
Südfrankreich, 1975: Mit dem Inter-Rail-Ticket war ich nach La Rochelle gekommen und wollte hinüber auf eine Insel, von der ich nur Bilder von weißen Häusern mit grünen Fenstern im Kopf hatte.
Hellen Bauten, die sich hinter langen Sandstränden versteckten auf einer Insel, wo Männer mit langen Stöcken das Salz aus lehmigen Pfannen kratzten. Doch… die Fähren machten la grève… und ich blieb wegen des Streiks auf dem Festland zurück. Hinüber zur Île de Ré schaffte ich es nicht.

Erst 43 Jahren später spürte ich dort das weiche Sandwatt unter den Füßen. Hin zur Ré la Blanche, Ré, die Weiße, war ich über eine Brücke gesaust, die seit 1988 das 30 Kilometer lange und bis zu fünf Kilometer breite, dann nur 100 Meter schmale Eiland an le continent anbanden.
Der Brückenschlag
Bis zu 27 Meter hoch schwingt sich die filigrane Brücke im eleganten Bogen, um den Kriegsschiffen der französischen Marine in den Hafen La Pallice von La Rochelle zu ermöglichen. An der Nordseite der Brücke wurde ein separater Radweg, zur Südseite ein Fußgängerweg angelegt.

Die Maut der Brücke refinanziert nicht nur den Bau der damals sehr umstrittenen Brücke, sondern fungiert mittlerweile auch als Zugangsregelung.
Zur Nebensaison und bei geringem touristischen „Druck“ ist sie niedrig. Steigende Touristenzahlen lassen die Gebühr proportional steigen. Die rund 17.000 Einheimischen zahlen ganzjährig einen niedrigen Preis.

Angekommen auf der Insel!
Die Brücke endet auf Ré an der Pointe de Sablanceaux. Ihr langer, schmaler Landstreifen trennt das Meer von de Salzwiesen des Fier d’Ars. Dünen säumen den Strand. Kite-Surfer tanzen hinter auf den Wogen des Atlantiks .
Bei Ebbe zieht sich das Meer weit zurück und legt ein Sandwatt frei, auf dem Urlauber und Einheimische so begeistert der Pêche à Pied nachgingen, dass inzwischen für das Sammeln der Meeresfrüchte eine Obergrenze von fünf Kilogramm pro Person und Tag festgelegt wurde.
Die Radel-Insel

100 Kilometer Fahrradwege durchziehen fernab vom Verkehr kreuz und quer die Insel. Im Süden radelt ihr durch Pinien und Zypressenwälder vorbei an Rundmühlen, die heute Wohnungen bergen. Auf den Gemüsefeldern wächst eine der insgesamt vier AOC-geschützten Kartoffeln Frankreich.
Die AOC-Kartoffel der Île de Ré ist eine kleine, feste und wachsartige Kartoffel, cremig und schön nussig im Geschmack. Ihr Boden wird mit Algen gedüngt. Auch das macht die Knolle besonders.
Der Wein der Île de Ré
Im Südosten dominieren ausgedehnte Rebgärten. Mönche, die auf der Insel siedelten, legten sie im 10. Jahrhundert an. Sie erkannten: 2800 Sonnenstunden im Jahr und sieben verschiedene Bodentypen – die Île de Ré eignet sich hervorragend für den Weinbau.

Bis die Reblaus um, 1880 viele Flächen vernichtete, bedeckte Wein fast 1500 Hektar. Heute setzen die 70 Winzer der Winzergenossenschaft von Île de Ré auf Klasse statt Masse.
Aus Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot, die jeweils zu rund einem Drittel die 650 ha großen Rebgärten bedeckten, vinifizieren sie inzwischen Tropfen, die als Vin de Pays Charentais Île de Ré inzwischen aufhorchen lassen und erste Auszeichnungen einheimsen.
Nur knapp ein Sechstel der Anbaufläche nehmen die weißen Trauben Sauvignon Blanc, Colombard, Chardonnay und die Cognacsorte Ugni Blanc ein. Auch auf die Rebgärten kommt Dünger aus dem Meer: Seetang.
Befestigt von Vauban

Mitten aus den Rebgärten und Weiden, auf denen Pferde und Esel grasen, erhebt sich die Festung von Saint-Martin-de-Ré. Erbaut wurde sie von Vauban. Er wollte damit La Rochelle und Rochefort vor neuen Invasionen von der Seeseite schützen.
1627 war der Herzog von Buckingham mit 5000 Soldaten und 100 Reitern zur Unterstützung der französischen Protestanten in La Rochelle auf der Île de Ré gelandet. Kardinal Richelieu ließ 3000 Mann antreten. Er stellte sie unter das Kommando des Marschalls von Schomberg. So konnte er die Belagerung brechen. Der Blutzoll für den Sieg: 1000 Tote auf dem Schlachtfeld.

Malerische Festungsstadt
Vauban schuf in Saint-Martin-de-Ré eine riesige Zitadelle, die heute zum Welterbe gehört. Allein ihre halbkreisförmige Festungsmauer ist – bei einem Radius von 1,5 km – 14 Kilometer lang!
Im 19. Jahrhundert diente die Zitadelle als Zwischenstation für Galeerensträflinge und Zwangsarbeiter, die von der Île de Ré aus in die die Kolonien deportiert wurden. Bis heute wird ein Teil der Anlage als Gefängnis, ein anderer Bereich militärisch genutzt.

Besichtigen könnt ihr nur die stadtseitigen Festungswälle im Westen und die dortige Porte de La Couarde (heute Porte des Campani) sowie im Osten die Porte de La Flotte (heute Porte Thoiras).
Wer sich für Vauban und die Militärgeschichte der Insel interessiert, findet im Musée Ernest Cognacq eine sehenswerte Ausstellung über Vauban als Ingenieur. Mehr zu Vauban erfahrt ihr auch in diesem Beitrag.

Idyllischer Hafen
Im Herzen der Zitadelle liegt ein Hafen, der für mich zu den schönsten am Atlantik gehört. Gebildet aus einem kreisförmigen Becken, das bei Ebbe teilweise trockenfällt, mit Fischerbooten und Segeljollen, Jachten und, Kabinenkreuzern, Ausflugsschiffen und Traditionskuttern. Gesäumt von Restaurants, Bars und Cafés, die ihre Tische bis an die Kaikante gestellt haben.
Stundenlang könnte ich in Saint-Martin-de-Ré dem bunten Treiben zusehen, die sanfte Brise vom Meer her spüren, dem Sprachgewirr und Lachen lauschen, ein Eis schlecken, einen Rosé genießen und all die südliche Lebensart für den nächsten norddeutschen Winter in mir wie ein Schwamm speichern.

Doch da entdecke ich plötzlich Menschen auf einer Plattform, die aus dem Meer der terre-cuite-Dächer herausragt: Der Glockenturm der Église de Saint-Martin-de-Ré kann bestiegen werden! Die schmale Holztreppe knarzt und knackt, als wir sie nach oben steigen, vorbei am wuchtigen Geläut.

Die Becken der Saunier
117 Stufen später blicke ich über das helle Häusermeer und die Rebgärten, die Gemüsefelder, Pinienwälder und Sandstrände auf ein Meer, das mal tiefblau und geheimnisblau, dann geradezu karibisch türkisfarben die Insel umarmt.

Nördlich der Inselhauptstadt tauchen inmitten der Salzmarschen immer wieder Becken auf, deren, blaugrauer Schimmer sich am Horizont verliert. Dort, zwischen La Couarde über Loix, Ars und Saint Clément des Baleines bis nach Les Portes, ernten die Salzbauern der Île de Ré auf 460 Hektar seit Jahrhunderten das weiße Gold des Atlantiks: Salz.
Sonne und Wind lassen das Meerwasser verdunsten. Im letzten Becken werden die Salzkristalle von Juni bis September von Hand geerntet. Wie früher, harkt der Salzbauer mit einer Art langem Rechen das Salz zu kleinen Pyramiden zusammen.

So kann auch noch das letzte Wasser aus dem Salz abtropfen, bis es weitertransportiert wird zu den großen Salzkegeln, wo vor dem Verpacken noch Insekten, Federn, Gräser und Eisen aus dem Salz aussortiert werden.
Die Salzpfannen der Île de Ré sind deutlich kleiner als die Salzgärten der Guérande. „Das liegt daran, dass es hier wärmer ist und das Wasser schneller verdunstet“, erklärt mir ein Salzbauer.


Wo die Esel Hosen tragen
Früher wurden bei der Arbeit in den Salzgärten Esel eingesetzt, die zum Schutz vor Insektenstichen karierte Hosen trugen. Sie wurden zum Wahrzeichen der Insel – und zum Lieblingsmotiv der Postkarten, die sich in den Ständern stapeln, die die Händler am Parkplatz der Phare des Baleines in ihren Buden anbieten.

Der Leuchtturm der Wale bildet den höchsten Punkt der Insel. 257 Stufen führen hinauf zur Aussichtskanzel in 57 Meter Höhe. Von dort seht ihr seinen Partner-Turm, der drei Kilometer entfernt im Atlantik den Wellen trotzt.
Eigentlich sollte das Leuchtfeuer genauso hoch wie der Turm an Land werden. Wetter und Wellen jedoch behinderten den Bau so, dass bei 31 Meter Höhe Schluss war.

Austern – rund um die Uh
Zwischen La Couarde und Ars-en-Ré schrumpft die Île de Ré auf ein nur 100 m breites Band aus Strand, Düne, Straße – und der amphibischen Landschaft des Réserve Naturelle de Lilleau des Niges, in dem zahlreiche Vogelarten ein Refugium gefunden haben.

Im Norden des Pertuis de Breton befinden sich auch sämtliche Fischereihäfen der Île de Ré. An der Meerenge zwischen der Île de Ré und dem Festlandhaben sich die Austernzüchter angesiedelt.
Hier versteckt sich auch der wohl exklusivste Automatenladen Frankreichs. Rund um die Uhr versorgt er euch mit eisgekühlten Austern – und allem, was dazu gehört.

Dort, wo Hauptstraße durch die gesamte Insel im Norden endet, führt ein kleiner Weg zur schönsten Austernbude der Insel: La Cabane de Patache.
Sechs Austern im Spankorb samt Zitrone und Brot, ein Rosé – ein Strand, von dessen Mini-Pier die Einheimischen mit Netzen in der starken Strömung fischen, ein hoher Himmel und das Meer: angekommen im Paradies.

Die Schattenseite
Seit dem Bau der Brücke hat sich das Gästeaufkommen vervierfacht. Der Tourismus hat sich als stärkster Wirtschaftszweig etabliert. Und sorgt, wie auch auf Sylt und anderen Inseln, nicht nur für saisonal gutes Einkommen, sondern auch massiv für die Probleme.

Die Immobilienpreise explodier(t)en. Einheimische können sich ein Heim in ihrer Heimat kaum noch leisten. Abwanderung nicht nur der Jungen ist ein großes Problem. Besonders Prominenten und Gutbetuchte – auch Sonia Rykiel, Patrick Bruel, Lionel Jospin und Emmanuelle Béart – haben die Insel Grundstücke erworben.
Sie haben die weiße Insel zur atlantischen Antwort auf Saint-Tropez am Mittelmeer verwandelt. Auch die Bauern stöhnen. Die Steuern für Land und Hof sind so gestiegen, dass viele aufgegeben haben.

Île de Ré: meine Reisetipps
Anreise
Über eine Mautbrücke – wer mit dem Auto oder Womo kommt, zahlt bei der Anfahrt Hin- und Rückreise. Radfahrer können kostenlos die Brücke passieren. Vor der Mautstelle gibt es im Sommer endlos lange Staus. Hier erfahrt ihr die aktuellen Tarife.
Schlafen
Auf der Insel dominieren Ferienwohnungen und -häuser sowie Campingplätze.

Schlemmen
Austern
Die huîtres der Insel findet ihr in allen Lokalen, Cafés und Bars auf der Karte. Ihr könnt sie auch direkt beim Produzenten verkosten – oder im Automatenshop der Huîterie de l’Île rund um die Uhr topfrisch und gekühlt samt Zitrone und Zubehör erwerben.

Wein
Coopérative Vignerons de l’Île de Ré
Zwei Millionen Flaschen füllt die Winzergenossenschaft jedes Jahr ab. Neben Weiß- und Rotweinen gehören auch die prickelnden Tropfen der Marke Trousse Chemise zum Sortiment. Verkosten könnt ihr sie gleich vor Ort.
• Route de Sainte-Marie, 17580 Le Bois-Plage-en-Ré, Tel. 05 46 09 23 09, www.vente-vins-en-ligne.com

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Sehr interessant ist auch die Nachbarinsel Île d’Oléron. Dort findet ihr in Saint-Trojan einen ganz besonderen Hafen!
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Reiseführer Südwestfrankreich*
Der freie Reisejournalist Marcus X. Schmid hat für alle, die gerne auf eigene Faust unterwegs sind, den besten Reisebegleiter verfasst: sachlich, mit viel Hintergrund, Insiderwissen und Tipps, und dennoch sehr unterhaltsam und humorvoll. Ich kann ihn aus ganzem Herzen empfehlen, denn auch in diesem Band zu Südwestfrankreich sind tolle Tipps enthalten. Auch kritische Anmerkungen fehlen nicht. Kurzum: ein Reiseführer, der grundehrlich das Reisegebiet vorstellt – ohne versteckte Promotions.
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Hallo und guten Tag! Danke für den informativen Artikel über die Île de Ré!Auf „Arte“ gibt es von 2015 in der Reihe „zu Tisch in…“ einen Film über ein Paar, das
als „Saunier“ arbeitet. Dieser film ist auf der Mediathek von „Arte“ abrufbar.
Liebe Grüße und vielen Dank für die vielen hervorragenden Reiseberichte über „mein
Frankreich“. Alles Gute für Sie in diesen schwierigen Zeiten. Andrea Pleines
Hallo Andrea, danke für den Tipp! Ich liebe die Beiträge von ARTE! Für alle Mitleser hier einmal der Link: https://www.arte.tv/de/videos/056780-007-A/zu-tisch/
Merci und alles Gute für Sie! Hilke
Hallo,
ja, das ist „meine“ Ile de Ré. Sehr zutreffend und gut beschrieben. Nur die Übersetzung von „Ré la Blanche“ in „Ré der Weißen“ stört mich.
Seit ich als kleiner Junge 1962 erstmals da war komme ich immer, immer wieder.
Hallo Michael, danke für den Hinweise, habe ich gleich korrigiert! Ré, die Weiße, ist korrekt, sorry!!