Irouléguy: wo der Tannat König ist
Lang ziehen sich in Irouléguy die grünen Streifen zwischen Himmel und Erde. Auf Terrassen erklimmen sie steile Hänge mit Glimmerschiefer, rotem Sandstein, Keuper und Kalk.
Irouléguy: Der rote Baske
Rote Rosen wachen vor den Reihen mit uralten Stöcken im Vorland der Pyrenäen. Bereits seit der Römerzeit wird in dieser versteckten Südostecke von Südwestfrankreich Wein angebaut.
Geschützt vor den kalten Nordwinden, reifen am Spalier vor allem rote Trauben wie Achéria, wie die Basken ihren Cabernet Franc nennen, und Cabernet Sauvignon. Doch vor allem Bordeleza, Tannat. Keine andere Traube entwickelt so viel Keine andere Traube entwickelt so hohe Mengen an Resveratrol und Cyanidin, die antioxidative und entzündungshemmende Eigenschaften besitzen. Seit Roger Corder 2006 in der Wissenschaftszeitschrift „Nature“ die Ergebnisse seiner Forschung publizierte, gilt der Tannat als „gesündester Rotwein überhaupt“.
Power-Traube Tannat
Drei bis vier Wochen lang steht sie in der französischen Basse-Navarre an der Grenze zu Spanien auf der Maische, wird im alten Holz ausgebaut – und ist mit jedem Schluck Gesundheit.
Dies sagen nicht nur die rund 60 Winzer im kleinsten Weinbaugebiet Frankreichs, sondern auch die Ärzte. Resveratrol und Cyanidin beugen Herz- und Kreislauferkrankungen vor und fangen freie Radikale.
Dass viel Gutes im Wein von Irouléguy steckt, wussten schon die Mönche des Augustiner-Klosters von Roncesvalles (baskisch: Orreaga). Sie begannen ab 1120 mit dem systematischen Anbau von Wein. Auf den Hügeln von Irouléguy ließen sie in 200 bis 400 Metern Höhe die ersten Reben pflanzen. Dazu gründete die Abtei ein Priorat am Standort des heutigen Friedhofs.
Himmlische Pilger-Tropfen
Die Abtei Roncesvalles selbst lag auf dem höchsten Punkt des Jakobsweges nach Compostela. Der Camino Francés nach Santiago de Compostela begann im französischen Dorf Saint-Jean-Pied-de-Port (baskisch: Donibane Garazi). Er endete nach 25 km Fußmarsch und 800 Höhenmetern auf und ab im spanischen Örtchen Orreaga-Roncesvalles.
Der dortigen Abtei oblag es, die Pilger zu versorgen. Die frommen Wanderer erhielten drei Tage lang kostenlos Kost und Logis, konnten sich mit warmem Wasser waschen, einen Haarschnitt erhalten und ihre Schuhe reparieren lassen. Da sauberes Trinkwasser knapp war, kam Wein auf den Tisch.
Dazu pflanzten die Mönche von Ronceveaux Weinreben in den Hügeln von Irouléguy. Neben Wein kultivierten die Mönche auch Nuss und Apfel. Im Herbst kelterten sie aus den knackigen Früchten sagardo, Cidre.
Die Flucht der Mönche
Der Pyrenäenvertrag (Tratado de los Pireneos, 1659) beendete die endlosen Grenzkriege zwischen Frankreich und Kastilien. Und vertrieb die Mönche. Die Dörfler übernahmen die Rebhänge.
Sie führen seitdem auf 250 Hektar Rebland in 15 Gemeinden den Weinbau fort. Anhaux, Ascarat, Bidarray, Irouléguy, Ispoure, Jaxu, Ossés, Saint-Étienne-de-Baigorry, Saint-Martin-d’Arrossa – lauter winzige Winzerdörfer und doch groß im Kommen.
Bergwein der Basken
Der einzige Wein aus den Bergen des Baskenlandes ist seit 1970 geschützt als AOP. Seit einigen Jahren erobert er Pariser Edellokale, begeistert den Präsidenten – und lässt Weinpäpste neugierig in den äußersten Südosten des Südwestens von Frankreich blicken.
Jurançon bei Pau, ja, das war ihnen ein Begriff. Aber Irouléquy? Die Basken freut’s, sie trinken am liebsten ihre Tropfen selbst. Für eine Weltkarriere ist das Terrain zu klein. Die Arbeit im Weinberg ist anstrengend. Und wie einst 100 Prozent Handarbeit.
5.500 bis 6.000 Hektoliter ziehen die örtlichen Winzer jährlich auf die Flasche. 70 Prozent sind Rotwein, 20 Prozent Roséwein und zehn Prozent Weißwein aus Hondarri Zuri (Corbu Blanc), Xuri Zerratu (Petit Courbu), Izhiriota (Gros Manseng) und Izkiriota Itipia (Petit Manseng).
Die Winzer von Irouléguy
Domaine Abotia
Ab 1895 züchteten die Errecarts Schweine und verkauften sie nach Pamplona. Im frühen 20. Jahrhunderte sattelten sie auf Weinbau um, kehrten dann aber zur Tierzucht zurück. Milchkühe, Schweine – in den 1980er-Jahren war solch eine reine Tierzucht nicht mehr lukrativ.
Jean-Claude und Louisette Errecart ersetzten die Kühe durch Reben, ergänzten die Schweinezucht mit Rebgärten. Ihre terrassierten Parzellen erstrecken sich auf zehn Hektar mit lehmigen, schluffigen und steinigen Böden im Schatten des Pic d’Arradoy. Ihr Sohn Peio, seit 2001 mit im Team, führte weiße Rebsorten ins Sortiment ein.
• 64220 Ispoure, Tel. 05 59 37 03 99
Domaine Améztia
Die Costeras sind eigentlich Schafbauern. Ihr Ossau-Iraty ist ein großartiger AOP-Käse! Doch Wein können sie auch. 2001 vinifizierte Jean-Louis Costrea seinen ersten Jahrgang in der AOP Irouléguy. Der Name seines Weinguts, Améztia, bezeichnet einen Eichenhain.
2013 übergab er die Weinherstellung an seinen Neffen Gexan. Seit 2015 unterstützt ihn sein Bruder Eñau. Gemeinsam bauen sie heute auf acht Hektar in drei separaten Parzellen hauptsächlich Tannat und Gros Manseng an.
Ein Drittel der Rotweine reift 18 Monate lang in Barriques und größeren Fässern aus französischer Eiche zur Vollendung. . Die restlichen Rot- sowie alle Weißweine kommen in Edelstahltanks.
• Guermiette, 64430 Saint-Étienne-de-Baïgorry, Tel. 06 73 01 27 58, https://domaine-ameztia.com
Domaine Arretxea
Michel Riouspeyrous hatte in den 1980er-Jahren Zweifel, ob Weinbauer wirklich ein sicherer Job sei. So hat er erst ein wenig studiert, ist viel zwischen dem Senegal und Argentinien umher gereist … und wurde schließlich Lehrer für Landwirtschaft.
Doch das familiäre Erbe saß tief. Der Großvater war Winzer gewesen, seine Frau Thérèse Winzertochter aus dem Elsass. Michel hängte das Lehrerdasein an den Nagel. Er begann den Weinbau bei null. Und anders als die Vorfahren. Bewusst lokal und biodynamisch. Seit 1998 macht er das nun – und dies ziemlich erfolgreich. Inzwischen ist auch sein Sohn Iban ins Unternehmen eingestiegen.
Auch als Trio sind sie innovativ. Gemeinsam mit der baskischen Töpferei Goicoechea haben die Riouspeyrous das Dolium wieder in den baskischen Weinbau eingeführt und gären und lagern wie vor 3000 Jahren den Wein in der bauchigen Dolia-Amphore.
• 64220 Irouléguy, Tel. 05 59 37 33 67, https://domaine-arretxea.com
Domaine Brana
Die Wurzeln dieses Weinguts liegen in einem Weinhandel, den Pierre-Etienne Brana 1897 in Ustaritz begonnen hatte. Sein Sohn Jean fügte dem Handel den eigenen Weinberg hinzu: 19 Hektar bester Böden mit Sandstein, Kalkstein und Ton in den Gemeinden Ispoure und Bussunaritz.
Sein Sohn Étienne hatte andere Pläne. Gemeinsam mit seiner Frau Adrienne gründete er die Destillerie, bepflanzte einen Obsthain mit Williamsbirnenbäumen, und stellt seitdem Gins, Liköre, Brände und Geiste aus Früchten her. Mit dem Laminak gehört selbst ein Single-Malt-Whisky zum Sortiment.
Inzwischen haben ihre Kinder Martine und Jean den Familienbetrieb übernommen. Martine zaubert beim Brennen mit Früchten, Gewürzen und Kräutern. Jean hat die Rebgärten zukunftsfit gemacht und für den Betrieb das höchste französische Siegel für Nachhaltigkeit und Umweltschutz erhalten (HVE/Haute Valeur Environnementale, Stufe 3).
• 3 Bis, Avenue du Jaï-Alaï, 64220 Saint-Jean-Pied-de-Port, Tel. 05 59 37 00 44, www.brana.fr
Domaine Etxegaraya
Zu Füßen des Jara liegt das Etxegaraya-Gut. Seit 1850 betreibt die Familie Hillau heute in fünfter Generation Weinbau auf sieben Hektar. Auf den Terrassen wachsen ausschließlich Tannat, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc – und das an sehr alten Stöcken!
• Marianne Hillau, Domaine Etxegaraya, 64430 Saint-Étienne-de-Baïgorry, Tel. 05 59 37 23 76
Domaine Gutizia
Das jüngste Weingut der Appellation ist – auch – eine touristische Attraktion. Sébastien Clauzel und seiner Partnerin Cécile Saba, die es 2011 gemeinsam gegründet haben, organisieren während der Ferienzeiten zweimal pro Woche eine interaktive Besichtigung für Erwachsene und Kinder auf einem angelegten Naturlehrpfad. Wer mag, kann bei ihm im Mobilheim übernachten!
• quartier Leisparz, 64430 Saint-Étienne-de-Baïgorry, Tel. 05 59 37 52 84, www.gutizia.fr
Domaine Ilarria
Im Dorfzentrum von Irouléguy fällt es euch bestimmt gleich auf, das alte, typische Haus der Basse-Navarre mit seinem weißen Putz, den grünen Fensterläden, Blumentöpfen vor der Fassade, Bottichraum und Keller voller Fässer. Sein Name Ilarria erinnert an eine Moorlandschaft: Iri (Ort) larria (Moore).
Vom 30 Hektar großen Grundstück hat Peio Espil zehn Hektar mit Reben bepflanzt – zwei Hektar mit den weißen Trauben Petit Manseng und Petit Courbu, acht in Rot (45% Tannat, 35 % Cabernet Franc, 20 % Cabernet Sauvignon).
Alle Rebgärten sind natürlich begrünt. Einzig Schafe bearbeiten den Boden. Das sorgt zwar anfangs für niedrige Erträge (25 Hektoliter/Hektar), zeigt sich aber in späteren Jahren im Glas. Schwefel kommt nur bei der Füllung in den Wein, und das minimal. Oder gar nicht, wie beim Irouléguy Rouge sans sulfites ajoutés.
• Bourg, 64220 Irouléguy, Tel. 05 59 37 23 38, http://domaine-ilarria.fr
Cave d’Irouléguy
Die kleine Genossenschaftskellerei mit ihrer neu gestalteten espace découverte für Besucher findet ihr seit 1952 in Saint-Étienne-de-Baigorry. 36 Weinbauern liefern ihre Lese dorthin, wo die Trauben verarbeitet, abgefüllt und verkauft werden. Wie, das verraten Führungen und Verkostungen. Mit einem Miet-E-Tretroller könnt ihr zudem die Weinberge unter sachkundiger Anleitung erkunden und anschließend die Ergebnisse probieren (Anmeldung erforderlich).
• Route de Saint-Jean-Pied-de-Port, 64430 Saint-Etienne-de-Baïgorry, Tel. 04 68 32 46 34, www.cave-irouleguy.com
Irouléguy: meine Reisetipps
Schlemmen & genießen
Bar-Brasserie du Fronton
Perfekt für eine kleine Pause mit frischem Salat oder leckerem Omelette mit Blick auf alte Platanen.
• Bourg, 64430 Saint-Étienne-de-Baïgorry, Tel.05 59 37 48 00, www.brasserie-fronton.fr
Chocolaterie Laia
„De la fève à la tablette“, d. h. von der Bohne bis zur Tafel, ist die Maxime bei Olivier Casenave, der 2009 in Saint-Étienne-de-Baïgorry seine handwerkliche Schokomanufaktur samt Café eröffnete. Lecithin, fremde Kakaomassen und Fremdfette sowie künstlichen Aromen sind dort tabu. In Oliviers feine Schokoladen und Pralinés kommt nur das, was da wirklich hineingehört
• Rue de l’église, 64430 Saint-Étienne-de-Baïgorry, Tel. 05 59 37 51 43, www.laia.fr
Maison Petricorena
Von der Sakari-Soße bis zum baskischen Schinken: Hier gibt es typische Feinkost der Region!
• Pont Romain, 64430 Saint-Étienne-de-Baïgorry, Tel. 05 59 37 41 36, www.petricorena.com
Schlafen
Hôtel Arcé**
Seit sechs Generationen heißt Familie Arcé in ihrem traditionell baskischen Anwesen am Ufer der Nives des Aldudes ihre Gäste willkommen. Erlebt bei Christine, Coline und Pascal ein paar Tage lang baskische Gastfreundschaft und genieß ihre gute Küche. Hier habe ich ihr Verwöhnhotel und seine 22 Zimmer vorgestellt.
• Route du Col-d’Ispeguy, 64430 Saint-Etienne-de-Baïgorry, Tel. 05 59 37 40 14, www.hotel-arce.com
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Im Blog
Saint-Jean-Pied-de-Port ist die letzte französische Etappe für Pilger auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Seit Jahrhunderten haben sie das kleine Städtchen geprägt und in der Architektur, aber auch in der Küche ihre Spuren hinterlassen.
Doch trotz allen Trubels hat der Hauptort der Basse-Navarre im Herzen des französischen Baskenlandes seinen Charme bewahrt – und wurde 2016 in den erlauchten Kreis der Plus Beaux Villages de France aufgenommen, der schönsten Dörfer Frankreichs.
Im Buch
Marcus X. Schmid, Südwestfrankreich*
Der freie Reisejournalist Marcus X. Schmid hat für alle, die gerne auf eigene Faust unterwegs sind, den besten Reisebegleiter verfasst: sachlich, mit viel Hintergrund, Insiderwissen und Tipps, und dennoch sehr unterhaltsam und humorvoll.
Ich kann ihn aus ganzem Herzen empfehlen, denn auch in diesem Band zu Südwestfrankreich sind tolle Tipps enthalten. Auch kritische Anmerkungen fehlen nicht.
Kurzum: ein Reiseführer, der grundehrlich das Reisegebiet vorstellt – ohne versteckte Promotions.
Der gebürtige Schweizer, Jahrgang 1950, lebt heute als Autor und Übersetzer in der französischsprachigen Schweiz. Wer mag, kann ihn hier* direkt beim Verlag bestellen.
Hilke Maunder, Le Midi*
Die poule au pot ist eine der 80 echten, authentischen Speisen, die ich bei meiner kulinarischen Landpartie durch den Süden von Frankreich entdeckt habe. Zwischen Arcachon, Hendaye und Menton schaute ich den Köchen dort in die Töpfe, besuchte Bauern, kleine Manufakturen, Winzer und andere lokale Erzeuger.
Gemeinsam mit dem Fotografen Thomas Müller reiste ich wochenlang durch meine Wahlheimat und machte mich auf die Suche nach den besten Rezepten und typischsten Spezialitäten der südfranzösischen Küche. Vereint sind sie auf den 224 Seiten meines Reise-Kochbuchs Le Midi.
Ihr findet darin 80 Rezepte von der Vorspeise bis zum Dessert, Produzentenportraits, Hintergrund zu Wein und Craftbeer, Themenspecials zu Transhumanz und Meer – und viele Tipps, Genuss à la Midi vor Ort zu erleben. Wer mag, kann meine 80 Sehnsuchtsrezepte aus Südfrankreich hier* online bestellen.
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Kurz nach den ersten in Hamburg von Angelika Jahr herausgegebenen Ausgaben der Zeitschrift „essen & trinken“ erschien Anfang der 70er Jahre ein Heft mit einer Lobpreisung des Irouleguy Weines. Ich bestellte mir damals 12 Flaschen davon und bin seither ein Fan dieses einmaligen Gewächses. Es freut mich, daß die Hervorhebung dieses besonderen Weines wieder durch eine Hamburgerin erfolgt. Santé!
Oh, das ist ja eine nette Anekdote, lieber Herr Dr. Traub! Schönen Sonntag!