Das Rathaus von Chaumont. Die Leuchtwerbung präsentiert das Grafikzentrum Le Signe. Foto: Hilke Maunder
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Chaumont: Frankreichs Grafik-Hauptstadt

Chaumont ist die Hauptstadt des Départements Haute-Marne in der Champagne. Sie ist etwas kleiner als Bad Nauheim, seine Partnerstadt, und ebenfalls eingebettet in eine ausgesprochen ländliche Umgebung: mit goldgelben Getreidefeldern, malerischen kleinen Ortschaften und Wäldern, in denen im Herbst gejagt wird.

Plötzlich erfüllt ein lautes Rattern den Himmel von Chaumont. In 60 Metern Höhe fährt ein Zug. Seine Schienen tragen hohe Stelzen aus Naturstein, verbunden zu einem atemberaubenden Viadukt.

Das Viadukt von Chaumont überspannt das Tal der Suize. Foto: Hilke Maunder
Das Viadukt von Chaumont überspannt das Tal der Suize. Foto: Hilke Maunder

Mit 52 Bögen überspannt er bei Chaumont das Tal der Suize. 1856 bis 1858 ließ die französischen Eisenbahngesellschaft Compagnie des chemins de fer de l’Est ihn an der Linie nach Paris nach Plänen von Émile Nöel und Ernest Baudry errichten.

Der 654 Meter lange Viadukt war ein technisches Meisterwerk seiner Zeit und galt als eine der größten Eisenbahnbrücken Europas. Der Spazierweg auf der untersten Ebene war bei meinen Besuchen stets gesperrt. Doch wie schön muss es sein, dort einmal entlangzuwandern!

Die Spazierebene des Eisenbahnviadukts. Foto: Hilke Maunder
Die Spazierebene des Eisenbahnviadukts. Foto: Hilke Maunder

Seit 2023 setzten 430 LEDs auf zwei der drei Etagen das Viadukt nach einem Entwurf von Lichtdesigner Jean-François Touchard in Szene. Jeder Bogen wird anders hervorgehoben. Das dynamische Licht bestimmt den Rhythmus der Woche. Jeder Tag hat seine eigene Farbe, jede Viertelstunde erinnert ein weißes Licht an die vorbeifahrenden Züge. Am Ende der Woche verschmelzen alle Farben der Woche miteinander und bilden einen Tunnel aus dynamischen Farben.

Feinstes Leder aus Chaumont

Zu Füßen des Monumentalbaus plätschert die Suize. An ihrem Lauf waren einst mehrere Gerbereien (tanneries)  tätig. Die Ganterie Tréfousse, 1854 von Jules Tréfousse gegründet, stellte aus dem Leder in Chaumont feinste Handschuhe her. Zu ihren Kunden gehörte auch die Haute Couture. 139.000 Dutzend Paare lieferte der Handschuhspezialist im Jahr 1939 allein an Balmain.

1957 geriet das Haus in Schwierigkeiten und wurde von Handschuhmachern aus Grenoble und Saint-Junien aufgekauft, woraufhin es den Namen Chaumont-France annahm. Im Jahr 1960 übernahmen die Banken das Ruder und behielten nur den Handschuhbereich. Dennoch musste das Unternehmen 1973 Konkurs anmelden.  Von der Fabrik fehlen fast heute alle Spuren.

Ebenfalls im Tal der Suize lässt sich am Lavoir d’en Buez erahnen, wie schwer die Arbeit der Waschfrauen gewesen sein muss. Buer bedeutet auf Altfranzösisch „die Wäsche machen“. Der große Komplex besteht aus fünf Waschplätzen und lässt sich jederzeit rund um die Uhr auf eigene Faust besichtigen.

In der Altstadt von Chaumont. Foto: Hilke Maunder
In der Rue Guyard der Altstadt von Chaumont. Foto: Hilke Maunder

Le Vieux Chaumont

Die Altstadt von Chaumont liegt gut geschützt auf einem Sporn, der die Täler der Suize und der Marne beherrscht. Im Mittelalter war Chaumont befestigt, und innerhalb der Stadtmauer galt es, den vorhandenen Platz so geschickt wie möglich auszunutzen.

Neben schmalen Straßen mit hohen Häusern kamen die Architekten damals auf viele Ideen, um die Häuser zu vergrößern, ohne Platz auf der Straße zu beanspruchen. Zum Einsatz kamen Erker und – vor allem – Türmchen. Mehr als 30 von ihnen, mal eckig, mal rund, schmücken die Häuser des Vieux Chaumont. Einige bergen Wendeltreppen, andere sind mit Wappen verziert oder besitzen Nischen mit Statuen.

Die Tour d'Arse von Chaumont. Foto: Hilke Maunder
Die Tour d’Arse von Chaumont. Foto: Hilke Maunder

Der Donjon ist das einzige Überbleibsel der Burg, die die Grafen der Champagne ab dem 11. Jahrhundert auf dem Felsdorn rund 45 Meter über dem Tal der Suize in Chaumont errichteten.

Der quadratische, etwa 20 Meter hohe Turm war ursprünglich Teil der Verteidigungslinie und Ausguck der Wachen. Dass er von 1830 bis 1866 als Gefängnis diente, verraten die vielen Graffiti, die die Gefangenen damals in die Wände geritzt haben.

Der Jardin d'Inspiration birgt mittelalterliche Heil- und Duftpflanzen. Foto: Hilke Maunder
Der Jardin d’Inspiration médiévale birgt Pflanzen, die im Mittelalter angebaut wurden: Küchenkräuter, Duft- und Heilpflanzen, aber auch Johannisbeeren. Foto: Hilke Maunder

Zwischen Burgturm und Steilkante präsentiert der kleine Jardin d’Inspiration médiévale zum weiten Blick über das Tal der Suize all jene Wurzelpflanzen (Karotten), Heil- und Gewürzpflanzen, die im Mittelalter in den Gärten allgegenwärtig waren. Schilder verraten, was dort grünt und blüht.

Geflochtene Kastanienplissees teilen die verschiedenen Quadrate der Beete. Himbeeren, Äpfel und Kirschen wachsen am Rand des Mittelaltergartens, der inzwischen auch eine Brunnenfassung aus dem 15. Jahrhundert erhalten hat.

Nun will der Verein Médialys, der auch thematische Führungen durch seinen kleinen Garten anbietet, die Bergfried einbinden und neu beleben. Eine Küche, das Zimmer des Herrschers und der Waffensaal werden möbliert. Auch ein Ausstellungsbereich ist in Planung. Das Ziel: das Mittelalter hautnah erlebbar zu machen.

Das Gedächtnis der Stadt

Die Église Saint-Jean-Baptiste von Chaumont. Foto: Hilke Maunder
Die Église Saint-Jean-Baptiste von Chaumont. Foto: Hilke Maunder

Auf dem Vorplatz der Église Saint-Jean-Baptiste stellt eine Freiluftausstellung die geplante Restaurierung der 1474 gegründete Kollegiatskirche vor und wirbt um Spenden.

Das 55 Meter lange, 25 Meter breite und 18 Meter hohe Gotteshaus ist für die Einheimischen das „Gedächtnis“ ihrer Heimat, deren einst homogenes Stadtbild Kriege, Wiederaufbau, Fortschrittsvisionen und Finanzprobleme in ein kontrastreiches Konglomerat verwandelt haben.

Der schmale Durchgang vorbei am Chor hin zur Rue Girardon. Foto: Hilke Maunder
Der schmale Durchgang vorbei am Chor der Église Saint-Jean-Baptiste hin zur Rue Girardon. Foto: Hilke Maunder

Im Innern birgt die St. Johanniskirche einen 4,50 Meter hohen Jessebaum aus Kalkstein, den zahlreiche Figuren bevölkern. Jesse selbst ist sitzend und schlafend dargestellt. Auf einem Zweig ist David mit seiner Harfe zu sehen; am Boden liegt der riesige Kopf von Goliath. Die modernen Glasfenster schuf Roger Calixte Poupart (1911-1977). 1945 hatte er die Malerei aufgegeben, um sich 15 Jahre lang nur der Glasmalerei zu widmen.

In seinem  Atelier in Vaux-le-Pénil in der Nähe von Melun schuf Poupart vor allem Glaskunst für die Kirchen in den Départements Seine-et-Marne und Haute-Marne. In letztem schmückte er auch die Kirche Saint-Didier in Monsaon aus. 1960 kehrte Poupart mit figurativen und später abstrakten Gemälden zur Malerei zurück.

Die Büste von Edmé Bouchardon. Foto: Hilke Maunder
Die Büste von Edmé Bouchardon. Foto: Hilke Maunder

Mit dem Hochaltar, der Kanzel und der Kirchenbank besitzt die Kirche auch bedeutende Zeugnisse von Jean Baptiste Bouchardon (1667-1742). Fast noch berühmter wurde sein Sohn Edmé Bouchardon. Seine Büste schmückt neben dem Collège Camille Saint-Saëns die Rue Victoire de la Marne.

Mitten in den bewegten Zeiten der Französischen Revolution erhielt Chaumont sein heutiges Rathaus an der Place de la Concorde, das ab 1790 die einstige Stadtverwaltung in der heute verschwundenen Tour de Barle ersetzte. 6200 Einwohner lebten damals in Chaumont, als 1787 der Architekt François Nicolas Lancret (1717-1789) mit dem Bau des neuen und ungleich repräsentativeren Stadthauses begann.

Die Markthalle von Chaumont

Die Markthalle von Chaumont. Foto: Hilke Maunder
Die Markthalle von Chaumont. Foto: Hilke Maunder

Im typischen Baltardstil entwarf der burgundische Architekt Louis Auguste Dupuy die Markthallen von Chaumont aus Gusseisen, Glas, Backstein und Naturstein. Ihre Metallstruktur ruht auf Stein- und Ziegelfundamenten, wie es typisch für jene Hallen sind.

Mit ihrem kreuzförmigen Grundriss erinnert sie an die alte St. Michaels-Kirche, die einst dort stand. Dupuy verstand seine Markthalle als „Kathedrale des Lichts“ und entwarf sie mit riesigen Fenstern, eingefasst in blaue Metallrahmen.

Frankreichs Grafik-Zentrum

Dem Botaniker Gustave Dutailly verdankt Chaumont seinen größten Schatz – und ein wahres visuelles  Abenteuer. Dutailly, zugleich Abgeordneter aus dem Département Haute-Marne, war ein begeisterter Sammler. Im Lauf seines Lebens trug er mehr als  15.000 gedruckte Dokumente zusammen, die er bei seinem Tod 1906 der Stadt vermachte.

Erst in den 1980er-Jahren jedoch wurden die Sammlung und ihr Wert entdeckt. Ihr größter Schatz sind die rund 5.100 Plakate, unter denen sich die größten Namen der damaligen Zeit befinden: Chéret, Grasset, Toulouse-Lautrec, Grün, Cappiello, Steinlein und Bouisset.

Die Dutailly-Sammlung präsentiert das „goldene Zeitalter“ des illustrierten französischen Plakats. Ihre Wiederentdeckung führte 1989 zur Gründung eines internationalen Plakatfestivals, das sich im Laufe der Zeit zu einem der wichtigsten Grafikfestivals weltweit entwickelte.

1994 verwandelte Chaumont eine ehemalige landwirtschaftliche Genossenschaft in Les Silos / Maison du livre et de l’affiche. Doch schon bald brauchte die ständig wachsende Sammlung mehr Platz. Im Oktober 2016 zog die Grafiksammlung um in den weißen Neubau von Le Signe. Dort lagern nun fachgerecht 45.000 zeitgenössische Grafik- und Plakatarbeiten und werden in der Dauerausstellung und bei Sonderschauen gezeigt.

An der einstigen Altstadt-Grenze von Chaumont. Foto: Hilke Maunder
An der einstigen Altstadt-Grenze von Chaumont. Foto: Hilke Maunder

Chaumont: meine Reisetipps

Hinkommen

Bahn

Chaumont ist eine Station an den Bahnstrecken Paris-Mulhouse und Reims-Dijon des TER Grand Est.

Boot/Rad

Canal de la Champagne à la Bourgogne

Der 224 Kilometer lange Canal de la Champagne à la Bourgogne verläuft von Vitry-le-François in der Champagne bis nach Saint-Jean-de-Losne in Burgund. Chaumont liegt nicht direkt am Kanal, sondern etwas östlich davon. Der nächstgelegene Hafen am Canal de la Champagne à la Bourgogne befindet sich in Saint-Dizier, etwa 30 Kilometer südwestlich von Chaumont. Die Uferpromenaden sollen künftig den längsten grünen Weg Frankreichs bilden.
www.tourisme-langres.com

Erleben

Le Grand Pardon de Chaumont

Seit  1475 feiert Chaumont den Grand Pardon de Chaumont – aber nur, wenn der Namenstag des Schutzheiligen der Stadt, Johannes der Täufer, am 24. Juni auf einen Sonntag fällt. Dies ist das nächste Mal am  24. Juni 2029 der Fall. Seit dem 1. Oktober 2018 gehört das religiöse Fest zum Inventar des immateriellen Kulturerbes in Frankreich.

Nicht verpassen

Le Signe – Centre National du Graphisme

• 1, Place Emile Goguenheim, 52000 Chaumont, Tel. 03 25 35 79 01, www.centrenationaldugraphisme.fr/le-signe

Schlemmen und genießen

Le Grain de Sel

Gute, reichhaltige und typisch französische Küche in der Nähe des Bahnhofs – im Sommer auch mit Terrasse im Innenhof!
• 21, Rue de Verdun, 52000 Chaumont, Tel. 03 25 32 41 36

Délice du Caire

Kleines, gemütliches Restaurant mit köstlicher Küche aus Ägypten und der Levante.
• 43, Rue Jules Trefousse, 52000 Chaumont, Tel. 07 80 50 70 31, www.facebook.com/Delicesducaire52000

Hier könnt ihr schlafen*
Booking.com

An der einstigen Altstadt-Grenze von Chaumont. Foto: Hilke Maunder
An der einstigen Altstadt-Grenze von Chaumont. Foto: Hilke Maunder

Weiterlesen

Im Blog

Ebenfalls auf dem Plateau von Langres liegt die Heimat von Denis Diderot.

Zu den meistbesuchten Orten im Département Haute-Marne gehört der Sterbeort von Charles de Gaulle, Colombey-les-deux-églises.

Im Buch

Klaus Simon, Hilke Maunder, Secret Places Frankreich*

Secret Places FrankreichEiffelturm, Lavendelfelder und die Schlösser der Loire sind weltbekannte Ziele in Frankreich. 60 wunderschöne Orte abseits des Trubels stellen Klaus Simon und ich in unserem dritten Gemeinschaftswerk vor.

Die Schluchten von Galamus, die Gärten von Marqueyssac, Saint-Guilhelm-le-Désert. Mers-les-Bains, den Bugey oder die Île d’Yeu: Entdeckt unsere lieux insolites voller Frankreich-Flair!  Wer mag, kann den Band hier* online bestellen.

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