Le Panier – zwischen Trend und Tradition
Le Panier ist die Wiege von Marseille. Das Altstadtviertel, das hinter dem Vieux-Port den Hügel bedeckt, gilt als ältester besiedelter Ort der Hafenmetropole. Bereits 600 vor Christus gründeten die Griechen dort ihre Kolonie Massalia.
Das heutige Altstadtviertel stellt nur einen Bruchteil der einstigen Altstadt dar. Als im 19. Jahrhundert die Rue de la République gebaut wurde, mussten viele Bauten weichen. Im 20. Jahrhundert sprengten deutsche Besatzer im Februar 1943 das quartier Saint-Jean und zerstörten das historische Herz von Marseille.

Viertel der Einwanderer
Das volkstümliche Viertel ist traditionell der erste Ort, an dem sich Einwanderer in Marseille niederlassen. Italiener, Korsen und Nordafrikaner zogen bei den verschiedenen Einwanderungswellen des 20. Jahrhunderts in den Panier.
Zum Kulturhauptstadtjahr 2013 sind in Marseille viele Gelder in das Altstadtviertel geflossen. Es wurde investiert, saniert. Nicht wenige Anwohner protestierten damals gegen die Gentrifizierung ihres Viertels.
Spannende Kontraste
So ist Le Panier heute ein Juwel, das nur manche aufpolierte Ecken hat, aber auch noch viel authentischen Charme. Und reichlich viele Orte, an denen Nase und Augen merken, dass Armut und Avantgarde, Zeitgeist-People und kleine Leute aus aller Welt das Viertel gleich stark prägen.
Brennende Mülltonnen, Ratten, Straßenecken voller Sperrmüll hier, Uringestank und Drogenduft in einer anderen Gasse. Und um die Ecke: lauschige Plätze, Gassen voller Grün, Szeneboutiquen, charmante Cafés und Souvenirshops mit Marseiller Seife.
Bis heute im Umbruch
Szenelokale, Shabby-Chic-Boutiquen und Provence-Style-Läden säumen Gassen mit Kopfsteinpflaster. Ein alternatives Kino zeigt wenig bekannte Filme. Open-Air-Cafés haben das Trottoir erobert.
Und dann wieder: Sonne, die über verblichene Fassaden in gelbgoldenen Tönen tanzt. Streunende Katzen. Eine verlassene Werkstatt, eine verwaiste Fabrik, stille Plätze.
So wie die Place de Lenche, an der die Deutschen im Zweiten Weltkrieg die Südseite wegsprengten, um freien Blick auf den Hafen zu haben. Ursprünglich war der Platz von allen vier Seiten umschlossen gewesen. Bei den Griechen fungierte er als Agora, als Marktplatz der Stadt.
Und auch im 16. Jahrhundert wurde noch eifrig dort gehandelt, verrät der Name des Platzes. Er erinnert an die korsische Händlerfamilie Linio, die dort mehrere Geschäfte betrieben hatte. Und eine Korallenwerkstatt, in der aus der roten Mittelmeerkoralle Schmuck gefertigt worden war.
2600 Jahre lebendige Geschichte
Wer an diesem Platz seinen Panier-Bummel beginnt, kommt auf der Grand Rue tiefer hinein ins Viertel. Die Straße folgt der antiken Hauptstraße, die die Phokäer bereits angelegt hatten – allerdings drei Meter tiefer als die heutige Straße.
Viele kleine Plätze birgt das Viertel, das seinen Namen einst von einer Herberge namens Le Logis du Panier erhalten haben soll. Sie empfing im 17. Jahrhunderte Reisende zur Nacht. Gastlich ist Le Panier bis heute. Hinter alten Fassaden findet ihr stylische chambres d’hôtes und gîtes.
Cafés und Bars haben ihre Stühle auf das Pflaster gestellt. Dann wieder versprühen die Plätze eine fast dörfliche Idylle, die unwirklich wirkt im Trubel der Großstadt.
Vom Hafen führt die steile Gasse Montée des Accoules tiefer hinein nach Le Panier. Stadtführer um Stadtführerin kommen hier mit ihren Gruppen hinauf: Le Panier als Kulisse.
Lasst euch lieber von eurer Neugier leiten im Gewirr der Gassen und lauschigen Plätze, der steilen Straßen und Treppenwege, die hier und da Ausblicke auf den alten Hafen und das Mittelmeer eröffnen.
Sühne-Zeichen der Revolution

Über dem Viertel wacht die Église Notre-Dame-des-Accoules. So, wie das Viertel wuchs, veränderte sich auch das Gotteshaus und wurde mit jedem Bau größer. Die kleine Kapelle aus dem 11. Jahrhundert machte im 13. Jahrhundert Platz für eine Kirche mit Glockenturm.
Als Tour Sauveterre warnten die Glocken einst bei Gefahr. Und riefen mit dem Geläut den Stadtrat zusammen für eine Sitzung. Während der Französischen Revolution 1794 abgerissen, entschloss man sich um 1830 zu einem neuen Sakralbau. Er sollte auch politisch ein deutliches Zeichen setzen – als „Sühne aller während der Revolution begangenen Sünden“.
Die Verwandlung des Hôtel-Dieu
Wie weit die Gentrifizierung von Le Panier fortgeschritten ist, seht ihr beim Hôtel-Dieu. Sein Bau lässt heute nur wenig ahnen, dass seine Wurzeln bis ins 12. Jahrhundert zurückreichen.
Vorzeigebau der Krankenpflege
Das damalige Hôpital du Saint-Esprit wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder umgebaut, vergrößert, mit dem Hôpital Saint-Jacques de Galice zusammengelegt, und mehr als 100 Jahre später erneut umgebaut zu einem Vorzeigebau des Klinikwesens im 18. Jahrhundert.
Nach allen vier Seiten schottete er sich sich ab, um keine Keime in die Stadt zu lassen. An die frische Luft durften die Patienten nur in den beiden Innenhöfen, und das säuberlich nach Geschlechtern getrennt.
Erst in jenen Jahren erhielt das Hôtel-Dieu auch seine Galerien. Zum Kulturhauptstadtjahr wandelte sich das Krankenhaus zum Luxushotel. Die größte Herausforderung war für die Architekten, den Komplex wieder zur Stadt zu öffnen. Das Team aus Anthony Béchu, Tangram Architects und dem Innenarchitekten Jean-Philippe Nuel gelang dieses Kunststück.
Sie öffneten das Hôtel-Dieu gen Süden und machten es zum architektonischen Juwel am Hang des Panier-Viertels. Besonders zur blauen Stunde ist der Blick auf das geschickt illuminierte Fünfsternehotel Intercontinental wunderschön!
Vor dem Hotel erinnert eine Bronzebüste an Jacques Daviel. Er hatte 1745 im Hôtel-Dieu zum ersten Mal erfolgreich grauen Star operiert und war daraufhin zum Augenarzt von Ludwig XV. ernannt worden.
Das Diamantenhaus

Unterhalb des Hotels findet ihr ein zweites ungewöhnliches Haus: La Maison Diamantée. Im Diamantenhaus lebten einst einflussreiche Marseiller Patrizier, ehe der Prunkbau aus dem Jahr 1570 während der Revolution in Wohnungen aufgeteilt wurde.
Seine Fassade ist bis heute ein Juwel des provenzalischen Manierismus. Natursteine, wie Diamanten geschliffen, schmücken sie. Auch hier gilt: zur blauen Stunde besonders schön!
Street Art aller Stile
Seit dem Kulturhauptstadtjahr hat sich Le Panier neben dem Cours Julien zum Hotspots der Street Art gewandelt. Die vergängliche Kunst des 21. Jahrhunderts hat viele Fassaden erobert. Mal mit XXL-Schrift als tag oder bubble, dann wieder mit stencils und fantasievollen Wandbildern.
Le Panier: meine Tipps
Zum Stöbern, Schauen, Shoppen
• Le Makadam, 25, rue de l’Évêché, Tel. 06 18 43 66 32, Boutique mit Mode, Deko, Vintage.
Zum Genießen
Chez Étienne
Der Klassiker der unter den Einheimischen ungeheuer beliebten, einfachen Pizzeria heißt moitié-moitié, eine halbe Pizza, die zur Hälfte mit Tomaten und Oliven, auf der zweiten Hälfte dick mit Käse bedeckt wird.
• 43, rue de Lorette, Tel. 04 91 54 76 33, kein www.
Le Manolo
Kleine Tapas-Bar im Shabby-Chick mit ein paar Stühlen in der Gasse.
• 12, rue du Panier, Tel. 04 96 17 59 20
Picante
Marseille flirtet hier mit den Aromen der Komoren. Das Ergebnis: hot & spicy!
• 17, rue de l’Evêché, Tel.06 35 21 73 69, auf Facebook
Les Navettes des Accoules

Die Familie Orsoni gehörte zu den beiden Bäckern, die den Gebäckklassiker aus Marseille noch ganz handwerklich herstellen. Zu den Stammgästen gehörte Charb, der bei den Anschlägen getötete Zeichner bei Charlie Hebdo.
Begeistert hat er sich mit flotten Strichen auf einem Bild verewigt, das José stolz in seinem Laden aufgehängt hat. Heute ist Josés Tochter die Herrin der berühmten Backstube – und auch ihr dürft probieren! Mehr zu den Navettes aus Marseille erfahrt ihr hier.
• 68, rue Caisserie, Tel. 04 91 90 99 42, www.les-navettes-des-accoules.com
Hier könnt ihr schlafen*
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Im Blog
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Und falls ihr ein ganzes Wochenende in der Metropole am Mittelmeer verbringen wollt, dann klickt hier für euren Reiseplan!
Im Buch
Hilke Maunder, DuMont-Bildatlas „Provence“*
In meinem DuMont-Bildatlas „Provence“* stelle ich in sechs Kapiteln zwischen Arles und Sisteron die vielen Facetten der Provence vor. Ihr erfahrt etwas vom jungen Flair zu Füßen des Malerberges, vom Weltstadttrubel an der Malerküste, dem weißen Gold aus der Pfanne oder einer Bergwelt voller Falten.
Neben Aktivtipps, Hintergrund und Themenseiten präsentiert die Rubrik “Ja, natürlich” zahlreiche Tipps für nachhaltige Erlebnisse und Momente. In “Urlaub erinnern” stelle ich Andenken, Eindrücke und Erinnerungen vor. Mit ihnen bleibt euerr Urlaub daheim noch weiter lebendig. Hinzu kommen Serviceseiten mit allen Infos, persönlichen Tipps und großer Reisekarte. Wer mag, kann den Band hier* direkt bestellen.
Hilke Maunder, Le Midi*
Die Bouillabaisse ist eine der 80 echten, authentischen Speisen, die ich bei meiner kulinarischen Landpartie durch den Süden von Frankreich entdeckt habe. Zwischen Arcachon, Hendaye und Menton schaute ich den Köchen dort in die Töpfe, besuchte Bauern, kleine Manufakturen, Winzer und andere lokale Erzeuger.
Gemeinsam mit dem Fotografen Thomas Müller reiste ich wochenlang durch meine Wahlheimat und machte mich auf die Suche nach den besten Rezepten und typischsten Spezialitäten der südfranzösischen Küche. Vereint sind sie auf den 224 Seiten meines Reise-Kochbuchs Le Midi.
Ihr findet darin 80 Rezepte von der Vorspeise bis zum Dessert, Produzentenportraits, Hintergrund zu Wein und Craftbeer, Themenspecials zu Transhumanz und Meer – und viele Tipps, Genuss à la Midi vor Ort zu erleben. Wer mag, kann meine 80 Sehnsuchtsrezepte aus Südfrankreich hier* online bestellen.
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Schöne Bilder, schöne Erinnerungen an unseren Spaziergang durchs Le Panier in 2019!
Hier noch eine Ergänzung: Für uns als Boulespieler ein ‚Muss‘: direkt vis-a-vis zur Bar des 13 Coins befindet sich das ‚Maison de la Boule‘, getragen von der kleinen feinen Boule-Manufaktur ‚La Boule Bleue‘. Neben dem kleinen Lädchen mit Boulebahn für Probewürfe gibt es ein Museum.
2 Fotolinks: https://imgur.com/3YvxT0c – https://imgur.com/3RnubVM
Oh, danke für den Tipp, Claudia und Heiner! Kommt auf meine Must-See-Liste beim nächsten Besucht! Viele Grüße, Hilke
Schön zu lesen!
Deine Bildunterschrift:
Eine Institution: die Bar des 13 Garçons.
Ich lese auf dem Foto Bar des 13 coins
Lach, Freud? Hab’s gleich korrigiert! Danke! Man sieht eigene Fehler am wenigsten…