
Es ist der Ort der ersten Besiedelung Marseilles. Hinter dem barocken Rathaus (Hôtel de ville), in dem das Bürgermeisteramt (Mairie) untergebracht ist, beginnt der verhältnismäßig unberührte alte Kern Marseilles…
So steht’s in Wikipedia… nun ja, der Autor war wohl etwas länger nicht dort gewesen…. Zum Kulturhauptstadtjahr 2013 sind in Marseille viele Gelder in das Altstadtviertel geflossen. Es wurde investiert, saniert – und haben nicht wenige Anwohner gegen die Gentrifizierung ihres Viertel protestiert.

So ist Le Panier heute ein Juwel, das nur manche aufpolierte Ecken hat, aber auch noch viel authentischen Charme. Und reichlich viele Ecken, an denen Nase und Augen merken, dass Armut und Avantgarde, Zeitgeist-People und Migranten das Viertel gleich stark prägen.
Brennende Mülltonnen, Ratten, Straßenecken voller Sperrmüll hier, Uringestank und Drogenduft in der einer anderen Gasse. Und um die Ecke Souvenirshops mit Marseiller Seife.

Die Wiege der Stadt: bis heute im Umbruch
Szenelokale, Shabby-Chic-Boutiquen und Provence-Style-Läden säumen Kopfsteinpfasterstraßen. Ein alternatives Kino zeigt wenig bekannte Filme. Open-Air-Cafés haben den Trottoir erobert. Und dann wieder: Sonne, die über verblichene Fassaden in gelbgolden Tönen tanzt. Streunende Katzen. Eine verlassene Werkstatt, eine verwaiste Fabrik, stille Plätze.
So wie die Place de la Lenche, an der die Deutschen im Zweiten Weltkrieg die Südseite wegsprengten, um freien Blick auf den Hafen zu haben.Ursprünglich war der Platz von allen vier Seiten umschlossen gewesen. Bei den Griechen fungierte er als Agora. als Marktplatz der Stadt.

Und auch im 16. Jahrhundert wurde noch eifrig dort gehandelt, verrät der Name des Platzes. Er erinnert an die korsische Händlerfamilie Linio, die dort mehrere Geschäfte betrieben hatte. Und eine Korallenwerkstatt, in der aus der roten Mittelmeerkoralle Schmuck gefertigt worden war.
2600 Jahre lebendige Geschichte
Der an diesem Platz seinen Panier-Bummel beginn, kommt auf der Grande Rue tiefer hinein ins Viertel. Die Straße folgt der antiken Hauptstraße, die die Phokäer bereits angelegt hatten – allerdings drei Meter tiefer als die heutige Straße.

Viele kleine Plätze birgt das Viertel, das seinen Namen einst von einer Herberge namens „Le Logis du Panier“ erhalten haben soll. Sie empfing im 17. Jahrhunderte Reisende zur Nacht. Gastlich ist Le Panier bis heute. Hinter alten Fassaden findet ihr stylische Chambres d’Hôtes und Gîtes.
Cafés und Bars haben ihre Stühle auf das Pflaster gestellt. Dann wieder versprühen die Plätze eine fast dörfliche Idylle, die unwirklich wirkt im Trubel der Großstadt.

Vom Hafen führt die steile Gasse Montée des Accoules tiefer hinein nach Le Panier. Stadtführer um Stadtführerin kommen hier mit ihren Gruppen hinauf: Le Panier als Kulisse. Lasst euch lieber von eurer Neugier treiben, im Gewirr der Gassen und lauschigen Plätze, der steilen Straßen und Treppenwege, die hier und da Ausblicke auf den alten Hafen und das Mittelmeer eröffnen.

Was die Fassaden erzählen
Über dem Viertel wacht seit dem 11. Jahrhundert die Église Notre-Dame des Accoucles. So, wie das Viertel wuchs, veränderte sich auch das Gotteshaus und wurde mit jedem Bau größer. Die kleine Kapelle aus dem 11. Jahrhundert machte im 13. Jahrhundert Platz für eine Kirche mit Glockenturm.
Als Tour Sauveterre warnten die Glocken bei Gefahr. Und riefen mit dem Geläut den Stadtrat zusammen für eine Sitzung. Während der Französischen Revolution 1794 abgerissen, entschloss man sich um 1830 zu einem neuen Sakralbau. Er sollte auch politisch ein deutliches Zeichen setzen – als „Sühne aller während der Revolution begangenen Sünden“

Altes Erbe schafft neue Ikonen
Wie weit die Gentrifizierung von Le Panier fortgeschritten ist, seht ihr beim Hôtel-Dieu. Sein Bau lässt heute nur wenig ahnen, dass seine Wurzeln bis ins 12. Jahrhundert zurückreifen. Das damalige Hôpital du Saint-Esprit wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder umgebaut, vergrößert, mit dem Hôpital Saint-Jacques de Galice zusammengelegt, und mehr als 100 Jahre später erneut umgebaut zu einem Vorzeigebau des Klinikwesens im 18. Jahrhundert.
Nach allen vier Seiten schottete er sich sich ab, um keine Keime in die Stadt zu lassen. Raus durften die Patienten nur in den beiden Innenhöfen, und das säuberlich nach Geschlechtern getrennt. Erst in jenen Jahren erhielt das Hôtel-Dieu auch seine Galerien. Zum Kulturhauptstadtjahr wandelte sich das Krankenhaus zum Luxushotel.

Die größte Herausforderung war für die Architekten, den Komplex wieder zur Stadt zu öffnen. Das Team aus Anthony Béchu, Tangram Architects und dem Innenarchitekten Jean-Philippe Nuel gelang das Kunststück.
Sie öffneten das Hôtel Dieu gen Süden und machten es zum Hingucker, wenn ihr vom Vieux-Port zum Le Panier-Viertel blickt. Besonders zur blauen Stunde ist der Blick mit dem geschickt illuminierten Fünfsternehotel von Intercontinental wunderschön!
Vor dem Hotel erinnert eine Bronzebüste an Jacques Daviel. Er hatte 1745 im Hôtel-Dieu zum ersten Mal erfolgreich grauen Star operiert und war daraufhin zum Augenarzt von Ludwig XV. ernannt worden.

Unterhalb des Hotels findet ihr ein zweites ungewöhnliches Haus: La Maison Diamantée. Im Diamantenhaus lebten einst einflussreiche Marseiller Patriziers, eher der Punktbau während der Revolution in ganz schnöde Wohnungen aufgeteilt wurde.
Doch die Fassade ist bis heute ein Juwel des provenzalischen Manierismus. Über und über schmücken sie rohe Stein, die wie Diamanten geschliffen worden sind. Auch hier gilt: zur blauen Stunde besonders shcön!
Le Panier: meine Tipps
Zum Stöbern, Schauen, Shoppen
• Le Makadam, 25, rue de l’Évêché, Tel. 06 18 43 66 32, Boutique mit Mode, Deko, Vintage.
Zum Genießen
Chez Étienne
Der Klassiker der unter den Einheimischen ungeheuer beliebten, einfachen Pizzeria heißt moitié-moitié, eine halbe Pizza, die zur Hälfte mit Tomaten und Oliven, auf dem zweiten Viertel mit Käse dick bedeckt wird.
• 43, rue de Lorette, Tel. 04 91 54 76 33, kein www.
Le Manolo
Kleine Tapas-Bar im Shabby-Chick mit ein paar Stühlen in der Gasse.
• 12, rue du Panier, Tel. 04 96 17 59 20
Picante
Hot & spicy!
• 17, rue de l’Evêché, Tel.06 35 21 73 69, www.facebook.com/douceurpiquante13,
Les Navettes des Accoules
Jose Orsoni gehört zu den beiden Bäckern, die den Gebäckklassiker aus Marseille noch ganz handwerklich herstellen. Zu den Stammgästen gehörte Charb, der bei den Anschlägen getötete Zeichner bei Charlie Hebdo.
Begeistert hat er sich mit flotten Strichen auf einem Bild verewigt, das José stolz in seinem Laden aufgehängt hat. Ihr dürft probieren! Mehr zu den Navettes aus Marseille erfahrt ihr hier.
• 68, rue Caisserie, Tel. 04 91 90 99 42, www.les-navettes-des-accoules.com

Hier könnt ihr schlafen*
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Weiterlesen
Ein toller Beitrag aus der Zeit: www.zeit.de/2013/21/kulturhaupstadt-marseille-sound
Im Blog
Noailles ist Marseille pur! Noch. Auch im Blog – klickt mal hier
Cours Julien ist das Zentrum der Street Art in Marseille. Hier gibt es Infos und Impressionen!
Mit der Cité Radieuse verwirklichte Le Corbusier seinen Traum einer Wohnmaschine. Klickt mal hier!
Aus Marseille kommt eine weltberühmte Seife. Wie die Savon de Marseille heute noch ganz handwerklich hergestellt wird, könnt ihr hier sehen.
Und sogar gesegnete Kekse kommen aus Marseille. Was die Navettes besonders macht, erfahrt ihr hier – samt Rezept!
Der schönste Ausflug in Marseille? Die Calanques! Infos und Impressionen zu den Fjorden am Mittelmeer gibt es hier!
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