Pascal Prunet entwarf den neuen Palais de Justice, der 2008 im Carmes-Viertel von Toulouse seinen Betrieb aufnahm. Foto: Hilke Maunder
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Jean Calas – cause célèbre des 18. Jahrhunderts

Aufs Rad geflochten – so wurde Jean Calas am 9. März 1762 hingerichtet. Der Tuchhändler aus Toulouse war Opfer eines Justizmordes geworden. Die berühmteste cause célèbre des 18. Jahrhunderts – am 13. Oktober 1761 begann sie.

Monsieur und Madame hatten mit den beiden Söhnen Marc-Antoine und Pierre sowie ihrem Gast Gaubert Lavaysse das Dîner beendet, als sie um 22 Uhr eine Leiche entdeckten: Marc-Antoine Calas, erdrosselt im eigenen Heim. Welcher Fremde hat ihm dieses Leid angetan? Doch dann entdeckte der Arzt unter der Krawatte des ältesten Sohnes Spuren einer doppelten Strangulation.

Mord oder Selbstmord durch Erhängen? Familie Calas, ihr Gast Gaubert und das Dienstmädchen Jeanne Viguière, eine gute Katholikin, wurden des Mordes angeklagt.

Die Haltung der Familie war in der Tat verdächtig, gab sie doch nach dreitägigem Verhör zu, Marc-Antoine losgelöst zu haben, um den Selbstmord zu vertuschen. Denn Selbstmördern drohte être traîné sur la claie. Sie wurden, das Gesicht unten im Dreck, vor den Augen des Volks von einem Pferd durch die Straßen gezogen und auf den Müll geworfen.

Die Calas waren überzeugte Protestanten. Bis auf den Sohn Louis, der zum Katholizismus übergetreten war. So wurde Jean Calas schließlich beschuldigt, Marc-Antoine ermordet zu haben, um auch dessen Übertritt zum Katholizismus zu hindern.

Aus Mangel an Beweisen ließ der Ankläger des Königs, Charles Laganne, am 17. Oktober 1761 Umfragen im Wohnviertel zu –  und damit Klatsch zur Feststellung von Schuld.

Am 9. März 1762 wurde Jean Calas verurteilt. Bereits am Folgetag wurde er auf der Place Saint-Georges bei lebendigem Leibe auf dem Rad gebrochen, erwürgt und zwei Stunden später verbrannt.

Sein Sohn Pierre wurde lebenslang verbannt – und traf im Genfer Exil Voltaire. Mit seiner Schrift Traité sur la tolérance* (1763) setzte er sich für Calas’ Rehabilitierung ein. 1765 wurde Calas posthum freigesprochen.

Auf den Spuren von Calas

Adresse

50, Rue des Filatiers (früher: Nr. 16), 31000 Toulouse

ÖPNV

Métro: B, Haltestelle: Carmes, Bus: L4, Haltestelle: Carmes

Vom Finanzamt zur Kirche

Nicht in der Kirche ( église ), sondern Tempel ( temple ) treffen sich in Frankreich die Protestanten zum Gottesdienst. In Toulouse baute Léon Daures 1908-11 das einstige königliche Finanzamt im Stil der Neogotik zum Temple du Salin um.
• 4, Impasse de la Trésorerie, 31000 Toulouse.

Web-Tipp

Das Portal UrbanHist bietet euch die Möglichkeit, das Erbe von Toulouse online zu entdecken, zu besichtigen und gleichzeitig weiterführende Recherchen anzustellen.  Dazu ist das Angebot vorstrukturiert nach Themenbereichen wie Bords de la Garonne, Murmures d’Eau oder Toulouse Gourmande.

In der Rubrik Objectif Grand Angle  könnt ihr 21 Stätten in 360°-Ansichten entdecken  – von der Place du Capitole und der Place Saint-Sernin über Bazacle und Port Viguerie bis zum japanischen  Garten, dem Observatorium von Jolimont oder dem Landgut von Candie.
www.urban-hist.toulouse.fr

Das Portal UrbanHist von Toulouse
Das Portal UrbanHist von Toulouse. Copyright: Stadtarchiv Toulouse

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Im Blog

Toulouse habe ich im Blog schon häufig vorgestellt. Klickt hier!

Im Buch

In der Reihe “111 Orte” des emons-Verlags habe ich so viele Kilometer durch Toulouse zu Fuß zurückgelegt, dass meine Lieblingsschuhe danach reif für die Tonne waren. Bei meinen Recherchen entdeckte ich viele Stätten, die Öffnungszeiten ausgeliefert sind – und einfach einzigartig sind.

Mein Stadtführer stellt sie vor. Er ist nicht nur auf Deutsch erhältlich, sondern auch in einer Ausgabe auf Französisch.

Auf seinen 240 Seiten findet ihr 111 Orte und Adressen, die selbst eingefleischte Toulouse-Kenner vermutlich noch nicht kennen. Stadtperlen, zu denen keine Hinweisschilder führen. Kleinode, die noch ein kleines Geheimnis bergen.

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Okzitanien ist die Quintessenz des Südens Frankreichs. Es in den Höhen der Cevennen, endet im Süden am Mittelmeer – und präsentiert sich zwischen Rhône und Adour als eine Region, die selbstbewusst ihre  Kultur, Sprache und Küche pflegt. Katharerburgen erzählen vom Kampf gegen Kirche und Krone, eine gelbe Pflanze vom blauen Wunder, das Okzitanien im Mittelalter reich machte.

Acht Welterbestätten birgt die zweitgrößte Region Frankreichs, 40 grands sites – und unzählige Highlights, die abseits liegen. 50 dieser Juwelen enthält dieser Band. Abseits in Okzitanien: Bienvenue im Paradies für Entdecker!  Hier* gibt es euren Begleiter.

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Annette Meiser, die u.a. die ers­te müll­frei­e Schu­le Deutsch­lands mitbegründete, hat in Midi-Pyrénées ihre Wahlheimat. Dort lebt und arbeitet sie seit vielen Jahren und bietet erdgeschichtliche und kulturhistorische Wanderreisen an.

Ihre Expertise hat sie auf 432 Seiten zwischen die Buchdeckel eines Reiseführers gepackt. Ihr erstes Buch stellt eine Ecke Frankreichs ausführlich vor, die in klassischen Südfrankreich-Führern stets zu kurz kommt.

Für mich ist es der beste Reiseführer auf Deutsch für alle, die individuell unterwegs sind – sehr gut gefallen mir die eingestreuten, oftmals überraschenden oder kaum bekannte Infos. Wie zum einzigen Dorf Frankreichs, das sich in zwei Départements befindet: Saint-Santin liegt genau auf der Grenze von Aveyron und Cantal. Wer mag, kann den Band hier* direkt online bestellen.

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2 Kommentare

  1. Liebe Hilke,

    hurra, dieser Führer kommt wie gerufen! Unser Häuschen liegt ca. 60 km von Toulouse entfernt. Wir waren schon oft in der Stadt und glauben, vieles zu kennen (z.B. die „Kapitalen Bilderwelten im Rathaus“). Aber ganz sicher können auch wir noch viel Neues erfahren. Schade, dass das Buch erst nach unserem diesjährigen Frankreichurlaub erscheint – aber es wird danach natürlich sofort über diesen Link gekauft. Ich freu mich schon drauf!

    1. Hallo, ja, das ist schade. Aber ich denke, ihr werdet durch euer Haus noch öfter in Toulouse sein ich wünsche euch ganz viel Freude beim Entdecken. Herzliche Grüße, Hilke

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