Die 7 Hügel von Paris: Butte aux Cailles
Mit seinen Kopfsteinpflastergassen, seinem Art-Déco-Erbe, seinen charmanten Boutiquen, Cafés und Restaurants ist der nur 63 Meter hohe Butte aux Cailles ein Idyll im Hochhausdschungel des 13. Arrondissements. Es versteckt sich zwischen der Place d’Italie und dem Parc Montsouris. Mit seinen kleinen Gassen und gepflasterten Straßen, die blumenreiche Häuser schmücken, wirkt es trotzz der deutlich sichtbaren Gentrifizierung charmant dörflich.

Lasst euch einfach treiben und schlendert ganz entspannt durch die Rue Alphand, den Passage Sigaud und Passage Moulinet oder die charmante Rue Michal, um das besondere Flair der Butte aux Cailles aufzunehmen!
Mit etwas Glück mündet der Weg durch das Gewirr der Gassen in die Passage Barrault. Die Privatstraße strotzt nur so vor Blumen und Grünzeug. Sie ist ein kleines Paradies für rund ein Dutzend Hausbesitzer. Und eines der teuersten Fleckchen des Mini-Hügels.
Seit der Jahrtausendwende ist er zum gefragten Quartier der bobos, der bourgeois-bohème, aufgestiegen. Dies zeigt sich nicht nur in neuen, edleren Restaurants. Sondern auch an der Internationalen Montessori-Schule, die 2012 im Viertel eröffnet und den Nachwuchs seitdem dreisprachig unterrichtet.

Mühlen & Montgolfières
Namensgeber des Butte war Pierre Caille, der 1540 die ersten Weinstöcke zwischen die Windmühlen gepflanzt hatte, die das Korn der Bauern von Gentilly zu Mehl mahlten. Die Grenze zu Paris bildete der Mur des Fermiers Généraux, eine zum Schutz des Handels errichtete Stadtmauer. Das Wasser der Bièvre nutzten Gerbereien und Färbereien, die gute Thermik der Gegend der Physiker François Pilâtre de Rozier.
Gemeinsam mit dem Marquis d’Arlandes absolvierte er am 21. Oktober 1783 die erste bemannte Fahrt im Heißluftballon. Und landete nach neun Kilometern mit seiner aus Tapete gefertigten Montgolfière sicher auf der Butte-aux-Cailles zwischen zwei Mühlen.
Zentrum der Pariser Kommune

1860 wurde die Butte aux Cailles von Napoleon administrativ Paris zugeschlagen, wo es sich zum Zentrum der Aufständischen der Pariser Kommune entwickelte. Die Commune de Paris versuchte gegen den Willen der konservativen Zentralregierung, Paris nach sozialistischen Vorstellungen zu verwalten. Nach und nach fielen in blutigen Straßenschlachten die Bastionen des revolutionären Pariser Stadtrats – als letzte die Butte aux Cailles.

Die Schlacht an der Butte aux Cailles fand am 24. und 25. Mai 1871 statt. Zwar leistete der General Walery Wroblewski dort siegreichen Widerstand gegen den Vormarsch der Armee der Regierung von Versailles.
Doch durch den Zusammenbruch der föderalen Front am Panthéon und an den südlichen Pariser Forts wurde er zum Rückzug gezwungen. Der Verein Les Amis et Amies de la Commune de Paris veranstaltet nicht nur Führungen, sondern hat auch ein Heft mit Chansons aus jenen unruhigen Tagen des Jahres 1871 herausgegeben.

Völlig durchlöchert
Um Platz für den wachsenden Verkehr und dringend benötigten Wohnraum zu schaffen, wurde 1828 – 1910 die Bièvre untertunnelt. Auf ihrem Deckel erhielt das bis dahin kirchenlose Viertel eine kleine Schwester von Sacré-Cœur. Der Jahrhunderte lange Kalkabbau hatte den Hügel jedoch so durchlöchert, dass er keine hohen Häuser mehr tragen konnte. So blieb der dörfliche Charakter bis heute erhalten.
Die Street-Art der Butte aux Cailles
Ein Durchgang zwischen Hochhäusern und vorbei an einem kleinen Park führt von der Métrostation Corvisart zur Rue des Cinq Diamants. Ihr Name erinnert an einen Juwelier, der sein Firmenschild mit Diamanten verziert hatte. Die Fassaden zahlreicher Häuser hat die Graffitikünstlerin Miss Tic mit Schablonenbildern verziert.
Miss Tic ist keine junge Alternative, sondern wurde bereits 1956 als Radhia de Ruiter in Montmartre am Boulevard Barbès geboren. Ihr Vater war ein Tunesier, ihre Mutter eine Bauerntochter aus der Normandie. „Unmöglich“ fanden die Pariser diese Mischehe. Und Radhia erlebte Rassismus in purer Form.

Auch als ihre Eltern vom Butte Montmartre auf die Butte-aux-Cailles gezogen waren, blieb der Rassismus tagtäglich Teil ihres Lebens. Das Viertel war damals wie Montmartre ein melting pot von Kleinbürgern, Handwerkern, Dichtern, Künstlern und Sexarbeitern.
In den 1960er-Jahren zog die Familie nach Orly. Doch Miss Tic blieb in der Butte aux Cailles präsent, wo sie ab 1985 mit stencils, die nur die Farben Rot und Schwarz kannten, die Hauswände schmückte. Im Mai 2022 verstarb die Street-Art-Künstlerin im Alter von 66 Jahren. Doch ihre Fassadenkunst lebt fort.
Ich bin Poetin. Ich verdichte den urbanen Raum
Quelle: Jorinde Reznikoff, KP Flügel: Bomb it, Miss.Tic*! Mit der Graffiti-Künstlerin in Paris. Edition Nautilus: Hamburg 2011.




Ausgehviertel mit Bars und Bistros
Die beiden oberhalb gezeigten Stencil schmücken die Fassade eines Ecklokals an der Rue Jonbas. Es ist eine Institution in der Butte aux Cailles. Nostalgiker werden sagen, dass dieses baskische Restaurant nicht mehr das ist, was es einmal war, aber Chez Gladines ist immer schwer angesagt.
Wie einst gibt es dort gute, deftige und preiswerte baskische Gerichte, die man an rot-weiß karierten Tischdecken genießen kann. Heute ist das Restaurant ein wenig Opfer seines eigenen Erfolges geworden. Wer nicht reserviert hat, muss mitunter länger warten.
• 30, rue des Cinq Diamants

Die Rue de la Butte aux Cailles ist der Gastro-Strip des Viertels, mit ehrlichen Restaurants wie Le Temps des Cérises (Nr. 18) und Trend-Tränken wie der Bar La Folie en Tête (Nr. 33), die erst weit nach Mitternacht schließt. Fest zum Nachtleben auf der Butte aux Cailles gehört seit Jahren auch die Bar Le Merle Moqueur.

An der Rue des 5 Diamants geht’s in der Küche mitunter exotischer zu. Butte aux Thaï (Nr. 51) und Thaï Papaya (Nr. 43) holen fernöstliche Aromen auf den Teller. Le Petit Cervantes serviert zu Wein oder Bier Tapas aus Spanien. Casa Angelo hat Pizza, Pasta und andere Klassiker aus Italien auf der Karte.
Ihre Deko beweist den Mut zur Farbe und die Liebe zur Street-Art. Auf den heruntergeladenen Rollläden signalisiert dies bereits die schwarze Amsel. Das Musikprogramm pendelt zwischen dem Besten der 1980er-Jahre und bestem Rock. Je später es wird, desto voller wird es in dieser Szenebar in der Rue de la Butte aux Cailles 11.

Sprudelnd aus der Tiefe
An der platanenbestandenen Place Verlaine treffen sich die Boules-Spieler des Viertels. Sein Schmuckstück ist ein artesischer Brunnen aus dem 19. Jahrhundert. Sein Quellwasser aus 560 Metern Tiefe schmeckt nicht nur köstlich, sondern befüllt auch die beiden Becken des benachbarten Schwimmbades aus dem Jahr 1893.
Mit seiner 17 Meter hohen Halle, seinen Metro-Fliesen und Betonhockern und Stilmix aus Jugendstil und Art-Déco erinnert es an das alte Paris. Eine schöne Besonderheit, die in Paris eher selten vorkommt, ist sein Außenbecken für die schönen Tage.

Zum Komplex gehören auch die Bains-Douches und damit einige der letzten öffentlichen Duschen von Paris. Seit Juni 2022 sind ihre 28 frisch renovierten Kabinen im Look von einst wieder geöffnet. Maximale Duschzeit 20 Minuten, mahnt drinnen ein Schild.
Die beiden Denkmäler auf dem Platanenplatz erinnern an den Ballonfahrer François Pilâtre de Rozier und an Jules Bobillot, der als Held der 3. Republik 1885 während des französisch-chinesischen Krieges in Hanoi verstarb.

Gartenstädtchen mit dörflichem Flair
Nur bei den Portes Ouvertes im September lässt sich La Petite Russie besichtigen. Ein findiger Taxiunternehmer hatte als Unterkunft für seine russischen Angestellten in den 1920er-Jahren diese Häuschen mit Mini-Garten auf dem Dach seiner Garagen angelegt.
• 22, rue Barrault
Emigranten aus dem Elsass haben der Rue Daviel ihren Stempel aufgedrückt. Mit ihrem Fachwerk greift die von Jean Walter gestaltete Arbeiterwohnanlage La Petite Alsace, die sich um einen grünen Innenhof gruppiert, typische Architekturmerkmale ihrer Heimat auf.

Etwa 40 kleine Reihenhäuser mit spitzen Dächern im elsässischen Stil bilden eine kleine Gartenstadt. Mit ihren lauschigen Terrassen, dichten Bäumen und blühenden Rasenflächen sind sie ein wenig wie aus der Zeit gefallen, charmant nostalgisch und voller Flair.
• 10, rue Daviel

Direkt gegenüber der Petite Alsace liegt die Villa Daviel. Der Name irritiert – denn er bezeichnet keine Villa, sondern eine Sackgasse. Ihr Name ehrt den ersten Arzt,d em eine Kataraktoperation gelang. Es war Jacques Daviel – im Jahr 1734! Ihre Backsteinhäuser waren einst als Sozialwohnungen errichtet worden. Heute erzielen sie bei Verkäufen Höchstpreise, so begehrt sind die Immobilien.

Die Kirche der Chocolatiers
Wo sich die Rue Bobillot und die Rue de Tolbiac kreuzen, erhebt sich mit weißer neobyzantischer Fassade die Église Sainte-Anne-de-la-Butte-aux-Cailles (1894 – 1912). Ihr Fundament ruht auf 71 Säulen. Ihre beiden Türme – Jules und Honorine – erinnern mit ihren Namen an Madame und Monsieur Lombard.
Die bekannten Chocolatiers ermöglichten mit ihrer großzügigen Spende erst die Vollendung des Kirchenbaus samt Portal und Türmen. Die Westseite heißt seitdem im Volksmund façade chocolat.
La Butte aux Cailles: meine Reisetipps
Schlemmen und genießen
Neben den im Text bereits vorgestellten Adressen gibt es noch einige weitere nette Lokale im Viertel. Dazu gehört zum Beispiel:
L’Auberge de la Butte
Flecht-Stühle, Holztische und eine Schiefertafel mit den Speisen: Gemütlich und belebt im Ambiente, klassisch französisch die Küche – die einen sind begeistert von der Auberge de la Butte, die anderen hätten es gerne ein wenig ruhiger und im Winter etwas wärmer.
• 8, rue de la Butte aux Cailles, 75013 Paris, Tel. 01 45 80 32 47 anrufen“>01 45 80 32 47, https://auberge-de-la-butte.fr

Hier könnt ihr schlafen*
Weiterbummeln?
Nicht weit von der Butte aux Cailles befindet sich das charmante Quartier des Peupliers, das rund um die Place de l’Abbé-Georges-Hénocque ebenfalls sehr malerische kleine Häuser besitzt. Dieses Viertel wurde Anfang des 20. Jahrhunderts auf dem ausgetrockneten Land des Bièvre-Flusses errichtet.
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Mein Reiseführer
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Seit Jahren ist mir die Butte-aux-Cailles vertraut.
Stoße ich im Netz oder egal wo auf Beiträge zur Butte, bin ich immer neugierig.
So auch hier, als ich im Netz über den Link gestolpert bin.
Ich mach’s kurz: Zur Butte-aux-Cailles habe ich noch nie was Besseres gefunden.
Hilke Maunders Beitrag ist erkennbar solide, mit spürbarer Erfahrung eigener „Rumtreiberei vor Ort“; engagiert, zugeneigt, und ohne irgend etwas bezahlt Vorfabriziertes…
Empfehlenswert.
Dieter Wagner
Merci, Dieter!