Die Humanistische Bibliothek in Sélestat mit dem Anbau von Rudy Ricciotti. Foto: Hilke Maunder
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Die Humanistische Bibliothek von Sélestat

Die Humanistische Bibliothek in Sélestat gehört seit 2011 zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Doch zum Besuchermagneten wurde sie erst im Juni 2018, als sich die Bibliothek, die seit mehr als 120 Jahren im alten Kornhaus untergebracht ist, nach ihrer umfangreichen Renovierung mit seinem Neubau von Rudy Ricciotti und einer völlig neuen Museografie neu präsentierte.

Ihre Wurzeln reichen bis ins 8. Jahrhundert zurück, als die Benediktinerabtei von Schlettstadt gegründet wurde. Über die Jahrhunderte entwickelte sich die Humanistische Bibliothek zu einem Zentrum des geistigen Lebens und der Bildung, die Persönlichkeiten wie Beatus Rhenanus maßgeblich prägten.

Der Humanist wurde 1485 in Schlettstadt geboren, besuchte dort die Lateinschule, studierte in Paris, gab in Straßburg und Basel Bücher heraus, war ein Freund und Mitarbeiter von Erasmus von Rotterdam – und vermachte Schlettstadt seine Bibliothek mit 670 Werken.

Wie kaum ein Anderer ist dieser Mann der Renaissance das perfekte Symbol für den freien, europäischen Geist der Intellektuellen der Renaissance. Die Humanistische Bibliothek spiegelt den Geist dieser Epoche wider, in der das Streben nach Wissen und Bildung im Mittelpunkt stand.

Ihre Dauerausstellung lädt ein, den Spuren von Beatus Rhenanus zu folgen und tief in die Welt der Renaissance einzutauchen. Entdeckt mithilfe der ausgestellten Werke das Leben der Gelehrten im 15. und 16. Jahrhundert und die Stadt Schlettstadt in dieser bewegenden Epoche, in der auch Geiler, Luther und Bucer ihre Schriften veröffentlichten.

Möglich machte es eine Erfindung, die die Welt revolutionierte: der Buchdruck. Plötzlich war es möglich geworden, seine Ideen selbst zu verbreiten – überall und an alle. Das gedruckte Wort wurde eine Weltmacht und demokratisierte das Wissen. Die Ära der Kopisten des Mittelalters, die für Kirche und Krone arbeiteten, endete mit Gutenbergs Erfindung.

Die Renaissance war zudem das Zeitalter der Entdecker und Innovationen. Neben den Karten der Cosmographia von Ptolemäus und anderen wissenschaftlichen Werken zeigt die Humanistische Bibliothek Schlettstadt auch Navigationsgeräde aus dem 16. Jahrhundert.

Seit vielen Jahrhunderten ist die Humanistische Bibliothek ein wichtiger Ort des Studiums und der Bewahrung antiker Schriften und humanistischer Werke. Ein entscheidender Moment in ihrer Geschichte war die Entdeckung der Sélestat-Bibel. Diese Bibel, auch als Biblia Latina bekannt, gehört zu den weltweit ältesten gedruckten Bibeln und war im Jahr 1476 von Johannes Mentelin gedruckt worden.

Berühmte Bücher

Zum Funus gehören Hunderte Manuskripte und illustrierte zillustrierte Inkunabeln sowie Tausende Drucke, darunter sehr viele seltene Werke aus dem 16. Jahrhundert. Ältester Schatz ist ein merowingischer Lektionar.

Hier sind einige weitere der berühmtesten Bücher und Manuskripte, die in dieser einzigartigen Bibliothek aufbewahrt werden:

• Die Gutenberg-Bibel: Die Bibliothek beherbergt eine der wenigen noch existierenden Exemplare der Gutenberg-Bibel, einem Meisterwerk der Druckkunst und eines der bedeutendsten Bücher in der Geschichte der Menschheit.

• Die Biblia Latina von Johannes Mentelin: Bei dieser Bibel handelt es sich um eine der ältesten gedruckten Bibeln, die ein herausragendes Beispiel für die Anfänge des Buchdrucks darstellt.

• Das Breviarium Sylvestrinum: Dieses prachtvolle Manuskript aus dem 15. Jahrhundert ist mit reichen Illustrationen geschmückt und ein bemerkenswertes Beispiel für mittelalterliche Buchkunst.

• Werke von Beatus Rhenanus: Die Sammlung enthält von seinem Schulheft bis zur Schenkung seiner kostbaren Bibliothek die Schriften dieses herausragenden humanistischen Gelehrten, der aus Sélestat stammt und eine Schlüsselfigur für die Bibliothek und die Verbreitung humanistischen Gedankenguts war.

Der Umbau von Rudy Riciotti

Die Bibliothèque Humaniste de l’École Latine (Humanistische Bibliothek der Lateinschule), einst die Privatbibliothek des Gelehrten Beatus Rhenanus, hat seit mehr als 120 Jahren ihren Platz in einer ehemaligen Kornhalle.

2018 hat Rudy Ricciotti das Bücherparadies aus dem 16. Jahrhundert fit für die Zukunft gemacht. Der Stararchitekt, der bereits beim Neubau des MuCEM in Marseille bewiesen hatte, wie harmonisch er historisches Erbe mit zeitgenössischem Design verbinden kann, konzipiert die Institution völlig neu.

Er erweiterte die Humanistische Bibliothek in Sélestat mit einem markanten Annex, ausgekleidet mit jenem Rotsandsandstein, der typisch ist für das Bauerbe der Stadt. Seine Glasfassade gliedern senkrechte Pfeiler in Rotsandstein

So entstanden ein Auditorium, ein literarisches Café, eine Boutique, Lesesäle und ein Raum für Ausstellungen. Mit dieser Erweiterung möchte die Humanistische Bibliothek Schlettstadt zu einem europäischen Zentrum des Buches und des Humanismus aufsteigen.

Ricciotti hat bereits mit dem MuCEM in Marseille sowie in Menton für das Musée Jean Cocteau – Collection Séverin Wunderman atemberaubende Museumsbauten geschaffen.

Neu in Sélestat ist auch die vom Atelier à Kiko und Musquito entwickelte Museografie, die eine beeindruckende Reise in das Herz der Bücher der humanistischen Gedankenwelt erlaubt. Mit der dezenten Beleuchtung und dem Fokus auf den ausgestellten Büchern entsteht eine geradezu meditative Atmosphäre, die die Jahrhunderte dahinschmelzen lässt und die Botschaft der früheren Humanisten im Heute des 21. Jahrhunderts ungeheuer aktuell wirken lässt – als pro-europäische Brise aus der Vergangenheit.

Humanistische Bibliothek Sélestat: Info

• 1, rue de la Bibliothèque, 67600 Sélestat, Tel. 03 88 58 07 20, www.bibliotheque-humaniste.fr

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