Die Porte de Chanelles. Foto: Hilke Maunder
|

Marvejols: filmreif und wehrhaft

Marjevols erstreckt sich auf einem Plateau am Rande des Causse de Sauveterre, umgeben von sanften Hügeln und schroffen Schluchten. Die strategische Lage zwischen den Flüssen Colagne und Bès und am Schnittpunkt von drei Naturräumen – der Margeride im Nordosten mit dem Boulaine-Gebirge, dem granitenen Hochplateau des Aubrac im Nordwesten und de  Grands Causses im Süden – machte das Dorf im Mittelalter zu einem wichtigen Handelsknotenpunkt. Die Geschichte von Marjevols ist von Kriegen und Eroberungen geprägt, und die Spuren vergangener Zeiten sind bis heute in der Architektur des Dorfes sichtbar.

In der Porte du Soubeyran befindet sich heute ein kleines archäologisches Museum befindet, das die Entdeckungen präsentiert, die bei Ausgrabungen rund um Marvejols gemacht wurden. Erhalten ist neben der Porte de Chanelles auch noch die Porte du Therond, an der zwei Bronzeskulpturen von Emmanuel Auricoste den König Heinrich IV. und das Biest von Gévaudan darstellen.

Drei wuchtige Stadttore, massive Wehrmauern, enge Gassen, eine Kirche und ein lauschiger Platz: Die Altstadt von Marvejols bei Mende im Département Lozère ist wahrhaft filmreif – und hat Kinogeschichte geschrieben. Dort drehte Jean-Jacques Beineix nach dem Roman von Philippe Djian eine Szene aus dem Kultfilm Betty Blue: 37,2 Grad am Morgen*.

Betty Blue in der Provinz

Der Film ist ein Roadmovie zweier Liebender mit tödlichem Ausgang. Der 34-jährige Zorg ist ein Handwerker, der für die Reparatur und Instandhaltung einer kleinen Feriensiedlung zuständig ist. Er lebt in Gruissans Strandviertel Les Chalets in einem Bungalow auf Stelzen und dort lernt Betty kennen: hübsch, impulsiv und sinnlich.

Im Sturm erobert sie sein Herz. Eine leidenschaftliche Liebesgeschichte beginnt. Doch Betty hat bald genug vom kleinen, engen Leben. Und sorgt mit ihrem Verhalten dafür, dass Zorg in Streit gerät mit seinem Chef und seinen Job verliert.

Die <em>Rue de la Réublique/em> in Marjevols. Foto: Hilke Maunder
Die Rue de la Réublique in Marjevols. Foto: Hilke Maunder

Nach einem Streit mit Zorgs Chef brechen die beiden Liebenden aus und begeben sich auf die Suche nach einem Ort, an dem sie ihre freie und unbeschwerte Liebe ausleben können.

So kommen sie schließlich ins Département Lozère nach Marvejols, wo Eddy nach dem Tod seiner Mutter einen Klavierladen geerbt hatte, den sie übernehmen. Doch auch dort steht ihre Liebe unter keinem guten Stern, sondern entfesselt zerstörerische Kräfte.

Zorg muss ansehen, wie die Frau, die er liebt, mehr und mehr dem Wahnsinn verfällt. Eines Tages greift er zum Kissen. Und beendet das Martyrium ihrer zerstörerisch verschmelzenden Liebe.

Die <em>Rue Théodor Jean</em> von Marjevols. Foto: Hilke Maunder
Die Rue Théodor Jean von Marjevols. Foto: Hilke Maunder

Der zweite Kultfilm von Marvejols

Als der Film 1986 in die Kinos kam, wurde das Städtchen von Filmtouristen überrannt. Auch, weil nahezu zeitgleich noch ein anderer Film für Furore gesorgt hatte, der ebenfalls in Marvejols und Le Malzieu-Ville dreht worden war: Hors-la-Loi von Robin Davis.

Sein Spielfilm ist ein fulminantes Roadmovie rund um eine Gruppe Jugendlicher, die aus ihrem Heim mit einem geklauten Laster ausbrechen zu einer nächtlichen Kneipentour, die eskaliert, als es zum Streit beim Bezahlen kommt. Der Ton wird schärfer, der Wirt schießt – und trifft einen Jungen tödlich. Einer seiner Freunde sticht auf den Schützen ein. Danach fließt die Band – und flüchtet vor der Polizei in die Lozère.

Blick von der <em>Rue d'Emborelle</em> auf das <em>Collégiale Notre-Dame de la Carce</em>. Foto: Hilke Maunder
Blick von der Rue d’Emborelle auf das Collégiale Notre-Dame de la Carce. Foto: Hilke Maunder

Vergessen … und bewahrt

Inzwischen verirrt sich kaum ein Kinogänger noch nach Marvejols. In seinen Gassen ist die rurale Renaissance noch nicht angekommen, zahlreiche Geschäfte sind verrammelt und verriegelt.

Doch dazwischen locken immer wieder kleine, inhabergeführte Geschäfte locken mit kreativen Kreationen und lokalen Spezialitäten. Nicht herausgeputzt, sondern authentisch: Marvejols, das stille Juwel der Lozère. Was hat es nicht alles erlebt im Laufe seiner langen, sehr wechselvollen Geschichte!

Eine königliche Geschichte

Marvejols wurde 1307 eine „königliche Stadt“, als Philipp IV. der Schöne sie in Gévaudan zu seiner Hauptstadt machte. Während des Hundertjährigen Krieges befestigt, konvertierte sie im 16. Jahrhundert zum Protestantismus und stellte sich auf die Seite von Heinrich von Navarra, dem späteren Heinrich IV.

Von den Truppen des Herzogs von Joyeuse belagert, wurden drei Viertel der Bevölkerung massakriert, die Stadt niedergebrannt und die Befestigungsanlagen zerstört. 1601 ließ Heinrich IV. die Stadt 1601 wieder aufbauen. Marvejols drei Tore bezeugen bis heute diese unruhige Zeit.

Für einen gewissen Wohlstand sorgten Jahrhunderte langdie zahlreichen Mühlen, die ab dem 14. Jahrhundert am Colagne-Fluss gebaut wurden.

Der Niedergang der Textilindustrie

Die Mühlen versorgten die Textilmanufakturen mit Wasserkraft. Im Jahr 1850 gab es in der Stadt vier Spinnereien, 90 Handwebstühle, 4 Walkmühlen und 3 Färbereien. Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch schon begann der Niedergang der Textilindustrie in Marvejols, dessen Fabriken technisch überholt waren und mit den Fabriken in Nordfrankreich nicht länger konkurrieren konnten. 1969 schloss das letzte Textilwerk.

Es gibt jedoch noch einige (private) Gebäude, die einen Einblick in die lokale Textilgeschichte geben. Dazu gehören die die Fabrik von Lignon mit ihrem Blick auf Marvejols, die Fabrik von Pineton, die allein bis zu 500 Menschen beschäftigte sowie die  Textilwerke La Trivalle, dPiquetrabuc und La Goutelle. Die Fabrik von Monplaisir war die einzige, die ihre Webstühle nicht mit Wasserkraft betrieb. Sie stellte Filz her, der von der ebenfalls verschwundenen Hutmanufaktur von Saint-Léger-de-Peyre verwendet wurde.

Die industrielle Vergangenheit von Marvejols könnt ihr heute auf eigene Faust, auf Rundgängen und auf Führungen im Rahmen der Europäischen Denkmaltage entdecken.

Ein grandioses kleines Museum

Das Petit Musée des deux Alberts stellt euch die wichtigsten Phasen der Stadtgeschichte seit 1060 vor, präsentiert ausführlich das Marvejols des 14. Jahrhunderts – und birgt einen Schatz, den ich als Journalistin, die noch mit Lettern und dem Blick auf die Arbeit der Setzer bei der Mettage das Arbeiten im Verlag begann, fast noch faszinierender finde.

Das Petit Musée des deux Alberts birgt eine funktionsfähige Rekonstruktion einer typografischen Marvejolais-Druckerpresse, die Albert Guerrier 1892 geschaffen hat – mit beweglichen Lettern, graviertem Holz, Platten und allem, was sonst noch dazu gehört. Bei einer Führung erwacht sie zu neuem Leben.

Hingucker auf der Place Henri Cordesse: die Sitzbänke aus Holz mit ihren blühenden Geranien. Foto: Hilke Maunder
Hingucker auf der Place Henri Cordesse: die Sitzbänke aus Holz mit ihren blühenden Geranien. Foto: Hilke Maunder
Die Standuhr der Place Henri Cordesse. Foto: Hilke Maunder
Die Standuhr der Place Henri Cordesse. Foto: Hilke Maunder

Landflucht & Neubürger

Marvejols ist mit seinen 4.7123 Einwohner nach Mende, das rund 12.000 Einwohner zählt, die zweitgrößte Stadt des Départements Lozère. Dieses war früher Teil der historischen Provinz Gevaudan, die während des Ancien Régime bestand. Diese Region erstreckte sich über Teile der heutigen Départements Lozère, Cantal und Haute-Loire. Dort sorgte einst die „Bestie von Gevaudan“, auch das „Ungeheuer von Gevaudan“  genannt, Ende des 18. Jahrhunderts für Aufsehen, Angst und Schrecken.

Das Département Lozère ist mit rund 76.586 Einwohnern das am dünnsten besiedelte Départements Frankreichs und gehört zu den bevölkerungsärmsten Gegenden der Europäischen Union.

Im 19. Jahrhundert hatten noch mehr als 150.000 Menschen dort gewohnt und von der Landwirtschaft, und besonders der Viehzucht, gelebt.

Zum Verkauf: die Schlachterei der Rue de la République. Foto: Hilke Maunder
Zum Verkauf: die Schlachterei der Rue de la République. Foto: Hilke Maunder

Die massive Landflucht im Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung Frankreichs stoppte erst Mitte der 199er-Jahren dank der Erschließung des Massif Central mit Verkehrswegen. Die Autobahn A 75 hat dazu maßgeblich beigetragen. Besonders Marjevols profitierte und wuchs außerhalb der Altstadt entlang des Laufs der Colagne.

Seit der Corona-Pandemie erleben die einst abgeschiedenen Orte eine massive Nachfrage nach Grundstücken und Immobilien von Großstädtern. Künstler und Neorurale zieht es ebenfalls inzwischen in die Lozère – zumal dort auch der Internet-Ausbau mit Glasfaser und 5G massiv vorangetrieben wurde.

Foto: Hilke Maunder
Foto: Hilke Maunder

Marvejols: meine Reisetipps

Hinkommen

Auto

Marjevols ist nur einen Katzensprung von der mautfreien Autobahn A75 durch das Landesinnere entfernt.

Bahn

Seit 1884 hält die Bahn in Marjevols – heute mit TER-Regionalzügen nach Béziers und Intercités nach Clermont-Ferrand.

Erleben

Marveloz‘ Pop Festival

Mitte Juli könnt ihr beim das Marveloz‘ Pop Festival drei Tage lang in die Trente Glorieuses eintauchen und die Jahre von 1950 bis 1970 von Kino über Musik bis hin zu Straßenkunst  nacherleben.
www.marveloz.fr

Schlemmen und genießen

Restaurant Domaine de la Carrière

Die Domäne Carrière ist ein ehemaliges Jagd- und Lustschloss. Das Hauptgebäude und die Stallungen stammen aus dem 17. Jahrhundert, die Türme wurden im 19. hinzugefügt.

Seit 1995 bietet die Familie  https://www.marveloz.fr/ auf ihrem efeuberankten Landsitz Kost und Logis im Grünen, nur wenige Minuten außerhalb von Marvejols. Schön im Sommer: die große, mit Sonnenschirmen ausgestattete Terrasse.
• 63, Route de l’Empéry, 48100 Marvejols, Tel. 04 66 32 92 39,  www.domainedecarriere.com

Wochenmarkt

Dienstags und samstags ist Marktzeit auf der  Place Cordesse von 8 bis 13 Uhr.

Au P’tit Crémier

Die Spezialität der Lozère: der Kartoffel-Käse-Brei <em>L'Aligot</em>. Foto: Hilke Maunder
Die Spezialität der Lozère: der Kartoffel-Käse-Brei L’Aligot. Foto: Hilke Maunder

Neben einer gut sortieren Auswahl lokaler, regionaler und beliebter französischer Käsesorten gibt es hier auch hausgemachtes Aligot zum Mitnehmen!
• 14, Rue Sadi Carnot, 48100 Marvejols

Hier könnt ihr euch mit Zutaten für ein Picknick versorgen! Foto: Hilke Maunder
Hier könnt ihr euch mit Zutaten für ein Picknick versorgen! Foto: Hilke Maunder

Schlafen

Noch mehr Betten*

Booking.com

In der Nähe

Les Loups du Gévaudan

Neun Kilometer nördlich von Marvejols stellt der fünf Wolfsrassen aus vier Kontinenten vor. Wer mag, kann im größten Wolfspark Europas auch übernachten.
• 48100 Saint-Léger-de-Peyre, Tel. 04 66 32 09 22, www.loupsdugevaudan.com

Étang de Bonnecombe

In Nähe des Col de Bonnecombe lädt auf 1340 Metern Höhe der Étang de Bonnecombe 23 Kilometer westlich von Marjevols zum Angeln mit der Familie oder mit Freunden eignet. Dazu wurden rund um den Teich Pontons angelegt. Mit ziemlicher Sicherheit könnt ihr dort eine Regenbogenforelle fangen – oder einfach nur das Ballett der Libellen bewundern, die zum Klang der Frösche und Kröten über dem Wasser tanzen und zwischen den Gräsern umherschwirren.

Cascade du Déroc

In Nasbinals, 30 Kilometer nordwestlich von Marjevols, beginnt der Wanderweg zur Cascade du Deroc, wo sich ein Nebenfluss der Bès über eine Basaltkante 30 Meter tief hinabstürzt –  vor einer Höhle im Fels, die Räubern als Zuflucht diente, ehe Dr. Barthélémy Prunières sie entdeckte. Der Pariser Mediziner arbeitete in Marvejols als Arzt und interessierte sich, wie es zu seinen Lebzeiten groß in Mode war, für die Vorgeschichte. In Frankreich gilt er als Vater der Paläopathologie.

Perfekt für den Stadtbummel: der kleine Parkplatz vor der Porte de Soubeyran. Foto: Hilek Maunder
Perfekt für den Stadtbummel: der kleine Parkplatz vor der Porte de Soubeyran. Foto: Hilek Maunder

Weiterlesen

Im Blog

22 Kilometer nördlich von Marvejols liegt Aumont-Aubrac auf rund 1000 Metern Höhe auf dem Plateau von Aubrac – ein lohnenswerter Abstecher von der mautfreien Autobahn A 75!

Im Buch

Hilke Maunder, Secret Places Frankreich*

Secret Places FrankreichEiffelturm, Lavendelfelder und die Schlösser der Loire sind weltbekannte Ziele in Frankreich. 60 wunderschöne Orte abseits des Trubels stellen Klaus Simon und ich in unserem dritten Gemeinschaftswerk vor.

Die Schluchten von Galamus, die Gärten von Marqueyssac, Saint-Guilhelm-le-Désert, Mers-les-Bains, den Bugey oder die Île d’Yeu: Entdeckt unsere lieux insolites voller Frankreich-Flair!  Wer mag, kann den Band hier* online bestellen.

* Durch den Kauf über den Partner-Link, den ein Sternchen markiert, kannst Du diesen Blog unterstützen und werbefrei halten. Für Dich entstehen keine Mehrkosten. Ganz herzlichen Dank – merci !

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert