen*
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Weiterlesen

Im Blog

Die boves von Arras hat meine Freundin und Kollegin Barbara Kettl-Römer hier vorgestellt.

Eine Reise in die Unterwelt der Boves

Im Buch

Nachtflug*

Sollte ich abgeschossen werden, werde ich rein gar nichts bedauern. Vor dem künftigen Termitenhaufen graust mir. Und ich hasse die Robotertugend. Ich war dazu geschaffen, Gärtner zu sein.

Saint-Exupéry: Nachtflug

So beendete der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry 1944 einen seiner letzten Briefe, bevor der Autor von  Le Petit Prince (Der kleine Prinz)* auf seinem Aufklärungsflug über dem Mittelmeer verschwand.

Den legendären Roman „Nachtflug“ von Antoine de Saint-Exupéry und die Geschichte seines Lebens in Bildern vereint eine Biografie, die 2015 im Fischer-Verlag erschien. Hans Reisiger übersetzte dafür den Roman, der stark autobiografische Züge trägt.

Als Fabien seine kleine Maschine in das Gold des Abends lenkt, weiß er um das Risiko des Nachtfluges nach Buenos Aires. Sein Vorgesetzter drängt; der Flugplan muss unter allen Umständen eingehalten werden. Ein Unwetter tobt über Südamerika, als der Funkkontakt zu dem Postflieger endgültig abbricht.

Exupery_NachtflugWer mag, kann das Buch hier* bestellen. Im März 2019 ist die berühmte Erzählung auch als Hörbuch erschienen.

Gert Westphal hat es eingesprochen. 2 Stunden und 34 Minuten lang ein echter Hörgenuss! Wer mag, kann die CD hier* bestellen.

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5 Kommentare

  1. Arras est la ville natale de Maximilien de Robespierre. Avocat talentueux, glacial, craint de tous, le tristement célèbre Jacobin avait des convictions libérales au départ. Robespierre était contre la peine de mort et contre l´esclavage. C’est son intransigeance qui causa sa perte.
    L´incorruptible, comme on le surnommait, fut l’un des grands responsables de la Terreur. Il avait quitté Arras en 1789 pour n’y retourner qu’une seule fois en 1791. Pendant la Terreur, près de 400 personnes à Arras furent guillotinées. Et Robespierre lui-même, après avoir éliminé bon nombre de ses adversaires, par exemple Georges Danton, fut victime d’un complot et la mâchoire fracassée par une balle, dut monter à l’échafaud. Son frère, également. Bon, je préfère m’arrêter là!

    1. Danke, lieber Pierre, für diese Info! Ich übersetze mal für die nicht französisch sprechenden Mitleserinne und Mitleser

      Arras ist der Geburtsort von Maximilien de Robespierre. Als begabter, eiskalter und allseits gefürchteter Anwalt hatte der berüchtigte Jakobiner zunächst liberale Überzeugungen. Robespierre war gegen die Todesstrafe und gegen die Sklaverei. Es war seine Unnachgiebigkeit, die zu seinem Untergang führte. „Der Unbestechliche“, wie er genannt wurde, war einer der großen Anführer des Terrors. Er hatte Arras 1789 verlassen und kehrte erst 1791 wieder zurück. Während des Terrors wurden in Arras fast 400 Menschen durch die Guillotine hingerichtet. Und Robespierre selbst musste, nachdem er viele seiner Gegner ausgeschaltet hatte, z. B. Georges Danton, der Opfer eines Komplotts wurde und dessen Kiefer von einer Kugel zerschmettert wurde, aufs Schafott. Sein Bruder auch. Nun, ich ziehe es vor, hier aufzuhören!

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      1. Bitte nicht die alten Thermidorüberlieferungen hier wiedergeben, sondern sich an der aktuellen historischen Forschung orientieren: https://www.amis-robespierre.org/
        In dem historischen Verein sind namhafte französische Forscher/innen vertreten
        Kontakt: Alcide Carton (Vorstand). Maximilien Robespierre hatte übrigens gerade Geburtstag (6. Mai), sein ehemaliges Wohnhaus kann besichtigt werden.

  2. Hallo,
    inzwischen ist im Karl Rauch Verlag „Operation Noyade“ v. H. Laage u. N. Rödel erschienen. Dort werden unbekannte Aspekte seiner Tätigkeit im 2. WK behandelt: Eine solide Quelle mit brauchbarem Stichwortverzeichnis war schon immer „Antoine de Saint-Exupéry“ von Curtis Cate.
    H.L.

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