Bonifacio: Juwel auf der K(l)ippe
In Bonifacio soll er ihnen begegnet sein: Auf den strahlend weißen Klippen der südkorsischen Stadt erblickte Odysseus die Laistrygonen. Menschenfressende Riesen. Sie versenkten die Schiffe und verzehrten die Mannschaft. Im zehnten Gesang hat Homer die schicksalhafte Begegnung beschrieben.
Kannibalen & Nixen
Viel früher lebte in den Grotten der 60 m hohen Steilküste die Dame von Bonifacio. Fast 9000 Jahre alt sind ihre Knochen – der älteste Menschenfund auf Korsika. Was für Legenden, was für eine Landschaft, was für eine Lage!
Und obgleich Bonifacio der Ort ist, den ich bislang am häufigsten auf Korsika besucht habe, gerate ich immer ins Staunen, entdecke wieder etwas Neues: schmale Treppen in steilen Klippen, tiefe Brunnen durch den Fels, verborgene Stiegen und faszinierende Menschen.
Kostprobe vom Hirn
So wie den Fischer am Hafen, der Seeigel aus seinen Netzen pult. Als ich stehen bleibe, nimmt er ein Messer, schneidet das Tier auf und reicht es mir: Probier – das Hirn ist besonders gut. Jetzt bloß nicht entsetzt schauen. Ich lächle, schlucke. Überraschend zart und fein schmeckt das Innere des Seeigels.
„Das ganze Meer ist hier voll mit Oursins“, erzählt er und klaubt den nächsten Seeigel aus dem Netz. Nur von Dezember bis März jedoch dürfen sie im Meeresschutzgebiet zwischen Korsika und Italien gefangen werden. „Das war Beifang“, sagt er, Fangzeiten und Quoten ignoriert. „Il faut vivre – man muss leben können…“
Pop-Art in Acryl
Am Hafen blickt Napoleon Bonaparte als Portrait in buntem Acryl auf das Treiben, an der Montée Rastello ist es Laetitia Casta. Korsischen Ikonen: In Bonifacio begegnen sie euch als poppige Kunstdrucke im öffentlichen Raum.
Vom Hafenkai an der Kirche Saint-Erasme führt eine breite Treppe hinauf zur Oberstadt (Ville Haute). Sie endet an der Saint-Roch-Kapelle, die 1528 für die Pestopfer der Insel errichtet wurde.
Mehr als 4000 Insulaner hatte der Bazillus, der von Handelsschiffen aus dem Schwarzen Meer eingeschleppt worden war, hingerafft – damals ein Drittel der Inselbevölkerung.
Genießt am Col Saint-Roch auch noch einmal die Aussicht. Oder steigt hier hinab zur Place Sutta Rocca. Vom kleinen Strand habt ihr eine tolle Aussicht hinauf zu den Felsüberhängen. Wer weiterlaufen will, folgt linker Hand der Küste. Sind sie nicht eindrucksvoll, die Felsnadeln?
Um ins Herz der Zitadelle zu gelangen, müsst ihr vom Col Saint-Roch weiter treppauf laufen, hin zum massiven Genueser-Tor. Die Porte de Gênes war lange der einzige Zugang zur Oberstadt.
Neben dem Stadttor erklärt in der Bastion de L’Étendard heute ein Museum die Stadtgeschichte. Von seinem Garten eröffnen sich weitere eindrucksvolle Ausblicke auf die Küste.
Einen weiteren Aussichtspunkt findet ihr am einstigen Marktplatz: La Manichella. Taucht danach in das Gewirr der mittelalterlichen Gassen Bonifacios ein. In der Saison drängen sich die Massen hindurch. Alteingesessene Handwerksbetriebe wechseln mit Restaurants, kleinen Boutiquen und Souvenirshops.
Dass die Oberstadt eine der beliebtesten Touristenattraktionen der Insel ist, spürt man… und nimmt doch nichts vom Charme der südlichsten Stadt Korsikas. Was wie Stützstreben zwischen den Häusern aussieht, sind Wasserleitungen.
Ab dem 14. Jahrhundert leiteten sie den Regen in die zentrale Zisterne unter der Église Sainte-Marie-Majeure. Jahrhundertelang versorgte sie die Oberstadt mit Süßwasser. Heute ist Bonifacio längst an das öffentliche Netz angeschlossen, der Wasserspeicher ein Konferenzsaal.
Vor der Kirche trifft man sich unter der Loggia. Besonders im Sommer ist der überdachte Kirchvorplatz ein beliebter Schattenplatz. Früher wurde hier Gericht gehalten. Gegenüber serviert ein Freiluftlokal die kulinarische Spezialität des Ortes: aubergines farcies à la bonifacienne – für alle, die Französisch verstehen, gibt es auf Marmiton das Rezept.
Von Treppen und Leitern
Die Treppenaufgänge der Häuser wurden erst nachträglich eingebaut. Früher kletterten die Korsen Leitern zu ihren Wohnungen hoch, die nach der Nutzung hochgezogen wurden – das war sicherer als feste Treppen.
An der Place de Montepagano führen 187 steile Stufen hinab zum Meer. Der Sage nach wurden die Escaliers du Roi d’Aragon erst 1420 in den Fels geschlagen; Historiker halten den Verbindungsweg für viel älter.
Mitten im Fels verlaufen auch die Treppen, die euch von der Zitadelle wieder hinab zum Hafen bringen, eine Sequenz von Galerien mit ausgetretenen Stufen, die immer wieder neue Ausblicke auf den Hafen eröffnet. Wer sie alle abläuft, braucht eine Stunde!
Gefährdetes Idyll
Bonifacio ist ein Idyll auf der Kippe. Wind und Regen tragen den Kalkstein ab. Krachend branden die Wellen an die Steilküste und höhlen die Klippen aus. Der Klimawandel lässt den Meeresspiegel steigen, was die Erosion weiter beschleunigt. Welche Macht dieses Trio besitzt, zeigt sich zuletzt 2014 in Bonifacio.
Am 12. November 2014 stürzte in Bonifacio ein Haus mit zwei Wohnungen in das Meer. Zum Glück wurde niemand verletzt.
Das Haus befand sich in der Rue du Rempart, einer Straße, die direkt an der Klippe liegt. Die Ursache des Einsturzes war ein Erdrutsch, den starke Regenfälle ausgelöst hatten. Mauern und Wellenbrecher, Buhnen und Aufforstung sollen die Erosion verlangsamen. Denn stoppen lässt sich der Landfraß des Meeres in Bonifacio wohl nicht.
Meine Reisetipps: Bonifacio
Schlemmen
Stella d’Oro
Pasta, Fisch und Spezialitäten prägen die Karte des Restaurants, dessen Speisesaal an einen Weinkeller erinnert. Im Bassin schwimmen Hummer, die der Gast auswählen kann.
• 7, rue Doria, 20169 Bonifacio, Tel. 04 95 73 03 63
La Caravelle
Feine Meeresküche von Glenn Viel und Antony Bourguignon direkt am Hafenkai – im Sommer mit Terrasse.
• 35, quai Jérôme Comparetti, 20169 Bonifacio, Tel.04 95 73 03 18, https://hotelcaravelle.fr
Le Voilier
Ebenfalls am Hafenkai findet ihr diese Genussadresse. Einfach köstlich, die Fischküche!
• 81 Quai Jérôme Comparetti, 20169 Bonifacio, Tel. 04 95 73 07 06, www.levoilier-bonifacio.com
Einkaufen
La Boutique du Corailleur
Jean-Philippe Giordano gehört zu den wenigen autorisierten Korallenfischern, die die seltenen roten Edelkorallen im Mittelmeer ernten dürfen. Juweliere von Aphrodite Créations fertigen daraus schmuckvolle Unikate.
• 3, place Montepagano, Tel. 04 95 73 11 46, corail-rouge.com
Erleben
Grotten-Törn
Die Grotten und Höhlen, Klippen und Buchten der Steilküsten sind ebenso Ziel der Törns der Société des Promenade en Mer de Bonifacio (SMPB) wie die Lavezzi-Inseln.
Minizug
Alle 30 Minuten startet der Minizug Petit Train Massimi zu 30-minütigen Rundfahrten durch die Altstadt und den Hafen.
Schlafen
Hôtel Genovese
18 moderne, komfortable Zimmer, alle 22 – 30 qm groß, dazu ein Pool im Innenhof, der abends schön illuminiert wird, ein aufmerksamer Service und elegantes Understatement im Ambiente – das etwas andere Hotel in Bonifacio. Leider nicht ganz so günstig…
• Place de l’Europe, 20169 Bonifacio, Tel. 04 95 73 12 34, www.hotel-genovese.com
Hôtel Santateresa
Gediegenes Hotel an der Spitze der Halbinsel in der Oberstadt, 42 recht kleine Zimmer, einige mit Terrasse und Hafen- oder Meerblick.
• Quartier Saint-François, 20169 Bonifacio, Tel. 04 95 73 11 32, www.hotel-santateresa.com
Noch mehr Betten*
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Im Blog
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Jenny Hoch: Gebrauchsanweisung für Korsika*
33 Sommer hatte Jenny Hoch auf der Insel verbracht. Doch erst, seitdem sie quasi hier lebt, wird sie langsam von den Einheimischen ins Herz geschlossen und integriert, erzählt die Journalistin und Buchautorin, die heute mit ihrer Familie die Tradition ihrer Eltern fortsetzt. Seit sie vier Jahre alt war, sei sie jedes Jahr auf Korsika gewesen, als Kind, als Teenager, als Erwachsene. Immer am selben Ort, immer glücklich, gerade dort zu sein. „Ich weiß, wo am Strand der Rutschfelsen ist, wie die Wellen sich brechen”, erzählte sich bei einer Lesung im Feriendorf zum Störrischen Esel.
Ihre persönlichen Erfahrungen machen den Reiz dieses Bandes der insgesamt sehr zu empfehlenden Taschenbuchreihe im Piper-Verlag aus. Jenny Hoch hat sie hintergründig wie humorvoll zu Papier gebracht. Dazu noch ein paar Daten und Fakten: ein perfekter Einstieg, um sich mit der Insel zu beschäftigen. Besser kann keine Reiseplanung beginnen! Wer mag, kann das Werk hier* online bestellen.
Zum Träumen: Das Haus auf Korsika*
Mit wenig Geld und Aufwand hat Pierre Duculot 2011 einen meiner Lieblingsfilme gedreht, die Geschichte eines Ausbruchs, Sich-Finden, der Rückkehr zu den Wurzeln. Und eine Geschichte des Mutes. Ausgelöst durch die Erbschaft eines Hauses, das Christina erbt.
Die Hauptfigur, fast 30, lebt seit zehn Jahren mit ihrem Freund zusammen, jobbt in der Pizzeria ihres Schwiegervaters, überlebt im belgischen Charleroi. Ein eigenes Leben nach ihren Vorstellungen? Das ist ein Luxus, den sie sich nicht leisten kann. Und mit der Erbschaft doch wagt. Sie macht auf den Weg in den Süden. Und verliebt sich – in die geerbte Bruchbude, die Insel, einen neuen Mann. Wer mag, kann den Film hier* online bestellen.
Marcus X. Schmid: Korsika*
Der freie Reisejournalist Marcus X. Schmid hat für alle, die gerne auf eigene Faust unterwegs sind, den besten Reisebegleiter verfasst: sachlich, mit viel Hintergrund, Insiderwissen und Tipps, und doch mitunter sehr unterhaltsam und humorvoll.
Ich kann seinen Führer aus ganzem Herzen empfehlen – er hat mich auf allen Erkundigungen nie im Stich gelassen und mir oft schöne, neue, unbekannte und überraschende Ecken gezeigt.
Der gebürtige Schweizer, Jahrgang 1950, hat in Basel, Erlangen und im damaligen Westberlin Germanistik, Komparatistik und Politologie studiert und lebt heute als Autor und Übersetzer in der französischsprachigen Schweiz. Ebenfalls im Michael-Müller-Verlag sind von Schmid die Reiseführer „Bretagne“ und „Südfrankreich“ erschienen sowie Führer zu italienischen Destinationen. Wer mag, kann den Reiseführer hier* online bestellen.
Hilke Maunder: Baedeker „Korsika“*
Mit blau lackierten Fingernägeln ordnet Madame auf dem Markt von Bastia in einem Bastkorb längliche Stangen. „Boutargues“, verrät das Schild. „Das ist echter korsischer Kaviar. Nur noch wenige Fischer entnehmen den Meeräschen den Rogen. Mein Mann ist einer davon.“
Die Rarität hat ihren Preis: 150 Euro das Kilo. Der Nachbar-Händler sieht das erstaunte Gesicht und hält ein Holzbrett hin: „Goûtez !“ Lasst euch mit meinem Baedeker Korsika* an Orte wie diesen (ver)führen. Genussmomente und einzigartige Erlebnisse: Sie machen den Band besonders. Wer mag, kann ihn hier* direkt bestellen.
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Sehr schöner Artikel zu Bonifacio mit tollen Bildern und Texten. Leider stimmt mich das Pulpo Vorspeisenbild etwas traurig seit ich die Oscar–prämierte Doku „Mein Lehrer, der Krake“ (My Octopus teacher) gesehen habe. Es wäre schön, wenn wir aufhörten immer alle Tiere zu essen.
Hallo Christoph, danke für den Filmtipp – diese Doku kenne ich noch nicht! Viele Grüße! Hilke
Viel Spaß beim Anschauen (a.u. auf Netflix) und viel Spaß bei allen weiteren Frankreich-Reisen 🙂
Merci, Chris!