Gewebte Sonne: die Stoffe des Südens
Diese Stoffe haben den Süden Frankreichs eingefangen. Ihre Streifen sind so rot wie der Piment aus Espelette, so blau wie der Himmel des Midi, so grün wie die Kiefern des Südens.
Die Stoffe sind so orange wie der Ocker des Roussillon, greifen die Töne der Natursteinhäuser im Midi auf, die Farben der kalkigen Bergspitzen, das Lila des Lavendels und das Leuchten der Sonnenblumen auf den Felder des Lauragais.
Sie zaubern des Flair des Midi in jedes Heim, auf jeden Tisch. Und mitunter sind die Stoffe aus dem Süden sogar äußerst tragbar!
Die Stoffe des Südens: meine Favoriten
Boutis : Nadelkunst des Mittelalters
Unzählige Jahre lag die weiße Decke auf meinem Bett, doch erst, als ich in Calvisson ein kleines Museum besuchte, lernte ich die Herstellung dieser berühmten Stoffe kennen. Meine Decke war über und über mit Boutis-Stickerei geschmückt. Bei der Nähtechnik werden doppellagige Stoffe so bestickt, dass sich das Muster als Relief abhebt.
Möglich machen das kleine Polster, die beim Sticken zwischen die beiden Stofflagen geschoben und mit kleinen Stichen umrandet werden. Entstanden ist die feine Nadelkunst bereits im Mittelalter. Heute hält die Maison du Boutis im Département Gard die Handwerkskunst lebendig – und zeigt auf Workshops, wie sie gelingt.
Außergewöhnlich schön ist auch die Sammlung des Museums von Stickereien aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die mit der Vielseitigkeit der Motive, der Feinheit und der Perfektion der Stickerei überraschen. Erfunden wurde die Handarbeit jedoch nicht in Frankreich, sondern auf Sizilien. Um 1395 wurde sie dort erstmals erwähnt.
Aus Sizilien nach Marseille
Sizilianische Stickerinnen brachten die Nadelkunst um 1470 nach Marseille, wo es bis zur Französischen Revolution mehrere Stickereien gab. Ein zweiter Name ist daher auch Broderie de Marseille.
Die aus drei Lagen bestehenden Decken verlangen viele Stunden sorgfältiger Arbeit. Es sind Kunstwerke, die Geduld und Fingerfertigkeit erfordern. Zu den besten Näherinnen solcher Decken zählt Nadine Hanin Rogeret vom Atelier Courtepointe in Pernes-les-Fontaines im Département Vaucluse.
Sie gehört nicht nur zu den besten Quilterinnen Europas, sondern kennt auch ganz genau die Geschichte dieser bemerkenswerten Textilien. Und während sie erzählt, näht sie feinste Boutis-Stickereien, durch deren zarte Stiche das Licht durchscheint. Und wie es für echte Boutis-Arbeiten gehört, haben sie weder eine linke noch eine rechte Seite – und sind weder Knoten noch Fäden zu sehen.
La Maison du Boutis
Boutis-Stickereien gelten seit 2019 als immaterielles und kulturelles Erbe Frankreichs. Das Calvisson-Museum bietet eine einzigartige Sammlung von Boutis aus dem 18. und 19. Jahrhundert.
• 9, place Général de Gaulle, 30420 Calvissons, Tel. 04 66 01 63 75, www.la-maison-du-boutis.fr
Atelier Courtepointe
Nadine Hanin Rogeret zählt zu den besten Quilterinnen Europas und hat nicht nur Feenhände, sondern kennt auch ganz genau die Geschichte dieser bemerkenswerten Textilien. Sie fertigt echte Boutis‐Stickereien, durch deren zarte Stiche das Licht durchscheint und die weder linke noch rechte Seite haben und auf denen weder Knoten noch Fäden zu sehen sind.
• 7, place du Portalet, 84210 Pernes-les-Fontaines, Tel. 04 32 85 07 59, http://boutis.nadinerogeret.free.fr
Les Indiennes: die Farben und Muster Indiens
Um 1648 brachten Handelsschiffe farbig bedruckte Stoffe aus Indien nach Marseille, die ihre Farben beim Waschen nicht verloren, sondern ungleich leuchtender und bunter wirkten. Begeistert machte Madame de Sévigné diese Indiennes am Hof des Sonnenkönigs populär. Indiennes-Manufakturen entstanden in Arles, Avignon und Nîmes, um die rasch steigende Nachfrage für diese auch leicht zu waschenden und zu nähenden Stoffe zu bedienen.
Musée Provençal von Souleiado
Mit Daniel und Stéphane Richard, beide gebürtig aus der Provence, begann die Renaissance der Indiennes. Sie belebten die im Jahr 1939 gegründete Marke Souleiado neu – und machten sie ab 2009 zum Synonym für Indiennes und stylische Mode aus dem Süden.
In einem Stadtpalais aus dem 17. Jahrhundert zeigt Souleiado alte Druckstöcke, Werkzeuge und Beispiele der handbedruckten Stoffe aus seiner Geschichte. Zum Museum gehört ein Archiv mit hunderten Stoffmustern und Zeichnungen. Das Museum spiegelt hautnah und sehr berührend den reichen Schatz des 360 Jahre alten Erbes der provenzalischen Indienneurs-Baumwolldruckereien.
• 39, rue Charles-Deméry, 13150 Tarascon, Tel. 04 90 91 08 80
Toiles de Nîmes: Denim
Im Süden von Frankreich liegt auch die Heimat eines Stoffes, der die Welt erobert: Denim. Bis heute erinnert der Name an die Ursprünge der Stoffe, die über den Hafen von Genua in alle Welt verschifft wurden. Dass verrät der Name jener Hose, die aus den Stoffen geschneidert wurde: Jeans.
Die Toiles du Soleil: die Sonnenstoffe der Katalanen
Fast fünf Jahrhunderte lang gehörte die Heimat der Katalanen im Südwesten Frankreichs zum Königreich Aragón. Erst 1659 fiel es im Pyrenäenfrieden an Frankreich. Doch in den Städten und Dörfern, in der Kunst und der Küche lebt das alte Grenzgebiet seine katalanische Kultur – und bewahrt das jahrhundertealte Kunsthandwerk der Katalanen. Besonders berühmt wurden die farbenfrohen Textilien des Pays Catalan.
Jahrzehnte lang eine Fundgrube für die katalanische Wohnkultur war die Maison Quinta gewesen, die Françoise Quinta in Perpignan geschaffen hatte. 2017 schloss Madame den kultigen Katalanen-Shop.
Seitdem findet ihr die Sonnenstoffe der Katalanen in Perpignan in der Dependance von Les Toiles du Soleil an der Place Léon Gambette bei der Cathédrale Jean-Baptiste.
Gefertigt werden die traditionellen katalanischen Stoffe seit Ende des 19. Jahrhunderts bei Les Toiles du Soleil in Saint-Laurent-de-Cerdans, einem Dörfchen in den Hochlagen der Pyrénees-Orientales im Haut-Vallespir.
1994 entdeckten die Dekorateurin Françoise Quinta und ihr Mann Henri, ein Innenarchitekt, die alte Fabrik. Sie hieß damals noch Sans et Garcerie und webte die Cerdans-Leinenstoffe für die Espadrillas der Tänzer der Sardane. Die finanzielle Lage jedoch war schlecht, ihr droht die Schließung.
Trendige Streifen im Bayadère-Stil
Doch davon ließen sich das Ehepaar Quinta nicht abschrecken. Die Beiden reaktivierten und modernisierten die Produktion, ersetzten die traditionellen Farben der Katalanen durch neue Farbtöne, andere Streifenmuster, veränderte Harmonien – modern, und doch in der Tradition verhaftet.
Typisch für den Bayadère-Stil der Toiles du Soleil sind bunte Querstreifen aller Art. Mal sind sie breit, mal schmal – aber immer in kräftigen Farben. Sonnentöne, eingefangen in Stoff, aber auch dunkles Blau, dezentes Grau und lichtes Grün. 35 Farbtöne, die auch untereinander gemischt werden, stehen zur Auswahl.
Die Fertigungsstätte von Les Toiles du Soleil könnt ihr im Rahmen von Führungen besichtigen. Voilà ein paar Impressionen vom Werkstattbesuch!
Neben dem Fabrikverkauf in Saint-Laurent de Cerdans und dem großen Geschäft in Paris könnt ihr die Sonnenstoffe der Katalanen auch auf der Pariser Lifestyle-Messe maison et objet bewundern. Selbst Australier und Japaner begeistern sich dort für die Stoffe.
Das Exportgeschäft macht mittlerweile bereits rund 40 Prozent des Umsatzes aus. Nicht nur in Paris, sondern auch in Tokio, New York und Moskau ist das Familienunternehmen mit Flagship-Stores und Showrooms vertreten.
Farbe am Fuß
Ebenfalls in Saint-Laurent-de-Cerdans ansässig sind dort Céline und Cécile, die seit mehr als 20 Jahren dort ganz handwerklich Espadrilles fertigen. Die typisch katalanische espadrille heißt la vigatana und ist eng mit den Sardana-Tänzen verbunden.
2008 wurden die beiden beim landesweiten Wettbewerb Concours National des Créateurs d’Entreprise als Talents du Pays Catalan ausgezeichnet. 2010 folgte die Bronzemedaille.
Von April bis Anfang Oktober führen sie jeden donnerstags um 15 Uhr durch ihren Betrieb Création Catalane.
• Chemin du Baynat d’en Pouly, Tel. 04 68 54 08 68, www.espadrille-catalane.com
Die Fête de l’Espadrille
Im Juli feiert das Bergstädtchen die traditionellen Schuhe mit der Fête de l’Espadrille. Auf der Place Gabriel Péri laden die Toiles du Soleil zur Grande Braderie, die Création Catalane zur Fabrikbesichtigung. Ein katalanischer Traditionsmarkt gehört ebenfalls zu Fest wie Tanz und Musik.
Mit dabei sind die Petits Danseurs Catalans de St-Laure, Els Tirons, El Grup de Montgri Dansa und Batucada Els Xirois und Bekannte Tanzgruppen aus dem Roussillon führen den Reigentanz Sardane auf.
Textilerbe des Pays d’Olmes
Nicht nur bunte Streifen, sondern auch die berühmten rot-weißen französischen Karostoffe werden in und rund um Lavelanet im Pays d’Olmes des Départements Ariège gewebt, wo ein Textilmuseuman diese Tradition erinnert.
Im Mittelalter hatte fast jede Familie zu Hause einen Webstuhl. Tissages Cathares hält die alte Webertraditioin seit fünf Generationen lebendig. Ihre Stoffe tragen den Namen von Katharer-Hochburgen – denn die Katharer waren geachtete Weber.
Die Streifenstoffe aus Baskenland und Béarn
Lartigue 1910
Auch zwischen Saint-Jean-de-Luz bis zu den Bergspitzen der Pyrenäen schmücken bunte Streifen die Textilien des Pays Basque, des französischen Baskenlandes. Die Stoffe sind ebenfalls sehr robust. 5.500 Fäden wandern in pro Meter in einen 1,80 Meter breiten Stoffballen, wie er bei Lartigue 1910 auf den Rollen liegt. Der Firmenname verweist auf das Gründungsjahr.
Bis heute produziert Lartigue 1910 in seiner baskischen Heimat mit Fabriken von Ascain und Bidos. Seine berühmten Streifen zieren nicht nur Tischwäsche und Haushaltstextilien, sondern längst auch Espadrilles und kuschelige Handtücher.
Tissage de Luz
Die Farben des Baskenlandes vereint die Weberei Tissage de Luz in ihren Stoffen. Mehr als 50 Farbtöne kennen ihre Textilien, die 100 Jahre halten soll, so das Versprechen des Traditionsbetriebs aus Espelette. Sein Sortiment: Tischwäsche, Taschen, Kissenbezüge, Liegestuhlstoff und Steppdecken
Tissage Moutet
Nur wenig jünger ist die Tissage Moutet, das 2019 sein 100-jähriges Bestehen in Orthez (Béarn) als „handwerkliche und französische Weberei“ feierte. Seine Geschirrtücher sind Kult! Und beim Fabrikverkauf in Orthez günstiger als in trendigen Design- und Dekoboutiquen zu erhalten.
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Im Tal des Tech sind in ein ehemaliges Textilwerk lauter Kreative mit ihren Werkstätten, Ateliers und Boutiquen gezogen.