Die Rue de Tolbiac. Foto: Hilke Maunder
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Tolbiac: der junge Osten von Paris

Mit den spektakulären grands travaux der Ära Mitterrand begann die Renaissance des lange benachteiligten Pariser Osten. Am Nordufer der Seine wurde Bastille, Belleville, Ménilmontant und Oberkampf zu In-Adressen für Trendsetter. Seit einigen Jahren zieht das Südufer nach.

Tolbiac: Terrain für Krimis

Tolbiac: Street Art ist allgegenwärtig. Foto: Hilke Maunder
Tolbiac: Street Art ist allgegenwärtig. Foto: Hilke Maunder

Besonders Tolbiac erlebt eine extremen Struktur- und Imagewandel seit der Millenniumswende. Hier entsteht Zukunft: nachhaltig, smart, kosmopolitisch. Das macht Tolbiac schon heute sehr branché, angesagt und trendy.

Noch vor wenigen Jahren war es den französischen Schulkindern einzig als Ort bekannt, wo Chlodwig im Jahr 496 die Alemannen besiegte. Krimi-Leser kannten Tolbiac aus den Werken von Georges Simenon und Léo Malet.

Tolbiac: Street Art in der Rue de Chevaleret
Tolbiac: Street Art in der Rue de Chevaleret

Der Belgier Simenon ließ seinen wortkargen, Pfeife rauchenden Kommissar Maigret, dem u. a. Heinz Rühmann, Charles Laughton und Jean Gabin im Film Gestalt verliehen, gern im 13. Pariser Arrondissement knifflige Fälle lösen.

Auch Kultautor Léo Malet schickte seinen Privatdetektiv Nestor Burma in „Die Brücke im Nebel“ zu den flics, Halbweltdamen und Ganoven des Viertels.

Viele neue Wege in Tolbiac sind grün - und verlaufen abseits vom Verkehr. Foto: Hilke Maunder
Viele neue Wege in Tolbiac sind grün – und verlaufen abseits vom Verkehr. Foto: Hilke Maunder

Paris Rive Gauche

Auf den einstigen Hafen- und Industrieflächen zwischen dem Gare d’Austerlitz und der Stadtgrenze von Ivry-sur-Seine entsteht seit den 1990er-Jahren auf 130 Hektar nach Plänen von Christian de Portzamparc das neue Paris Rive Gauche mit 8 Hektar Grünanlagen, Bürogebäuden mit 60.000 Arbeitsplätzen und Wohnungen für 15.000 Menschen.

Zur Jahrtausendwende fertiggestellt wurde der dreistöckige Untergrundbahnhof Bibliothèque François Mitterrand. Die oberirdisch verbliebenen Gleise verdeckt die größte Pariser Betonplatte. Vom U-Bahnhof fährt die MétéorMétrolinie 14 in wenigen Minuten ins Zentrum.

Ein Buch aus Glas

Oberirdisches Wahrzeichen des neuen Pariser Ostens ist die Nationalbibliothek, ein Bau der Superlative von Dominique Perrault. Perrault wollte auch hier lieber Landschaften als Gebäude schaffen. Er gruppierte daher seine vier 78 m hohen Türme aus Glas und Stahl um einen großen Garten mit Tannen, Eichen und Birken aus der Normandie.

Ihre Silhouette gleicht einem aufgeschlagenen Buch. Nicht nur die Türme, sondern auch der Garten symbolisiert – in Analogie zum Garten Eden – den Griff zum Wissen. Jenes ist hier so reich gespeichert wie sonst nur noch in Washington und London.

Die Bibliothèque nationale de France, kurz auch BnF, gehört neben der British Library und nach der Kongressbibliothek in Washington zu den größten Bibliotheken der Welt.

Auf 430 Regalkilometern lagert jede französische Neuerscheinung seit 1945: 30 Millionen Werke – 150.000 kommen jedes Jahr hinzu. Die kostbarsten Schriften ruhen klimatisiert im Betonsockel und Erdinnern.

Die Bestände in den Türmen werden mit Mehrfachverglasung in isolierten Containern bei konstanter Temperatur und Luftfeuchtigkeit gehalten.

Baden auf der Seine

Mens sana in corpore sano wussten bereits die Römer, und entspannten sich nach dem Studium mit Sport. Macht es wie sie – und viele Pariser! – und schwimmt zu Füßen der Nationalbibliothek einige Bahnen nicht in, sondern auf der Seine!

Fitness-Studio, Sauna sowie Liegeflächen zum Sonnen runden das Wohlfühlangebot des Schwimmpontons Piscine Josephine Baker ab. Bei Regen wird das Glasdach geschlossen. Dienstags und donnerstags könnt ihr bei den Nocturnes bis 23.00 Uhr kraulen.

Musikbars am Kai

Danach geht es im Sommer zu den Guinguettes am Kai, fest vertäuten, schwimmenden Musikbars mit Tanzflächen. Le Petit Bain, La Dame de Canton und El Alamein sind beliebte Schiffe zum Feiern.

Die sanft geschwungene Fußgängerbrücke Passerelle Simone de Beauvoir führt von der Nationalbibliothek hinüber zu den Bars und Cafés von Bercy Village.

Kaderschmiede der Kreativen

Dem Zoll- und Lagerkomplex Magasins Generaux, den Georges Morin-Goustiaux 1907 für den Hafen von Paris am Seineufer errichtet hatte, verpassten Dominique Jakob und Brendan MacFarlane eine knallige, neongrüne Plug-Over-Konstruktion aus Stahl.

Für Ex-Präsident Nicolas Sarkozy nur „das grüne Ding“, ist der Komplex als Cité de la Mode et du Design Ausbildungs- und Ausstellungsstätte der Pariser Kreativindustrie.

Das renommierte Institut Français de la Mode (IFM) bildet den Mode-Nachwuchs aus und zeigt bei Modeschauen Entwürfe seiner Schüler.  ART LUDIQUE Le Musée lädt zur Zeit- und Weltreise durch kreative Szenen von Manga bis zum Videospiel. Die Szene-Bars Wanderlust, Les Amarres und Cafüé OZ sorgen mit ausgefallenen Events und Themenabenden für Abwechslung im Pariser Nachtleben.

Der stylische Imbiss DAD Hot-Dog et Bonne Humeur stillt den Hunger mit Street Food. Und während des Festival de Design du Grand Paris, dem Off-Festival Now! der Paris Design Week und bei den D’Days beweisen die Pariser Kreativen bei Ausstellungen, Installationen, Workshops, Konferenzen und Feste, dass die Dynamik von Paris inspiriert.

Noch mehr Ikonen der Architektur

Weitere Hafenbauten wie die Grands Moulins de Paris und die Halle aux Farines integrierte Rudy Riciotti in den Campus der Université Paris VII – Denis Didérot.

Auch die beiden einzigen Gebäude, die Le Corbusier in Paris geschaffen hat, findet ihr in diesem Viertel die vom Kubismus geprägte Maison Planeix (26, boulevard Masséna) von 1927 und die Cité du Refuge, das Übernachtungsheim der Heilsarmee (12, rue Cantagruel) von 1933.

uch eine Blumenliebhaberin hat in Tolbiac ihr Hausboot festgemacht. Foto: Hilke Maunder
uch eine Blumenliebhaberin hat in Tolbiac ihr Hausboot festgemacht. Foto: Hilke Maunder

Aus Kuben zusammengesetzt, wurde es Vorbild für jene Pariser Einheitssiedlungen, die später in beträchtlichen Dimensionen in der Seinemetropole aus dem Boden gestampft wurden.

Im Viertel verewigt hat sich auch Christian de Portzamparc. Er schuf 1975-1979 in der Rue des Hautes-Formes weiße Wohnhäuser mit Sozialwohnungen. Jean Nouvel und Jean-Marie Duthilleul haben die Gare d’Austerlitz fit für TGV-Züge gemacht. Von dort sprinten die Hochgeschwindigkeitszüge auch nach Tours und Bordeaux mit bis zu 350 km/h.

Die Kunst der Kühllager

Das 1921 von der SNCF errichtete Kühlhaus für die Warenladungen der Pariser Märkte ist seit 1985 nach Jahren der Hausbesetzung offiziell geduldetes Domizil von 200 Malern, Bildhauern, Grafikern, Musikern, Schauspielern und anderen Künstlern, die in Les Frigos Ausstellungen und Konzerte organisieren und ihre Ateliers bei den Portes Ouvertes öffnen.

Erbe und Aufbruch, vereint an den Kais der Seine bei Tolbiac. Foto: Hilke Maunder
Erbe und Aufbruch, vereint an den Kais der Seine bei Tolbiac. Foto: Hilke Maunder

Tolbiac: meine Tipps

La Dame de Canton

Nach dem Dîner erklingen Zigeunerjazz, Chanson und Salsa an Bord der chinesischen Dschunke. Am Wochenende legt abends der DJ auf.
• Port de la Gare, Tel. 01 53 61 08 49, www.damedecanton.com

Wanderlust

Tagsüber ist die 1600 qm große Terrasse an der Seine  Terrain für Yoga-Kurse, Workshops für Kinder, Mode-Events und Ausstellungen. Abends wandelt sie sich zur angesagten Ausgeh-Adresse, in der die besten DJs der Stadt die Nacht zum Tag machen und  „Top Chef“-Gewinner Benjamin Darnaud für Gaumenfreunde sorgt.
• 32, quai d’Austerlitz (13 . Arr.), Tel. 06 79 12 08 80, www.wanderlustparis.com

Die einstige Bahnhofshalle birgt heute einen riesigen Foodcourt. Foto: Hilke Maunder
Die einstige Bahnhofshalle, die Eugène Freyssinet in Tolbiac für den Güterverkehr konstruiert hatte, birgt heute den riesigen Foodcourt der Station F. Foto: Hilke Maunder

Station F

Der Bahnhof Gare du Freyssinet ist seit dem Umbau der weltgrößte Start-Up-Campus. Mit mehr als 1000 Gründern ist die Startup-Dichte dort höher als im Silicon Valley, sagt Xavier Niel.

Der Gründer von Minitel und Free hat 250 Millionen Euro in den Umbau investierte. Finanziert und betrieben wird die Station F mit Niels privater Programmierhochschule École 42 und Industrie- und IT-Partnern. Der Staat und die Stadt Paris unterstützten das Projekt.
• https://stationf.co

Arbeit und Geselligkeit vereint: Station F. Foto: Hilke Maunder
Arbeit und Geselligkeit vereint: Station F. Foto: Hilke Maunder

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Im Blog

Alle meine Paris-Beiträge sind in dieser Kategorie vereint.

Im Buch

Baedeker Paris 2018

Meinen Baedeker „Paris“*  gibt es seit 4. Oktober 2023 in der komplett aktualisierten und mittlerweile 20. Auflage!

„Tango unter freiem Himmel: Die Stadt der Liebe: Der neue Reiseführer ‚Paris‘ zeigt – neben Sehenswürdigkeiten – besondere Orte für Höhenflüge, romantische Momente wie ‚Tango unter freiem Himmel‘ und unvergessliche Dinners. Dazu gibt’s viele Kulturtipps…“  schrieb die Hamburger Morgenpost über meinen Paris-Führer.

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