Der Neandertaler der Corrèze
Der Neandertaler: War er der erste Mensch? Oder gab es schon Menschen vor ihm? Und wenn ja: Waren es Wesen, erschaffen von Gott? Ein Enkel der Affen? Seit Charles Darwins Pionierwerk zur Evolution, dessen langer Titel 1872 verkürzt wurde auf The Origin of Species (Über die Entstehung der Arten), war auch Frankreich am Erde des 19. Jahrhunderts völlig fasziniert von der Prähistorie.
Im ganzen Land durchwühlten Hobby- und echte Paläontologen das Land. Begeistert mit dabei waren vor allem Geistliche aus dem Périgord.
Welterstes Neandertal-Skelett
Am 3. August 1908 entdeckten die beiden Äbte Amédée und Jean Bouysonie das erste fast vollständige Skelett eines Neandertaler-Menschen und die erste Grabstätte jener Zeit.
Die Geistlichen gehörten einer christlichen Avantgarde-Bewegung an. In ihren Augen betraf die Evolutionsgeschichte nur den Körper des Menschen, nicht aber dessen Seele.
Auch ihr geistlicher Freund Louis Badon war von der Vorgeschichte fasziniert. Gemeinsam hatte das Trio bereits mehrere Fundstätten in der Umgebung durchsucht.
Geistliche Vorzeit-Forscher
Am 3. August 1908 fehlte Badon. Zu zweit durchwühlen die Kleriker an jenem Sommertag die kleine Höhle La Bouffia Bonneval. In der Höhle entdecken die Geistlichen eine auffällige, kreisförmige Vertiefung im Boden.
Vorsichtig beginnen sie zu graben. Zum Vorschein kommen Knochen – menschliche Knochen aus der Vorzeit, wie sie bereits in Deutschland und Belgien gefunden worden waren.

Auf Anraten ihres Freundes Abt Breuil schicken sie die Knochen dem Leiter der Paläontologie im naturgeschichtlichen Museum von Paris. Ganz im Einklang mit dem Wissen und Denken jener Jahre stellt Marcellin Boule fest: Das Skelett sei das fehlende Bindeglied zwischen dem Affen und dem Menschen dar.
In diesem Punkte irrte Boule. Doch das fast vollständige Skelett eines Neandertalers aus La Chapelle-aux-Saints ist bis heute eine weltberühmte Referenz für die Vorgeschichte.
Meilenstein der Menschheit
Der Ursprung der Menschheit ist afrikanisch. Dort wurden die ältesten menschlichen Vorfahren gefunden. Der fossile Primatenschädel Toumaï, der 2001 in der Djourab-Wüste im Tschad entdeckt wurde, ist mehr als sieben Millionen Jahre alt. 350.000 Generationen vom Menschen trennen uns von ihm.
In Kenia lebte mit dem Orrorin tugenensis eine Hominidenart, die etwa 5,9 Millionen Jahre alt ist. Zur Gattung des Australopithecus gehörte Lucy, die Yves Coppens in Äthiopien fand. Zwar lebte Lucy meist auf Bäumen, kannte aber schon den aufrechten Gang. Aus einer dieser Uralt-Arten entwickelte sich der Homo habilis, der erstmals Werkzeuge nutzte.
Roselyne Mons, Direktorin des Musée de l’homme de Néandertal, und ihr Team stellen bei Führungen und Veranstaltungen unsere Urahnen so konkret und lebendig vor, als seien es allesamt ihre Nachbarn. Aus dem Zeitstrahl an den Museumswänden mit ihren Streifen und Zahlen lösen sie sich in Geiste heraus und werden leibhaftig.

Die ausgestellten Schädel zeigen, wie sehr Hirn und Kiefer sich veränderten. Der Homo Erectus ist größer als seine Ahnen, besitzt einen größeren Schädel, stellt bessere Werkzeuge her, entdeckt und beherrscht das Feuer. Und verlässt Afrika.
Von Afrika in alle Welt
Nur langsam kommt er vorn. 25 Kilometer pro Generation legt der Homo erectus bei seinem Marsch gen Norden zurück. Als er im Nahen Osten ankommt, teilt sich sein Volk. Eine Gruppe zieht nach Osten, wird dort zum Homo floresiensis, hinterlässt Spuren als Java-Mensch und Zeugnisse als Peking-Mann.
Die zweite Gruppe geht nach Westen. Als der Homo erectus in Europa ankommt, blockiert ihn das Eis. Große Gletscher der letzten Eiszeiten schneiden ihm den Weg zurück nach Afrika ab. Er lernt, sich seiner Umgebung anzupassen, wird muskulös und stämmig.
Unterdessen hat sich in Afrika der Homo erectus zum Homo sapiens weiterentwickelt. Auch er verlässt den schwarzen Kontinent – und kolonisiert nach und nach den ganzen Planeten.

Verdrängt vom Homo sapiens
Vor rund 40.000 Jahren erreicht auch der Homo sapiens Europa. Dort lebt immer noch der Neandertaler. Doch rund 5-10.000 Jahre nach Ankunft des Homo sapiens ist der Neandertaler ausgestorben.
Sein Verschwinden hat mehrere Gründe. Blutsverwandtschaft und Krankheiten ließen die Bevölkerung schrumpfen. Das wärmere Klima veränderte das Nahrungsangebot. Zudem war der Homo sapiens nicht nur invasiv, sondern auch weiter entwickelt. Als jener den Planeten eroberte, verschwanden alle anderen menschlichen Urahnen.
Doch jeder von uns ist bis heute ein wenig Neandertaler. Europäer wie Asiaten besitzen bis heute ein Prozent Neandertal-DNA.
Der Neandertaler von La Chapelle-aux-Saints hat den Forschern viel über seine Art verraten. Der Neandertaler aus der Corrèze war ein vermutlich 50-60 Jahre alter Mann. Er war so sehr gehbehindert, dass er auf die Hilfe der Gemeinschaft angewiesen war.
Sein Grab in der Grotten-Grube belegt, dass es schon von 100.000 Jahren Bestattungsriten gab. „Der Neandertaler zeigte Empathie und Mitgefühl und hatte eine besondere Beziehung zum Glauben und zum Tod“, sagt Roselyne Mons.
Musée de l’Homme de Neandertal
19120 La Chapelle-aux-Saints, Tel. 05 55 91 18 00, www.neandertal-musee.org, April – Oktober; Zugang behindertengerecht.
Veranstaltungen
La Nuit Européenne des Musées, Mitte Mai
Journée Européenes de l’Archéologie, Mitte Juni
Fête de la Préhistorie & Salon du Live Préhistorique, Ende Juli/Anfang August
Hier könnt ihr schlafen*

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Und von da kam der ehemaliger Präsident Francois Hollande, er war noch nicht so weit entwickelt . . .
… böse… 😉