Saint-Trojan-les-Bains: der Kai der Künstler
Schließt die Augen und träumt euch auf die Île d’Oléron, hin in den Süden der Insel im Südwesten von Frankreich. Lichte Kiefernwälder, die würzig duften. Sanfte Dünen, hinter denen sich feine, goldgelbe Strände erstrecken, weit und einsam. Sanft laufen die Atlantikwellen aus. Ein Flachbodenboot ruht am Flutsaum. Neben ihm ragen Austerntische auf. Weltberühmte Meeresfrüchte reifen dort.
Lauter ganz unterschiedliche Stimmungen, Landschaften und Stätten, geballt auf einem Fleckchen Erde im Süden der Insel: Saint-Trojan-les-Bains.
Zum kleinen Badeort mit stattlichen Villen an der Promenade gehören auch einige kleine, dörfliche Weiler mit niedrigen Häusern, die heute häufig Zweitwohnsitz sind oder Ferienwohnungen bergen.
Alljährlich im Februar feiert das Städtchen seit 1950 goldgelbe Blüten mit berauschendem Duft, die im 19. Jahrhundert auf die Insel kamen: Mimosen.
Das ganze Jahr hindurch hat die ostréiculture Saison. In der Ferne arbeiten einige Männer in hohen Wathosen an Austernbänken. Jetzt haben sie auch den letzten Metallsack vom Austerntisch gelöst und auf den Frachter geworfen.
Dicht unter Land tuckern sie auf ihrem kastigen Metallkahn zurück in den kleinen Hafen von Saint-Trojan-les-Bains. Hafen ist vielleicht zu hoch gegriffen für den Stichkanal mit Blick auf die mautfreie Brücke, die die Insel mit dem Festland bei Rochefort an der Mündung der Charente verbindet.
Jetzt ist Ebbe, und die Boote der Austernfische offenbaren auf dem Schlick ihren Unterboden, an den sich Wasserpflanzen und Meeresfrüchte festgeklammert haben.
Frankreichs größte Austernzucht
Vor windschiefen, wettergegerbten Hütten aus Holz sind ordentlich die grobmaschigen Metallsäcke gestapelt, in denen die Austern monatelang im Meer reifen. Ihre Schalen leuchten hell und scharfkantig überall auf: nicht nur im Eimer, sondern auch auf den Wegen, im Gras, im Schlick, überall. Der modrige Duft von Fisch und Schlick vermischt sich mit der salzigen Brise.
Doch dann stutze ich, staune ich, halte und steige aus. Denn zwischen der Hüttenreihe der Austernfischer hatte ich auch knallbunte cabanes entdeckt. Sie wecken meine Neugier.
Doch das kommt schon ein älterer Mann auf mich zu. „Bonjour!“. Er nickt kurz und kommt gleich zur Sache: „Sind Sie auch von der Presse? Le Point war schon da. Meine Hütte ist auf dem Cover!“
Monsieur wartet meine Antwort nicht erst ab, sondern legt los. Im breitesten Insel-Dialekt erzählt er sein Leben, von den Sorgen der Fischer, vom Zustand der Welt. Philosoph am Kai. Und Zeitzeuge eines Wandels, den ich auch anderenorts auf der Insel bemerkt habe.
Die traditionelle Austernfischerei verabschiedet sich. Oléron-Marennes, mit rund 30 Quadratkilometern Frankreichs größtes Austernzuchtgebiet, steckt in einem tiefgreifenden Wandel.
Die große Konzentration
War die ostréiculture früher fest in der Hand der Familien, die an den geeigneten Ecken der Insel lebten und mitunter sich zu Genossenschaften zusammentaten, hat seit der Jahrtausendwende eine rasante Konzentration begonnen.
Immer stärker prägen Großbetriebe die Austernzucht im Département Charente-Maritime. Seit 2003 ist dort die Zahl der Züchter um rund 40 Prozent auf rund 550 Betriebe gesunken. Tendenz: weiter sinkend. Je nach Saison werden 40.000 bis 60. 000 Austern in vier Sorten geerntet.
„Als ich anfing, waren wir noch 60 Austernfischer in Saint-Trojan-les-Bains“, sagt Monsieur. „Heute sind es noch drei. Und von einem weiß ich, dass er auch aufhören will.“ Nicht mehr genutzt, wurden erste Hütten baufällig und stürzten ein. Die Natur erobert sich das Terrain zurück.
In anderen Hütten wird gehämmert, gelackt und genagelt. Zwischen Dachbalken voller Spinnweben stehen Werkbänke. Alte Bettlaken decken Möbel und Schränke ab. Der Austernhafen wandelte sich zum Künstlerdorf. Zum Jahreswechsel 2016 erwachte er als Le Village d’Inspiration des Peintres.
Künstlerdorf am Kai
Seitdem haben hier rund ein Dutzend Künstler Werkstätten, Ateliers und Galerien eröffnet. Im April/Mai beginnt die Saison, Ende September schließt die letzte Ausstellung. Während der Saison bereichern Workshops für Kinder und Erwachsene das Programm.
Einige Künstler sind jedes Jahr dabei, einige nur für eine Saison oder Ausstellung. So bleibt es spannend und könnt ihr jedes Jahr etwas Neues entdecken. Immer mit dabei ist Caroline Minassian, die im Département Charente-Maritime daheim ist. In ihrer Galerie zeigt sie emaillierte Terrakotta.
Alle Arbeiten sind Unikarte, mal reduziert auf Form und Farbe wie bei Matisse, dann als Traumwesen und Tiere, entsprungen der Mythologie, fremd wie Märchen. Klänge aus dem Unterbewussten, eingefangen in Keramik.
Nur für einen Sommer kommt Gabrielle Hollensett ins Künstlerdorf und stellt ihre abstrakten, farbigen Gemälde in der Cabane de Francis aus. Auch Brigitte Lambourg aus dem Umland von Nantes konntet ihr dort schon entdecken.
Arbeiten rund um das Meer, den Strand und das Segeln stellt Fabio aus. Ihr findet ihn in der Cabane Bleue, der blauen Hütte. Und längst ist die Kunst den Spuren der Austern gefolgt und ist ins Wasser gegangen, wie diese Skulptur im Bassin de Chasse verrät.
Saint-Trojan-les-Bains
Hier könnt ihr schlafen*
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