Die Cellera von Pézilla-la-Rivière
Pézilla-la-Rivière hat seine alte cellera bis heute im Herzen bewahrt. Dieser ursprüngliche Kern der Dörfer in Okzitanien ist nichts anderes als der heilige Raum, der die Kirche und ihren Friedhof umgibt. Meist war er kreisförmig angelegt und hatte einen Radius von dreißig, manchmal fünfzehn, manchmal sogar sechzig Schritten.
In Zeiten der Gewalt diente die cellera als Zufluchtsort für die Bewohner. Die cellera im Roussillon ähnelt damit der sagrera von Südkatalonien, einer wichtigen Urform von Siedlung in den Diözesen Barcelona, Girona und Vic.
Schutzraum für Kirche und Volk
Der Ursprung ist derselbe: Das erste Prinzip dieser kirchlichen Einfriedungen war es, Schutzräume zu schaffen, in denen der Friede Gottes die Versammlungen prägte.
Aymat Catafau (*1965) war der erste, der im Roussillon diese ursprüngliche, frühmittelalterliche Siedlungsstruktur erforschte. Die Nachforschungen waren nicht einfach, denn das Wort ist im Roussillon (außer in Thuir) völlig ungebräuchlich geworden.
Doch Catafau gab nicht auf. Er studierte mittelalterliche Dokumente und durchquerte ein Dorf nach dem anderen im Roussillon. Nach 64 in den Archiven genannten cellerae fand er mehrere Dutzend weitere in der Ebene als auch in den Tälern der Têt und des Tech.
Von der cellera zum castrum
Vom Ende des 11. Jahrhunderts bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, so Aymat Catafau, fand eine Verstädterung außerhalb der cellera statt.
Meist erfolgte sie in konzentrischer Anordnung. Plätze, Straßen und neue Einfriedungen umgeben die cellera nun im Kreis. So entstand das castrum, das befestigte Dorf, von dem die cellera das Herzstück ist.
Außerhalb der Stadtmauern wurden schließlich barris errichtet, die von der Dynamik des Dorfes zu jener Zeit zeugen. Der alte Kirchenbezirk ist am Ende des Spätmittelalters von Häusern überwuchert.
Doch als die Spannungen, Katastrophen und Seuchen wie die Pest das Dorf bedrohten, schrumpfte es auf seinen ursprünglichen Umfang zurück. Die alte cellera wurde wieder in Betrieb genommen und verteidigt.
Die forsa
Die cellera wandelte sich zu einer forsa, die von brandneuen Wällen umgeben wurde. Heute sind es genau jene Mauern, die oft in den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts errichtet wurden, die die alte kirchliche Anlage bewahrt haben und von der Geburt der Dörfer des Roussillon erzählen.
Genau eine solche Struktur hat Pézilla-la-Rivère im Ribéral bewahrt. Und neben seine neogotische Kirche (1886 – 1893) eine Mediathek aus dem 21. Jahrhundert gesetzt.
Das „Wunder“ der heiligen Hostien
Für den Neubau der Pfarrkirche hatte ein „Wunder“ gesorgt. 1792 hatte Abt Pérone, der vor den Revolutionsgarden fliehen musste, die Hostien der Kirche Saint Félix de Pézilla-la-Rivière zur Aufbewahrung Rose Llorens übergeben. Als viele Jahre später ein Abt zurückkehrte und fast 100 Jahre später die heiligen Hostien erhalten konnte, wurde aus Freude darüber beschlossen, eine neue Kirche zu bauen, die repräsentativ genug sein sollte, um die heiligen Hostien aufzunehmen.
Das Innere besteht aus einem einzigen Kirchenschiff im neugotischen Stil und zehn Seitenkapellen. Sie beherbergen Altarbilder und Statuen von Heiligen wie dem Heiligen Josef und der Heiligen Anna. Auch das Querschiff schließt auf beiden Seiten mit einer Kapelle ab. Im Chor steht ein Hochaltar aus feinst gemeißeltem Marmor.
Die Kirchenschätze
Zahlreiche Buntglasfenster erhellen das Gebäude in einem sanften Licht. Sie stellen entweder Heilige oder Szenen aus dem Leben von Christus oder der Jungfrau Maria dar. Die Fenster im unteren Register der Apsis erzählen die Geschichte der Heiligen Rosenkränze. Die Vertäfelung des Hochaltars, die Kanzel und die Brüstung der Empore sind mit kunstvollen Holzskulpturen geschmückt.
Während die Orgel aus dem 19. Jahrhundert stammt, konnten die Prozessionstrage (caditera) mit einer Jungfrau aus dem 17. Jahrhundert und ein Karfreitagsmysterium mit einer liegenden Jungfrau aus dem 18. Jahrhundert und einer Jungfrau der Sieben Schmerzen aus dem Vorgängerbau gerettet werden.
An die frühen Wurzeln von Pézilla-la-Rivière erinnern ein antiker Altar aus dem 1. Jahrhundert, der den römischen Göttern Diana und Apollo gewidmet ist sowie ein Chorelement, das mit einem westgotischen Kreuz verziert ist.
Ort der Kultur
Bis heute ist die cellera von Pézilla-la-Rivière der zentrale Ort der dörflichen Geselligkeit. Dazu trägt seit 2015 auch die Mediathek bei, die auf dem Areal des ehemaligen Friedhofs errichtet wurde.
Ihr Name erinnert an Ramon Llull. 1232 wurde er auf Mallorca geboren, wo er 1315 starb. Der Universalschriftsteller und Philosoph war einer der großen Denker des Mittelalters und ein unermüdlicher Reisender.
Er gilt als einer der Erfinder des literarischen Katalanisch. Seine Bücher haben eine starke Stimme, die in der modernen Welt Widerhall findet.
Der Autor wirft das Problem der Unterschiede auf und bekräftigt die Bedeutung von Dialog und Toleranz für die menschliche Gesellschaft. Ein großer Platz mit Gemeinschaftsgarten und Spielplatz verbindet Kirche und Kulturzentrum.
Jenseits der cellera
Lauft nach der Besichtigung der cellera auch außen auf der Avenue de la République einmal rund um die cellera. Den Boulevard säumen zahlreiche Geschäfte des täglichen Bedarfs und kleine Werkstätten.
Stadthäuser vom Mittelalter bis zur Moderne prägen den Straßenring. Einige davon sind architektonische Schmuckstücke mit Patina.
Pézilla-la-Rivière: meine Reisetipps
Schlemmen und genießen
L’Aramand Gourmand
Zehn Jahre lang führten Nathalie et Philippe Coste das Restaurant Les Gourmands im 14. Bezirk von Paris. Es war der Sitz der Vereinigung der Katalanen von Paris und der Île-de-France.
Seit 2015 sind sie wieder in ihrer Heimat und verwöhnen dort drinnen und draußen auf der Terrasse mit gegrillter Paprika und Sardellen aus Collioure, Entenfrikassee mit Oliven und Kartoffeln mit Speck, mit Banyuls flambiertem Rinderfilet oder einem Gänseleberparmentier.
• 127, avenue du Canigou, 66370 Pézilla-la-Rivière, Tel. 04 68 92 43 59, www.aramongourmand.fr
Château Pézilla
Das Nordufer der Têt säumen Gemüsegärten, die Hänge terrassierte Weinberge. Einige der besten Tropfen des Ribéral stellt dort das Château Pézilla her. Das Schloss spiegelt das goldene Zeitalter des Weines im Roussillon wider. Heute dient die Residenz als Rathaus von Pézilla-la-Rivière.
Doch die Winzer von Pézilla pflegen bis heute auf einem der reichsten Terroirs des Roussillon ihre alten Stöcke. Ihre Trauben vinifiziert seit 2008 die Weinkellerei Arnaud de Villeneuve.
• 29, avenue du Canigou, 66370 Pézilla-la-Rivière, Tel. 04 68 92 00 09, https://arnauddevilleneuve.com
Chez Clement le barbu
• 1, rue du Commerce, 66370 Pézilla-la-Rivière, Tel. 09 53 68 08 71
Hier könnt ihr schlafen*
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Im Blog
Das Gegenstück zur cellera des Roussillon sind die circulades. Ihr findet sie u.a. in Pouzolles im Hérault. Oder in Langogne in der Lozère, das ich hier vorstelle.
Im Buch
Aymat Catafau, Les Celleres et la naissance du village en Roussillon: Xe-XVe siècles*
Die Nachforschungen von Aymat Catafau erschienen im März 2014 beim Universitätsverlag Perpignan Presses universitaires de Perpignan.
Ralf Nestmeyer, Languedoc-Roussillon*
Zwischen dem Delta der Camargue und den Gipfeln der Pyrenäen hat Ralf Nestmeyer nahezu jeden Strand gesehen, jede Stadt besucht, jedes Wehrdorf besichtigt – im Languedoc etwas intensiver, im Roussillon fokussiert er auf bekannten Highlights. Inzwischen ist der wohl beste Führer für diese wunderschöne Ecke Frankreich 2024 in der 10. Auflage erschienen.
Das 588 Seiten dicke Werk ist der beste Begleiter für Individualreisende, die diese Region entdecken möchten und des Französischen nicht mächtig sind.
Wer möchte, kann den Band hier* direkt bestellen.
Hilke Maunder, Okzitanien: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade*
Okzitanien ist die Quintessenz des Südens Frankreichs. Es beginnt an den Höhen der Cevennen, endet im Süden am Mittelmeer – und präsentiert sich zwischen Rhône und Adour als eine Region, die selbstbewusst ihre Kultur, Sprache und Küche pflegt.
Katharerburgen erzählen vom Kampf gegen Kirche und Krone, eine gelbe Pflanze vom blauen Wunder, das Okzitanien im Mittelalter reich machte. Acht Welterbestätten birgt die zweitgrößte Region Frankreichs, 40 grands sites – und unzählige Highlights, die abseits liegen.
50 dieser Juwelen enthält dieser Band. Abseits in Okzitanien: Bienvenue im Paradies für Entdecker! Hier* gibt es euren Begleiter.
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