Das Gesicht eines cagots. Foto: Hilke Maunder
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Frankreichs Unberührbare: die Cagots

Im Tal von Argelès gab es viele, bei Luchon und im Distrikt Ariège. Heute sind sie fast ausgestorben, man muß schon sehr suchen, wenn man sie sehen will. Es sind nicht eigentlich Kretins – es ist eine allgemeine körperliche Verkümmerung, gegen deren Folgen sie zum Teil immun geworden sind.

Kurt Tucholsky, 1927, in seinem Pyrenäenbuch über die Cagots

Beim Lesen hatte ich erstmals von ihnen gehört. Im Sommer 2017 traf ich jemanden, der sie kannte: David Galley. Der TV-Kollege vom Sender France 3 war ihnen in den Pyrenäen begegnet. Den cagots. Aussätzigen. Zwergen. Verdrängten. Nicht-Franzosen. Wirklich?

Vom 13. bis weit ins 19. Jahrhundert wurden sie diskriminiert. Aussehen und Abstammung dieser Menschen, die vor allem im Einzugsgebiet der Pyrenäen lebten, waren so anders, dass sie höchstens als Haushaltshilfe oder Knecht beschäftigt wurden.

Rot und Schwarz: Fürt cagots galten strenge Kleidervorschriften. Foto: Hilke Maunder
Rot und Schwarz: Für Cagots galten strenge Kleidervorschriften. Foto: Hilke Maunder

Voller Rätsel: ihre Abstammung

Doch nicht nur in den Pyrenäen waren die kleinwüchsigen, mitunter nur 1,30 Meter großen Menschen zu finden. Als caqueaux lebten sie in der Bretagne, als colliberts im Poitou und in Aunis. Im spanischen Asturien wurde sie wegen der Entenfüße, die sie dort tragen mussten, auch cagnards genannt. Auch in Frankreich mussten sie schließlich einen Enten- oder Gänsefuß aus rotem Stoff an die Kleidung heften.

Vermutlich stammen die Cagots von den arianischen Westgoten ab. Nach der Niederlage gegen Chlodwig  im Jahr 507 mussten sie abseits vom Volk leben, waren sie doch die chien gots, gotische Hunde. Andere wiederum hielten sie für die Nachfahren der Sarazenen oder von im Baskenland eingewanderten Roma.

ls dekoratives Element dient.Titel F_Arreau_cagot_4_credits_Hilke Maunder. Beschriftung Große Menschen, kleine Menschen: Das Musée des Cagots stellt die Geschichte der französischen Paries in den Kontext – und erzählt von den großen und kleinen Menschen der Pyrenäen. Foto: Hilke Maunder Beschreibung Datei-URL: https://meinfrankreich.com/wp-content/uploads/2018/12/F_Arreau_cagot_4_credits_Hilke-Maunder..jpg
Große Menschen, kleine Menschen: Das Musée des Cagots stellt die Geschichte der französischen Parias in den Kontext – und erzählt von den großen und kleinen Menschen der Pyrenäen. Foto: Hilke Maunder

Ausgegrenzt wegen Aussehen

Runde Ohren ohne Ohrläppchen, eine weiße Gesichtsfarbe und Schwellungen an Kopf und Extremitäten machten es leicht, sie für jedermann zu erkennen. Ganz übel sollen sie riechen, berichtet der Volksmund der Pyrenäen, wo sie bei Voll- und Neumond Anfälle von Verrücktheit gezeigt haben sollen.

Als Aussätzige waren die oft sehr kräftigen Menschen vom sozialen Zusammenhalt und gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Cagots sind Päderasten, Menschenfresser und Zauberer, war die Volksmeinung.

Lied der cagots, ausgestellt im musée des cagots in Arreau. Foto: Hilke Maunder
Lied der cagots, ausgestellt im musée des cagots in Arreau. Foto: Hilke Maunder

Die Kirchen durften sie nur durch separate, extra niedrige Eingänge betreten. Gitter trennten sie beim Beten vom übrigen Volk. Die Hostie reichte ihnen der Priester mit einem Stock.

Die Diskriminierung blieb selbst nach dem Tod bestehen. Auf der kalten Nordseite der Kirche wurden die cagots in eigenen, bescheidenen Friedhöfen begraben. In Bentayou-Sérée, einem kleinen Dorf nahe der spanischen Grenze, ist noch eine solche Grabstätte der Unberührbaren erhalten.

Das musée des cagots versteckt sich im Château d'Arreau im ersten Stock und besteht aus einem einzigen Saal. Foto: Hilke Maunder
Das musée des cagots versteckt sich im Château d’Arreau im ersten Stock und besteht aus einem einzigen Saal. Foto: Hilke Maunder

Enten- und Gänsefüße als Erkennungszeichen

Wohnen konnten sie nur außerhalb der Dörfer in separaten Siedlungen. Dort richteten sie die Arbeiten aus, die niemand anderes machen wollte. Einzig das Zimmern war als Handwerk erlaubt.

Bis 1605 lebten zahlreiche cagots auch in Spanien. Als sie dort vertrieben wurden und Frankreich die Einreise verweigerte, flüchteten sie sich in unwegsame Pyrenäentäler. Dort erfuhr Kurt Tucholsky erstmals von ihnen.

Im Tal von Arreau erinnert inzwischen im dortigen Château des Nestes das Musée des Cagots an die verfolgte, bis heute rätselhafte Minderheit. Ob es noch Nachfahren gibt? Besonders der Béarn war ein Hauptsiedlungsgebiet des vergessenen Volkes.

Auch die Kirche von Bénost im Ossau-Tal des Béarn besitzt zwei Türen. Nur durch die linke, kleinere Tür durften die <em>cagots</em> die Kirche betreten. Foto: Hilke Maunder
Auch die Kirche von Béost im Ossau-Tal des Béarn besitzt zwei Türen. Nur durch die linke, kleinere Tür durften die cagots die Kirche betreten. Foto: Hilke Maunder

Die cagots von heute

In Tarbes, der Hauptstadt der Hautes-Pyrenées, lebt mit Marie-Pierre Manet-Beauzac eine cagotte, wie die Frauen der cagots genannt wurden. Ein Reporter des britischen Independent hat sie besucht. Lest seinen Bericht hier.

Zur Info

Im Web kursieren zahlreiche Fotos der Cagots. Besonders eindrucksvolle Bilder findet ihr hier. Ich verzichte bewusst auf die Darstellung der diskriminierten Menschen. Inzwischen habe ich einige von ihnen persönlich kennengelernt. Einstimmig berichteten sie, dass die cagots bis heute nicht vollständig in der Gesellschaft akzeptiert und integriert sind.

dekoratives Element dient.Titel F_Arreau_cagot_1_credits_Hilke Maunder Beschriftung Die Skulptur eines cagots in Originalgröße weist den Weg zum kleinen Musée des Cagots in Arreau. Foto: Hilke Maunder Beschreibung Datei-URL:
Die Skulptur eines cagot in Originalgröße weist den Weg zum kleinen Musée des Cagots in Arreau. Foto: Hilke Maunder

Auf den Spuren der cagots: meine Infos

Ansehen

Musée des Cagots

Im Château des Nestes: 1, rue Saint-Exupère, BP 20, 65240 Arreau, Tel. 05 62 98 63 15, www.pyrenees2vallees.com/le-musee-des-cagots

Parcours Historique

Dort, wo die Täler von Aure und Lourdon, die Straße nach Spanien und die Route du Thermalisme sich kreuzen, hat Arreau seine alte Bausubstanz im Zentrum wunderschön erhalten – ein markierter Parcours Historique stellt sie vor. Zu den schönsten Stadthäusern gehören die Maison des Lys aus dem 16. Jahrhundert und die Maison Féraud aus dem 18. Jahrhundert. Der Rundweg beginnt am Château des Nestes, das neben dem Museum zu den cagots im Erdgeschoss das Office de Tourisme (Fremdenverkehrsamt) birgt.

Schlemmen und genießen

L’Épicurien

Süße Crêpes, herzhafte Galettes und kleine Leckereien zum Tee oder Kaffee.
• 23 Grand Rue, 65240 Arreau, Tel.  05 67 47 42 84, www.lepicurien-tea-house. business.site

Restaurant L’Arbizon

Touristenlokal mit traditioneller Küche – die Terrasse eröffnet Ausblicke auf das Dorf.
• 4, Route de Jezeau, 65240 Arreau, Tel. 05 62 98 64 35, www.facebook.com/restaurant.arbizon.arreau

Schlafen

Hôtel d’Angleterre

In einer alten Posthalterei aus dem 18. Jahrhundert mit Garten hat Marie-Hélène Aubiban geräumige wie gemütliche Zimmer und Junior Suiten eingerichtet, die das Flair der Berge mit Komfort von heute vereinen.
• 18, route de Luchon, 65240 Arreau, Tel. 05 62 98 63 30, www.hotel-angleterre-arreau.com

Résidence Balcons de La Neste

Die Dreisterne-Anlage umfasst 79 Ferienwohnungen für zwei bis acht Personen, sechs Fewos sind behindertengerecht. Pool, Sauna und Hammam sorgen für Entspannung nach einem Ski-, Wander- oder Sightseeing-Tag.
• 5, Route de Lanéon, 65240 Arreau, Tel. 05 62 99 33 51, www.balconsdelaneste.fr

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Weiterlesen

Im Netz

Die Cagots in Frankreich, Staats- und Unibibliothek Bremen: http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112373

Franz Xaver von Zach: Einige Nachrichten von den Cagots in Frankreich, in: Allgemeine geographische Ephemeriden, 1. Bandes 5. Stück, 1798. Uni Jena.

Die cagots in den Hochpyrenäen: Hintergrund und viele Fotos.

http://lieux.loucrup65.fr/cagots.htm

Im Blog

Alle meine Beiträge aus den Pyrenäen findet ihr in dieser Kategorie.

Im Buch

Auf den Spuren der Cagots: David Galley, La France Mysterieuse.

David Galley, La France Mysterieuse*

Seltsame Phänomene, verfluchte Orte, geheime Krypten, unerklärliche Demonstrationen, versteckte Schätze, vergrabene Kapellen, vergessene Friedhöfe, verschlüsselte Geheimnisse….. David Galley hat die Straßen Frankreichs durchquert, um die außergewöhnlichsten Rätsel zu lösen!

Seine 60 Geschichten sind absolut faszinierend. Mit dabei: das geheime Grab von Jeanne d’Arc, der verdammte Leuchtturm von Tevennec, das Spukschloss von Fougeret, der Schatz von Rennes-le-Château, der Sarkophag von Arles-sur-Tech, das verfluchte Dorf Uruffe, das Kloster von Carol, die Dionengrube, der Marsalmagus, die Krypta von Brotteaux – und das verschwundene Volk der Cagots. Wer mag, kann das Buch hier* online bestellen.

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2 Kommentare

  1. Sehr interessant! Ich habe mich vor einigen Jahren ebenfalls intensiv mit diesem Thema beschäftigt. In meinem Reiseroman „Talmi“ (incl. Anhang Erklärungen) begebe ich mich auf die Spurensuche nach den Unberührbaren von Frankreich, mysteriösen Cagoten.

    Schöne Grüße
    Helene Köppel

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