
Napoleon Bonaparte am Niederrhein: Ab 1801 hatte auch im heutigen Nordrhein-Westfalen der spätere Kaiser der Franzosen als damals noch Erster Konsul das Sagen. Im Frieden von Lunéville musste Kaiser Franz II. als Oberhaupt des Heiligen Römischen Reichens die linksrheinischen Gebiete an Frankreich abtreten.
Flugs verwandelte es sie in vier neue Départements: Mont-Tonnerre (Donnersberg), Sarre (Saarland), Rhin-et-Moselle (Rhein-Mosel) und Roer (Ruhr).
Die Départements untergliederten Arrondissements. Krefeld war als Crevelt damals ein chef-lieu, sprich, die Hauptstadt des gleichnamigen Arrondissements im Département de la Roer.
Der Machtwechsel zu Frankreich wirkte sich sehr unterschiedlich aus. Kirche, Staat, Justiz und Gesellschaft erlebten in der kurzen, aber intensiven Zeit von 1801 bis 1814 weitreichende Umwälzen und grundlegende Reformen. Napoleon führte 1804 den Code Civil als Gesetzeswerk zum Zivilrecht ein.
Er sicherte den Schutz von Eigentum und die Religionsfreiheit zu, löste die Zünfte auf und entzog dem Adel seine Gutsherren-Rechte. Bereits 1792 war der mariage civil eingeführt worden, die Zivilehe samt der Möglichkeit zur Scheidung – allerdings nur für den trennungswilligen Ehemann.
Spottnamen für die Franzosen
Französisch wurde Amtssprache, Deutsch bliebt Verkehrssprache – und Unterrichtssprache in den Grund- und weiterführenden Schulen. Doch der tagtägliche Umgang mit Franzosen sollte für so manche eine Verballhornung des Französischen: Aus peu à peu machte die Krefelder Mundart Krieewelsch pö a pö, aus dem Regenschirm den Paraplü, aus „völlig verrückt“ wurde follemente.
Beim Anblick der fremden Soldaten, die am 18. Dezember 1792 mit der französischen Revolutionsarmee unter dem Befehl General La Marlière einmarschierten, dichteten die Krefelder ein Schmählied. Denn die Soldaten hatten, um die vom Kniebundhosen tragenden Adel abzugrenzen, den Hosensaum bis zu den Knöcheln hinab rutschen lassen. Als sansculottes marschierten sie mit den nun komplett die Beine bedeckenden Hosen durch die Lande.
Parlevu hät geen Hoasen an / Kiskedi geen Schtrömp. / Hähf dam Kähl dat Röckske op / On schlon nöm henge döchtich drop.
(Parlez-vous hat keine Hosen an / Qu’est-ce qu’il dit keine Strümpfe /Heb dem Kerl das Röckchen hoch/ Und schlag ihm hinten tüchtig hinten.)
Parlevu erhielt seinen Namen von der französischen Frage „Parlez- vous? …“ (Sprechen Sie…) . Kishedi als Spottname für den Franzosen entwickelte sich aus der Frage: „Qu’est- ce qu’il dit?“ (Was sagt er?).

Blüte der Textilwirtschaft
Während die Wirtschaft von Düsseldorf und Wuppertal unter der Kontinentalsperre litt, ließ Napoleons Handels-Blockade mit Britannien eine andere Stadt prosperieren: Krefelds Textilindustrie boomte während der Franzosenzeit. Vor allem die Weber und Seidenweber freuten sich über volle Auftragsbücher und höhere Umsätze.
An jene Blüte erinnert heute in Krefeld das Haus der Seidenkultur. Sein Herzstück ist der einzige Jacquard-Handwebsaal Europas, der noch am Originalstandort erhalten ist. Alle acht hölzernen Webstühlen, auf denen einst aus italienischen und chinesischen Seidengarnen Priestergewänder für die katholische Kirche gezeigt wurden, sind noch voll funktionsfähig. Erlebt sie bei Vorführungen und Workshops!
1801 wurde in Krefeld als sechstes Kind eines Kneipenwirtes aus der Königstraße ein Junge geboren, der den Grundstein legte für eine edle französische Luxusmarke. Dietrich nannten ihn die Klassenkameraden. Thierry stand auf der Geburtsurkunde, war der Junge doch Franzose und Nachfahre von geflüchteten Hugenotten.
Hermes. Noch ohne Akzent. Für Textiles hatte der Junge wenig übrig, viel jedoch für gutes Handwerk. Thierry wurde Sattler, zog nach dem Tod seiner Eltern 1828 nach Pont-Audemer in die Normandie, heiratete – und folgte seiner Frau 1837 nach Paris.
Hermes: Der Akzent macht’s
Nahe der Madeleine, in der Rue Basse-du-Rempart, eröffnete er eine Sattel- und Riemenmacherwerkstatt. Kutschen waren damals die Karossen der Zeit, und das Geschäft blühte. Was für eine Eleganz, was für ein solides Handwerk, wie langlebig sind Sattel und sonstiges Reitgeschirr, schwärmte schon damals die bessere Gesellschaft. 1867 gab es dafür in Paris bei der Weltausstellung die Silbermedaille.
1878 starb Thierry Hermès. Sein Sohn Charles-Émile verlegte das Stammhaus an die schicken Champs-Élysées und erweiterte das Leder-Sortiment angesichts des Siegeszuges der Eisenbahn um edles Reisegepäck. Die Novität damals: Die Koffer und Taschen ließen sich per Reißverschluss schließen!
Komplettiert wurde das Reiseoutfit der Oberschicht durch hauseigene Parfüms und Seidentücher, 90 x 90 cm groß und bunt bedruckt mit klassischen Motiven, die auch dem Reitsport entlehnt waren.
Bis heute ist Hermès ein Familienunternehmen. Axel Dumas bildet die sechste Generation, die das Luxuslabel, leitet. Gut zehn Milliarden Euro beträgt sein Börsenwert heute. Ob sich Thierry vor 200 Jahren dies hätte träumen lassen?
Frankreich & Krefeld: was für Verbindungen!
Magenta-Verlag
Als Albin Kremnitzmüller 2012 seinen kleinen, feinen Krefelder Verlag gründete, hatte er bereits das erste Buch verlegt. Mit „Madame Baguette und Monsieur Filou“ hatte er 2010 ungewöhnliche Sprachreise durch die französische Kultur- und Sozialgeschichte begonnen.
Sein Autor Pierre Sommet ist vielen Menschen der Region als Vortragender und ehemaliger Volkshochschullehrer bekannt. Kremnitzmüller und Sommet haben 2016 gemeinsam erstmals auch einen landeskundlichen, zweisprachigen Kalender herausgebracht, in dem ich ebenfalls etwas beisteuern durfte.
• http://magenta-verlag.de
Wie viel Frankreich steckt in Deutschland? Das verrät euch meine Blogparade. Alle Beiträge könnt ihr hier nachlesen. Ihr wollt, dass ich auch eure Stadt und ihre Verbindungen mit Frankreich vorstelle? Dann schreibt mir eine Mail! Ich freue mich auf eure Tipps und Infos. Und sage: MERCI!
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Frankreich in Deutschland
Hamburg war einst Hauptstadt eines Départements von Napoleons Kaiserreich. Duisburg bot dem königlichen Musketier d’Artagnan ein Dach über dem Kopf.
Dortmund war für ein paar Wochen der Wohnort, an dem der französische Austauschschüler Emmanuel Macron die Deutschen erlebte. Göttingen ist die Stadt, aus der der Soundtrack der deutsch-französischen Versöhnung stammt.
Überall steckt so viel Frankreich in Deutschland. In 26 Berichten von Erkundungen vor Ort beschreibe ich in So viel Frankreich steckt in Deutschland* die Spuren, die unser französischer Nachbar im Laufe der ereignisreichen, gemeinsamen Geschichte in Deutschland hinterlassen hat. 2021 ist die 2. Auflage erschienen!
E-Book: ISBN 9783752 665604 (14,99 Euro)
Print: ISBN 9783944299235 (25,50 Euro), zu bestellen u.a. hier*.
nur zur Info: Was hat Frankreich mit dem Niederrhein zu tun? Mehr als man denkt. Napoleon ist an der Bezeichnung schuld. Hier der Beweis: http://nrw-presse.com/niederrhein.html
Danke für den Link! Viele Grüße! Hilke
„So viel Frankreich steckt in … Krefeld“ …oder auch in Viersen !(neben Krefeld).
Schöner Artikel.
Wir linksrheinischen waren doch alle mal Franzosen. Et voilà !
Ich wohnte -so hiess die Strasse damals- auf dem Chemin de Gladbach.. Und in VIE-Dülken haben wir auch die „Dülkener Narrenmühle“ wo auch das Reisebügeleisen von Napoleon ausgestellt ist..
https://www.die-narrenmuehle.de/museum/
Sehr interessanter Artikel über die
„linksrheinische“ französische Zeit,
die gar nicht so übel war. ‚Wir‘ waren damals nämlich
ziemlich primitive ‚Bauernrüpel‘ = Boueretrampele…
und die Franzosen haben uns erst mal Kultur beigebracht….
https://rp-online.de/nrw/napoleon-am-rhein_aid-11919381
Hallo Gitte, danke für die Links – wird doch heute Abend gleich die Bettlektüre! Schönen Restsonntag! Hilke