La Madeleine: 17.000 Jahre lang bewohnt
Dort, wo die Vézère ihre einzige echte, enge Schleife macht, ist Louis Hamelin der Herr über ein Welterbe der Menschheitsgeschichte: la Madeleine. Von der Steinzeit bis ins 19. Jahrhundert haben Menschen hier am Südufer des Flusses im Schatten einer 400 Meter langen Kalkklippe gelebt und ihre Spuren hinterlassen.
Nicht der Staat, sondern eine alte perigourdinische Familie ist Eigentümerin dieser Stätte. 2018 übernahm Louis Hamelin den Familienbetrieb. Acht Jahre lang hatte der Franzose in Paris gearbeitet, große Events moderiert und als Journalist gearbeitet, ehe er wieder zurückkehrte ins heimatliche Périgord.
Doch nicht nach Saint-Amand-de-Coly, wo er aufgewachsen war und sein Bruder Alban mit seiner Partnerin die Cabanes de Jeanne eingerichtet haben. Sondern nach Tursac, wo sein Vater jahrzehntelang den village troglodytique de la Madeleine in Tursac betrieben hatte.
„Beide sind jetzt im Rentenalter, und meine Mutter hatte genug von Zahlen und Buchhaltung“, erzählt Louis. Voller Tatendrang ist der Mann in den Dreißigern, der sich als erstes einen Hund aus dem Tierheim holte, der ihn jetzt bei allen Aufgaben begleitet.
Zur neuen Generation, die für den Familienbetrieb große Pläne hat, gehört auch Marie Hamelin. Louis Schwester hat sich ebenfalls neu orientiert und die alte Hofstelle in der engen Schleife der Vézère umgebaut zu einem Erlebnisbauernhof, der zur Saison 2021 eröffnete.
La Madeleine von unten nach oben
Prähistorische Stätte (gisement préhistorique)
Auf Höhe des Wasserspiegels entdeckte Édouard Lartet im Jahr 1863 die ersten Spuren von Menschen, die vor rund 17.000 Jahren dort gelebt hatten. Nach ihm wühlte Denis Peyrony in der Erde und legte weitere Funde frei: Zähne, Knochen, Kunstwerke und Werkstücke, insgesamt fast 22.000 Objekte.
Sie veränderten das Bild, das die Wissenschaft von den Eiszeitjägern hatte. Jene waren weitaus entwickelter, als bisher angenommen. Statt Feuersteinkeilen nutzten sie eine Vielzahl von Speerspitzen aus Knochen oder Horn.
Mal waren sie konisch, mal mit Rillen versehen, dann mit Widerhaken versehen, durchbohrt oder mit Gravuren versehen. Auch Speerschleudern und Angelhaken nutzen der die Vorzeitmenschen bei der Jagd auf Wildpferde, Wisenten, Wölfe und Rentiere.
Magdalénien nannten sie die Wissenschaftler nach ihrer Lagerstätte, sperrten den Fundort für die Öffentlichkeit und ernannten ihn zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Mittelalterliches Höhlendorf
Als Louis Hamelin La Madeleine übernahm, war der Prallhang völlig überwuchert. Zwei Jahre lang reinigte die Familie die Klippe vom Grün. Und legte dabei auch horizontale Streifen im Stein frei.
„Wir nennen sie larmiers. In der Steinzeit lehnten die Jäger dort ihre Schutzzelte gegen die Klippe. Im Mittelalter nahmen die Vertiefungen den Dachfirst auf – und sorgten auch dann dafür, dass kein Wasser in die Unterkunft dringen konnte. Haus und Fels waren perfekt verbunden“, sagt Louis.
Flucht vor den Wikingern
Im 9. Jahrhundert fielen die Wikinger im Périgord ein und schipperten ab 845 n. Chr. mit ihren Schiffen auch die Vézère hinauf. Die Menschen flüchteten, verließen ihre Dörfer im Tal – und suchten Schutz in den Höhlen, die die Erosion in halber Höhe in die Klippe gegraben hatte.
Erster Fluchtpunkt wurde ein großer Saal im Osten der Klippe, der weit in den Fels hinein reicht. Aus den Steinhaufen ragen aufgemauerte Wandstücke heraus: die Grundrisse eines Wohnhauses. Auch der gemauerte Bogen eines ehemaligen Backofens ist bis heute erhalten.
Eine ausgestemmte Rinne, in die obere Felswand gestemmt, sicherte die Wasserversorgung. Als Ausguck und Wachtturm diente eine Holzkonstruktion vor der Höhle.
Vom östlichen Bereich führt als Hauptstraße ein einziger Weg vorbei an allen Häusern bis zu einem zweiten Ausguck im Westen. Auch hier wurde eine Rinne in den Stein gestemmt, um Regenwasser in die Häuser zu leiten – und Abwasser hinab zum Fluss. Pfostenlöcher im Fels verraten, dass die Hauptstraße einst überdacht war.
Erst später wurden vor den Höhlen Außenwände aus massivem Mauerwerk hochgezogen, um sich vor Angriffen vom Tal oder Boot aus zu schützen. Abgefeuerte Pfeile und Brandsätze konnten so keine Schäden anrichten.
Küche
Bis in das 19. Jahrhundert war die Küche des Höhlendorfes in Gebrauch. „Sie war das Zentrum des Dorfes, hier traf man sich zum Essen, Trinken… und zum Tratschen. Besonders beliebt war die Küche im Winter – denn hier war es immer warm“, erzählt Louis.
Der Kamin diente nicht nur zum Kochen, sondern auch zum Räuchern von Fleisch und Fisch. Der Backofen war ein four à banal, in dem alle gemeinsam ihr Brot buken.
Eine in den Fels geschlagene Truhe hielt die Lebensmittel kühl und dunkel und damit frisch. Diesen Zweck erfüllte vermutlich auch ein in den Boden gelassenes, großes rundes Steingefäß. Der Rauch, der sich unter der Decke sammelte, zog durch eine Öffnung über der Tür ins Freie. Bis heute sind an der Felswand schwarze Rußspuren zu sehen.
Weberhaus
Viele Jahrhunderte in Betrieb war auch das Weberhaus. Löcher und Vertiefungen im Boden verraten, wo einst der Webstuhl gestanden hatte. Aus Flachs, Hanf und Schafwolle fertigten Generationen von Webern für alle Bewohner die Kleidung.
Kapelle
Zum Höhlendorf gehörte auch eine Felskapelle. Auf ihren romanischen Fundamenten errichteten die Burgherren von Le Petit Marzac im 14. Jahrhunderten eine zweite Kapelle mit Kreuzrippengewölbe im gotischen Stil. Die Wände schmückten farbige Fresken, von denen heute nur noch die horloge du soleil erhalten ist.
Die Burganlage Le Petit Marzac
Dort, wo die Klippe oben endet, erheben sich die Ruinen des Château du Petit Marzac. Auch die 400 Quadratmeter große Burganlage war einst völlig überwuchert vom Grün. Auch hier packte Louis mit der Familie und helfenden Händen an und legte eine rechteckige Burg frei, die direkt auf der Kante der 40 Meter senkrecht abfallenden Felswand steht. Vom Fluss aus gesehen, scheinen die Mauern aus der Steilwand empor zu wachsen.
Besonders eindrucksvoll bis heute ist der Donjon im Westende der Burg. Nirgendwo sonst sind die Mauern so dick: Der Rundturm war die letzte Zuflucht.
Der Gemüsegarten (le potager)
Mit Gemüse und Obst versorgte die Bewohner des Troglo-Dorfes ein potager, der vom Fluss aus nicht einsehbar war. Auch Heil- und Aromapflanzen wurden dort angebaut.
Der Erlebnisbauernhof (la ferme)
Seit 2021 gehört zu La Madeleine auch ein Erlebnisbauernhof. Er entstand auf Initiative von Marie Hamelin. „Wir möchten dort zeigen, wie damals die Menschen gewirtschaftet haben, was sie ernährte, welche Tiere sie hielten, was sie anbauten – und welche Werkzeuge und Techniken sie nutzten“, sagt Marie Hamelin.
Und so wächst auf dem großen Feld kein hochgezüchteter Hybridweizen, sondern eine alte Weizenart. Das Korn verarbeitet ein Bäcker zu Mehl und bäckt daraus Brot, das vor Ort verkauft wird.
Laut gackernd läuft das Federvieh über den Hof, das eigentlich dem Nachbarn gehört. Esel, Pferd und Schwein hat Marie auf den Hof geführt. Die einstige Trockenscheune für Tabak lädt heute zur Zeitreise ein. Werkzeug, von Vater Charles jahrzehntelang gesammelt, spiegelt die Entwicklung der Landwirtschaft wider. Schwarzweißfotos stellen Bauern und Feldarbeit von früher vor.
Natur und Handwerk
Die junge Generation hat auch dem Online-Auftritt neuen Schwung verliehen und die Erlebnisangebote umfangreich erweitert. Im Sommer zeigen Bruno und Mano euch die Arbeit in der Schmiede. Eigenhändig könnt ihr dort mit ihrer Hilfe euren eigenen Nagel schmieden und mit nach Hause nehmen. Die Schmiedeschürze umgebunden und eine Stunde lang ran an den Amboss und ans Feuer!
Auf Naturlehrpfaden am Ufer der Vézère könnt ihr heute die Fährten von Tieren entdecken, die reiche Vogelwelt und die besondere Botanik in der Schleife der Vézère. Und wem es so gut gefällt, dass er bleiben möchte, soll künftig in Gästezimmern schlummern und in der Dämmerung die Wildschweine sehen können, die aus dem Unterholz hervorkommen.
• Le Petit Marzac, Route de la Madeleine, 24620 Tursac, Tel. 05 53 46 36 88, www.la-madeleine-perigord.com
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Hallo Hilke,
die Artikel wecken Erinnerungen an einen traumhaften Urlaub in der Region der Dordogne.
Unser Standort war zentral in Le Bugue. Was wir von da aus unternehmen konnten, war spitze! Lascaux, La Roque St. Christophe, Site de la Madeleine, Les Eyzies-de-Tayac-Sireuil, Sarlat bis Bordeaux und St.Emilion..wir waren begeistert…und nicht zu vergessen die Momente an den Ufern der Vézère und der Dordogne…, wir hätten uns nur noch mehr Zeit gewünscht!!
Danke für “ ces souvenirs “
Herzliche Grüße Siegrid Frick
Liebe Siegrid, wie schön! Und ja, mehr Zeit… die hätte ich mir dort auch gewünscht. Es gab viel zu viel zu sehen! Herzliche Grüße! Hilke
Ach, liebe Hilke… Diesen Beitrag habe ich mit Wonne gelesen! Eigentlich bin ich ein Kind des Südens (30 Gard) aber das Schicksal hat mich ins Perigord « gebeamt ».. und was soll ich sagen, ich geh hier nicht mehr weg…❤️
Hallo Dana, dann hat es das Schicksal ja wohl doch recht gut mit Dir gemeint :-). Ich durfte den Landstrich zum ersten Mal ausgiebig entdecken – und fing an zu zweifeln, ob ich hier im Süden tatsächlich so richtig bin… es ist ein wundervolles Fleckchen Frankreichs, dem ich dann – aufgrund der vielen Themen – gleich im letzten Newsletter ein Special „Dordogne“ gewidmet hatte. Viele Grüße! Hilke