Landpartie in der Auvergne
Auf den ersten Blick sieht sie aus wie Bratkartoffeln, die ins Fondue gefallen sind: die Truffade. Mit dicken Topflappen hält Christine Valeix die Platte mit dem Nationalgericht der Auvergne. Vier pralle Würste ruhen auf dem Käse-Kartoffelberg, in dem sich nebenMit vielen Schlenkern und Abstechern jungem Cantal und etwas Knoblauch noch Unmengen an Entenfett verstecken.
Herzhafte Kost
Mit einer großen Kelle verteilt Madame, die allabendlich für ihre Gäste eine table d’hôte kocht, die Truffade auf die Teller. „Lassen Sie es sich schmecken! Hier wird noch ordentlich gegessen!“
„Ordentlich“ heißt für Madame: Was sie serviert, kommt aus der Heimat, wird traditionell zubereitet und in üppigen Portionen serviert.
Bodenständig und authentisch. Kraftfutter für das Leben in den hautes terres, den hohen Bergregionen der Auvergne.
Besonders im Cantal, das die höchsten Gipfel des Zentralmassivs vereint, lässt sich dieses ursprüngliche, traditionsbehaftete Frankreich erleben.
Bizarres Vulkanland
Vor dreizehn bis drei Millionen Jahren explodierte dort gleich drei Mal ein 3500 Meter hoher Schildvulkan. Er verlor dabei – ähnlich wie 1980 der Mount St. Helens – zwei Drittel seiner Größe.
250 m dick legten sich Lavaströme auf das Land. Sie bildeten Basaltorgeln, hinterließen Schlackenkegel und schufen eine ganz eigentümliche Landschaft, in der Gletscher sternförmig Täler formten, Vulkanreste freilegten und Seen hinterließen.
Mehr als 1800 m hoch ragen rund um die markante Pyramide des Puy Mary (1787 m) die Gipfel auf.
Fünf Käse-Könige
Mufflons und Gämsen klettern über felsige Flanken. Mit weiten, ausladenden Hörnern, breitem Kopf und lockigem, rotbraunen Fell weiden urzeitliche Salers-Rinder auf den Hochalmen.
Von Mai bis November futtern sie dort Wildblumen und Kräuter und liefern eine aromatische Milch, die den Rohstoff für fünf köstliche Käse liefert: Fourme d’Ambert, Bleu d’Auvergne, Saint-Nectaire, Salers und Cantal.
Alle fünf tragen das Qualitätssiegel einer Appellation d’origine protégée, die die traditionelle Herstellung vor Ort in höchster Güte garantiert. Entdecken lässt sich das Quintett auf der Route du Fromage.
Mit vielen Schlenkern und Abstechern führt sie zu rund 40 Bauernhöfen, Kooperativen und Käseproduzenten. Sie verraten dort die Geheimnisse ihrer Käse-Spezialitäten, bieten Kostproben und Kurse an und verkaufen ihre Produkte in Hofläden und auf Märkten.
Mit dabei sind neben fünf AOP-Käsen auch andere aromatische Sorten aus der Auvergne – der Gaperon von den Bauern des Puy-de-Dôme, der Carré d’Aurillac, der Hartkäse Fourme de Rochefort und viele mehr. Sie sind allesamt so köstlich, dass ich ihnen einen eigenen Beitrag gewidmet habe.
Trutzige Orte aus Vulkanstein
Im Westen der Käsestraße der Auvergne liegt Salers, das als Bilderbuchstädtchen aus Basalt der kulturhistorischen Vereinigung der „Schönsten Dörfer Frankreichs“ angehört.
Seine Kopfsteingassen säumen nachtschwarz die Fassaden von noblen Stadtpalais. An düsteren Wintertagen, grau und nebelig, ist dies eine fast gruselige Szenerie.
Im Sommer hingegen bilden sie die perfekte Kulisse für einen unglaublich reichen Blumenschmuck und lassen die Blüten leuchten.
Im Osten endet die älteste kulinarische Themenstraße Frankreichs in Ambert an einem Unikum. Seine mairie ist das einzige runde Rathaus Frankreichs.
Vor dem Rundbau verkaufen lokale Produzenten jeden Sonnabend von März bis Dezember bei einem Biomarkt die besten Erzeugnisse der Region: Käse und Wurst, Obst und Gemüse, aber auch Kunsthandwerk und Handwerkliches.
Als „arm“ und „graues Mäuschen“ galt lange Zeit auch Aurillac. Seit der Jahrtausendwende hat es sich zu einem noch immer charmant beschaulichen, aber doch sehr lebenswerten Städtchen entwickelt.
Das ist besonders im Sommer zu spüren, wenn in der dritten Augustwoche mehr als 400 fahrende Schauspieltruppen die Hauptstadt des Cantal zur Bühne des Internationalen Straßentheatertreffens machen – und das seit bereits mehr als vier Jahrzehnten!
Lebendiges Kulturerbe
Doch selbst im Sommer hüllt sich Aurillac gerne mal in Wolken, und es schüttet spontan mal kurz und heftig. Wen wundert es da, dass vor fünf Generationen im Jahr 1884 dort Frankreichs Marktführer für Regenschirme gegründet wurde?
Bis heute werden sie von Piganiol ganz traditionell und handwerklich gefertigt. 2009 gab es daher für diese Manufaktur die Auszeichnung als Entreprise du Patrimoine Vivant ( EPV ) , als „Unternehmen des lebendiges Kulturerbes“.
Berühmter ist ein zweiter Global Player der Auvergne: Michelin. In den alten Werkshallen von Cataroux inszeniert der französische Reifenhersteller mit der Aventure Michelin die Geschichte der Mobilität.
Ausgestellt werden nicht nur Fahrobjekte für den Boden, sondern auch aus der Luft- und Raumfahrt. Selbst ein Marsauto und ein Reifen der Concorde fehlen nicht.
Die Werkshallen von Michelin liegen im Nordosten von Clermont-Ferrand, wo die Vulkanberge der Chaîne des Puys der weiten Ebene von Limagne weichen.
Auch die alte Hauptstadt der Auvergne hat sich seit den 1980er-Jahren herausgeputzt. Hinter einem breiten Gürtel aus Plattenbauten und Gewerbesiedlungen hat sie ihr historisches Herz rund um die Place de Jaude saniert.
Stolz blickt Vercingetorix auf das bunte Treiben des Stadtplatzes herab. Gefertigt hat ihn kein Geringerer als Frédéric Auguste Bartholdi, der Erbauer der New Yorker Freiheitsstatue.
Lebensart & Zeitgeist
Zwischen der Markthalle Marché de Saint-Pierre und der Cathédrale Notre-Dame-de-l’Assomption flirtet im Gewirr der engen Gassen das Flair des Mittelalters mit der Mode von heute.
Auf die Filialen französischer Ketten folgen Ableger von Traditionsbetrieben wie Claude Dozorme, der berühmtesten Messerschmiede der Auvergne, oder Feinkostgeschäfte wie die legendäre Fromagerie Nivesse.
Kleinode von lokalen Produzenten, Klassiker der Auvergne, berühmte Käse aus Frankreich und der ganzen Welt stapeln sich am Tresen und verführen, sie gleich vor Ort zu verkosten.
„Fangen Sie mit einem milden, cremigen Käse an und steigern Sie dann langsam Aroma und Festigkeit“, empfiehlt die Verkäuferin. Zur lokalen Käseauswahl reicht sie einen Tropfen der Region: einen roten Saint-Pourçain der Côtes d’Auvergne, komponiert aus Gamay mit einem Schuss Pinot Noir.
Feuer & Wasser
Auf den Plätzen und Straßen der trubeligen Großstadt, die aus der Verschmelzung von Clermont und Montferrand entstand, perlt und plätschert klares Wasser in mehr als 50 Brunnen.
Zu ihnen gehören gotische Großanlagen wie die berühmte Fontaine d’Amboise aus dunklem Vulkangestein und die Brunnen der Tiretaine, die unter der Stadt verläuft und nur hier und da zutage treten darf.
Feuer und Wasser: In der Auvergne prallen diese Naturgewalten direkt aufeinander. In der Chaîne des Puys, der Kette aus 80 Vulkankegeln westlich von Clermont-Ferrand, könnt ihr in Saint-Ours-les-Roches einem Feuerberg sogar ins Innere schauen.
Dort lädt der Erlebnispark Vulcania ein, mit dem Magma Explorer ins Herz der Vulkane einzudringen, beim 5D-Film „Riesen der Auvergne“ Nervenkitzel zu spüren und hautnah zu erleben, wie Geysire aus der Erde in den Himmel schießen.
In Chaudes-Aigues sprudelt Europas heißeste Thermalquelle aus der Erde: 82 Grad Celsius! Zehn Kurorte säumen die Bäderstraße der Auvergne.
Savoir-vivre der Oberschicht
Doch keiner ist so berühmt wie Vichy. Hier kurte Europas Aristokratie, linderte Madame de Sévigné ihr Rheuma, traf Napoleon III. seine Geliebte und schenkte die spätere Modemacherin Coco Chanel das Wasser der Célestins-Quelle aus.
Vollgepackt mit wertvollen Mineralien und leicht salzigem Geschmack, so sprudelt sie in den Anlagen des Thermes de Vichy. Seine Trinkhalle scheint mit ihren Kuppeln in Gold und Blau dem Orient entsprungen, sein 700 Meter langer Wandelgang ist ein Bravourstück der Belle Époque. Und während sonst Gemeinschaftsbäder üblich waren, freute sich die Hautevolee in Vichy über luxuriöse Einzelkabinen. Mehr als 100 gab es damals, viele haben überlebt.
Wie auch wunderschöne Villen, Parkanlagen und die beeindruckende Église Saint-Blaise. Da Vichy im Zweiten Weltkrieg Hauptstadt des mit Hitler verbündeten Regimes von Maréchal Pétain war, wurde die beschauliche Stadt kaum zerstört.
Bei den Bourbonen
Vichy liegt mitten im Stammland der Bourbonen. Von Moulins bis Lurcy-Lévis über Bourbon-l’Archambault, Saint-Menoux und Souvigny trägt das Bourbonnais die Handschrift derer, die Könige von Frankreich wurden.
Von ihrer Residenz steht in Moulins nur noch der Donjon. Kreuz und quer lehnen sich seine Dachschrägen ans Mauerwerk. Le Mal Coiffé, den „Schlecht-Frisierten“, haben die Einheimischen flugs den alten Burgturm getauft.
Auvergne: meine Reisetipps
Schlemmen und genießen
Grand Café
Das Traditionscafé hat seine überbordende Art-Nouveau-Einrichtung mit Lüstern, opulent verzierten Spiegeln, Decken- und Wandbildern, Sofas entlang der Wände und dunklen Tischen aus dem Jahr 1899 liebevoll bewahrt, die einst sehr deftige regionale Küche geschickt verschlankt.
• 49, Place d’Allier, 03000 Moulins, Tel. 04 70 44 00 05, www.facebook.com
Le SiSiSi
Junges Weinbistro mit Crossover-Küche und Weinen der Côtes d’Auvergne.
• Rue Massillion, 63000 Clermont-Ferrand, Tel. 04 73 14 04 28, www.facebook.com
L’Épicerie de Dienne
Lebensmittelladen und Café, Gästezimmer. Ferienwohnung und Aktivitäten: Für diese Kombi wurde der Brite Chris Wright 2017 mit dem Preis von Le Fooding ausgezeichnet.
• 6, Route du Puy Mary, 15300 Dienne, Tel. 04 71 20 59 84, www.lepiceriededienne.com
Hier könnt ihr schlafen
Hôtel Saluces
Das einstige Stadtpalais des Gouverneurs von Salers birgt heute als Boutique-Hotel acht sehr unterschiedlich eingerichtete Zimmer – von einer komfortablen „Bergkammer“ mit viel Holz über Louis-Seize-Nostalgie in edlem Grau bis zum kuscheligen Romantikzimmer unter dem Dach.
• Rue de la Martille, 15140 Salers, Tel. 04 71 40 70 82
Le Cantou
Gut und günstig sind die Gästezimmer im Feldsteinhaus des deutsch-französischen Ehepaares Hermann und Jacqueline Volz. Glücklich die Gäste, die in einem der schönsten Adlernester der Auvergne und in nächster Nähe der mautfreien Autobahn A75 leben.
• Place de la Croix du Bras, 63114 Montpeyroux, Tel. 04 73 96 92 26, www.gites-de-france.com
La Maison des Chats
Mit echter Herzlichkeit empfängt euch das Ehepaar Valeix im Herzen eines alten Dorfes. Ihre Gästezimmer sind nostalgisch, die dazugehörigen Bäder modern und auf dem Flur. Abends genießen alle Gäste gemeinsam bei der table d’hôte authentische cuisine auvergnate.
• Le bourg, Saint-Mary-le-Plain, Tel. 04 71 23 07 68, mobil 06 33 01 76 84, www.facebook.com/chambredhotemaisondeschats
Noch mehr Betten*
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Ihr seid mit euren Kindern unterwegs? Tolle Familienerlebnisse gibt es hier, mehr Infos zum köstlichen Käse der inneren Berge hier.
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Klaus Simon, Hilke Maunder, Roadtrips Frankreich*
Das zweite gemeinsame Werk mit Klaus Simon stellt euch die schönsten Traumstraßen zwischen Normandie und Côte d’Azur vor. 14 Strecken sind es – berühmte wie die Route Napoléon durch die Alpen oder die Route des Cols durch die Pyrenäen, aber auch echte Entdeckerreisen wie die Rundtour durch meine Wahlheimat, dem Fenouillèdes.
Von der Normandie zur Auvergne, vom Baskenland hin zu den Stränden der Bretagne und dem wunderschönen Loiretal laden unsere Tourenpläne ein, Frankreich mobil zu entdecken – per Motorrad, im Auto, Caravan oder Wohnmobil. Hier* gibt es das Fahrtenbuch für Frankreich!
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Wunderschöne Fotos, interessanter Bericht! Ich habe mal einen Winter an der Fac in Clermont-Ferrand studiert, da kommen nostalgische Gefühle auf.
Danke, liebe Frau Reidt! Viele Grüße! Hilke Maunder
Danke für die inspirierenden Artikel!
Wie schön, dass er Dir gefällt! Ein wunderschönes Fleckchen Frankreich! Viele Grüße, Hilke
Ich fand die Auvergne auch einfach umwerfend! War sicher nicht mein letztes Mal <3
Hallo Tanja, Du hattest mich inspiriert, da mal zu halten :-)). Genieß Dein NRW mit Deinem Papa! Bises!! Hilke
Der Bericht und die Bilder haben mir sehr gefallen. Die Ecke dürfte eines meiner nächsten Ziele werden.
VG
Ralf
Lieber Ralf,
es war die Überraschung für mich – hinter jeder Kurve völlig neue Eindrücke. Ich fahre auch Motorrad… und war begeistert.
Ganz viel Fahrvergnügen! Schönen Sonntag! Hilke