Der Blick auf Castelnou vom Aussichtspunkt. Foto: Hilke Maunder
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Castelnou – Wehrdorf mit Charme

Alter Stein, Blumengassen und ein feudales Château: Auch Castelnou zählt zu den vielen malerischen Orten in Frankreich, die das Mittelalter bewahrt haben. Doch im alten bourg leben nicht einmal mehr zehn Prozent der Einwohner. Der Lebensmittelpunkt des mehr als tausendjährigen Dorfes liegt in der Ebene. Thuir, eine lebendige, aufstrebende Kleinstadt mit allem, was man zum Leben braucht, ist dort ihr Bezugspunkt. Ins alte Dorf fahren sie selten. Dort gibt es für sie nichts mehr, was sie locken würde.

Umso stärker lockt Castelnou Urlauber und Ausflügler. Das kleine Wehrdorf in den Aspres gehört zu den vier plus beaux villages de France, die ihr in den Pyrénées-Orientales finden könnt. Neben Castelnou gehören dazu noch Éus, Évol und Villefranche-de-Conflent.

Der alte bourg von Castelnou

Außerhalb der Saison fällt der alte bourg in einen Dornröschenschlaf. Doch das schmälert nicht die Schönheit dieser wehrhaften Natursteinperle. Bis heute hat Castelnou sein mittelalterliches Aussehen mit einer Stadtmauer, die acht Türme und vier Tore in den vier Himmelsrichtungen unterbrechen, seinem Wachtturm und seiner Burg gewahrt.

Schon der Blick bei der Anfahrt ist eindrucksvoll. Schon von weitem liegt Castelnou idyllisch im Grünen. Die Wolken jagen sich mächtig am Himmel, und kurze, schnelle Schauer wechseln sich mit Sonnenschein.

Sogar die Schneespitzen der Pyrenäen mit dem majestätischen Canigou (2.784 m), dem Hausberg der Katalanen, lugen für einige Minuten aus den Wolken hervor und begrenzen den Horizont.

Das Burgschloss von Castelnou

Im Norden bewacht das imposante Portail de Millars mit zwei Türmen seit dem 14. Jahrhundert den Eingang zum Ort. Im Südosten thront die Stammburg der Vizegrafen von Vallespir über dem alten bourg von Castelnou. Sie gehört zu den ältesten Beispielen mittelalterlicher Festungen in den Pyrénées-Orientales.

Die Geschichte des Château vicomtal reicht mehr als 1000 Jahre zurück. Es wurde ursprünglich um 998/990 als Sitz der Vizegrafen von Vallespir erbaut. Als ein wichtiger strategischer Punkt der Region wurde die Burg im Laufe der Jahrhunderte mehrfach belagert, unter anderem 1286 von den Truppen Jakobs II. von Mallorca und 1473 vom Gouverneur von Roussillon.

Spätestens im 18. Jahrhundert wurde die Burg aufgegeben. Damals begann ihr langsamer Verfall, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich sichtbar war. 2018 erwarb das Département Pyrénées-Orientales die Anlage und restaurierte sie bis 2022 für rund vier Millionen Euro.

Heute birgt die Burg in ihren Gewölbesälen und Palasträumen Ausstellungen zur Geschichte des Schlosses. Zu sehen sind mittelalterliche Rüstungen, Wandeteppiche und Mobiliar sowie Schaupuppen, die die Kleidung jener Zeit tragen. Für Kinder gibt es Spielhefte mit Fragen; für Sehbehinderte Führer in Braille-Schrift. Ein Kleinod ist der mediterrane botanische Garten des Château de Castelnou.

Der Ausblick von den Terrassen der Burg ist wundervoll. Ungehindert schweift der Blick von der Burg von Castelnou über die grünen Hügel der Aspres hin zu den Bergspitzen der Pyrenäen mit dem Massiv des Canigou und den Ausläufern der Albères, die an der Côte Vermeille im Meer versinken.

Gen Norden könnt ihr über sanft gewelltes Land über die Täler von Têt und Agly bis zu den Karstgraten blicken, mit denen bei Maury die Corbières beginnen. Mit etwas Glück zeigt sich auch die höchste Spitze der Hautes Corbières, der 1.230 Meter hohe Pech du Bugarach.

Mata Hari des Zweiten Weltkriegs

Berühmt wurde die Burg von Castelnou als letzter Wohnort von Amy Elizabeth Thorpe. Die schöne Amerikanerin, am 22. November 1910 in Minneapolis geboren, hatte im jungen Alter von neunzehn Jahren einen englischen Diplomaten geheiratet. Als die Ehe nach elf Jahren mit der Scheidung endete, heuerte die British Security Coordination die damals 30-Jährige als Spionin an.

Unter dem Codename Cynthia sollte sie mithelfen, die Geheimnisse der gegnerischen Kryptografie zu entschlüsseln. Nicht nur beim italienischen Admiral Alberto Lais war sie erfolgreich und entlockte mit Erotik und Verführung wertvolle militärische Geheimnisse.

Nach dem Tod ihres ersten Mannes, der ihr fast fremd geworden war, heiratete Thorpe 1945 einen ihrer Informanten, Charles Brousse, einst Presseattaché an der französischen Botschaft. Zurückgezogen lebte das Paar im Château de Castelnou, bis Thorpe am 1. Dezember 1963 im Alter von 53 Jahren an Krebs starb. Ihr zweiter Mann überlebte sie um zehn Jahre und fiel schließlich einem häuslichen Unfall zum Opfer.

Mittelalterliches Bilderbuchdorf

Ein Fußweg führt abseits vom Verkehr zurück ins mittelalterliche Dorf. Kleine Gassen und Treppenwege verbinden dort die parallel verlaufenden Hauptachsen Carrer d’avall und Carrer del mig, die untere und die mittlere Straße.

Durch die Hanglage besitzen die Häuser oft Eingänge an zwei Straßen – und mitunter sogar an drei! Das Ergeschoss war früher für Schafe, Esel und Schweine reserviert, dessen Körperwärme zugleich den Fußboden der Wohnetage heizte. Blickt auch mal auf die claustra, die Schmuckreihe unter dem Dachgiebel. Hier und da ist sie mit geometrischen Figuren verziert, die vor Übel und Unglück schützen sollen.

Am carrer del mig könnt ihr auch noch einen traditionellen Brotbackofen entdeckt, der wie ein Vogelnest am Haus hängt.

Von April bis Oktober findet ihr dort Kunsthandwerker und Galerien, Cafés, Lokale und charmante chambres d’hôtes. Außerhalb der Saison wirkt der Ort so ausgestorben wie einst im 19. Jahrhundert, wo er als verlassen und aufgegeben galt.

Mit der Restaurierung der Burg – und dem wieder erwachten Interesse an alten Bauten – zog wieder neues Leben ein. Galerien und Boutiquen zogen ein und belebten den alten bourg. 2024 eröffnete die Kommune ihre Salle du Tilleul als Ausstellungs- und Veranstaltungsfläche und legte nebenan im Freien ein kleines Amphitheater und einen Bouleplatz an, ergänzt mit einem Klettergerüst für den Nachwuchs.

Mit einer Ausstellung des befreundeten Kunstvereins Expo Créateurs Agly-Fenouillèdes wurde die Salle du Tilleul Anfang September eingeweiht. „Der alte Ortskern von Castelnou darf nicht zur reinen Kulisse verkommen“, sagt Jean-Paul Franco, der in der Kommune für die Kommunikation zuständig ist. „Mit Kultur wollen wir ihn, auch außerhalb der Saison, wenn die Geschäfte geschlossen sind, neu beleben“.

Castelnou rief einen Dimanche des Peintres vor dem Kirchplatz der Église Sainte-Marie du Mercadal ins Leben, veranstaltet seit 2004 am ersten Sonntag im Juni, Juli, August und September den Kunstmarkt Les CRÉATEURS seront EN FÊTE  und rief 2022 mit PINTURA den ersten Wettbewerb für plein-air-Malerei ins Leben, der seitdem jedes Jahr im August an einem Wochenende stattfindet – mit Ausstellungen, Konferenzen und Freiluftmalern im alten bourg. Gemeinsam mit der Siedlung im Tal zählt Castelnou heute offiziell 351 Einwohner.

Lasst euch durch die Gassen treiben hin zum Dorfplatz, und schaut euch einmal die Fassaden aus groben Feldsteinen genauer an. Manche Häuser besitzen noch traditionelle, halbkugelförmige Backöfen. Andere sind unter der Dachtraufe mit Keramikfliesen geschmückt. Bei manchen Wänden hatte ich den Eindruck, als hätte die Burg als Materiallager für die Mauersteine gedient.

Außerhalb der Stadtmauer liegt die Église Sainte-Marie du Mercadal. Sie wurde um 1259 errichtet, der Mutter Jesu geweiht und ersetzte die Kapelle Saint-Pierre im Burghof.

Ihr einfacher Grundriss besteht aus einem Langhaus, das in einer halbrunden Apsis endet. Der Glockenturm und die Sakristei stammen aus dem 18. Jahrhundert. Werft einmal einen Blick hinein – und auch auf die Eingangstür, die romanische Scharniere verzieren.

Castelnou: meine Reise-Tipps

Die prestigeträchtige Auszeichnung von Castelnou lockt Besucher. Entsprechender Andrang, besonders von Ostern bis Oktober, ist damit auch in Castelnou garantiert. Achtung: Parkt bitte korrekt. Es wird radikal abgeschleppt!

Schlemmen

L’Hostal

Küchenchef Paul Bourret serviert katalanische Traditionsküche mit cargolade, escargots à la catalane, Grillgerichten und Winter-Wärmern wie Raclette und Fondue.
• 13, carrer Na Patora, Tel.04 68 53 45 42, www.lhostal.com

Shopping

Weine der Appellation Côtes du Roussillon könnt ihr im Schlosskeller verkosten und kaufen. Werft einen Blick auf die Barriquefässer, die in drei Etagen übereinander liegen!

Bei À la Ruche findet ihr Honig-Spezialitäten aus dem Roussillon.
• Place du village, Tel. 06 63 17 52 96, www.a-la-ruche.com

Gaston Depierre hat früher für Hermès gearbeitet. Seit rund 20 Jahren lebt er in Castelnou, wo er in seiner Werkstatt L’Œuf Surprise historische Schmuckeier, wie beispielsweise von Fabergé, restauriert – und auch eigene Eier entwirft und fertigt.
• 12, Carrer del Mitg, Tel. 04 68 53 01 22

Von Mitte Juni bis Mitte September gibt es jeden Dienstag zudem einen Markt mit lokalen Erzeugnissen. An den aufgestellten Tischen und weiteren Tisch-Bank-Kombinationen aus Holz könnt ihr picknicken!

Schlafen

Le Moulin de Canterane

Mitten in der Natur versteckt sich diese einstige Mühle, die heute Ferienhäuser birgt. Und auch einen hauseigenen Muscat herstellt. Hier habe ich das Anwesen vorgestellt.
• 24140 Eyraud-Crempse-Maurens

La Figuera

Charmantes chambres d’hôtes mit fünf Zimmern im katalanischen Stil, das abends auch eine table d’hôte anbietet.
• 3, carrer de la font d’Avall, Tel. 04 68 53 18 42, www.la-figuera.com

Am Horizont der Canigou: der Moulin de Canterrane. Foto: Hilke Maunder
Am Horizont der Canigou: der Moulin de Canterane. Foto: Hilke Maunder

Noch mehr Betten*

 

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Im Blog

Alle Beiträge aus den Pyrénées-Orientales birgt diese Kategorie. Alle schönsten Dörfer Frankreichs vereint diese Kategorie.

Im Buch

Ralf Nestmeyer, Languedoc-Roussillon*

 Zwischen dem Delta der Camargue und den Gipfeln der Pyrenäen hat Ralf Nestmeyer nahezu jeden Strand gesehen, jede Stadt besucht, jedes Wehrdorf besichtigt – im Languedoc etwas intensiver, im Roussillon fokussiert er auf bekannten Highlights. Inzwischen ist der wohl beste Führer für diese wunderschöne Ecke Frankreichs 2024 in der 10. Auflage erschienen.

Das 588 Seiten dicke Werk ist der beste Begleiter für Individualreisende, die diese Region entdecken möchten und des Französischen nicht mächtig sind. Wer möchte, kann den Band hier* direkt bestellen.

Hilke Maunder, Okzitanien: 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade*

Okzitanien abseits GeheimtippsOkzitanien ist die Quintessenz des Südens Frankreichs. Es in den Höhen der Cevennen, endet im Süden am Mittelmeer – und präsentiert sich zwischen Rhône und Adour als eine Region, die selbstbewusst ihre Kultur, Sprache und Küche pflegt.

Katharerburgen erzählen vom Kampf gegen Kirche und Krone, eine gelbe Pflanze vom blauen Wunder, das Okzitanien im Mittelalter reich machte. Acht Welterbestätten birgt die zweitgrößte Region Frankreichs, 40 grands sites – und unzählige Highlights, die abseits liegen. 50 dieser Juwelen enthält dieser Band. Abseits in Okzitanien: Bienvenue im Paradies für Entdecker!  Hier* gibt es euren Begleiter.

Klaus Simon, Hilke Maunder, Secret Citys Frankreich*

Gemeinsam mit meinem geschätzten Kollegen Klaus Simon stelle ich in diesem Band 60 Orte in Frankreich vor, die echte Perlen abseits des touristischen Mainstreams sind. Le Malzieu in der Lozère, Langogne im Massif Central, aber auch Dax, das den meisten wohl nur als Kurort bekannt ist.

Mit dabei sind auch Senlis, eine filmreife Stadt im Norden von Frankreich, und viele andere tolle Destinationen. Frankreich für Kenner  – und Neugierige!

Lasst euch zu neuen Entdeckungen inspirieren … oder träumt euch dorthin beim Blättern im Sessel oder am Kamin. Wer mag, kann das Lesebuch mit schönen Bildern hier* bestellen.

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6 Kommentare

  1. Castelnou ist einer der Orte, den wir mehrmals zu verschiedenen Jahreszeiten besucht und wo wir immer wieder etwas Neues entdeckt haben. Wunderschön dort und ein idealer Ort für Menschen, die gerne fotografieren…

    1. Hallo Klaus, wie schön! Dann freue ich mich, wenn wir uns bei einer der nächsten Ausstellungseröffnungen einmal persönlich kennenlernen! Bises, Hilke

  2. Bei meiner Reise zwischen Toulouse, Pyrenäen und Mittelmeer im Mai habe ich auch Castelnou besucht, zum Glück ohne jeden Touristenrummel. Wirklich ein hübscher Ort. Leider war die Kirche verschlossen, aber jetzt weiss ich wenigstens wie sie innen aussieht.

    1. Ja, lieber Klaus, Castelnou sollte man unbedingt außerhalb der Saison besuchen, sonst ist es zu überlaufen! Bises, Hilke

  3. Vor Jahren verbrachten wir, meine liebe Frau und ich, in diesem Teil von Südfrankreich Urlaubstage und durften diese Region mit allen unseren Sinnen erfahren/erleben. Es war einer unserer schönsten Frankreichurlaube. Unter Tränen sah ich die abgebildeten Örtlichkeiten wieder, ging in der Erinnerung durch die mittelalterlichen Gasse mit meiner verstorbenen Frau. Es blieben schön Stunden der Erinnerung zurück. Erhielt von meiner Tochter A. diesen Bericht. Merci !

    1. Oh, das freut mich, lieber Herr Frey, dass Ihnen der Bericht Erinnerungen an schöne Tage mit Ihrer Frau hervorrief! Viele Grüße! Hilke

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