Vernet-les-Bains: kleines Kurbad großer Künstler
Rudyard Kipling beschrieb Vernet-les-Bains einst als „Paradies in den Pyrenäen“. 1925 malte Oskar Kokoschka ein Bild mit dem Titel Vue de Vernet-les-Bains (Ansicht von Vernet-les-Bains). Im selben Jahr schaute auch Kurt Tucholsky vorbei und widmete dem Kurbad zwei Jahre später einige Zeilen in seinem Werk „Ein Pyrenäenbuch“. Und auch Dänemarks berühmter Märchendichter weilte hier.
Vernet macht im Allgemeinen den Eindruck, unter den Badeorten sich noch in einer Art Unschuldszustand zu befinden; nur im Schreiben von Rechnungen, das erzählten mir die Gäste sogleich, habe der Direktor das Kurhotel auf eine Stufe mit den Größen in Europa zu heben gewusst.
Hans-Christian Andersen, 1855
Die betriebsamen Zeiten der Belle-Epoque sind heute einer charmanten Beschaulichkeit gewichen. Eingebettet in die Ausläufer des heiligen Berges der Katalanen, des Canigou, beeindruckt Vernet-les-Bains in seiner Altstadt am Hang mit seinen sonnengelben Fassaden, plätschernden Brunnen und katalanischer Lebensfreude. Wer durch seine Gassen spaziert, entdeckt die Spuren seiner sehr bewegten – und oftmals überraschenden – Geschichte.
Vernet-les-Bains ist zweigeteilt. Das Kurviertel bzw. Thermalzentrum erstreckt sich im Tal des Cady auf dem linken Ufer. Die Altstadt von Vernet-les-Bains liegt am rechten Ufer des Cady in der Oberstadt und wird vom Burgturm (Donjon) und dem Glockenturm der Kirche Sainte-Marie du Puig überragt. Und genau hier ist auch der berühmteste Sohn der Stadt daheim.
Cali: von der Bühne zur Feder
Es ist Cali, bürgerlich Bruno Caliciuri. Auf einen Schlag landesweit berühmt wurde er mit seinem ersten Album L’Amour parfait*, das 2003 mit Titeln wie C’est quand le bonheur und Elle m’a dit die Charts stürmte und Cali die Nominierung für den Preis Victoires de la musique in der Kategorie Artiste révélation de l’année einbrachte.
Im Jahr 2005 folgte das Album Menteur* (Lügner) mit Hits wie Le Vrai Père und Je m’en vais. Sein soziales Engagement zeigte sich in seinem Album L’Espoir (Hoffnung, 2008), in dem er mit Titeln wie Résistance politische und soziale Themen aufgriff.
Als Hommage an seine Heimat erschien 2012 das Album Vernet-les-Bains, das als Rückkehr zu seinen Wurzeln gilt, 2020 das Album Cavale*. Cavale bedeutet „Flucht“ oder „Ausbruch“ auf Französisch und bezieht sich damit auch auf das Theaterstück Cowboy Mouth von Patti Smith, in dem Cali 2014 mitspielte und dessen letzte Zeile lautet: „Cavale ça veut dire s’échapper“ (Cavale bedeutet fliehen).
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere war der französische Rockstar im Jahr 2017 auf dem ersten Platz der People With Money-Liste der bestbezahlten Sänger mit einem Verdienst von 75 Millionen Dollar gelistet gewesen.
2017 ist Cali auch unter die Schriftsteller gegangen. Sein Erstlingswerk Seuls les enfants savent aimer* erhielt den CML Prix Méditerranée Roussillon. 2019 folgte Cavale, ça veut dire échapper* als Begleitwerk zu seinem Musikalbum Cavale. Zwei Jahre später folgte mit Voilà les anges* Roman Nummer drei. Darin erzählt Cali von Bruno, einem heruntergekommenen Sänger, der über seine Liebe und seine Reue nachdenkt.
Heute genießt Cali die Ruhe in seinem Heimatort und tritt nur noch sporadisch auf. Doch noch immer pilgern Fans zu seinem Haus und machen selfies. Die ehemalige Boutique und andere lokale Geschäfte, die einst seinen Namen trugen, sind längst geschlossen. Auch die Gerüchte um sein Millionenvermögen und seine vermeintlichen Investments haben sich als übertrieben erwiesen. Stattdessen engagiert sich der Künstler für soziale und kulturelle Projekte in der Region.
Vernet-les-Bains verdankt seinen Namen seiner Natur. Das katalanische Vernet oder
Verneda verweist auf die einst dichten Erlenwäldern, die früher das Landschaftsbild prägten.
Alles bio in der Bücher-Tausch-Zentrale
Manuel, der wenige Häuser weiter in das Schaufenster von Les Halles die Ankündigung des nächsten Konzertes von Cali gehängt hat, kennt den Künstler eher vom Fernsehen.
„Zu mir kommen Leute, die lieber bio einkaufen. Oder hier ihre Bücher in neue Lektüre umtauschen – ganz und gar kostenlos.“
Einen ganzen Raum hat Manuel für diesen Service freigeräumt. In Kartons stapeln sich Krimis. Eine Wand ist für fremdsprachige Literatur vorgesehen. „Guck mal hier – wir haben sogar deutsche Titel!“ Märchenbücher, Kunstbände, Wanderführer, Liebesromane, Klassiker und kaum bekannte Titel – die Auswahl ist erstaunlich.
„Hier ist außerhalb der Saison im Sommer nicht viel los, und viel Geld haben hier auch nicht alle. So kann ich etwas beitragen, dass alle sich hier glücklich fühlen, so wie ich.“
Manuel ist in Vernet-les-Bains aufgewachsen – und ein wandelndes Stadtlexikon. Neben der Kasse stapeln sich schmale Bildbände, die verraten, wie sich der Kurort in der Ostpyrenäen im Laufe der letzten 100 Jahre gewandelt hat.
Zerstörerische Fluten
Fotos verraten, welche Kraft der Cady hatte, bevor sein Lauf von Menschenhand geändert wurde. Im Oktober 1940 hatten heftige Schauer die Wasserpegel steigen lassen. Allein am 17. Oktober waren innerhalb von 24 Stunden an der Nordseite des Canigou 1000 mm Niederschlag gefallen.
Das Bachbett des Cady, gewöhnlich zwei bis fünf Meter breit, erreichte an manchen Stellen plötzlich 100 Meter. Auf dem Weg nach Corneilla-de-Conflent standen die Fluten vier Meter hoch.
Der Strom riss alles mit, was ihm im Weg stand. Holzstämme und Fahrzeuge donnerten beirm aïguat gegen die Fassaden von Vernet-les-Bains. Historische Fotos zeigen die Ausmaße des Unglücks.
52 Gebäude wurden beschädigt oder komplett zerstört. Mehrere Meter hoch türmten sich Sand, Schutt, Bäume und Sträucher. Nach dieser Flut wurde der Fluss 1940 reguliert. Seitdem fließt er nicht mehr in weiten Bögen durch den Ort, sondern wird in einem breiten, tiefen Kanal durch Vernet-les-Bains geführt. Eine einzige Straße – und so viele Geschichten!
Eine Altstadt in Blut und Gold
Auf der Place de la République räumen die Markthändler langsam zusammen. Einige haben ihre Ware auf Bannern und Tüchern mit den rot-gelben Nationalfarben Kataloniens ausgebreitet.
Auch in den Gassen und Treppenwegen, die von der Unterstadt am Fluss vorbei an den Gärten zum einstigen Château führen, hängen immer wieder die Sang et Or-Flaggen. Gelb und Rot, Gold und Blut.
Immer wieder eröffnen sich aus dem Gewirr der Gassen, Straße und Plätze neue Ausblicke auf den Hausberg der Katalanen und die Gärten, die Unter- und Oberstadt trennen.
Sonnengelbe Fassaden, Erker und Blütenschmuck selbst in der kalten Jahreszeit, plätschernde Brunnen und Bänke zum Ausruhen und Schauen – ein Idyll, das die Nähe zu Spanien spüren lässt.
Die Stadtkrone auf dem Puig
Von der mittelalterlichen Burg steht nur noch der auf quadratischem Grundriss erbaute Donjon (Bergfried). Zusammen mit dem Glockenturm von Sainte-Marie du Puig bildert er die Stadtkrone. Die Lage ist traumhaft schön: Ihr seht den Talkessel des Cady und mit Glück den Turm der Abtei Saint-Martin-du-Canigou, mit der Vernet-les-Bains historisch sehr eng verbunden war.
Im Jahr 1007 hatten Graf Guifred Cabreta von Conflent und Cerdanya und seine Gemahlin Guisla die seigneurie (Grundherrschaft) von Vernet der erst kurz zuvor gegründete Abtei Saint-Martin du Canigou geschenkt. Diese Schenkung machte den Abt von Saint-Martin zum Lehnsherrn von Vernet, – eine Position, die er bis zur Französischen Revolution innehatte.
Bereits im Jahr 874 befand sich auf dem linken Ufer des Cady eine Saint-Saturnin geweihte Kirche, die 1710 Überschwemmungen zerstörte – heute sind nur noch Ruinen erhalten. 1710 wurde daher die einstige romanische Schlosskapelle Sainte-Marie du Puig aus dem Jahr 1176 zur neuen Pfarrkirche von Vernet-les-Bains und wie der Vorgängerbau Saint-Saturnin gewidmet.
So wurde die Kapelle kurzerhand Saint-Saturnin geweiht. Und trägt jetzt mal den alten, mal den neuen Namen, der auch schon über 300 Jahre alt ist.
Frankreichs erstes Village Aboretum
Mehr als 2.000 Bäume aus 320 Arten prägen das Bild des kleinen Kurorts. Viele der prachtvollen Bäume wurden vermutlich von britischen Aristokraten gepflanzt, als Vernet-les-Bains ein beliebter Kurort war. Nach dem aïguat vom Herbst 1940 wurden in den 1960er-Jahren im Zuge des Wiederaufbaus auch zahlreiche neue Bäume gepflanzt. 1992 begannen Grundschüler mit der Identifizierung und Kartierung der Baumarten im Ort. Seit 1996 trägt Vernet-les-Bains offiziell den Titel Premier Village Arboretum de France.
Besonders bemerkenswert sind die 50 Meter hohe, mindestens 130 Jahre alte Sequoia, die prachtvolle Magnolia grandiflora und der möglicherweise schönste Tulpenbaum Frankreichs. Aber auch die Vielfalt an Nadelbäumen und die zahlreichen Sträucher und Kletterpflanzen machen den Reiz des Arboretums aus. Infotafeln an den durchnummerierten Bäumen verraten Details zur jeweiligen Art – eine schöne Einladung, das Dorf einmal aus einem ganz anderen Blickwinkel zu entdecken!
Vernet-les-Bains: meine Reisetipps
Schlemmen
Bistro Le Cortal
Schmackhafte Fleischgerichte vom Holzfeuergrill – im Sommer bei herrlichen Aussichten von der Terrasse.
• Rue du Château, 66820 Vernet-les-Bains, Tel. 04 68 05 55 79, https://bistrotlecortal.fr
La Table des Amis
Kreative Lokalküche und Klassiker der französischen Küche im gemütlichen Ambiente in Holz und Blau
• 2, place de la République, 66820 Vernet-les-Bains, Tel. 09 54 48 05 33, www.restaurant-latabledesamis.fr
Lesen
Der englische Autor Rudyard Kipling kam von 1910 bis 1926 mehrmals nach Vernet. 1911 verfasste er die Kurzgeschichte Why snow falls at Vernet (Warum es in Vernet schneit). Hier könnt ihr sie im englischen Original und der französischen Übersetzung lesen.
Wellness
Vernet-les-Bains hat eine lange Geschichte als Kurort, die bis in die Römerzeit zurückreicht. Die heilenden Eigenschaften der Quellen sind seit etwa 2000 Jahren bekannt. Im 19. Jahrhundert erlebte der Ort eine Blütezeit als eleganter Kurort, was zur Entwicklung der Bäderarchitektur im Stil der Belle Époque führte.
ValVital – Thermes & Spa Vernet-les-Bains
Die bisherigen Thermes de Vernet-les-Bains hat am 28. April 2023 die ValVital-Gruppe übernommen und umbenannt in ValVital – Thermes & Spa Vernet-les-Bains. Zum Komplex gehören neben einem Thermalbad für medizinische Kuren (Rheumatologie und Atemwegserkrankungen) und einem Hotel namens Les Sources ein Wellnessbereich (espace aqua-détente) mit Thermalbecken, Sauna, Hammam, Jacuzzi, Thermaldusche und Fitnessraum.
• Allée du Parc, 66820 Vernet-les-Bains, Tel. 04 68 05 52 84, www.valvital.fr; April – Mitte November
In der Nähe
Saint-Martin-du-Canigou
Die Abtei Saint-Martin-du-Canigou ist ein romanisches Benediktinerkloster aus dem 11. Jahrhundert, das in 1094 Metern Höhe auf einem Felsvorsprung im Canigou-Massiv thront und ein beeindruckendes Beispiel früher romanischer Architektur in der Region darstellt. Hin kommt ihr nur zu Fuß.
Von Vernet-les-Bains führt ein anspruchsvoller, 14 Kilometer langer Wanderweg über den Col Llavent in rund fünf bis sechs Stunden dorthin. Alternativ könnt ihr auch zuerst mit dem Bus oder Taxi nach Casteil fahren und von dort den kürzeren, etwa 40-minütigen Aufstieg zur Abtei beginnen. Hier stelle ich das Ausflugsziel vor, dass auch zur stillen Auszeit in der Abtei lädt.
Col de Mantet (1.761 m)
Eine atemberaubende Aussicht auf die Pyrenäen bietet der Col de Mantet – allerdings ist diese Strecke als Hors-Catégorie-Anstieg eingestuft, was auf ihre Schwierigkeit hinweist. Der Aufstieg beginnt in Sahorre, wo sich die Passstraße vorbei an den Apfelbäumen im Rotja-Tal in vielen Kehren den Berg emporwindet. Bei einer durchschnittlichen Steigung von 7,3 Prozent auf einer Länge von 15 Kilometern überwindet sie dabei 1.100 Meter Höhenunterschied. Das Ausweichen unterwegs ist häufig enorm schwierig! An der Strecke liegt aussichtsreich das malerische Dorf Py auf 1.023 Metern über dem Meeresspiegel.
Schlafen
Hôtel Le Mas Fleuri*
Eine beliebte wie einfache Unterkunft, die hinter der Sechziger-Jahre-Fassade das Flair von einst bewahrt hat in geräumigen Zimmern mit Mut zur Nostalgie– einige mit Blümchentapete im Bad, andere mit Mosaik. Charmant antiquiert, aber dort, wo es drauf ankommt, top: sauber, ruhig – und allerbeste Matratzen! Im parkähnlichen Garten gibt es zudem einen großzügigen Pool. Hier* könnt ihr es buchen.
• 25, Boulevard Clemenceau, 66820 Vernet-les-Bains, Tel. 04 68 05 51 94, www.hotel-pyrenees-orientales.com
Brun Hôtel Princess
Dreisternehaus in sehr schöner Lage mit etwas nüchternem Dekor in seinen 38 Zimmern, einige mit Balkon.
• Rue des Lavandières, 66820 Vernet-les-Bains, Tel. 04 68 05 56 22, www.hotel-vernet-les-bains.com; nur April – Oktober
Villa Delphina*
Als Sommerfrische errichtete Delphine Saleta aus Perpignan im Jahr 1893 diese stattliche Villa im Belle-Époque-Stil in einem ummauerten, 4.000 Quadratmeter großen Garten mit Blick auf den Canigou, den heiligen Berg der Katalanen. Die Gästezimmer sind ganz im Stil der Zeit eingerichtet – und das Frühstück, welches das charmante Betreiber-Paar serviert, ist ein wahrer Genuss. Hier* könnt ihr ein Zimmer buchen.
• 2, rue du Dr Massina, 66820 Vernet-les-Bains, Tel. 04 68 05 76 43,
Les 2 Lions
Mitten im Ort findet ihr diese fünf komfortablen chambres d’hôtes in einer schmucken Villa. Alle Zimmer sind nach Süden ausgerichtet!
• 18, boulevard Clemenceau, 66820 Vernet-les-Bains, Tel. 04 68 05 55 42, www.chambres-hotes-66.com
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