Simorre – ein Dorf lebt auf
Die hochgesteckten Haare ein wenig zerzaust, die rote Brille auf der Nase, das Glas mit Weißwein in der Hand, steht sie mittags am Tresen des Bouche à Oreille und beäugt mich. „Deine Mütze verrät Dich. Du bist nicht von hier“. Als ich sie erstaunt anblicke, lacht sie und sagt: „Ich kenne hier jeden.“
So schnell ist das Eis gebrochen, klöne ich mit der fremden Frau in einem Café-Bistro in Simorre im Süden des Gers. „Es ist das einzige Lokal des Ortes“, erzählt Agnès Champion, „hier treffen sich alle – das BAO ist das Herz des Ortes.“
Top-Design in der Dorf-Boutique
Auch sie war vor drei Jahren noch fremd hier, eine Städterin aus Toulouse. Doch seit drei Jahren verwandelt sie im Sommer und vor Weihnachten einen ehemaligen Hutmacherladen in eine boutique éphémère, einen Pop-Up-Store von Promethée Humanitaire.
Dort verkauft sie im Juli, August und Dezember Mode von Top-Labels wie Isabel Marant, Lilith Paris, Ekobo, Ipanema und Vanessa Bruno 40 – 70 Prozent günstiger als der stationäre Handel.

Pop-Up-Store fürs Kinderwohl
Die Erlöse kommen dem Kinderhilfswerk Promethée Humainitaire zugute. Sämtliche Kleidung stammt aus Spenden. Das Haus hat ihr ein deutscher Immobilienmakler, der mit dem Verkauf des Hauses beauftragt wurde, kostenlos zur Verfügung gestellt.
Zu zahlen sind von Agnès, Jahrgang 1961, nur die Betriebskosten. Ihr findet das Geschäft an der Place de l’Ancienne Halle von Simorre.
Wehrhafter Glaube
Wenige Schritte entfernt erhebt sich wuchtig die Wehrkirche mit Türmen und Schießscharten über die Fachwerkgassen von Simorre. Die Backsteinkirche aus dem 14. Jahrhundert erhielt von Viollet-le-Duc ihr heutiges Aussehen.
Der Graf „verschönerte“ sie mit Zinnen und senkte ihr Dach ab. Geht auch einmal hinein! Ist es nicht schön, wie das Licht durch die Fenster fällt?
Den Chor schmücken kunstvoll geschnitzte Stühle. In der Sakristei findet ihr noch Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert.
Fachwerk-Flair in alten Gassen
Und danach: rein ins Mittelalter. Rund um die befestigte Kirche säumen Fachwerkbauten und Häuser mit vorspringenden Erkern die malerischen Gassen und lauschigen Plätze. Nostalgische Patina, Schaufensterauslagen von einst.
Wie in meinem Ort ist auch hier zu spüren, dass die Überalterung der Orte, Abwanderung und Großmärkte auf der grünen Wiese die Zentren ländlicher Dörfer und Städte veröden.
Gers statt Roussillon
Doch auch hier gibt es Gegentrends. Allen voran das Bouche à Oreille (BAO) von Arthur (39) und Sévérine (40) Pailhès. Arthur, der das Dorf aus Kinderferien kannte, hatte erst die Provence im Blick, um sich selbstständig zu machen.
„Wir haben uns dann doch gegen das Ocker-Dorf Roussillon entschieden. Dort gibt es zu viel Verkehr, ist alles schon sehr weit entwickelt. Hier können wir noch etwas bewirken.“ Réinventer la campagne, den ländlichen Raum neu beleben, ist sein Ziel. „Ddas funktioniert nur mit den Menschen vor Ort, mit den Bewohnern.“
Neues Leben auf dem Lande
In Simorre erwarb das Paar die Schanklizenz des Mon Café, das als letztes Lokal seine Pforten geschlossen hatte, übernahm Teile des Mobiliars – und richtete in der alten Dorfschlachterei ihr Bouche à Oreille an. Längst wird es nur noch BAO genannt.
Das Café-Bistro mit Terrasse ist das neue Dorfzentrum. Es verkauft Angelscheine, bietet einen Internet-Zugang mit Rechnern und wifi (WLAN) an, führt eine kleine Bibliothek und veranstaltet jeden Sonnabend ab 19.30 Uhr Live-Konzerte.
Das Programm: genreübergreifend. „Doch Jazz läuft am besten – die Leute kennen und lieben Jazz durch das Festival von Marciac!“
Slow Food & Jazz
Arthur, früher als Kulturmanager tätig, und Sévérine, einst Tänzerin, heute kreative Köchin, sind so gut vernetzt, dass nicht nur unbekannte Talente aufspielen, sondern auch Namen, die in der Szene bekannter sind. Und so kommen immer mehr Städter nicht nur aus Toulouse nach Simorre.

2018 wandelte sich daher die Geschäftsform. Die GbR des Paares ist jetzt eine Genossenschaft, für die sich das ganze Dorf jetzt finanziell engagiert. Réinventer la campagne : Simorre macht Hoffnung.
Simorre: meine Reisetipps
Hinkommen
Im Flieger bis nach Toulouse, auf der N 124 gen Westen bis Gimont, auf der D 12 gen Süden bis Simorre, 72 km ab Flughafen.
Schlemmen
Bouche à Oreille (BAO)
Als das letzte Café des Ortes schloss, ergriffen Arthur und Sévérine Pailhès die Initiative, kaufetn das gesamte Interieur und eröffneten ein neues Lokal, das Bistro und Café, Konzertbühne und Kulturzentrum, Dorftreff und Online-Zugang ist: das BOA, wie es nur noch genannt wird. Ab mittags ist es täglich gut besucht. Besonders sonnabends zu den abendlichen Livekonzerten!
• Rue Paul Saint-Martin, 32420 Simorre, Tel. 05 62 05 52 42, https://lebao.fr
Erleben
Chemin des Orchidees
Wilde Orchideen könnt ihr bei dieser 14 km langen Runde entdecken, für die ihr rund drei Stunden Zeit einplanen solltet.
www.tourisme-gers.com
Hier könnt ihr schlafen*
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Im Blog
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Im Buch
Annette Meiser, Midi-Pyrénées*

Annette Meiser, die u.a. die erste müllfreie Schule Deutschlands mitbegründete, hat in Midi-Pyrénées ihre Wahlheimat. Dort lebt und arbeitet sie seit vielen Jahren und bietet erdgeschichtliche und kulturhistorische Wanderreisen an.
Ihre Expertise hat sie auf 432 Seiten zwischen die Buchdeckel eines Reiseführers gepackt. Ihr erstes Buch stellt eine Ecke Frankreichs ausführlich vor, die in klassischen Südfrankreich-Führern stets zu kurz kommt.
Für mich ist es der beste Reiseführer auf Deutsch für alle, die individuell unterwegs sind – sehr gut gefallen mir die eingestreuten, oftmals überraschenden oder kaum bekannten Infos. Wie zum einzigen Dorf Frankreichs, das sich in zwei Départements befindet: Saint-Santin liegt genau auf der Grenze von Aveyron und Cantal. Wer mag, kann den Band hier* direkt online bestellen.
Hilke Maunder, Okzitanien: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade*
Okzitanien ist die Quintessenz des Südens Frankreichs. Es beginnt in den Höhen der Cevennen, endet im Süden am Mittelmeer – und präsentiert sich zwischen Rhône und Adour als eine Region, die selbstbewusst ihre Kultur, Sprache und Küche pflegt.
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Danke für den wunderschönen Flashback. Ich habe mal 6 Monate in Simorre gelebt und vermisse die Zeit immer noch… besonders wenn das Leben wieder mal zu schnell und die Luft zu kalt ist ..
Hallo Bruno, das kann ich total gut verstehen… auch, wenn es hier gerade arg fröstelt. Aber die Sonne ist zurück im Südwesten!
Viele Grüße, Hilke