Tarascon: die eingedeichte Drachenstadt
Tarascon ist ein kleiner Ort an der Rhône, noch immer ein wenig abseits vom touristischen Fokus. Und doch eine Entdeckung wert. Seine Lage an der Rhône ist wunderschön, seine Innenstadt noch herrlich authentisch und herrlich provinziell, pardon, provenzal. Mit Tartarin schuf Alphonse Daudet den Urtyp eines südfranzösischen Hinterwäldlers.
Legendär wurde auch die Tarasque von Tarascon. Das menschenfressende Monster halb Mensch, halb Tier, lebte einst in den Ufern der Rhône und verschlang dort jeden, der dort entlang kam. Heute versteckt es sich, gut gesichert, in einem dunklen Schaukasten unter den Arkaden der Place du Marché.
Nur im Sommer, wenn die Stadt an der ViaRhôna ihre Fête de la Tarasque feiert und der Drache beim Umzug durch die Straßen getragen wird, darf das Ungeheuer sein Gefängnis verlassen. Mit roter Zunge, grünem Kopf und pechschwarzen Haaren zieht es durch die Gassen der alten Stadt.
Hoch über der Rhône sonnt sich an der Flutmauer eine zweite Tarasque, groß aus hartem Stein geschlagen, nur einen Steinwurf entfernt von der Kirche, die der Heiligen geweiht ist, die das Monster bezwang: Sainte-Martha. Allein mit Weihwasser und Keuschheit soll die Jungfrau diese ungeheure Tat begangen haben.
Der gezähmte Drache
60 tapferen Männern, die zuvor versucht hatten, die Tarasque zu besiegen, war die Zähmung nicht gelungen. Die Hälfte von ihnen wurde vom Feuerstrahl des Drachen verbrannt, Die Restlichen flüchteten – froh, den Kampf überlebt zu haben. Der Drache ist heute im Stadtwappen verankert, der siegreichen Sainte-Martha die Stiftskirche von Tarascon geweiht.
Drinnen zeigt ein Gemälde hinter der Kanzel, wie die Heilige Martha die Tarasque mit dem Kreuzzeichen bannte und den Einheimischen zur Steinigung zuwarf. Charles André van Loo hat es gefertigt. Die Gebeine der Sainte-Martha ruhen in der Krypta in einem vergoldeten Reliquiarum.
Die Heimat von Tartarin
Frankreichweit berühmt wurde die antike Handelsniederlassung auch durch einen Schriftsteller: Alphonse Daudet wählte Tarascon als Heimatstadt von Tartarin. Als beliebte literarische Figur führte der gewiefte Südfranzose ab 1872 mit seinen Prahlereien andere hinters Licht.
Alphonse Daudet hegte recht zwiespältige Gefühle gegenüber Tarascon. Jedes Mal, wenn er das Städtchen betrat, so soll der provenzalische Dichter im Zuge eines Gerichtsstreits zu Protokoll gegeben haben, hätte er dieses Gefühle der Verlegenheit gespürt.
Von dem Moment an, als die hohen hellen Türme des Château René vor ihm auftauchten, bis zu dem Moment, als er sie hinter sich ließ, habe er sich in Tarascon unwohl gefühlt, so Daudet. Und doch hat er den Namen der verschlafenen provenzalischen Stadt in drei Romanen im späten 19. Jahrhundert fast so berühmt gemacht, wie er es im im 15. Jahrhundert unter ihrem legendären König gewesen war, dem Bon Roi René.
Verhasst und verboten
Doch die Bewohner von Tarascon waren von der plötzlichen Berühmtheit eher peinlich berührt und verärgert als erfreut. Sie fühlten sich verkannt, beleidigt und der Lächerlichkeit preisgegeben. Zumal der Schauplatz der Mützenschießereien, die Daudet im Werk urkomisch als eine der Heldentaten des berühmten Tartarin niederschrieb, rund 25 Kilometer entfernt auf der anderen Seite der Rhône lag.
Daudet indes hatte bei der Wahl des Ortsnamen keinerlei Gedanken an die Bewohner der Stadt verschwendet. Ihm hatte einzig gefallen, wie der Name klang – und rollte wie der Lauf der Rhône. Den Zorn bekam Daudet dennoch zu spüren. Das Buch wurde verboten und mit einem Verkaufsverbot belegt. Die Jahre vergingen, das Werk wurde legendär. Und Zugpferd für den Tourismus, der heute mit den Abenteuern von Tartarin selbst Kreuzfahrtgäste nach Tarascon lockt.
Im Cloître des Frères Mineurs erfahrt ihr mehr. Der Renaissance-Kreuzgang aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gehörte dem Kloster, das vom Orden der Minderbrüder gegründet wurde. Heute werden in seinen gewölbten Galerien das ganze Jahr hindurch Ausstellungen gezeigt.
Ebenfalls im Kreuzgang befindet sich der Espace Tartarin, der Szenen aus Alphonse Daudets berühmtem Roman Tartarin de Tarascon zeigt: das Cabinet des curiosités de Tartarin (Kuriositätenkabinett) und den Salon von Madame Bézuquet.
Dort erfahrt ihr alles über den heldenmütigen Rentner, der auf Löwenjagd gehen wollte. Zwar wurde er bei der Überfahrt, wie auch beim Kamelritt, seekrank. Doch zurück kehrte er wahrhaftig mit einem erlegten (wenngleich blinden und lahmen…) Löwen. Und Tarascon bereitete ihm einen rauschenden Empfang.
Provenzalische Lebensart
Der nächste große Name, den alle Franzosen mit Tarascon verbinden, heißt Souleïado. Seit zwei Jahrhunderten residiert die Textilmanufaktur mitten in der Altstadt im prachtvollen Stadtpalais Hôtel d’Ayminy.
Dort erzählt heute ein Museum die Geschichte der Stoffherstellung in der Provence und gewährt Einblicke in die Produktion der berühmten Stoffe. Der Museumsbesuch ist eine faszinierende Zeitreise und lässt hautnah neben der Firmengeschichte auch das Landleben der Provence von einst aufleben.
Im Innenhof serviert eine Teestube Getränke und Kuchen auf Souleïado-Decken. In der Boutique gibt es Souleïado zum Tragen für sie und ihn.
Zum Sortiment gehören seidenfeine Baumwollhemden und Kleider und Mode, die mit Farbe, Mut zu Mustern und schlicht-raffinierten Schnitten wie ein Sonnenstrahl die Lebensart der Provence in alle Welt bringt.
Die Burg des guten Königs
Im großen Bogen laufen wir durch Gassen mit hell verputzten Fassaden und Fensterläden in den typischen Farben der Provence zurück zu einer Trutzburg, die der beliebteste Herrscher des Südens bewohnt hat: le bon roi Réné.
Seit dem 15. Jahrhundert sicherte die imposante Wehrburg am Ufer der Rhône die damals noch unabhängige Provence vom Einflussbereich des französischen Königs ab.
Vorbei an Sälen, die Christian Lacroix mit rotem Teppich ausgelegt hat, auf denen sich Vögel und andere Tiere im tiefen Schwarz tummeln, steigen wir ausgetretene Treppen hinauf zur Dachterrasse.
Was für ein Ausblick! Gen Osten die Kalksteinspitzen der Alpilles, gen Westen am anderen Ufer der Rhône, und damit im Languedoc, das Städtchen Beaucaire, gen Norden und Süden die sanften Bögen der Rhône. Schuten und Tanker passieren auf dem Strom.
Ausflugsschiffe von Mireio machen am Kai fest. Und auch Flussschiffe unterbrechen dort immer häufiger ihre Kreuzfahrt. Tarascon ist im Kommen. Es gibt viel zu entdecken!
Künstler-Freunde
Dass die südfranzösische Rhônestadt eine norddeutsche Freundin hat, erfuhr ich per Zufall von meiner Freundin Claudine, mit der ich auf der ViaRhôna unterwegs war.
Im Hôtel de Provence entdeckte sie das Wappen ihrer Heimatstadt. Und das Werk eines Mannes, der zu den besten Freunden ihres Bruders gehörte: Anders Petersen aus Elmshorn.

2005 war der freie Künstler, dessen Arbeiten die klassischen Genres sprengen, nach Tarascon gekommen und hatte dort seine Werke im Kreuzgang des ehemaligen Franziskanerklosters gezeigt. Und im Zuge der Städtepartnerschaft mit Elmshorn einen fruchtbaren künstlerischen Austausch mit Françoise Vadon begonnen.
Inzwischen hat die Künstlerin aus Tarascon ihre Arbeit mehrfach im Großraum Hamburg gezeigt, und Anders Petersens Werk ist regelmäßig in Tarascon zu sehen.
Meine Reisetipps: Tarascon
Schlemmen
Tailles de Bon
So zartes Stierfleisch habe ich bislang nirgends gegessen! Und das Ambiente ist einfach wundervoll: im Sommer im Garten, im Winter in einem fast opernartig opulent gestalteten Gastraum, urgemütlich und kuschelig.
• 1, place du Colonel Berrurier, 13150 Tarascon, Tel. 04 90 91 47 74, www.facebook.com/taillesdebon
Bistro des Anges
Gehobene Hausmannskost in für Frankreich recht großen Portionen, lokale Weine und schönes Ambiente drinnen wie draußen.
• 20, Place du Marché, 13150 Tarascon, Tel. 04 90 91 05 11, www.facebook.com
Le Comptoir des Gourmets
Sehr gut sortiertes Feinkostgeschäft mit Bistro am Bahnhof. Serviert werden planchettes, kleine kalte Platten, mit charcuterie, Käse oder rein vegetarisch. Mittags gibt es frische Hausmannskost mit Vorspeise, Hauptgang und Dessert zum günstingen Preis.
• 18, place du Colonel Berrurier, www.facebook.com/lecomptoirdesgourmets

SERVICE
Tarascon ist eine Etappe an der Fernradroute ViaRhôna. Unterkünfte für Radfahrer tragen dort das Siegel Accueil Vélo.
Rund ums Rad
Technicycles
Verkauf, Verleih und Reparatur von Fahrrädern
• Rue des Charpentiers, 13150 Tarascon, Tel. 04 90 93 14 10, https://technicycles.fr
Offizielles Stadt- und Tourismus-Portal von Tarascon: www.tarascon.fr
Schlafen
Hôtel de Provence
Geräumige, typisch provenzalisch eingerichtete Zimmer am mit Platanen bestandenen Altstadtring – die Räume im Obergeschoss haben wunderschön große Terrassen!
• 7, bd. Victor Hugo, 13150 Tarascon, Tel. 04 90 91 06 43, www.hotel-provence-tarascon.com
Noch mehr Betten*
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Im Blog
Den Ort Tarascon gibt es in Frankreich mehrmals. Zur Unterscheidung nennt sich das Tarascon im Département Bouches-du-Rhône auch Tarascon-en-Provence oder Tarascon-sur-Rhône. Die Stadt Tarascon am Ufer der Ariège im gleichnamigen Département habe ich hier vorgestellt.
Im Buch
Xavier-Marie Bonnot, Im Sumpf der Camargue*
Packt beim Besuch von Tarascon einen Krimi mit ins Gepäck, den ich in nächtlichen Stunden verschlungen habe: Im Sumpf der Camargue* von Xavier-Marie Bonnot. Tarascon und seine Tarasque sind dort das Thema.
Der zweite Fall des Marseiller Kripomannes Michel de Palma, der vom Milieu seiner Heimat nur le baron genannt wird, gehört zu den besten französischen Krimis, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Spannend, überraschend, kenntnisreich in der Region verwurzelt – ein Lesevergnügen bis zur letzten Seite! Wer mag, kann den Krimi hier* als gebundenes Buch online bestellen. Das E-Book gibt es hier*.
Den ersten Fall von Commissaire Michel de Palma habe ich euch in meinem Blogbeitrag zum Krimiland Frankreich vorgestellt.
Klaus Simon, Hilke Maunder, Roadtrips Frankreich*
Das zweite gemeinsame Werk mit Klaus Simon stellt euch die schönsten Traumstraßen zwischen Normandie und Côte d’Azur vor. 14 Strecken sind es – berühmte wie die Route Napoléon durch die Alpen oder die Route des Cols durch die Pyrenäen, aber auch echte Entdeckerreisen wie die Rundtour durch meine Wahlheimat, dem Fenouillèdes.
Von der Normandie zur Auvergne, vom Baskenland hin zu den Stränden der Bretagne und dem wunderschönen Loiretal laden unsere Tourenpläne ein, Frankreich mobil zu entdecken – per Motorrad, im Auto, Caravan oder Wohnmobil. Hier* gibt es das Fahrtenbuch für Frankreich!
* Durch den Kauf über den Partner-Link, den ein Sternchen markiert, kannst Du diesen Blog unterstützen und werbefrei halten. Für Dich entstehen keine Mehrkosten. Ganz herzlichen Dank – merci !
Chère Hilke,
danke für den schönen Bericht. Ich war zwar schon ein paarmal in Tarascon, nehme den Artikel aber zum Anlass, die Stadt und die Zwillingsstadt Beaucaire auf dem Rückweg aus Catalunya (den ich auch wieder mit ein paar Tagen in der Provence verbinden will) erneut zu besuchen und auch in eines der von dir empfohlenen Restaurants einzukehren..
Lieber Johannes, merci! Ich wünsche Dir einen wundervollen Aufenthalt beim Rückweg aus Catalunya! Herzlich, Hilke
Wie immer hervorragend recherchiert und packend erzählt mit verführerischen Bildern und praktischen Hinweisen garniert. Mieux ne va plus! Ein herzliches MERCI. (Denis Sarlin)
Merci, lieber Denis! Frankreich macht es mir leicht – es gibt einfach viel zu viel dort zu entdecken! Herzliche Grüße nach DD!
Beau reportage sur la jolie et méconnue ville de Tarascon! A bientôt j’espère chère Hilke pour un apéritif à l’ombre des platanes.
Et merci d’être venue hier soir au vernissage de l’exposition avec Anders Petersen à Elmshorn.
Chère Françoise,
j’étais ravie de faire votre connaissance! Vos œuvres m’ont plu beaucoup, et j’espère qu’on se revoit à Tarascon. Et/ou à Elmshorn!