Im bassin minier. Unter Tage in Lewarde. Foto: Hilke Maunder
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Welterbe: Nordfrankreichs bassin minier

Am 21. Dezember 1990 schloss die letzte Zeche des bassin minier in den nordfranzösischen Départements Nord und Pas-de-Calais. Nach drei Jahrhunderten war der Kohlebergbau Vergangenheit.

Die eigentliche Geschichte des bassin minier begann mit Jacques Desandrouin, der 1716 im Umland von Valenciennes nach Kohle suchte. Dort vermutete er eine natürliche Verlängerung jenes reichen Kohlevorkommens, das in jener Zeit im belgischen Wallonien abgebaut wurde. Frankreich hatte dieses Gebiet 1713 im Vertrag von Utrecht verloren.

Die Zeche 9/11 von Loos-en-Gohelle. Foto: Hilke Maunder
Die Zeche 9/11 von Loos-en-Gohelle. Foto: Hilke Maunder

Nach zwanzig Jahren mühsamer Bohrungen stieß er am 24. Juni 1734 in Anzin auf ein großes Flöz mit Fettkohle von hervorragender Qualität.

Schmal und lang: das bassin minier

Im Laufe seiner Geschichte verlagerte sich das bassin minier von Ost nach West und vom Département Nord ins Nachbardépartement Pas-de-Calais, wo 1841 in Oignies Kohle entdeckt wurde.

Der Blick auf die Terrils jumeaux vom B & B Hôtel Lens. Foto: Hilke Maunder
Der Blick auf die Terrils jumeaux von Loos-en-Gohelle. Foto: Hilke Maunder

Das bassin minier erstreckt sich von Valenciennes bis Bruay und reicht von Douai (Nord) bis nach Lens und Béthune (Pas-de-Calais). Der 120 Kilometer lange Streifen ist schmal; seine geringe Breite beträgt nie mehr als zwölf Kilometer. Damit umfasst das Bergbaubecken insgesamt etwa ein Zwölftel der Gesamtfläche der Départments Nord und Pas-de-Calais.

Gleise verraten: Der Abraum wurde einst mit der Bahn hinauf auf die Abraumhalden gebracht. Heute grasen dort Ziegen. Foto: Hilke Maunder
Die Gleise der terrils jumeaux bei Loos-en-Gohelle verraten: Der Abraum der Bergwerke wurde einst mit der Bahn hinauf auf die Abraumhalden gebracht. Foto: Hilke Maunder

1200 Meter tiefe Schächte

Die Entwicklung des Bergbaus von Ost nach West begleiten immer tiefere Schächte. Während die Stollen im Osten kaum tiefer als 500 Meter liegen, werden die tiefsten Schächte in der Gegend von Lens bis zu 1200 Meter abgeteuft.

Mit Waggons wurde die Kohle transportiert. Unter Tage zogen Pferde die schwere Last. Foto: Hilke Maunder
Mit Waggons wurde die Kohle transportiert. Unter Tage zogen Pferde oftmals die schwere Last. Foto: Hilke Maunder

In den 270 aktiven Jahren der Minen wurden im bassin minier insgesamt zwei Milliarden Tonnen Kohle gefördert. Die größte Aktivität fand zwischen den 1930er- und 1960er-Jahren statt, als durchschnittlich 200.000 Kumpels jährlich rund 30 Millionen Tonnen Kohle aus dem Stein schlugen.

Das Centre Historique Minier in Lewarde ist Frankreichs größtes Bergbaumuseum. Foto: Hilke Maunder
Das Centre Historique Minier in Lewarde ist Frankreichs größtes Bergbaumuseum. Foto: Hilke Maunder

Die kleine Grube Delloye

Die Grube Delloye der ehemaligen Minengesellschaft von Aniche nahm 1931 ihren Betrieb auf. In jenem Jahr wurden 18.634 Tonnen Kohle gefördert. Der Rekord wird 1933 mit 1218 geförderten Tonnen pro Tag erreicht. Doch zunehmend wurde es schwieriger, die Kohle abzubauen. Die Zeche wurde unrentabel. 1971 wurde der Betrieb eingestellt.

Die Fördertürme der Zeche Delloye von Lewarde, heute Teil des größten Bergbaumuseums Frankreichs. Foto: Hilke Maunder
Die Fördertürme der Zeche Delloye von Lewarde, heute Teil des größten Bergbaumuseums Frankreichs. Foto: Hilke Maunder

Zur gleichen Zeit war die Direction des Houillières du Bassin du Nord et du Pas-de-Calais bereits von der Wichtigkeit der Schaffung eines historischen Bergbauzentrums überzeugt. Jenes sollte den nachfolgenden Generationen das Zeugnis von fast drei Jahrhunderten industrieller und sozialer Bergbautätigkeit im Bergbaubecken von Nord /Pas de Calais vermitteln.

Die Liebe zum Detail - früher kamen die Arbeiter per Rad zur Zeche - macht das <em>Centre Historique Minier</em> sehr authentisch und sympathisch. Foto: Hilke Maunder
Die Liebe zum Detail – früher kamen die Arbeiter per Rad zur Zeche – macht das Centre Historique Minier sehr authentisch und sympathisch. Foto: Hilke Maunder

Das Erbe bewahren

Auf Anregung von Alexis Destruys, dem damaligen Generalsekretär der Houillières, wurde das Projekt am 6. November 1973 vom Verwaltungsrat genehmigt und die Grube Delloye in Lewarde als Standort für das historische Bergbauzentrum ausgewählt.

Die Ausgabe der Grubenleuchten. Foto: Hilke Maunder
Die Ausgabe der Grubenleuchten. Foto: Hilke Maunder

Die Wahl erklärt sich durch die Lage der Zeche inmitten der ländlichen Natur im Herzen des Bergbaubeckens, ihrer Nähe zum Autobahnnetz und ihren repräsentativen Charakter, da diese Grube an der Kohleproduktion auf dem Höhepunkt der Aktivität in der Zwischenkriegszeit teilnahm.

Nachgestellte Zimmer verraten etwas von der Arbeitswelt von einst. Hier: das Büro des Zahlmeissters. Foto: Hilke Maunder
Nachgestellte Zimmer verraten etwas von der Arbeitswelt von einst. Hier: das Büro des Zahlmeisters. Foto: Hilke Maunder

Als die anderen Zechen des Kohlebeckens geschlossen wurden, wurde die Grube Delloye zum Auffanglager für Material und Dokumente. Im Mai 1984 erwachte sie als Centre Historique Minier (CHM) zu neuem Leben.

Nach und nach nahm das Gelände sein heutiges Aussehen an. Im Jahr 1986 wurde die Maschinenhalle errichtet. Im Jahr 1987 wurde der 450 Meter lange, rekonstruierte Stollen für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Ein Förderbagger auf Schienen, ausgestellt im Innenhof des Bergbaumuseums Lewarde. Foto: Hilke Maunder
Ein Förderbagger auf Schienen, ausgestellt im Innenhof des Bergbaumuseums Lewarde. Foto: Hilke Maunder

Als 1993 der Film Germinal von Claude Berri in die Kinos kam und das Publikum begeisterte, wurden die Dauerausstellungen in den Büros der Buchhaltung, der Sortieranlage und der Fördermaschine von Schacht 2 eingerichtet.

Im Jahr 2002 weihte das Zentrum weitere 4000 Quadratmeter in neuen bzw. revisitalisierten Bauten der Zeche ein und präsentierte als neue Dauerausstellung die drei Zeitalter der Mine im bassin minier.

Die Kohlenbahn der Grube Delloye. Foto: Hilke Maunder
Die Kohlenbahn der Grube Delloye. Foto: Hilke Maunder

Frankreichs größes Bergbaumuseum

Heute ist das Centre Historique Minier mit seiner acht Hektar großen Ausstellungsfläche das wichtigste Bergbaumuseum in Frankreich. Eine Sammlung von 15.000 Objekten veranschaulicht die Entdeckung der Welt des Bergbaus.

Die Dauerausstellung À l’origine du charbon: le carbonifère erklärt den Prozess der Kohlebildung, der vor 320 Millionen Jahren begann. Dort zu sehen sind beeindruckende Fossilien.

Die Dauerausstellung <em>Les trois âges de la mine</em>. Foto: Hilke Maunder
Die Dauerausstellung Les trois âges de la mine. Foto: Hilke Maunder

In Les trois âges de la mine präsentiert ein chronologischer Rundgang drei Jahrhunderte der Geschichte der Bergwerke in Nord/Pas de Calais mit Originalmodellen der Minen, Fotografien, Filmen, Objekten und Kunstwerken.

Sie zeigen die Veränderungen in der Industrielandschaft und die Techniken, die in 270 Jahren Kohleabbau in Nord/Pas de Calais verwendet wurden.

Die Wohnküche einer Bergmannsfamilie. Foto: Hilke Maunder
Die Wohnküche einer Bergmannsfamilie. Foto: Hilke Maunder

Leben und Alltag der Kumpel

Die Dauerausstellung La vie dans la cité minière (Das Leben in der Bergarbeiterstadt) führt in den Alltag der Bergleute und ihrer Familien ein. Die Küche einer Bergarbeiterfamilie und eine typische Kneipe mit Heizofen, Tresen und Klavier gewähren als Schaubilder Einblicke in den Alltag von einst.

Die Bergmannskneipe samt Ofen, Klavier und Tresen. Foto: Hilke Maunder
Die Bergmannskneipe samt Ofen, Klavier und Tresen. Foto: Hilke Maunder

Die Dauerausstellung Mine de Energie stellt die Quellen, Formen und Herausforderungen von Energie vor.

In der Ausstellung Le cheval et la mine erfahrt ihr mehr vom Einsatz stämmiger Pferde unter Tage zum Ziehen der Kohlenzüge. Die Ausstellung verrät, wie die Tiere ohne Aufzug in die Tiefe gelassen wurden, wie sie dort ernährt und gehalten wurden – und welche Krankheiten sie sich bei der Arbeit zuzogen.

Wo die Bergleute einst duschten und sich umzogen, beginnen heute die Führungen durch das Centre Historique Minier von Lewarde. Foto: Hilke Maunder
Wo die Bergleute einst duschten und sich umzogen, beginnen heute die Führungen durch das Centre Historique Minier von Lewarde. Foto: Hilke Maunder

Hautnahe Zeitreise im Stollen

Nach der Besichtigung über Tage könnt ihr mit einem Führer das Schaubergwerk besuchen. Dazu geht es mit einem Fahrstuhl in 180 Meter Tiefe.

Nur mit Helm geht es in den Stollen. Foto: Hilek Maunder
Nur mit Helm geht es in den Stollen. Foto: Hilek Maunder

Zumindest in der Vorstellung. Denn tatsächlich befindet sich das Schaubergwerk über Tage, um sicherheitstechnischen Auflagen bei der Besichtigung nachkommen zu können. Doch der Illusion tut dies keinen Abbruch.

Details eines Schwungrad des Förderturmes von Lewarde. Foto: Hilke Maunder
Details eines Schwungrades des Förderturmes von Lewarde. Foto: Hilke Maunder

Der Abstieg unter Tage präsentiert die Arbeit der Bergleute im Laufe der Jahrhunderte. Wurden die Stollen erst mit Tannen- und Pinienholz abgestützt, deren Knacken den Bergleuten einen bevorstehenden Einsturz signalisierte, kamen später Stahl und Hydraulik zum Einsatz.

Im Schaustollen des Centre Historique Minier von Lewarde. Foto: Hilke Maunder
Im Schaustollen des Centre Historique Minier von Lewarde. Foto: Hilke Maunder

Tiefer einstiegen in die Geschichte?

Zum Ticket hinzubuchen lassen sich Begegnungen mit einstigen Bergleuten, die aus ihrem Leben und ihrer Arbeit erzählen.

Bergmann unter Tage Mitte des 20. Jahrhunderts. Foto: HIlke Maunder
Bergmann unter Tage Mitte des 20. Jahrhunderts. Foto: HIlke Maunder

Das Bergbaumuseum ergänzt ein Dokumentationszentrum.  Seine 2500 laufende Meter an Archiven decken die gesamte Periode des Kohleabbaus in den Départements Nord/Pas de Calais von 1720 bis 1990 ab.

Unter Tage zogen Arbeitspferde die schweren Kohlenwagen. Foto: Hilke Maunder

Seine Bibliothek mit mehr als 7000 Büchern, sein Filmarchiv mit ca. 500 Filmen, seine Videothek mit 600 Kassetten und seine Fotothek mit fast 500.000 Dias und Negativen behandeln fast alle Themen rund um die Welt des Bergbaus.

Der moderne Eingang zum <em>Centre Historique Minie</em>. Foto: Hilke Maunder
Der moderne Eingang zum Centre Historique Minie. Foto: Hilke Maunder

Das Centre Historique Minier: meine Reisetipps

Centre Historique Minier

Fosse Delloye, Rue d’Erchin, 59287 Lewarde, Tel. 03 27 95 82 82, www.chm-lewarde.com

Schlemmen und genießen

Le Briquet

Das Restaurant der Museumszeche mit insgesamt 270 Plätzen.

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Georg Renöckl, 111 Orte in Nordfrankreich111 Orte, die man in Nordfrankreich gesehen haben muss*

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Wer ausgiebig darin stöbert, erfährt auch, warum ein Zwerg die einst mächtigste Ritterburg der Welt zerstörte. Auf der Suche nach historisch, kulturell und legendären Orten hat Georg Renöckl nicht nur die Picardie, das französische Flandern, den Hennegau und den Artois besucht, sondern auch die Île-de-France.

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3 Kommentare

  1. Wieder ein sehr interessanter Bericht. Für alle, die gerade im Süden sind, ist ein kleiner Ausflug zum „Musée des Gueules rouges“, in der der Nähe von Tourves, zu empfehlen. Hier ist eine alte Bauxit Mine zum Museum umgebaut und man kann dort an einer interessanten Führung teilnehmen. Ganz in der Nähe ist noch die Abbaye la Celle, in der wechselnde Kunstausstellungen zu sehen sind. Ein herrlicher Ort der Stille. Viel Spaß und liebe Grüße,Claudia

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