Huîtres creuses aus dem Bassin d'Arcachon. Foto: Hilke Maunder
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Wo Austern sich in Schale werfen

„Das Bassin d’Arcachon ist die Heimatstube aller französischen Austern“, sagt Jérôme Delarue. „In Nouvelle-Aquitaine werden sie geboren, und erst danach in den ostréicultures von der Bretagne bis nach Bouzigues zur Reife gezüchtet“. 300 Millionen Austern-Larven wimmeln im nährstoffreichen Wasser, das bei Flut 182,32 Quadratkilometer mit Wasser bedeckt, bei Ebbe nur ein Drittel.

Austernzüchter Jérôme Delarue holt frische huîtres creuses aus dem vivier, dem Reinigungsbecken. Foto: Hilke Maunder
Austernzüchter Jérôme Delarue holt frische huîtres creuses aus dem vivier, dem Reinigungsbecken. Foto: Hilke Maunder

Vier Jahre Wachstum

Fast 50 Monate braucht die Auster von Arcachon, bis sie ihre Reife erreicht hat. Jérôme erntet seine Meeresfrüchte bei Ebbe noch per Hand. Andere Züchter setzen längst auf Maschinen. Nach der Ernte folgt die Reinigung. Mit Bürsten und Messern werden Schlamm, Algen und andere Verunreinigungen entfernt. Dann folgt das Wässern. Stundenlang lässt Jérôme seine Austern in großen Betontanks ruhen. Jede Atmung spült dabei Sand und andere störende Partikel hinaus. Je länger dieses Filtern dauert, desto sauberer ist die Muschel.

Die Größenklassen

Ausschlaggebend für die Klassifizierung sind Größe und Gewicht der Schalenfrucht.

  • Nummer 0: Gewicht von mehr als 150 g pro Stück.
  • Nummer 1: Gewicht zwischen 121 und 150 g.
  • Nummer 2: Gewicht zwischen 86 und 120 g.
  • Nummer 3: Gewicht zwischen 66 und 85 g.
  • Nummer 4: Gewicht zwischen 46 und 65 g.
  • Nummer 5: Gewicht von weniger als 45 g.

Mit Zitrone, Baguette, Butter und einem Glas Sancerre serviert Jérôme ein halbes Dutzend in seiner Holzhütte. Ihre Wände zieren Urkunden. Neunmal erhielten die Austern von Jérôme Delarue in Paris das Prädikat „exzellent“.

Austernzüchter Jérôme Delarue und Schwiegervater Dominique Aloir öffnen frische Austern, huîtres creuses. Foto: Hilke Maunder
Austernzüchter Jérôme Delarue und Schwiegervater Dominique Aloir öffnen frische Austern, huîtres creuses. Foto: Hilke Maunder

Traditionsreiche Austern-Zucht

Die Austernzucht hat in und um Arcachon Tradition. Bereits 1849 begann die systematische Kultivierung der delikaten Meeresfrüchte in der Region. Ab 1860 förderte Napoleon III. in der fast dreieckigen Lagune die Anlage von Austernparks. Wie begehrt damals Schalentiere aus Arcachon waren, zeigt die Entwicklung der ostréicultures: Zwischen 1870 und 1875 verfünffachte sich die Zahl der Austernparks von 500 auf über 2.600!

Zu ihrem Schutz entstanden rund um die Île aux Oiseaux mehrere cabanes tchanquées, Hütten auf Stelzen als Unterstände für die Züchter und Lagerplätze für Werkzeug und Ausrüstung.

Der Hafen der Austernfischer von Arcachon. Foto: Hilke Maunder
Der Hafen der Austernfischer von Arcachon. Foto: Hilke Maunder

Die Hütten der Austernzüchter liegen in der Ville d’Automne, dem Fischerviertel des Seebades Arcachon. Am 280 Meter langen Kai des Fischereihafens werden täglich Scholle (carrelet), Steinbutt (turbot), Wolfsbarsch (loup de mer), Seehecht (merlu) und Goldbrasse (daurade) angelandet.

Auf kleinen Werften werden Fischerboote überholt, Gummistiefel und Öljacke getragen. Und zwischendurch stillen ein paar frische huîtres mit Zitrone und Baguette den kleinen Hunger.

Der Hafen von Arcachon erzählt von der Austernfischerei. Foto: Hilke Maunder
Der Hafen von Arcachon erzählt hautnah von der Austernfischerei. Foto: Hilke Maunder

Die Stadt der vier „Städte“

Arcachon wird gerne la ville aux quatre villes genannt. Als Frühlingsstadt ( ville de printemps ) bezeichnet sich das Viertel am Pereire-Strand. Die Sommerstadt (ville d’éte) erstreckt sich als Urlaubsviertel zwischen den Schiffsanlegern Eyrac und Chapelle. Die Herbststadt (ville d’automne) ist das Viertel der Fischer und Freizeitskipper mit seinem Hafen.
Oberhalb des Stadtzentrums erhebt sich die Winterstadt (ville d’hiver) mit ihren schicken Belle-Époque-Villen.

In Audenge sind die Hüttern der Austernfischer in vielen Farben bunt gestreift. Foto: Hilke Maunder
In Audenge sind die Hütten der Austernfischer in vielen Farben bunt gestreift. Foto: Hilke Maunder

Die Austern-Hütten von Audenge

Einmal rund um das gesamte Bassin d’Arcachon, von Arcachon vorbei an Audenge und Andernos-les-Bains bis hoch zum Cap Ferret säumen die Hütten und Häfen der Austernfischer die Ufer. 81 Hütten sollen es sein, in denen ihr die berühmte Meeresfrucht erntefrisch beim ostréicultur genießen könnt. Ihre Arbeitshütten sind typischerweise aus Holz gebaut, mit Kiefernwänden und ziegelgedeckten Dächern.

Besonders schön ist der kleine Hafen von Audenge, der Port d’Audenge. Dort sind die Schuppen der Fischer und Züchter allesamt gestreift. Mal blau, mal rot, mal türkis oder grün.

Auch hier haben die Austernzücher hinter ihren Hütten hier und da ein paar Tische an die Kaikante gestellt. Frischer kann man ihre Meeresfrüchte nicht genießen!

In der Cabane 8 arbeitet Bernard mit seinem Sohn. Bernard ist der dienstälteste Austernfischer von Port d‘Audenge – und bereits seit 1975 dort fast tagtäglich anzutreffen. 

Bernard ist der dienstälteste Austernfischer von Audenge. Foto: Hilke Maunder
Bernard ist der dienstälteste Austernfischer von Audenge. Foto: Hilke Maunder

Das Dorf der Austernfischer

Auch am Cap Ferret könnt ihr noch das Erbe der Austernfischer entdecken – und in L’Herbe, das zwischen Le Canon und dem Port de la Vigne liegt, zudem einen Ort entdecken, der als einziges Dorf am Bassin d’Arcachon als site pittoresque de France auszeichnet ist. L’Herbe hat seinen ursprünglichen Charakter als Fischereidorf bewahrt und unterscheidet sich dadurch deutlich von anderen Orten im Becken.

In zahlreichen Restaurants könnt ihr dort direkt am Wasser Garnelen, Austern und andere Meeresfrüchte topfrisch bei einem Glas Weißwein genießen, die Aussicht auf das Bassin d’Arcachon bewundern und vor dem Genuss dabei zuschauen, wie per Hand die Muscheln gereinigt, gewässert und geöffnet werden.

Über dem Fischerdorf mit seinem kleinen Strand erhebt sich die Chapelle Sainte Marie du Cap (Chapelle Algérienne) . Ihr maurischer Stil ist einzigartig in der Region und spiegelt die Vorlieben von Léon Lesca wider, der sie im 19. Jahrhundert aus Backstein mit Weiß als Zierfarbe erbauen ließ.

Léon Lesca hat am Kap damals für wenig Geld ein riesiges Grundstück erworben, dass er gezielt entwickelte. Er ließ beispielsweise in Les Jacquets einen rund 25 Hektar großen Weinberg anlegen und aus den Trauben den Rotwein Les Dunes du Cap-Ferret keltern. Sein Experiment jedoch war nicht so erfolgreich wie gehofft und wurde schließlich aufgegeben.

Léon Lesca war ein Unternehmer – und ein Philanthroph. In L’Herbe ließ er daher fürs Dorf einen Anleger anlegen und eine Schule errichten. Léon Lesca baute die dortige Austernzucht auf und gründete eine Gesellschaft zum Schutz der Parqueurs, und damit für alle jene Menschen, die sich um den Besatz einer Zuchtanlage kümmern und sie instand halten. 1865 begann er den Bau seiner Villa Algérienne, in der er zeitweise bis zu 80 Mitarbeiter beschäftigte –und 1913 im Alter von 88 Jahren dort verstarb.

Bedrohtes Paradies

Die Zucht der weltberühmten Delikatesse ist ein hartes und risikoreiches Geschäft – und hat im Laufe der Zeiten nicht nur Blütezeiten erlebt, sondern auch so manch eine Krise. Überproduktion und schlechte Marktorganisation bescherten den Austernzüchter von Arcachon 1891-1896 eine erste Handelskrise.

1920 sorgte die als Grosse Mortalité bekannte Infektion für ein Massensterben der heimischen Flachauster (Ostrea edulis) im Bassin d’Arcachon. Um die Austernzucht zu sichern, hielt hier eine neue Art Einzug: die portugiesische Auster (Crassostrea angulata). In den 1970er-Jahren ließ eine weitere Seuche auch diese Sorte der pazifischen Felsenauster (Crassostrea gigas) weichen. Sie ist heute die dominierende Art.

Austernsäcke am Kai von Arcachon. Foto: Foto: Hilke Maunder
Austernsäcke am Kai von Arcachon. Foto: Hilke Maunder

Austern sind sehr anfällig für Krankheiten und besonders für jene, die Parasiten oder Viren verursachen. In den 1960er Jahren wurde die Marteiliose entdeckt, hinter der der Parasit Marteilia refringens steckt – er befällt das Verdauungssystem der Muscheln.

Eine häufige Krankheit bei diesen Meeresfrüchten ist auch eine Bonamia-Infektion, die erst in den 1970er Jahren entdeckt wurde. Ausgelöst wird sie von einem Parasiten namens Bonamia ostreae, der die Hämocyten (Blutzellen) der Austern befällt und die Meeresfrucht verenden lässt.

In den letzten Jahren hat sich zudem der Herpesvirus OsHV-1 (Ostreid herpesvirus disease) zu einer Bedrohung für die Zucht entwickelt. Auch dieser Virus ist hoch ansteckend und kann sich schnell in einem Bestand ausbreiten.

Überbesatz, Umweltveränderungen und Veränderungen bei der Wasserqualität sind zusätzliche Stressfaktoren für die Austern des Bassin d’Arcachon.

Antworten auf den Klimawandel

Auch der Klimawandel bedroht die traditionsreiche Austern-Wirtschaft am Bassin d’Arcachon – mit steigenden Wassertemperaturen, Meeresspiegelanstieg, Extremwetterereignissen und der Versauerung der Ozeane. Eine Studie des französischen Forschungsinstituts für Meeresnutzung (Ifremer / Institut français de recherche pour l’exploitation de la mer ) belegt, dass die Wassertemperatur in der Bucht in den letzten dreißig Jahren um 1,5 °C gestiegen ist.

Dieser Anstieg sorgt für mehr krankheitserregende Bakterien und das Wachstum schädlicher Algen, die die Austern ersticken. Sorgen bereiten den Austernfischern zudem die immer häufigeren und stärkeren Stürme, die ihre Austerntische zerstören.

Frisch geöffnet: eine Auster vom Cap Ferret. Foto: Hilke Maunder
Frisch geöffnet: eine Auster vom Cap Ferret. Foto: Hilke Maunder

Austern sind natürliche Filter. Sie verbessern die Wasserqualität, indem sie Schwebeteilchen, Mikroorganismen und sogar Schwermetalle herausfiltern. Bis zu 25 Liter Wasser pro Tag filtert jede Auster! Austern sind daher wertvolle Indikatoren für die Gesundheit eines Biotops. Und sie zeigen am Bassin d’Arcachon, dass das Ökosystem in Gefahr ist. Dort ist aufgrund von Hitzewellen die Sommersterblichkeit von Austern inzwischen auf bis zu 60 Prozent geklettert.

Ifremer arbeitet an Projekten zur genetischen Selektion, um Austern zu entwickeln, die resistenter gegen Krankheiten und die globale Erwärmung sind. Zudem gibt es mehrere Programme zur Wiederherstellung von Austernriffen, um die natürlichen Lebensräume der Auster wiederherzustellen.

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Marcus X. Schmid, Südwestfrankreich*

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Hilke Maunder, Le Midi*

Das ttoro ist eine der 80 echten, authentischen Speisen, die ich bei meiner kulinarischen Landpartie durch den Süden von Frankreich entdeckt habe. Zwischen Arcachon, Hendaye und Menton schaute ich den Köchen dort in die Töpfe, besuchte Bauern, kleine Manufakturen, Winzer und andere lokale Erzeuger.

Gemeinsam mit dem Fotografen Thomas Müller reiste ich wochenlang durch meine Wahlheimat und machte mich auf die Suche nach den besten Rezepten und typischsten Spezialitäten der südfranzösischen Küche. Vereint sind sie auf den 224 Seiten meines Reise-Kochbuchs Le Midi.

Ihr findet darin 80 Rezepte von der Vorspeise bis zum Dessert, Produzentenportraits, Hintergrund zu Wein und Craftbeer, Themenspecials zu Transhumanz und Meer – und viele Tipps, Genuss à la Midi vor Ort zu erleben. Wer mag, kann meine 80 Sehnsuchtsrezepte aus Südfrankreich hier* online bestellen.

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